Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 339



102 Ia 339

48. Auszug aus dem Urteil vom 13. Oktober 1976 i.S. Baukonsortium
"Rosengartenstrasse" gegen Kanton Thurgau und Steuerrekurskommission des
Kantons Thurgau Regeste

    Art. 4 BV; Grundstückgewinnsteuer.

    Unzulässigkeit der "aufgespaltenen" Haltezeitberechnung für
Bestandteile desselben Grundstückes wegen Fehlens der erforderlichen
gesetzlichen Grundlage.

Sachverhalt

    A.- Das Baukonsortium Rosengartenstrasse in Kreuzlingen, bestehend
aus Remo Augustoni, Robert Sennhauser und Walter Müller, kaufte am
27. Juni 1963 die Parzellen Nr. 503 und 1040 in Kreuzlingen zum Preis
von Fr. 295'000.-- und am 30. September 1963 die benachbarten weiteren
Parzellen Nr. 1218, 501 und 2074 zum Preis von Fr. 170'000.--. Die
darauf befindlichen vier Gebäude wurden abgerissen, das Areal neu
parzelliert und mit Wohnhäusern überbaut. In der Folge verkaufte das
Konsortium am 24. März 1971 Block C (erstellt 1968/69) zum Preis von
Fr. 1'680'000.--, am 1. Juli 1971 Block D (erstellt 1970/71) zum Preis von
Fr. 810'000.-- und am 28. September 1971 Block A (erstellt 1965/66) zum
Preis von Fr. 790'000.--. In ihrer definitiven Gewinnsteuerveranlagung vom
20. Februar 1973 für alle drei Verkäufe berechnete die Steuerverwaltung des
Kantons Thurgau den Gewinn - unter Abzug eines Verlustes von Fr. 15'935.--
bei Block D - auf Fr. 263'400.-- und den Steuerbetrag auf Fr. 83'060.25. Im
Einspracheverfahren hielt sie an dieser Veranlagung fest. Mit Beschwerde an
die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau verlangten die Pflichtigen
eine Herabsetzung des Steuerbetrages auf Fr. 63'880.95. Sie rügten unter
anderem, dass zu Unrecht die Haltezeit für Boden und Gebäude getrennt
berechnet worden sei. Die Steuerrekurskommission wies die Beschwerde ab,
wobei sie sich für die "aufgespaltene" Haltezeitberechnung auf die schon
unter der Herrschaft des Steuergesetzes von 1950 bestehende Praxis berief.

    Remo Augustoni, Robert Sennhauser und Walter Müller führen gegen den
Entscheid der Steuerrekurskommission staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des Art. 4 BV.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer erblicken eine Verletzung des Art. 4 BV
darin, dass die Steuerrekurskommission eine im Gesetz nicht vorgesehene
Aufspaltung der Haltezeit bei den nachträglich überbauten Grundstücken
vorgenommen habe.

    a) Das Steuergesetz des Kantons Thurgau macht, wie zahlreiche andere
kantonale und kommunale Steuergesetze, in den §§ 158 Abs. 1 und 161 den
Grundstückgewinnsteuersatz unter anderem abhängig von der Eigentumsdauer:

    § 158 Abs. 1:

    "Massgebend für die Berechnung des Gewinnes und der

    Eigentumsdauer ist die letzte Handänderung."

    § 161:

    "War das veräusserte Grundstück während weniger als drei Jahren im

    Eigentum des Steuerpflichtigen, so wird der Steuerbetrag für jeden
Monat,
   den die Eigentumsdauer weniger ausmacht, um 1 Prozent erhöht.

    Bei einer Eigentumsdauer von fünf Jahren sowie für jedes weitere Jahr
   ermässigt sich die Steuer um 4 Prozent, höchstens jedoch um 60 Prozent."

    Weder dem Steuergesetz noch der Vollziehungsverordnung kann
entnommen werden, wie die während der massgebenden Eigentumsdauer
erfolgten wertvermehrenden Aufwendungen, insbesondere auch Bauten, bei der
Berechnung der Haltezeit zu behandeln sind. Es fragt sich, ob unter diesen
Umständen die getrennte Erfassung von Boden und nachträglich erstellten
Gebäuden, wie sie die thurgauischen Steuerbehörden nach ihren eigenen
Angaben praktizieren, vor Art. 4 BV standhält. Eine Steuererhebung,
die im Einzelfall über das vom formellen Gesetz ausdrücklich oder
stillschweigend zugelassene Mass hinausgeht, verstösst nicht nur gegen
das Legalitätsprinzip, von dem das Abgaberecht beherrscht ist (BGE 97 I
344, 100 Ia 66 und 138/139, sowie dort zit. frühere Entscheide), sondern
letztlich auch gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit.

    b) Die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau behauptet
nicht, dass § 161 StG oder eine dazugehörige Ausführungsbestimmung
eine unterschiedliche Haltezeitberechnung für Bestandteile desselben
Grundstückes vorschreibe, wie dies z.B. Art. 81 Abs. 4 des Steuergesetzes
des Kantons Graubünden vorsieht. Sie erblickt in dem Schweigen des
Gesetzes eine Lücke, die durch die Praxis auszufüllen sei, wobei
sie sich auf einen eigenen Entscheid vom 18. August 1964 beruft, in
welchem festgestellt wird, dass "ein blosser Bestandteil von Grund-
und Fahrniseigentum steuerrechtlich durchaus Vermögensobjekt sein" könne
und als solches einer besonderen Haltezeitberechnung zugänglich sei. Es
ist nicht zu verkennen, dass diese "aufgespaltene Gewinnberechnung"
(vgl. GUHL, Die Spezialbesteuerung der Grundstückgewinne in der Schweiz,
Diss. Zürich 1953, S. 263) eine differenziertere Durchsetzung des
Gedankens der Berücksichtigung der Eigentumsdauer erlaubt als das Abstellen
auf die sachenrechtliche Einheit. Fest steht aber auch, dass diese
Betrachtungsweise sich ausschliesslich zu Gunsten des Fiskus auswirkt
und somit einen weitergehenden Eingriff in das Vermögen des Bürgers
darstellt, als es dem Wortlaut des Gesetzes entspräche, das sich auf die
"letzte Handänderung" bezieht und sich damit zwar nicht unbedingt an den
sachenrechtlichen Tatbestand klammert - auch bei der Handänderung kann im
Steuerrecht die wirtschaftliche Betrachtungsweise gelten -, aber immerhin
auf das rechtliche Schicksal des Grundstückes abstellt. Es befindet sich
dabei auf derselben Linie wie die Steuergesetze der meisten anderen
Kantone mit Eigentumsdauerabzug, in denen die Praxis die "gespaltene
Gewinnberechnung" nur in dem Sinne kennt, dass bei gemeinsamer Veräusserung
von zu verschiedenen Zeiten erworbenen Grundstücken die Haltezeiten für
die einzelnen Teile gesondert berechnet werden. Die von den thurgauischen
Steuerbehörden angewendete Berechnungsweise stellt also keineswegs eine
notwendige Konsequenz der Berücksichtigung der Eigentumsdauer dar. Die
verbreitete gegenteilige Praxis hat den Vorzug der bedeutend einfacheren
Handhabung für sich und kommt zudem dem Pflichtigen entgegen. Es muss
unter diesen Umständen davon ausgegangen werden, dass der thurgauische
Steuergesetzgeber, dem die Problematik der "gespaltenen Gewinnberechnung"
mindestens seit dem Entscheid der Steuerrekurskommission vom 18. August
1964 bekannt sein musste, bei der Revision des Gesetzes im Jahre 1970
doch bewusst darauf verzichtet hat, die im angefochtenen Entscheid
festgestellte (unechte) Lücke durch eine klare Regelung im Sinne des
erwähnten Entscheides zu schliessen, wenn auch die Materialien darüber
nichts aussagen. Demnach fehlt der Praxis der Steuerrekurskommission
des Kantons Thurgau die erforderliche gesetzliche Grundlage, weshalb
der angefochtene Entscheid in teilweiser Gutheissung der Beschwerde
aufzuheben ist.