Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 308



102 Ia 308

44. Auszug aus dem Urteil vom 19. Mai 1976 i.S. Pfister-Grüebler gegen
Firma Obpacher GmbH und Kantonsgericht Schwyz. Regeste

    Schweiz.-deutsches Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929;
Erteilung der definitiven Rechtsöffnung aufgrund eines in Deutschland
ergangenen Versäumnisurteils

    1. Art. 4 Abs. 3 des Abkommens bezieht sich nur auf die den
Rechtsstreit einleitende Ladung oder Verfügung und nicht auf das Urteil
(E. 4a).

    2. Verhältnis zu den Vorschriften der Haager Übereinkünfte betr.
Zivilprozessrecht vom 1. März 1954 bzw. vom 17. Juli 1905 (E. 4b).

    3. Die Vollstreckung eines uneingeschrieben zur Post gegebenen, aber
gemäss § 175 DZPO rechtsgültig zugestellten Urteils, von dem bestritten
und nicht bewiesen ist, dass es dem Empfänger zugegangen ist, widerspricht
dem schweiz. ordre public nicht (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Durch Versäumnis-Urteil vom 11. Juni 1970 des Landgerichts München
I wurden die Einzelfirma Yvosan, Inhaberin Yvonne Pfister-Grüebler, und
deren Ehemann Paul Pfister gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Firma
Obpacher GmbH, München, DM 5'000.-- nebst 9 1/2% Zins seit dem 3. August
1966 zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Am 31. August
1973 betrieb die Obpacher GmbH Yvonne Pfister für eine Forderung von
Fr. 6'212.50 nebst 9 1/2% Zins seit 3. August 1966 und Fr. 628.25 nebst 4%
Zins seit 15. Juni 1970. Hiegegen wurde Rechtsvorschlag erhoben, worauf
die Obpacher GmbH beim Bezirksgericht Küssnacht am Rigi das Begehren um
definitive Rechtsöffnung stellte. Mit Entscheid vom 18. März 1974 erteilte
das Gerichtspräsidium Küssnacht die definitive Rechtsöffnung, gegen die
Yvonne Pfister beim Kantonsgericht Schwyz Rekurs einlegte. Dieses hiess
mit Beschluss vom 17. Juli 1975 den Rekurs teilweise gut und bewilligte
die definitive Rechtsöffnung nur für einen Betrag von Fr. 4'212.15 und
Fr. 628.25 nebst Zins.

    Hiegegen führt Yvonne Pfister staatsrechtliche Beschwerde. Sie
rügt eine Verletzung des Abkommens zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung
und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen
vom 2. November 1929 (BS 12, 359; Vollstreckungsabkommen, VA). Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab, u.a. aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin hält die Voraussetzungen des Abkommens
für die Vollstreckung des Versäumnisurteils des Landgerichts München
I auch deshalb nicht für erfüllt, weil sie das Urteil überhaupt nicht
oder jedenfalls nicht formgerecht zugestellt erhalten habe. Nun ist
unbestritten, dass das Urteil der Beschwerdeführerin nicht auf dem Weg der
Rechtshilfe zugestellt worden ist, sondern dass es vom Gerichtsvollzieher
am 18. November 1972 gemäss § 175 deutsche Zivilprozessordnung (DZPO)
uneingeschrieben zum Versand an die Beschwerdeführerin bei der Post
aufgegeben worden ist. Die Beschwerdeführerin bestreitet, das Urteil
erhalten zu haben. Diese Bestreitung mag als wenig glaubhaft erscheinen,
da die Beschwerdeführerin behauptet, sie habe nie irgendwelche Zustellungen
des Münchner Gerichts erhalten, wogegen sich aus den Beilagen 6 und 7 zum
Rechtsöffnungsgesuch ergibt, dass sie die Vorladung und Klagedoppel am
23. Mai 1970 über das Kantonsgericht Schwyz zugestellt erhalten hat. Da
indes nicht bewiesen ist, dass die Beschwerdeführerin das Urteil erhalten
hat, und ein Fehler bei der Postzustellung nicht derart ausserhalb jeder
Wahrscheinlichkeit liegt, dass mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet
werden müsste, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin nicht
in den Besitz des Urteils gekommen ist.

    a) Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, die Zustellung des Urteils
habe in den Formen von Art. 4 Abs. 3 VA zu erfolgen, wenn es in der
Schweiz vollstreckt werden solle. Dies trifft indessen nicht zu. Art. 4
Abs. 3 bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die den Rechtsstreit
einleitende Ladung oder Verfügung und nicht auf das Urteil. Dies ist
auch durchaus sinnvoll, soll doch damit nur sichergestellt werden,
dass kein Versäumnisurteil in einem Verfahren ergeht (und im andern
Vertragsstaat vollstreckt wird), von dem der Beklagte nicht ordnungsgemäss
in einer Weise Kenntnis erhalten hat, die ihm die Verteidigung vor dem
Prozessgericht ermöglicht (BGE 97 I 254 E. 3). Für eine analoge Anwendung
dieser Vorschrift auf das Urteil besteht kein Grund. Wäre dies die Meinung
der Vertragsschliessenden gewesen, so hätten sie dies ausdrücklich so
bestimmen müssen.

    b) Die Beschwerdeführerin ist ferner der Ansicht, durch die
Postzustellung des Urteils sei die schweizerische Gebietshoheit verletzt
worden, und erachtet die Vollstreckung des Urteils aus diesem Grund
für unzulässig.

    Dass ein Urteil dem Beklagten in einer bestimmten Form
zugestellt worden ist, ist nach dem VA nicht Voraussetzung für die
Vollstreckbarerklärung, es sei denn, dass eine Zustellungsvorschrift
missachtet worden wäre, von deren Einhaltung im Urteilsstaat der Eintritt
der Rechtskraft abhängt. Dies trifft hier nicht zu. Der Partei, gegen die
ein Versäumnisurteil erlassen wurde, steht gegen das Urteil der Einspruch
zu (§ 338 DZPO). Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen und beginnt
mit der Zustellung des Versäumnisurteils (§ 339 Abs. 1 DZPO). Diese
Regelung gilt nicht, wenn das Versäumnisurteil der Zustellung im Ausland
unterliegt (§ 339 Abs. 2 DZPO). Eine im Ausland wohnende Partei ist indes
aufgrund von § 174 Abs. 2 DZPO von Gesetzes wegen zur Benennung eines im
Gerichtsbezirk wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet, falls
sie nicht einen in einem bestimmten deutschen Ort oder Bezirk wohnhaften
Prozessbevollmächtigten bestellt hat. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach,
so gilt gemäss § 175 DZPO ein Urteil mit der Übergabe an die deutsche Post
als zugestellt. Dieser Fiktion entsprechend wird eine solche Zustellung
als Zustellung im Inland betrachtet und § 339 Abs. 2 DZPO kommt nicht
zur Anwendung (vgl. BAUMBACH/LAUTERBACH/ALBERS/HARTMANN, Kommentar
zur Zivilprozessordnung, 34. A., München 1976, S. 791 zu § 339, S. 396
Ziff. 1 lit. C zu § 175; STEIN/JONAS, Kommentar zur Zivilprozessordnung,
19. A., Tübingen 1972, Bd. 1, S. 816 f. zu § 174, S. 848 Ziff. I zu § 199,
Bd. 2, S. 1505 Ziff. II zu § 339). Im vorliegenden Fall genügte demnach
die Zustellung des Versäumnisurteils gemäss § 175 DZPO grundsätzlich als
Voraussetzung für den Eintritt der Rechtskraft nach deutschem Recht. Dass
das Urteil des Landgerichts München I tatsächlich in Rechtskraft erwachsen
ist, ergibt sich schliesslich aus einem entsprechenden Vermerk vom
17. August 1973 auf der Rückseite des Urteils.

    Die Beschwerdeführerin beruft sich indes in diesem Zusammenhang vor
allem darauf, die Schweiz habe gegenüber den Mitgliedstaaten der Haager
Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht von 1905 der Postzustellung
widersprochen. Es ist daher noch die Frage zu prüfen, inwieweit die
Vorschriften der Haager Übereinkunft vom 17. Juli 1905 betreffend
Zivilprozessrecht (BS 12, 277) bzw. der Haager Übereinkunft vom 1. März
1954 betreffend Zivilprozessrecht (AS 1957, 467) für die Vollstreckung von
Bedeutung sind. Sowohl die Schweiz als auch die Bundesrepublik Deutschland
haben die beiden Haager Übereinkünfte ratifiziert (AS 1974, 1389; AS 1968,
1722). Die Übereinkunft von 1954 entspricht in allen hier interessierenden
Bestimmungen der früheren Übereinkunft. Im ersten Abschnitt über die
Mitteilung gerichtlicher oder aussergerichtlicher Akten wird bestimmt,
welche Urkunden, die aus einem Vertragsstaat kommen, von den Behörden
eines anderen Vertragsstaates zu übermitteln sind und in welchen Formen
dies zu geschehen hat. Beide Abkommen sagen indes nichts darüber aus, in
welchen Formen Zustellungen erfolgen müssen, um prozessuale Wirkungen zu
entfalten. Sie beschränken sich darauf, die Behörden der Vertragsstaaten
zu verpflichten, die Zustellung in den darin vorgesehenen Formen durch ihre
Behörden zu besorgen oder durch andere zu gestatten. Für die Gültigkeit und
Rechtswirksamkeit der Zustellung im ersuchenden und im ersuchten Staat ist
es weder erforderlich noch ausreichend, dass diese in der Form der Haager
Übereinkünfte geschehe, sondern darüber entscheidet allein das eigene
Prozessrecht der einzelnen Staaten (MEILI/MAMELOK, Das internationale
Privat- und Zivilprozessrecht auf Grund der Haager Konventionen,
Zürich 1911, S. 330; Botschaft des Bundesrates über den Beitritt der
Schweiz zur revidierten Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht
vom 1. Dezember 1908, BBl 1908 VI S. 132). Dementsprechend hat das
Bundesgericht in BGE 96 I 396 ff. und 97 I 250 ff. entschieden, dass bei
der Vollstreckung von Urteilen gestützt auf das Haager Übereinkommen über
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete der
Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. April 1958 (AS 1964, 1283)
sich die Rechtskraft des Urteils nach dem Prozessrecht des Urteilsstaates
richtet und dafür nicht zu prüfen ist, ob die Zustellung des Urteils den
Haager Übereinkünften von 1905 und 1954 entspricht (BGE 96 I aaO nicht
publizierte E. 3; 97 I 255 f.). Die Rüge erweist sich daher in dieser
Hinsicht ebenfalls als unbegründet.

Erwägung 5

    5.- Hindert die Postaufgabe des Urteils und der mangelnde Nachweis,
dass die Beschwerdeführerin es entgegengenommen hat, den Eintritt der
Rechtskraft des Urteils nach dem massgeblichen deutschen Recht nicht,
so bleibt zu entscheiden, ob die Vollstreckung in der Schweiz der
hiesigen öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht und aus
diesem Grund zu unterbleiben hat. Nach Art. 6 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 4 Abs. 1 VA ist die Vollstreckung zu versagen, wenn durch die
Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll,
dem im Vollstreckungsstaat aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung
oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit
versagt ist. Ein Urteil kann nicht nur wegen seines materiellen Inhalts
- Worauf der zitierte Wortlaut der Vertragsklausel primär hinweist -,
sondern auch wegen des Verfahrens, in welchem es zustandegekommen ist,
gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen (BGE 101 Ia 526
E. 4a, 98 Ia 553 E. 3, 97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit Nachweisen). Der
Vorbehalt der öffentlichen Ordnung greift nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die
Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher
Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften
der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden (BGE 98 Ia 553 E. 3a
und b, 97 I 256, 157 E. 5 mit Nachweisen). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts sind der Anwendung der Ordre-public-Klausel mit Bezug auf
die Vollstreckung eines ausländischen Urteils engere Grenzen gezogen
als im Gebiet der direkten Gesetzesanwendung (BGE 98 Ia 533 E. 3b,
97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit weiteren Nachweisen). Mit der Formulierung
des Vorbehalts im VA wurde zudem versucht, den Anwendungsbereich der
Ordre-public-Klausel möglichst einzuschränken (KALLMANN, Anerkennung und
Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche,
Basel 1946, S. 229; Botschaft des Bundesrates zum VA, BBl 1929 III S. 536
f.). Diese Tendenz hält an; in verschiedenen neueren Abkommen wurde
festgelegt, dass von den Bestimmungen eines zwischenstaatlichen Abkommens
nur dann abgewichen werden darf, wenn diese mit dem ordre public eines
Vertragsstaates offensichtlich unvereinbar sind (vgl. z.B. die Haager
Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende
Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961
[AS 1969, 181] Art. 16; über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber
Kindern anzuwendende Recht vom 24. Oktober 1956 [AS 1964, 1279] Art. 4;
über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete
der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. April 1958 [AS 1964,
1283] Art. 2 Ziff. 5; über das auf die Form letztwilliger Verfügungen
anzuwendende Recht vom 5. Oktober 1961 [AS 1971, 1370] Art. 7).

    In BGE 96 I 398 hat das Bundesgericht entschieden, dass die
Postzustellung eines ausländischen Urteils an eine in der Schweiz
wohnhafte Partei jedenfalls dann dem schweizerischen ordre public nicht
widerspricht, wenn die Partei das Urteil durch die Post ausgehändigt
erhalten hat. Entscheidend war dafür die Überlegung, dass der
Beschwerdeführer dadurch, dass ihm das Urteil an seinem Domizil in der
Schweiz zugekommen war, dieses ganz gleich anzufechten vermochte, wie
wenn es ihm auf dem Rechtshilfeweg zugestellt worden wäre. Ob hingegen
die Annahme der Rechtskraft des Urteils gegen den ordre public der
Schweiz verstösst, wenn ein Urteil nach § 175 DZPO zugestellt worden
ist und die Sendung die Partei infolge eines Versehens der Postorgane
nicht erreicht hat, liess das Bundesgericht dort offen. In BGE 97
I 250 ff. hat es diesbezüglich erkannt, dass ein Verstoss gegen die
öffentliche Ordnung der Schweiz nicht anzunehmen ist, wenn das Gericht
die im Ausland wohnhafte Partei aufgefordert hat, einen in Deutschland
domizilierten Zustellungsbevollmächtigten zu bezeichnen und wenn es sie
davon in Kenntnis gesetzt hat, dass im Unterlassungsfall nach § 175 DZPO
zugestellt werden kann. Dabei hat sich das Bundesgericht die Prüfung
der Frage ausdrücklich vorbehalten, ob ein Vollstreckungsbegehren dann
wegen eines offensichtlichen Verstosses gegen die öffentliche Ordnung
der Schweiz abzulehnen ist, wenn ein Urteil nach § 175 DZPO zugestellt
wird, ohne dass die in Frage kommende Partei vorher zur Bezeichnung
eines Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert und auf die Folgen der
Unterlassung hingewiesen wurde (aaO 261). Im vorliegenden Fall ist vom
Landgericht München I offenbar keine Aufforderung an die Beschwerdeführerin
ergangen, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Es ist bloss erwiesen,
dass die Beschwerdeführerin Vorladung und Klagedoppel erhalten hat,
womit lediglich den Anforderungen Genüge getan ist, die das VA für die
Vollstreckbarerklärung an die den Rechtsstreit einleitende Ladung oder
Verfügung stellt (Art. 6 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 VA).

    Eine Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bezeichnen,
wird vom deutschen Recht nicht vorgeschrieben; vielmehr ist eine Partei,
die im Ausland wohnt, von Gesetzes wegen verpflichtet, einen solchen
Bevollmächtigten zu bestimmen (§ 174 Abs. 2 DZPO; STEIN/JONAS aaO
Bd. 1, S. 818, Ziff. II und die Hinweise vorne, E. 4b). Die Bedenken des
Bundesgerichts gegen die Zustellung nach § 175 DZPO gründen vor allem auf
der Überlegung, dass die Prozesspartei ihres Rechtsmittelrechts beraubt
werden könnte, wenn ihr das Urteil infolge eines Versehens der Post
nicht ausgehändigt wird (BGE 97 I 259). Indes kennt das schweizerische
Recht, wie das Bundesgericht in BGE 97 I 260 f. ausgeführt hat,
selber Regeln, die mit den Vorschriften der §§ 174 und 175 DZPO eine
gewisse Verwandtschaft haben, an deren Tragweite sie allerdings nicht
ganz heranreichen. Hierzu ist erneut vor allem auf Art. 29 Abs. 4 OG
hinzuweisen, wonach eine Partei, die im Ausland wohnt, von Gesetzes wegen
verpflichtet ist, in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu verzeigen,
und Zustellungen an Parteien die dieser Auflage nicht Folge leisten,
unterbleiben oder auf dem Ediktalweg erfolgen können. Werden Verfügungen
Ladungen und Urteile edictaliter durch Publikation in amtlichen Blättern
"zugestellt" weil die betreffende Partei unbekannten Aufenthaltes ist oder
die Zustellung aus andern Gründen nicht auf normalem Wege bewirkt werden
kann, so wird auch nach schweizerischem Prozessrecht in Kauf genommen,
dass ein Urteil in Rechtskraft erwächst, ohne dass eine Partei von ihm
Kenntnis erlangt hat (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht,
2. Aufl., S. 201/2 mit Anm. 69-72). Es kann demnach zumindest nicht
gesagt werden, es sei dem schweizerischen Prozessrecht völlig fremd und
widerspreche in unerträglicher Weise schweizerischem Rechtsempfinden,
dass ein Urteil unter den hier gegebenen Umständen ohne Kenntnis einer
Partei in Rechtskraft erwächst.

    Diese Beurteilung wird noch durch eine weitere Erwägung gestützt. Das
VA stellt besondere Anforderungen lediglich an die den Rechtsstreit
einleitende Ladung oder Verfügung (vgl. vorne, E. 4a), welche im
vorliegenden Fall erfüllt sind. Inbezug auf die Rechtskraft des zu
vollstreckenden Urteils geht das VA hingegen davon aus, dass diese nach
dem Recht des Urteilsstaates zu beurteilen ist. Es geht daher nicht
an, diese Regelung unter Berufung auf den ordre public im Ergebnis
praktisch rückgängig zu machen und die Wirkungen des Staatsvertrages,
dessen Ziel gerade darin besteht, die Existenz der verschiedenen
Rechtssysteme anzuerkennen und zu koordinieren, zu vereiteln (vgl. auch
BGE 101 Ia 526 E. 4a). In diesem Sinn hat das Bundesgericht bereits
in BGE 57 I 436 f. bezüglich des in den wesentlichen Bestimmungen
gleichlautenden Vollstreckungsabkommens mit Osterreich ausgeführt,
soweit die vertragsschliessenden Staaten es für erforderlich hielten, zu
verhüten, dass die Vollstreckung für einen Anspruch gewährt werden müsse,
dem gegenüber der Beklagte keine Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen,
hätten sie dieser Gefahr vorgebeugt, indem sie in Art. 1 Ziff. 4 des
Staatsvertrages bei Säumnisurteilen den Beweis der rechtzeitigen Zustellung
der Ladung an die säumige Partei verlangten. Hätte man daneben auch
die Möglichkeit vorbehalten wollen, die Vollstreckung wegen mangelnder
Zustellung des Urteils zu verweigern, unabhängig davon, inwiefern nach
dem Recht des Urteilsstaates eine solche erforderlich war, so wäre dies in
gleicher Weise bestimmt worden. Nachdem das Abkommen neben dem Erfordernis
rechtzeitiger Zustellung lediglich fordere, dass Säumnisurteile nach
dem Recht des Staates, in dem sie gefällt wurden, die Rechtskraft und
Vollstreckbarkeit erlangt haben und darauf verzichtete, die zur Erfüllung
dieser Voraussetzungen notwendigen Vorschriften aufzustellen und statt
dessen auf das Landesrecht des Urteilsstaates abstelle, gehe es nicht
an, solche Voraussetzungen auf dem Umwege über die Ordre-public-Klausel
einzuführen, weil nach dem internen Recht des Vollstreckungsstaates die
betreffenden Handlungen zum Zustandekommen eines vollstreckbaren Urteils
als zwingend notwendig erschienen.

    Trotz gewisser Bedenken, die sich aus dem Rechtsschutzbedürfnis
der betroffenen Prozesspartei ergeben, ist daher festzustellen, dass die
Rechtskraft eines gemäss § 175 DZPO zugestellten Urteils selbst dann nicht
gegen den schweizerischen ordre public verstösst, wenn die Postübergabe
an den Adressaten nicht nachgewiesen ist und lediglich feststeht, dass
ihm die den Rechtsstreit einleitende Ladung oder Verfügung in der nach
Art. 4 Abs. 3 VA vorgeschriebenen Form zugestellt worden ist und er diese
auch erhalten hat.

    Eine Verletzung des VA ist somit auch in diesem Punkt zu verneinen.