Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 264



102 Ia 264

40. Urteil vom 19. Mai 1976 i.S. Klee und Schlegel gegen
Freisinnig-Demokratische Partei des Bezirks Werdenberg und Regierungsrat
des Kantons St. Gallen. Regeste

    Art. 85 lit. a OG. Bezirksrichterwahlen; Beeinflussung der Wähler
durch ein privates Flugblatt.

    1. Erschöpfung des Instanzenzuges; Anfechtungsobjekt der Beschwerde
(E. 2).

    2. Voraussetzungen, unter denen der Stimmbürger wegen unerlaubter
Beeinflussung der Willensbildung durch irreführende private Publikationen
von Bundesrechts wegen die Ungültigerklärung einer Wahl oder Abstimmung
verlangen kann; Kognition des Bundesgerichtes (E. 3).

    3. Prüfung der im konkreten Fall erhobenen Rügen: Anfechtung einer
Bezirksrichterwahl wegen Verteilung eines privaten Flugblattes, welches,
zusammen mit verfahrensmässigen Unregelmässigkeiten, das Wahlergebnis in
unzulässiger Weise beeinflusst haben soll (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    A.- Am 26./27. April 1975 fanden im Kanton St. Gallen die
Erneuerungswahlen der Bezirksgerichte für die Amtsperiode 1975-1979
statt. Im Bezirk Werdenberg waren sieben Richter zu wählen. Acht Kandidaten
stellten sich zur Wahl, darunter Dr. X, der bereits seit 12 Jahren das Amt
des Bezirksgerichtspräsidenten innehatte, in diesem Wahlgang aber nicht
mehr, wie bisher, als Kandidat der Freisinnig-Demokratischen Partei des
Bezirkes Werdenberg (im folgenden FdP) auftrat, sondern als solcher der
Jungliberalen Bewegung. Die FdP, aus der Dr. X kurz zuvor ausgetreten
war, portierte als Gegenkandidaten für das Amt des Gerichtspräsidenten
(welcher formell nach erfolgter Volkswahl der Bezirksrichter durch diese
aus ihrer Mitte bestimmt wird) Rechtsanwalt Dr. Y. Die übrigen sechs
Kandidaten waren unbestritten. Bei einem absoluten Mehr von 2635 Stimmen
wurde Dr. Y mit 2921 Stimmen gewählt; Dr. X erhielt 2154 Stimmen und
schied aus. Die übrigen sechs gewählten Mitglieder erhielten zwischen
4752 und 4907 Stimmen. Das Ergebnis der Bezirksrichterwahlen wurde im
kantonalen Amtsblatt vom 12. Mai 1975 publiziert.

    Eugen Klee focht diese Wahl im Anschluss an die Publikation des
Ergebnisses mit Kassationsbeschwerde beim Regierungsrat des Kantons
St. Gallen an. Gleichzeitig reichte er, zusammen mit Hans Schlegel,
gestützt auf Art. 85 lit. a OG wegen Verletzung politischer Rechte
beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Die Behandlung
dieser Beschwerde wurde im Hinblick auf das vor dem Regierungsrat hängige
Verfahren ausgesetzt.

    Der Regierungsrat wies die bei ihm erhobene Kassationsbeschwerde am
24. Juni 1975 ab, soweit er darauf eintrat.

    Im Anschluss an diesen Entscheid des Regierungsrates führen beide
Beschwerdeführer mit gemeinsamer Eingabe erneut staatsrechtliche
Beschwerde.

    Mit beiden staatsrechtlichen Beschwerden wird geltend gemacht, der
Ausgang der Bezirksrichterwahlen sei durch Verteilung eines privaten
Flugblattes mit irreführendem Inhalt unzulässig beeinflusst worden.

    Das Bundesgericht weist die erste staatsrechtliche Beschwerde ab;
auf die zweite Beschwerde tritt es nicht ein, soweit sich diese gegen den
Entscheid des Regierungsrates richtet, im übrigen weist es sie ebenfalls
ab, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Als "kantonale Wahlen" im Sinne von Art. 85 lit. a OG gelten
auch Bezirkswahlen (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 342, mit Hinweisen).

    b) Die beiden Beschwerdeführer sind im Bezirk Werdenberg
stimmberechtigt. Sie sind daher legitimiert, im Zusammenhang mit den
beanstandeten Bezirksrichterwahlen wegen Verletzung politischer Rechte
gemäss Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche Beschwerde zu führen.

Erwägung 2

    2.- Staatsrechtliche Beschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG sind nur
gegen letztinstanzliche Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG), d.h.
der Beschwerdeführer muss vor der Anrufung des Bundesgerichtes von den
kantonalen Rechtsmitteln, die zur Geltendmachung der betreffenden Rügen
zur Verfügung stehen, Gebrauch gemacht haben (vgl. dazu LUDWIG, ZBJV
110/1974 S. 188).

    Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen ist auf die bei ihm
eingereichte Kassationsbeschwerde nur insoweit eingetreten, als damit
gewisse Gesetzesverletzungen bei der Durchführung und Überwachung der
Stimmabgabe gerügt wurden. Auf die Rüge, der Wahlausgang sei durch ein
privates Flugblatt unzulässig beeinflusst worden, trat er nicht ein,
da das kantonale Recht einen derartigen Kassationsgrund nicht vorsehe.

    a) Zur Geltendmachung dieser letzteren Rüge stand den Beschwerdeführern
demnach kein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung. Auf die erste
staatsrechtliche Beschwerde, welche unmittelbar im Anschluss an die
Publikation des Wahlergebnisses eingereicht worden ist und einzig die
erwähnte Rüge zum Gegenstand hat, ist daher einzutreten.

    b) In der zweiten, gegen den Regierungsratsentscheid gerichteten
staatsrechtlichen Beschwerde wiederholen die Beschwerdeführer die
Rüge bezüglich der Auswirkungen des Flugblattes. Dass die kantonale
Kassationsinstanz diese Frage hätte prüfen müssen, wird nicht geltend
gemacht. Anderseits wird auch nicht behauptet, dass die mit der
Kassationsbeschwerde zusätzlich gerügten behördlichen Verfahrensfehler,
die der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid einzig prüfte, für sich
allein eine Aufhebung der Wahl gerechtfertigt hätten. Wohl wird in der
zweiten staatsrechtlichen Beschwerde ausgeführt, dass die Zahl der durch
die verfahrensmässigen Unkorrektheiten betroffenen Stimmen höher sei als
vom Regierungsrat angenommen, doch wird nicht behauptet, dass der Entscheid
der kantonalen Kassationsinstanz bereits unter diesem Gesichtswinkel hätte
anders ausfallen müssen. Soweit sich die staatsrechtliche Beschwerde
vom 18. August 1975 gegen den Entscheid des Regierungsrates richtet,
ist daher nicht auf sie einzutreten.

    Es sei immerhin beigefügt, dass der Auffassung des Regierungsrates,
er sei zur Aufhebung einer Wahl lediglich dann befugt, wenn von amtlicher
Seite Verfahrensfehler begangen worden seien, kaum beigepflichtet
werden kann. Wie nachfolgend noch darzutun sein wird, kann eine
unerlaubte, wenn nicht gegen kantonales Recht, so doch gegen Bundesrecht
verstossende Einwirkung auf ein Wahl- oder Abstimmungsergebnis unter
gewissen Voraussetzungen auch von privater Seite her erfolgen. Auch
wenn das positive kantonale Recht einen derartigen Kassationsgrund
nicht ausdrücklich vorsieht, haben die zuständigen kantonalen Behörden
diesem bundesrechtlichen Grundsatz doch Rechnung zu tragen. Jedenfalls
kann sich der Stimmbürger in einem Fall wie dem vorliegenden ohne Gefahr
eines prozessualen Nachteiles zuerst an die kantonale Kassationsinstanz
wenden, bevor er gestützt auf Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche
Beschwerde führt. Die Grundsätze, welche das Bundesgericht in BGE 94 I
462 festgehalten hat (vgl. auch BGE 100 Ia 267, 123; 97 I 226), gelten
analog auch für Beschwerden nach Art. 85 lit. a OG. Das will heissen,
dass eine Wahl oder Abstimmung auch noch im Anschluss an den Entscheid der
kantonalen Kassationsinstanz unmittelbar mit staatsrechtlicher Beschwerde
angefochten werden kann, und zwar gegebenenfalls auch mit Rügen, welche mit
der kantonalen Kassationsbeschwerde nicht vorgebracht werden konnten. Auf
die zweite, erst im Anschluss an den Regierungsratsentscheid eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten, soweit sie sich gegen
die Wahl als solche richtet und im Namen von Eugen Klee erhoben wird. Hans
Schlegel, der beim Regierungsrat kein Rechtsmittel eingelegt hat, kann in
diesem Stadium nicht nochmals staatsrechtliche Beschwerde führen. Da es
sich um eine einzige, gemeinsam eingereichte Beschwerdeschrift handelt,
spielt diese Differenzierung hier praktisch keine Rolle.

Erwägung 3

    3.- Jeder Stimmbürger hat einen bundesrechtlich gewährleisteten
Anspruch darauf, dass kein Wahl- oder Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 101 Ia 240; 99 Ia 183; 98 Ia 621,
78; 97 I 662 f.; 91 I 318, 9; 90 I 73; 89 I 443). Stellt das Bundesgericht
Verfahrensmängel fest, so hebt es die Abstimmung auf, wenn die gerügten
Unregelmässigkeiten das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Der Stimmbürger
muss in einem solchen Fall nicht nachweisen, dass sich der Mangel auf
das Ergebnis entscheidend ausgewirkt hat; es genügt, dass nach dem
festgestellten Sachverhalt eine derartige Auswirkung im Bereiche des
Möglichen liegt (BGE 101 Ia 240; 98 Ia 621, 78; 97 I 663, 665; 93 I 535).

    Von verfahrensmässigen Fehlern abgesehen, kann auch eine unzulässige
Einwirkung auf die Willensbildung des Stimmbürgers die Ungültigkeit
einer Abstimmung zur Folge haben. Eine unerlaubte Beeinflussung der
Willensbildung liegt beispielsweise vor, wenn die Behörde im Rahmen
einer Sachabstimmung ihre Pflicht zur objektiven Information verletzt
und den Bürger über Zweck und Tragweite der Vorlage falsch orientiert
(BGE 98 Ia 622, 78; 93 I 439; 89 I 443). Darüber hinaus können auch
private Publikationen das Ergebnis einer Sachabstimmung in unstatthafter
Weise beeinflussen, wenn der Stimmbürger durch falsche und irreführende
Angaben getäuscht wird (BGE 98 Ia 625, 78 ff.). Einflüsse dieser Art
vermögen indessen nur ausnahmsweise die Aufhebung einer Abstimmung zu
rechtfertigen. Wohl ist die Verwendung von falschen und irreführenden
Angaben im Abstimmungskampf verwerflich, doch lässt sie sich nie völlig
ausschliessen und muss aus praktischen Gründen bis zu einem gewissen
Grade in Kauf genommen werden. Wie in BGE 98 Ia 80 ausgeführt, kann von
einer unzulässigen Beeinflussung der demokratischen Willensbildung durch
private Veröffentlichungen erst dann gesprochen werden, "wenn die Presse
in einem so späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren und irreführenden
Angaben in den Abstimmungskampf eingreift, dass es dem Bürger nach den
Umständen unmöglich ist, sich ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen
Verhältnissen zu schaffen, und wenn überdies keinerlei Zweifel darüber
bestehen, dass die Abstimmung dadurch entscheidend beeinflusst worden ist";
bei der Kassation einer Abstimmung wegen unzulässiger Beeinflussung durch
die Presse ist "grösste Zurückhaltung" zu üben (im gleichen Sinne BGE 98
Ia 625 f.).

    Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf die Willensbildung bei
Sachabstimmungen. Entsprechendes muss auch gelten in bezug auf kantonale
Wahlen (vgl. Urteil vom 3. Februar 1939 i.S. Otto Thomann-Rasi gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich, gekürzt publiziert in ZBl 40/1939
S. 249 ff.). Es lässt sich nicht vermeiden, dass in einem Wahlkampf zur
Unterstützung oder Bekämpfung umstrittener Kandidaten auch unsachliche,
übertreibende oder gar unwahre Behauptungen verbreitet werden. Solche
Verstösse gegen die guten Wahlsitten sind sicher unerwünscht und
verwerflich; sie genügen in der Regel aber noch nicht, um die Gültigkeit
eines Wahlganges in Frage zu stellen (vgl. dazu PICENONI, Die Kassation
von Volkswahlen und Volksabstimmungen, Diss. Zürich 1945, S. 127 ff.). Aus
praktischen Gründen ist auch hier grosse Zurückhaltung geboten; nur bei
ganz schwerwiegenden Verstössen kann der Stimmbürger von Bundesrechts wegen
eine Wiederholung des Wahlganges verlangen. Dass sich die beanstandete
unerlaubte Wahlpropaganda auf das Ergebnis des Wahlganges entscheidend
ausgewirkt hat, muss nicht nur im Bereich des Möglichen liegen (was bei
Verfahrensmängeln für eine Wiederholung des Urnenganges genügt), sondern
ausser Zweifel stehen oder zumindest als sehr wahrscheinlich erscheinen.

    Ob diese bundesrechtlichen Voraussetzungen für die Aufhebung einer
Wahl oder Abstimmung erfüllt sind, entscheidet das Bundesgericht im Rahmen
einer auf Art. 85 lit. a OG gestützten Beschwerde mit freier Kognition;
die Feststellung des Sachverhaltes durch die kantonalen Behörden überprüft
es indessen nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 101 Ia 240;
98 Ia 621, 78; 97 I 663).

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass die streitige Wahl
schon wegen der Verfahrensfehler, die in zwei Gemeinden des Bezirks
vorgekommen sind, ungültig sei. Sie begründen ihre Beschwerde in
erster Linie unter Hinweis auf ein privates Flugblatt, welches die
Willensbildung des Stimmbürgers unzulässig beeinflusst habe. Auf die
erwähnten Verfahrensfehler berufen sie sich nur hilfsweise, indem sie
geltend machen, dass die Voraussetzungen für eine Kassation der Wahl
auf jeden Fall dann gegeben seien, wenn man neben den Auswirkungen des
Flugblattes auch noch die möglichen Einflüsse der verfahrensmässigen
Unregelmässigkeiten berücksichtige. Es rechtfertigt sich, vorweg zu
prüfen, welcher Art diese formellen Mängel waren und welche Auswirkungen
sie haben konnten.

    Der Regierungsrat stellte hiezu in seinem Beschwerdeentscheid folgendes
fest: Es sei unbestritten, dass im Stimmlokal im Bahnhofgebäude Buchs
am Freitagabend während der ersten halben Stunde der Öffnungszeit eine
korrekte Stimmabgabe nicht gewährleistet gewesen sei. Eine Stimmenzählerin
habe, da die Urne zunächst unauffindbar gewesen sei, einzelne Stimmzettel
bei sich aufbewahrt und diese erst später ins Kuvert und dann in die Urne
gelegt. Damit sei das Stimmgeheimnis und der Grundsatz der persönlichen
Stimmabgabe verletzt worden. Sodann sei die Stimmabgabe nicht immer,
wie vorgeschrieben, durch beide, sondern zeitweise nur durch einen
Stimmenzähler überwacht worden. Es dürfe als gesichert gelten, dass nur 24
Stimmzettel auf diese unkorrekte Weise abgegeben worden seien. Ausserdem
hätten am Freitagabend mehrere im fraglichen Abstimmungslokal erschienene
Bürger wegen des anfänglichen Fehlens einer Urne ihre Stimme nicht
abgegeben. Ob sie später doch noch zur Urne gegangen seien, lasse sich
nicht feststellen. Falls die Stimmabgabe unterblieben wäre, weil sie sich
auf die publizierten Urnenöffnungszeiten verlassen hätten, läge hierin eine
unzulässige Verfälschung des Resultates. Es könne sich aber um höchstens
20-25 Stimmen handeln, die nicht abgegeben worden seien. Insgesamt ergebe
sich aus dem fraglichen Zwischenfall eine mögliche Differenz von maximal 50
Stimmen. Daneben seien auch im Dorf Weite Unregelmässigkeiten vorgekommen,
indem nicht beide Stimmenzähler dauernd bei der Urne anwesend gewesen
seien. Dieser Mangel habe aber das Wahlergebnis nicht beeinflussen können,
weil die beiden Stimmenzähler die eintreffenden Stimmbürger jeweils an
die Urne begleitet hätten und aufgrund der Umstände ausgeschlossen sei,
dass jemand sich unbemerkt hätte an die Urne begeben können. Selbst wenn
man sämtliche in Weite abgegebenen Stimmen (153) ebenfalls unberücksichtigt
lasse oder sie Dr. X zurechne, ändere sich am Wahlausgang nichts.

    Die Beschwerdeführer fechten diese Feststellungen nur insoweit an,
als sie die Auffassung vertreten, dass die Zahl der Stimmbürger, die
infolge der in Buchs vorgekommenen Unkorrektheiten der Urne ferngeblieben
seien, höher liege als vom Regierungsrat angenommen. Dass die Schätzung
des Regierungsrates willkürlich sei, wird indessen weder behauptet noch
dargetan. Es ist daher auch in diesem Punkt von der Sachverhaltsdarstellung
auszugehen, wie sie im Beschwerdeentscheid des Regierungsrates gegeben
wird.

    Ob der Umstand, dass eine Anzahl Bürger wegen der am Freitagabend im
Wahllokal des Bahnhofes Buchs aufgetretenen halbstündigen Verzögerung
möglicherweise keine Stimme abgegeben haben, überhaupt als rechtlich
relevante Auswirkung dieses Verfahrensmangels angesehen werden kann,
erscheint fraglich. Die im betreffenden Zeitabschnitt im Bahnhofwahllokal
erschienenen Stimmbürger, welche auf eine Abgabe der Stimme unter den
gegebenen Umständen (richtigerweise) verzichteten, konnten ihr Stimmrecht
ohne besonderen Aufwand anderweitig (im Wahllokal des Rathauses) oder
zu einem späteren Zeitpunkt (am Samstag oder Sonntag) ausüben; eine
ernstliche Behinderung der Stimmabgabe lag nicht vor. Aber selbst wenn
man zur Ermittlung des möglichen Fehlerbereiches nicht bloss die Zahl der
unkorrekt abgegebenen, sondern auch jene der "nicht abgegebenen" Stimmen
berücksichtigen will, konnte der Vorfall im Wahllokal des Bahnhofes
Buchs nach den Feststellungen des Regierungsrates höchstens 50 Stimmen
betreffen. Die Vorkommnisse im Dorf Weite waren nach unangefochtener
Darstellung des Regierungsrates nicht geeignet, die Zuverlässigkeit des
dortigen Wahlergebnisses in Frage zu stellen. Selbst wenn man von der
äussersten, hier völlig unwahrscheinlichen Annahme ausgeht, es seien
in Buchs die 24 unkorrekt abgegebenen Stimmzettel alle zugunsten
von Dr. Y modifiziert worden und es hätten sämtliche 25 der Urne
ferngebliebenen Bürger für Dr. X gestimmt, vermöchte dies am Ausgang der
Bezirksrichterwahlen klarerweise nichts zu ändern. Es bleibt zu prüfen,
wie der Einfluss des privaten Flugblattes zu bewerten ist.

Erwägung 5

    5.- In der Woche vor den Richterwahlen, d.h. am Donnerstag und
Freitag, teilweise bereits am Mittwoch vor dem Abstimmungswochenende,
verteilte die Post in alle Haushaltungen des Bezirkes ein von der
Freisinnig-Demokratischen Bezirkspartei Werdenberg unterzeichnetes
vierseitiges Flugblatt mit dem Titel "Wo liegt die Wahrheit?". Das
Flugblatt, das am Mittwoch der Post übergeben worden war, nimmt auf
seiner vordersten Seite Bezug auf die Propaganda der Wahlhelfer von
Dr. X, die nicht müde würden, "über dessen Amtsführung in der Presse
und auch in Interviews weiterhin das Loblied zu singen". "Von einer
Anzahl Rechtsuchender, welche die tatsächlichen Verhältnisse auf dem
Gerichtspräsidium Werdenberg selber kennenlernen mussten, erhielten
wir jetzt das Einverständnis, mit Einzelheiten an die Öffentlichkeit zu
treten". Die beiden folgenden Seiten des Flugblattes enthalten folgenden
Text:

    S. 2 (erste Innenseite).

    DAS SIND DIE TATSACHEN

    Das sagen Frauen und Männer, die die Dienste von Dr. X in Anspruch
nehmen
   mussten.

    K: "Mein Fall war nach 26 Monaten noch nicht abgeschlossen."

    L: "Bei mir ging es vom Mai 1970 bis November 1972, keine Kinder,

    Geldfragen nicht zu regeln."

    L: "Nach der Klage passierte vorerst einmal 10 Monate lang nichts.

    Die erste Einvernahme war nach 13 Monaten."

    G: "Obwohl er zuerst gegen mich als Anwalt aufgetreten ist, sass er
   nachher über mich zu Gericht."

    R: "Mein 'Fall' war nach 5 (fünf) Jahren beendigt, aber wie."

    T: "Gegen mich wurde im Dezember 1968 geklagt, nach 4 Jahren und 3

    Monaten hat Dr. X seinen Einzelrichterbeschluss herausgegeben."

    R: "Ich wurde durch die Frau einvernommen, Dr. X verzog sich
   zeitungslesend ins Nebenzimmer."

    B: "Die Frau wollte mich einvernehmen. Ich verlangte, durch den

    Präsidenten
   einvernommen zu werden. Ich musste dann eine halbe Stunde warten,
   weil er die Akten noch lesen musste."

    H: "Es ging 23 Monate bis ich geschieden war. Wir waren beide
   einverstanden, keine Kinder, Finanzen geregelt."

    S: "Seit September 1974 ist mein Mann fort, ich stehe allein mit den

    Kindern da. Dr. X hat bis heute noch nichts geregelt."

    S. 3 (zweite Innenseite)

    DAS SAGT DAS KANTONSGERICHT ZU DEN ARBEITEN VON DR. X

    ... Sein Entscheid ist nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus
   schlechthin unhaltbar, denn er verletzt einen allgemeinen
   Rechtsgrundsatz schwer. Der Entscheid läuft auch dem
   Gerechtigkeitsgedanken in stossender

    Weise zuwider. Er muss als willkürlich bezeichnet werden. Unrichtig und
   darüber hinaus schlechthin unhaltbar ist auch der Kostenspruch. Die

    Verfahrenskosten hat der STAAT zu tragen...

    ... Die Vernehmlassung des Gerichtspräsidenten ist verspätet. Auf seine

    Vorbringen kann nicht mehr eingetreten werden...

    ... Begründet sind die Beanstandungen hinsichtlich der Zeitspanne von 4

    Monaten sowie von 7 1/2 Monaten...

    ... Auch wäre es mit der Stellung des Gerichtspräsidenten durchaus
   vereinbar, wenn er ausnahmsweise ein Urteil selber redigieren würde,
   besonders in einem Fall mit wenigen Akten, die er zudem kennt. Und der

    Rechtspflege wäre damit erst noch besser gedient, als wenn neue
Verfahren,
   wie das vorliegende, veranlasst werden...

    ... Die Beschwerde war in erheblichen Punkten begründet, weshalb der

    STAAT die Kosten zu tragen hat...

    ... Besonders schwer wiegt der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung.

    Darin liegt ein irreparabler Mangel. Die sachliche Unzuständigkeit
hat die

    Nichtigkeit zur Folge...

    Auf der letzten Seite des Flugblattes wird darauf hingewiesen, dass
die FdP die Verantwortung für Dr. X als Gerichtspräsident ablehne und als
Kandidaten, der das Vertrauen der Wählerschaft verdiene, Dr. Y vorschlage.

    Die Jungliberale Bewegung des Bezirkes Werdenberg antwortete mit
einem Flugblatt "Hier liegt die Wahrheit!", in der sie die gegen die
Amtsführung von Dr. X erhobenen Vorwürfe in Abrede stellte und die
Propagandamethoden der Gegenseite kritisierte. Das Flugblatt wurde auf
privatem Wege verteilt. Wann und in welchem Umfang dies geschah, ist
nicht genau ersichtlich. Eine Verteilung durch die Post wäre offenbar
nicht mehr rechtzeitig möglich gewesen.

    a) Die Beschwerdeführer machen geltend, durch das Flugblatt "Wo liegt
die Wahrheit?" seien die Stimmbürger des Bezirkes in schwerwiegender Weise
irregeführt und das Wahlresultat dadurch in erheblicher Weise beeinflusst
worden. Der Stimmbürger habe vor dem Urnengang keine Möglichkeit
mehr gehabt, sich über die tatsächlichen Verhältnisse anderweitig zu
orientieren, und es sei auch dem angegriffenen Kandidaten nicht mehr
möglich gewesen, die unwahren und irreführenden Behauptungen wirksam zu
widerlegen oder richtigzustellen.

    Die unter der Überschrift "Das sind die Tatsachen" auf der
ersten Innenseite zitierten Äusserungen einzelner Personen seien nicht
überprüfbar, solange die Verfasser des Flugblattes ihre "Quellen" nicht
bekanntgäben. Jedenfalls liege eine Irreführung vor. Die meisten der
wiedergegebenen Äusserungen beträfen die Verzögerung von gerichtlichen
Verfahren. Dem Stimmbürger werde suggeriert, für alle vorgekommenen
Verzögerungen sei Dr. X verantwortlich. Der im Gerichtswesen nicht
bewanderte Stimmbürger könne nicht wissen, dass ein Prozess häufig
auch durch Umstände verzögert werde, für die der Gerichtspräsident
nicht verantwortlich sei, so durch Einholung von Gutachten,
Fristerstreckungsgesuche von Anwälten usw.

    Was die zweite Innenseite anbelange ("Das sagt das Kantonsgericht
zu den Arbeiten von Dr. X"), so sei eine Überprüfung der Zitate mangels
näherer Bezeichnung der betreffenden kantonsgerichtlichen Entscheide
ebenfalls nicht möglich. Jedenfalls werde, in Verbindung mit der
Überschrift dieser Seite, der unrichtige Eindruck erweckt, dass das
Kantonsgericht mit den fraglichen Sätzen über die Tätigkeit von Dr. X
als Gerichtspräsident ein allgemeines Werturteil gefällt habe. Ein Laie
sei nicht in der Lage, den Stellenwert solcher Einzelzitate richtig
einzustufen. Auch hierin liege eine schwerwiegende Irreführung des
Stimmbürgers. Eine derartige Wahlpropaganda dürfe schon aus grundsätzlichen
Erwägungen bei Richterwahlen nicht zugelassen werden.

    b) Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht, dass im streitigen
Flugblatt nicht angegeben wird, von welchen Personen und aus welchen
kantonsgerichtlichen Entscheiden die betreffenden Zitate stammen. Die
Gegenseite hat dies in ihrer Vernehmlassung zur staatsrechtlichen
Beschwerde nur zum Teil nachgeholt; sie erklärt sich jedoch bereit, auf
Aufforderung des Bundesgerichtes hin die "Prozedurnummern und Unterlagen",
aus denen die Zitate stammen, anzugeben.

    Wie sich zeigen wird, ist es für die Beurteilung der beiden
staatsrechtlichen Beschwerden nicht ausschlaggebend, ob alle im Flugblatt
zitierten Äusserungen richtig wiedergegeben und inhaltlich Wahr sind;
besondere Abklärungen in dieser Richtung erweisen sich im vorliegenden
Verfahren daher nicht als erforderlich. Die Herkunft einzelner Zitate
(so u.a. des 1. Zitates auf der zweiten Innenseite des Flugblattes) geht
übrigens aus den Akten hervor. Als Beschwerdegrund wird auch gar nicht
in erster Linie geltend gemacht, dass die wiedergegebenen Äusserungen und
Auszüge aus Urteilsbegründungen von den Initianten des Flugblattes schwer
verfälscht oder überhaupt erfunden worden seien. Die Beschwerdeführer
weisen nur eher beiläufig darauf hin, dass eine Überprüfung der Zitate
nicht möglich sei; das Hauptgewicht ihrer Beschwerde liegt auf der
Argumentation, dass selbst bei an sich richtiger Zitierweise eine
unzulässige Beeinflussung des Stimmbürgers vorliege.

    c) Den Beschwerdeführern ist zuzugeben, dass die Art und Weise, in
der der von ihnen unterstützte Kandidat durch das streitige Flugblatt
angegriffen worden ist, Bedenken erweckt. Das gilt insbesondere
in bezug auf die zweite Innenseite des Flugblattes, wo einzelne
Sätze aus der Begründung kantonsgerichtlicher Entscheide zitiert
werden. Feststellungen, wonach der Entscheid des unterinstanzlichen
Richters "schlechthin unhaltbar" und "willkürlich" sei, "in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufe" usw., sind in der Tat
geeignet, bei dem mit dem Gerichtsbetrieb nicht vertrauten Stimmbürger
einen falschen Eindruck zu erwecken; wer die rechtstechnische Bedeutung
und Funktion solcher Begriffe und Wendungen nicht kennt, könnte den
irrigen Schluss ziehen, es werde dem betreffenden unterinstanzlichen
Richter ein aussergewöhnlich schweres, seine fachliche Qualifikation
geradezu in Frage stellendes Versagen vorgeworfen. Ähnlich verhält es
sich mit dem im Flugblatt zitierten Satz aus einer kantonsgerichtlichen
Urteilsbegründung, wonach infolge Gutheissung einer Beschwerde "der
STAAT die Kosten zu tragen hat" (5. Zitat auf der zweiten Innenseite);
auch Zitate dieser Art sind im vorliegenden Zusammenhang unsachlich und
irreführend. Andere Äusserungen des Kantonsgerichtes betreffen immerhin
die Amtsführung als solche und sind insoweit nicht sachfremd (Zitate 2-4
auf der zweiten Innenseite); doch stellen auch sie in dieser Form keine
taugliche Information dar. Auch wenn es bei einer Volkswahl von Richtern
grundsätzlich zulässig sein muss, dass die bisherige richterliche Tätigkeit
eines Kandidaten im Rahmen eines Wahlkampfes öffentlich kritisiert wird,
darf das nur mit statthaften Mitteln geschehen. Die Verbreitung unbelegter,
aus dem Sachzusammenhang gelöster Zitate aus oberinstanzlichen Entscheiden
lässt sich mit geordneten Wahlsitten nur schwer vereinbaren.

    Was die auf der ersten Innenseite des Flugblattes wiedergegebenen
Äusserungen einzelner (anonymer) Bürger anbelangt, so betreffen sie zum
grössern Teil (7 von 10 Zitaten) die Verzögerung von Gerichtsverfahren. Die
Beschwerdeführer behaupten nicht, dass derartige Verzögerungen nicht
vorgekommen seien. Ebensowenig wird behauptet, dass jene beiden
Äusserungen, welche sich auf die Vertretung von Dr. X durch dessen
Ehefrau beziehen, sachlich unwahr seien. Es wird lediglich bestritten,
dass Dr. X in einem Falle in der vom Bürger "G" geschilderten Weise seine
richterliche Ausstandspflicht missachtet habe. Wie es sich damit verhält,
kann dahingestellt bleiben; es ist nicht anzunehmen, dass der Stimmbürger
diesem einzelnen Punkt eine erhebliche Bedeutung beimass.

    d) Trotz der berechtigten Einwände, die sich gegen das umstrittene
Flugblatt erheben lassen, erscheint das Begehren der Beschwerdeführer um
Kassation der Wahl nicht als begründet. Aus den von der Gegenseite wie
auch von den Beschwerdeführern eingelegten Akten geht hervor, dass die
im streitigen Flugblatt zum Ausdruck gebrachte Kritik an der Amtsführung
von Dr. X im wesentlichen nicht neu war:

    Nachdem die Delegiertenversammlung der Freisinnig-Demokratischen
Bezirkspartei Werdenberg am 30. Januar 1975 nach einer längeren Diskussion
in Anwesenheit von Pressevertretern beschlossen hatte, Dr. X für die
Amtsperiode 1975-1979 nicht mehr als Richter zu portieren, erschien
hierüber in der "Ostschweiz" vom 1. Februar 1975 ein ausführlicher
Bericht. Bereits hieraus konnte die Öffentlichkeit entnehmen, dass Dr. X
u.a. vorgeworfen wurde, er habe sein Amt als Gerichtspräsident nicht
mit der nötigen Speditivität ausgeübt und verschiedene Gerichtsfälle
verschleppt. Entsprechende Berichte über diesen "Hausstreit bei den
Werdenberger Freisinnigen" erschienen auch im "Oberländer Tagblatt"
vom 1. Februar 1975 und im "Werdenberger und Obertoggenburger" vom 4.
Februar 1975. Über die Amtsführung von Dr. X wurde in der Folge auch
an den Versammlungen der anderen Parteien diskutiert, worüber in den
Zeitungen wiederum berichtet wurde. Am 8. April 1975 publizierte die
"Ostschweiz" eine längere Erklärung der Freisinnig-Demokratischen
Bezirkspartei Werdenberg, in der u.a. ausgeführt wurde, dass Dr. X
neben seinem Amt als Gerichtspräsident noch zuviele andere Tätigkeiten
ausgeübt habe (arbeitsintensives Verwaltungsratsmandat, kantonale
Verwaltungsrekurskommission, privates Anwaltsbüro); damit sei die
Erklärung dafür gegeben, "weshalb dem Gerichtspräsidenten neben einem
umfangreichen Pendenzen-Katalog gravierende Verschleppungen, ungenügende
Vorbereitung von Gerichtsverhandlungen, ungerechtfertigte Entscheide
und sogar Fehlurteile zur Last gelegt werden". - In einem Interview, das
unter der Überschrift "Der 'Angeklagte' hat das Wort" in der "Ostschweiz"
vom 11. April 1975 veröffentlicht wurde, nahm Dr. X zu dieser Kritik
Stellung. Die Jungliberale Bewegung, welche Dr. X als Kandidaten portierte,
publizierte ebenfalls mehrere Stellungnahmen; sie wies u.a. darauf hin,
dass laut eingeholter Statistik das Bezirksgericht Werdenberg keineswegs
überdurchschnittlich viele Pendenzen aufweise, sondern im Vergleich zu
andern Gerichten sogar gut dastehe. Am 18. April 1975 erschien in der
"Ostschweiz" ein längerer Artikel von Dr. X, in welchem er über die
verschiedenen Funktionen des Gerichtes sowie über die Zahl und Art der
eingegangenen, hängigen und weitergezogenen Fälle detaillierte Angaben
machte und auf die steigende Belastung hinwies. Der "Werdenberger und
Obertoggenburger" publizierte am 19. April 1975 eine "Entgegnung der
FdP", worin die Kritik an der Amtsführung von Dr. X nochmals in allen
Punkten dargelegt und begründet wurde. Schliesslich erschienen im April
1975 zahlreiche Leserzuschriften, welche sich unter Bezug auf die erhobene
Kritik teils für, teils gegen eine Wiederwahl von Dr. X aussprachen. In
einer dieser Zuschriften wurde auch der - später zuoberst auf der zweiten
Innenseite des Flugblattes wiedergegebene - Urteilsauszug zitiert,
von dem unter Erwägung 5c eingangs die Rede war; Dr. X äusserte sich in
einer Einsendung an die "Ostschweiz" am 23. April 1975 zu diesem Zitat,
das er als ungenau und irreführend bezeichnete. Zu Beginn der Woche vor
den Wahlen liessen die Anhänger von Dr. X zwei Flugblätter verteilen, in
denen u.a. ausgeführt wurde, dass die Gegner hinsichtlich der Amtsführung
"vereinzelte Fälle tendenziös hochgespielt" hätten. Gesamthaft gesehen
ergebe sich jedoch ein gutes Bild; mit Bezug auf die Pendenzen stehe das
Bezirksgericht Werdenberg gemäss amtlicher Statistik unter 14 Gerichten
an viertbester Stelle. Die FdP brachte daraufhin das streitige Flugblatt
"Wo liegt die Wahrheit?" zur Verteilung, welches Anlass zu den vorliegenden
staatsrechtlichen Beschwerden gegeben hat.

    Aus dieser Schilderung des Wahlkampfverlaufes geht hervor, dass die
Vorwürfe bezüglich der Amtsführung von Dr. X, welche im streitigen
Flugblatt erhoben wurden, schon früher Gegenstand umfangreicher
öffentlicher Diskussionen gebildet hatten. Die Anhänger von Dr. X hatten
Gelegenheit, hiezu Stellung zu nehmen und die ihrer Auffassung nach
unwahren Behauptungen der Gegenseite richtigzustellen; sie sind denn auch
der erhobenen Kritik mit einer Reihe von Publikationen entgegengetreten. Es
verhält sich somit nicht so, dass der Stimmbürger gleichsam in letzter
Stunde mit völlig neuen, unüberprüfbaren Vorwürfen und Behauptungen
konfrontiert worden wäre. Bei den Ausführungen im streitigen Flugblatt
handelte es sich der Sache nach um eine Wiederholung jener Kritik, welche
die Gegner von Dr. X schon bisher öffentlich verbreitet und zu der sich
die Anhänger des angegriffenen Kandidaten ihrerseits bereits ausgiebig
geäussert hatten.

    Ob und wieweit diese Vorwürfe gegenüber der Amtsführung von Dr. X
begründet waren und welche Hintergründe diese Auseinandersetzung haben
mochte, ist hier nicht zu untersuchen; es kann auch dahingestellt bleiben,
ob die im Flugblatt "Wo liegt die Wahrheit?" verwendeten Zitate im
einzelnen alle richtig sind. Auch wenn dieses Flugblatt, unabhängig von
der Frage der sachlichen Begründetheit der Vorwürfe und der Richtigkeit
der Zitate, zu gewissen berechtigten Beanstandungen Anlass geben mag,
dürfte es doch für sich allein nach all den vorangegangenen Publikationen
auf die Willensbildung der Stimmbürger keinen grossen Einfluss mehr
ausgeübt haben. Nach den unter Erwägung 3 dargelegten bundesrechtlichen
Grundsätzen käme jedoch eine Kassation der Wahl nur dann in Betracht,
wenn in Berücksichtigung aller konkreten Umstände mit Sicherheit oder
hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könnte, dass der Wahlgang
ohne Verteilung dieses Flugblattes anders ausgefallen wäre. An dieser
Voraussetzung fehlt es hier. Dr. Y, der Gegenkandidat von Dr. X, erhielt
2921 Stimmen; sein Resultat liegt 286 Stimmen über dem absoluten Mehr von
2635. Dr. X seinerseits, der 2154 Stimmen auf sich vereinigte, hätte 481
zusätzliche Stimmen benötigt, um das absolute Mehr zu erreichen. Selbst
wenn man die möglichen Auswirkungen der in einem Wahllokal in Buchs
vorgekommenen Verfahrensfehler berücksichtigt (vgl. Erw. 4), d.h. vom
Ergebnis von Dr. Y 24 oder 25 Stimmen abzieht und jenes von Dr. X um 50
Stimmen erhöht, bleibt das Resultat des ersteren immer noch um rund 250
Stimmen über dem (entsprechend modifizierten) absoluten Mehr. Dass das
streitige Flugblatt eine Auswirkung von dieser Grössenordnung gehabt hatte
und ohne seine Verteilung wenigstens ein zweiter Wahlgang erforderlich
geworden wäre, lässt sich zwar nicht völlig ausschliessen. Es erscheint
aber in Anbetracht der geschilderten Umstände - was entscheidend ist -
auch nicht als sicher oder sehr wahrscheinlich. Das Begehren um Kassation
der Wahl vermag schon aus diesem Grunde nicht durchzudringen.