Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 87



101 V 87

15. Urteil vom 8. April 1975 i.S. Mattenberger gegen Ausgleichskasse
Basel-Stadt und Rekurskommission für die Ausgleichskassen Regeste

    Beitragsrechtliche Stellung der Akkordanten (Art. 4 ff. AHVG, Art. 7
lit. a AHVV). Die vom Bundesamt für Sozialversicherung gemeinsam mit der
SUVA erlassenen Richtlinien sind gesetzmässig. Die darauf basierenden
Entscheide der SUVA binden die Ausgleichskassen, nicht aber den Richter.

Sachverhalt

    A.- Im September 1973 ergab eine Arbeitgeberkontrolle, dass Ingenieur
Werner Mattenberger im Zeitraum von Januar 1972 bis März 1973 Hans Lehmann
in Winterthur, Heinz Ott und Gerhard Bauer in Allschwil, Paul Wespi in
Zürich sowie einen Bündner namens Cajochen als Akkordanten beschäftigt und
mit insgesamt Fr. 58'887.-- entlöhnt, hievon jedoch keine paritätischen
Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hatte. Deshalb verfügte die
Ausgleichskasse am 26. Oktober 1973, er müsse von jener Lohnsumme die
Beiträge nachzahlen.

    B.- Werner Mattenberger rekurrierte bei der Ausgleichskasse und
bestritt jede Nachzahlungspflicht. Die fünf Männer hätten als Unternehmer
für ihn gearbeitet und einen entsprechend höheren Stundenlohn erhalten.

    Die Kasse unterbreitete den Fall der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), die folgendermassen antwortete:

    - Der Installateur Lehmann habe auf Anfragen der Kreisagentur nicht
reagiert und sei bis zum Nachweis des Gegenteils als Arbeitnehmer zu
betrachten;

    - die Regiearbeiter Ott und Bauer seien von Januar 1972 bis März 1973
Arbeitnehmer des Beschwerdeführers gewesen;

    - der Chauffeur Wespi habe nie um Behandlung als Selbständigerwerbender
nachgesucht und sei zweifelsohne Arbeitnehmer;

    - über den Bündner Cajochen könne man keine Angaben machen, weil
Vorname und Adresse unbekannt seien.

    C.- Mitte Juni 1974 überwies die Ausgleichskasse die Akten der
kantonalen Rekurskommission und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

    Mit Urteil vom 27. Juni 1974 schützte die Rekurskommission die
Kassenverfügung aus folgenden Erwägungen:

    "Die von der Ausgleichskasse aufgrund des Rekurses durchgeführten

    Erhebungen haben klar ergeben, dass die Akkordanten Ott, Bauer
   und Wespi von der SUVA als Unselbständigerwerbende betrachtet
   werden. Für Cajochen und Lehmann konnten keine näheren Angaben in
   Erfahrung gebracht werden. Jedoch ist nicht anzunehmen, dass es sich
   bei diesen anders verhält ..."

    D.- Werner Mattenberger führt rechtzeitig
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beharrt auf seinem Standpunkt, meldet,
dass Cajochen in Schlieren wohne, und legt folgende Dokumente ins Recht:

    1. Erklärungen von Wespi und Bauer, sie hätten als
Selbständigerwerbende für den Beschwerdeführer gearbeitet;

    2. ein Schreiben der Firma "Sanitär-Service" in Winterthur vom
27. Oktober 1972, laut Besprechung mit Hans Lehmann erhalte Werner
Mattenberger einen einjährigen Arbeitsvertrag zur Unterschrift.

    Die Ausgleichskasse hält die Beschwerde für unbegründet; gemäss
Mitteilung der SUVA vom 24. Oktober 1974 werde Lehmann weiterhin als
Unselbständigerwerbender betrachtet.

    Auch das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- Laut ständiger Rechtsprechung üben Akkordanten in der Regel eine
unselbständige Erwerbstätigkeit aus. Als Selbständigerwerbender gilt ein
Akkordant grundsätzlich nur, wenn er Inhaber eines eigenen Betriebes ist
und so als gleichgeordneter Geschäftspartner mit eigenem Unternehmerrisiko
für den Akkordvergeber arbeitet (ZAK 1961 S. 167 und 1970 S. 394, BGE 97
V 218).

    Die Richtlinien über die Stellung der Akkordanten, die das Bundesamt
für Sozialversicherung und die SUVA gemeinsam im November 1971 zuhanden
der Ausgleichskassen und der Kreisagenturen erlassen haben und die am
1. Januar 1972 in Kraft getreten sind, bestimmen hauptsächlich folgendes:

    "In der Regel ist der Akkordant Unselbständigerwerbender. Macht
   er geltend, er sei Selbständigerwerbender, so ist es allein Sache der

    SUVA, mit Hilfe des Fragebogens (Form. 1935. d) die nötigen Erhebungen
   vorzunehmen und darüber zu entscheiden. Zuständig ist die

    Kreisagentur ... Ihr Entscheid ist für die AHV-Ausgleichskasse
   verbindlich. Ein Akkordant kann inskünftig nur dann als

    Selbständigerwerbender
   mit oder ohne Arbeitnehmer einer AHV-Ausgleichskasse angeschlossen
   sein, wenn er nachweist, dass er von der SUVA als solcher anerkannt
   worden ist ...

    Stösst die AHV-Ausgleichskasse auf einen Akkordanten, für den
   selbständige Erwerbstätigkeit geltend gemacht wird, so meldet sie dies

    - sofern sie nicht bereits einen entsprechenden Entscheid der SUVA
   besitzt - der zuständigen Kreisagentur der SUVA."

Erwägung 3

    3.- Die Gesetzmässigkeit der erwähnten Richtlinien wird von den
Parteien mit Recht nicht angezweifelt. Die Richtlinien setzen die
Methode fest, nach welcher die Ausgleichskasse mit Hilfe der zuständigen
Kreisagentur der SUVA im jeweiligen Einzelfall ermitteln soll, ob sich
ein Akkordant als Arbeitnehmer des Akkordvergebers oder als Unternehmer
auf eigene Rechnung betätigt hat. Sie sind keine Rechtsverordnung mit
allgemeinverbindlichen Normen, sondern eine dienstliche Instruktion,
wie sie auf Grund der Art. 72 Abs. 1 AHVG und 176 AHVV das Bundesamt für
Sozialversicherung und nach Art. 44 Abs. 1 lit. 1 KUVG in Verbindung mit
Art. 24 Abs. 2 der Verordnung I über die Unfallversicherung die SUVA zu
erlassen befugt sind (Art. 7 des Bundesgesetzes vom 12. März 1948 über die
Rechtskraft der bereinigten Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen;
GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts,
S. 163 f.).

    Die Richtlinien dienen der Abklärung eines wirtschaftlichen
Sachverhalts, der für die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die
obligatorische Unfallversicherung gleichermassen relevant ist. Dabei binden
die einschlägigen Entscheide der SUVA nur die beteiligte Ausgleichskasse
und nicht auch den Richter. Doch soll der Richter in dieses administrative
Ermittlungsverfahren nur eingreifen, wenn ihm der Entscheid der SUVA in
seinem Ergebnis fragwürdig erscheint.

Erwägung 4

    4.- Hinsichtlich der Versicherten Hans Lehmann, Heinz Ott, Gerhard
Bauer und Paul Wespi ist unbedenklich auf die Berichte der SUVA
abzustellen, wie sich aus folgendem ergibt:

    a) Von Lehmann erhielt die Kreisagentur Winterthur keine Antwort auf
Briefe vom 28. Dezember 1973 sowie 18. Januar 1974 und auch nicht auf ihren
Bescheid vom 5. Februar 1974, wonach sie ihn als Arbeitnehmer des Betriebes
betrachte, für welchen er "jeweils Spengler- und Installationsarbeiten
ausführe". Laut dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten
Brief der Firma "Sanitär-Service" vom 27. Oktober 1972 hatte der
Beschwerdeführer übrigens mit Lehmann einen Arbeitsvertrag geschlossen,
was ebenfalls die Stellungnahme der SUVA unterstützt.

    b) Der Spengler Ott ist, wie er der Kreisagentur Basel gemeldet hat,
meist als Regiearbeiter im Stundenlohn für Werner Mattenberger tätig und
übernimmt nur vereinzelt Direktaufträge von Bauherren oder Architekten; von
Januar 1972 bis März 1973 hat er als Regiearbeiter für den Beschwerdeführer
gearbeitet (Schreiben der Kreisagentur vom 1. März und 30. April 1974 an
die Ausgleichskasse). Gleich verhält es sich offenbar mit dem Versicherten
Bauer, der mehrmalige Aufforderungen, bei der Kreisagentur vorzusprechen,
unbeantwortet gelassen hat (Schreiben der Kreisagentur vom 30. April 1974
an die Ausgleichskasse).

    c) Am 10. Dezember 1973 schrieb die Kreisagentur Zürich der
Ausgleichskasse, der im Telephon- und Adressbuch als Chauffeur eingetragene
Versicherte Wespi habe sie nie ersucht, als Betriebsinhaber anerkannt zu
werden, und sei darum zweifelsohne als Arbeitnehmer zu betrachten.

Erwägung 5

    5.- Den Bündner Cajochen konnte die Kreisagentur Chur nicht
ausfindig machen, wie sie am 12. Dezember 1973 der Ausgleichskasse
mitgeteilt hat. Doch meldet Werner Mattenberger in seiner
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass der gesuchte Cajochen in Schlieren/ZH
wohne. Die nähern Einzelheiten wird nunmehr die Beschwerdegegnerin durch
geeignete Erhebungen bestmöglich abklären müssen.

    Die Richtlinien vom November 1971 sagen nichts darüber, wie es zu
halten sei, wenn die SUVA der Ausgleichskasse keine Angaben machen
kann. Was in solchen Fällen vorzukehren ist, wird das Bundesamt für
Sozialversicherung (allenfalls gemeinsam mit der SUVA) zu bestimmen haben.