Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 7



101 V 7

2. Auszug aus dem Urteil vom 17. Januar 1975 i.S. Stehrenberger gegen
Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft und Versicherungsgericht
des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Bedeutung der Handelsregistereintragungen für die Beitragspflicht
von Teilhabern an Kollektivgesellschaften (Art. 20 Abs. 3 AHVV).

Sachverhalt

    A.- Fritz Stehrenberger ist Teilhaber der Kollektivgesellschaft
F. Brodmann & Co., welche gemäss Eintragung im Handelsregister den
Erwerb, die Verwaltung und den Verkauf von Immobilien bezweckt. Am
Gesellschaftsvermögen, bestehend aus zwei Liegenschaften, ist Fritz
Stehrenberger mit einem Kapitalanteil von 96% und F. Brodmann mit einem
solchen von 4% beteiligt.

    Mit Verfügungen vom 10. Oktober 1973 erhob die Ausgleichskasse für
die Jahre 1969 bis 1973 die Sozialversicherungsbeiträge auf dem von Fritz
Stehrenberger aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkommen ...

    B.- Hiegegen beschwerte sich der Beitragspflichtige mit der Begründung,
er übe seit dem Jahre 1964 keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr
aus. Bei den aus der Kollektivgesellschaft F. Brodmann bezogenen Einkünften
handle es sich ausschliesslich um Mietzinseinnahmen; diese stellten nicht
Erwerbseinkommen, sondern beitragsfreien Vermögensertrag dar.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft wies die
Beschwerde mit Entscheid vom 27. Februar 1974 ab. Fritz Stehrenberger
sei Teilhaber einer Kollektivgesellschaft, welche den Erwerb, die
Verwaltung und den Verkauf von Immobilien bezwecke; seine Bezüge aus
der Gesellschaft stellten nach der gesetzlichen Ordnung Erwerbseinkommen
und nicht privaten Vermögensertrag dar; er unterliege daher für das von
der Steuerverwaltung gemeldete Erwerbseinkommen der Beitragspflicht als
Selbständigerwerbender ...

    C.- Fritz Stehrenberger erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
erneuert den vorinstanzlichen Beschwerdeantrag. Zur Begründung legt er
die jährlichen Geschäftsabrechnungen der Firma Brodmann & Co. aus den
Jahren 1964 bis 1973 auf, aus welchen hervorgehe, dass sich die von ihm
bezogenen Einkünfte auf blossen Vermögensertrag beschränkten. Mit Ausnahme
von Verwaltungskosten seien keine besonderen Entschädigungen ausgerichtet
worden ...

    Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung beantragen
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 9 Abs. 1 AHVG gilt als Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in
unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt. Dazu gehören nach
Art. 17 lit. c in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 AHVV auch die Anteile der
Teilhaber von Kollektivgesellschaften, soweit die Bezüge den vom rohen
Einkommen abziehbaren Kapitalzins (Art. 18 Abs. 2 AHVV) übersteigen.

    Praxisgemäss ist von der Vermutung auszugehen, die
Kollektivgesellschaft sei ein auf Erwerb gerichtetes Unternehmen und die
vom Gesellschafter bezogenen Anteile bildeten Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit und nicht (beitragsfreien) Kapitalertrag. Dies gilt
grundsätzlich auch, wenn der Hauptgeschäftszweck in der Verwaltung von
Liegenschaften besteht (EVGE 1964 S. 149 Erw. 1, 1959 S. 43).

    b) Nach Art. 554 OR sind Kollektivgesellschaften in das Handelsregister
des Ortes einzutragen, an dem sie ihren Sitz haben. In Ergänzung des
gesetzlich vorgeschriebenen Inhaltes der Eintragung bestimmt Art. 42
Abs. 1 der Vo über das Handelsregister vom 7. Juni 1937 (HRV):

    "Bei Einzelfirmen, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften ist die

    Natur des Geschäftes und bei juristischen Personen ihr Zweck kurz
   und sachlich einzutragen".

    Dem Handelsregister kommt zwar nur in beschränktem Masse öffentlicher
Glaube zu (vgl. hiezu HIS, Berner Kommentar zum ZGB, N. 17 ff. zu Art. 933
OR; FUNK, Kommentar des OR, N. 1 zu Art. 933 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, Das
Schweizerische Obligationenrecht, 6. Aufl. S. 740). Die Eintragungen haben
jedoch der Wahrheit zu entsprechen und dürfen zu keinen Täuschungen Anlass
geben (Art. 38 HRV); auch ist jede Änderung einer eingetragenen Tatsache
ebenfalls im Handelsregister einzutragen (Art. 937 OR). Dritte können
sich daher grundsätzlich darauf verlassen, der Inhalt einer Eintragung
entspreche den tatsächlichen Verhältnissen. Der Registereintrag erbringt
gemäss Art. 9 ZGB für die durch die Eintragung bezeugten Tatsachen
zivilprozessrechtlich den vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit
der Eintragung nachgewiesen ist (HIS, aaO, N. 16 zu Art. 933 OR; FUNK,
aaO, N. 1 zu Art. 933 OR).

    Bei dieser Rechtslage rechtfertigt es sich, der aus der
beitragsrechtlichen Regelung sich ergebenden Vermutung, wonach die vom
Teilhaber einer Kollektivgesellschaft bezogenen Anteile Erwerbseinkommen
darstellen, zusätzliche Bedeutung beizumessen, wenn aus der Eintragung im
Handelsregister klar hervorgeht, dass die Gesellschaft einen erwerblichen
Zweck verfolgt. Trifft dies zu, so muss sich der Gesellschafter
diesen Umstand auch hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen
Beitragspflicht entgegenhalten lassen. Die von ihm bezogenen Anteile gelten
demnach grundsätzlich als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit,
ohne dass geprüft werden müsste, was für eine Tätigkeit die Gesellschaft
im jeweils massgebenden Zeitraum tatsächlich ausgeübt hat. Wie das
Gesamtgericht entschieden hat, kann hievon nur abgewichen werden, wenn
nachgewiesen ist, dass die Eintragung im Handelsregister offensichtlich
und seit längerer Zeit den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht
und dass triftige Gründe gegen eine Änderung des Eintrages vorliegen.

Erwägung 2

    2.- Die Firma F. Brodmann & Co., an deren Kapital Fritz Stehrenberger
zu 96% beteiligt ist, bezweckt gemäss Eintragung im Handelsregister den
Erwerb, die Verwaltung und den Verkauf von Immobilien. Der Beschwerdeführer
ist somit für die aus der Gesellschaft bezogenen Gewinnanteile
grundsätzlich der Beitragspflicht als Selbständigerwerbender unterstellt.

    Was der Beschwerdeführer hiegegen vorbringt, vermag zu keinem
anderen Ergebnis zu führen. Es mag zwar zutreffen, dass die im Jahre
1952 gegründete Gesellschaft seit längerer Zeit nicht mehr erwerblich
tätig ist und dass die von den Gesellschaftern bezogenen Gewinnanteile
ausschliesslich aus Mietzinsertrag auf den im Eigentum der Gesellschaft
stehenden Liegenschaften stammen. Entscheidend bleibt jedoch, dass die
Gesellschaft auf Grund der Eintragung im Handelsregister jederzeit in
der Lage ist, erneut eine Geschäftstätigkeit auszuüben. Dies muss nach
dem Gesagten genügen, solange nicht nachgewiesen ist, dass die Eintragung
im Handelsregister den tatsächlichen Verhältnissen offensichtlich nicht
entspricht und aus triftigen Gründen nicht abgeändert werden konnte. Im
vorliegenden Fall fehlt es an Anhaltspunkten, die ein Abgehen von der
sich aus dem Handelsregistereintrag ergebenden Beurteilung rechtfertigen
würden. Den Akten ist vielmehr zu entnehmen, dass Fritz Stehrenberger
gleichzeitig einziger Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift der
"Lilienstrasse AG (Immobiliengesellschaft)" ist, welche auch als
Grundpfandgläubigerin der Firma Brodmann & Co. angegeben wird. Diese
Umstände sprechen für weitreichende Interessen erwerblicher Natur und
lassen den Schluss nicht zu, die fragliche Eintragung im Handelsregister
entspreche den tatsächlichen Verhältnissen offensichtlich nicht. Die
Beitragspflicht des Beschwerdeführers ist daher zu bejahen, ohne dass
geprüft werden müsste, ob triftige Gründe für den Weiterbestand der
angeblich unzutreffend gewordenen Eintragung des Gesellschaftszweckes
gegeben wären.