Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 43



101 V 43

8. Urteil vom 10. März 1975 i.S. Stössel gegen Ausgleichskasse
schweizerischer Transportunternehmungen und Rekursbehörde für die
Sozialversicherung des Kantons Schwyz Regeste

    Medizinische Massnahmen gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG bei Arthropathien,
insbesondere des Gehapparates.

Sachverhalt

    A.- Der 1909 geborene Josef Stössel ist Wagenführer bei der SOB. Die
Invalidenversicherung übernahm eine 1964 vorgenommene Coxarthrose-Operation
(Arthrodese) am rechten Hüftgelenk und gewährte in diesem Zusammenhang
weitere Leistungen. Diese Massnahmen ermöglichten dem Versicherten die
Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit.

    Am 17. Januar 1972 meldete sich Josef Stössel erneut bei der
Invalidenversicherung an und ersuchte um medizinische Massnahmen. Laut
dem Bericht von Dr. med. H. vom 7. Februar 1972 traten seit Frühjahr 1970
zunehmende schmerzhafte Kniegelenkergüsse rechts auf sowie eine rasch
progrediente schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes
mit zunehmender Gehbehinderung und Überbelastung des rechten Beines. Der
Arzt diagnostizierte "Gonarthrose rechts, zunehmende schmerzhafte
Coxarthrose links, Status nach Arthrodese des rechten Hüftgelenks,
chronischer Kniegelenkerguss rechts als Folge der Überbelastung". Um
den Patienten weiterhin gehfähig zu erhalten, sei das Einsetzen einer
Totalprothese in das linke Hüftgelenk unerlässlich; nur so könne die
chronische Überbelastung des rechten Knies mit den dadurch ausgelösten
Kniegelenkergüssen verhindert werden.

    Die Ausgleichskasse lehnte mit Verfügung vom 22. März 1972 das Gesuch
ab mit der Begründung, die gesetzlichen Voraussetzungen zur Übernahme
von medizinischen Massnahmen durch die Invalidenversicherung seien nicht
erfüllt, weil ausser der Coxarthrose ein weiteres invalidierendes Leiden
(eine schwere Gonarthrose rechts) festgestellt worden sei, das den
Eingliederungserfolg einer Coxarthrose-Operation beeinträchtigen könne.

    B.- Josef Stössel erhob Beschwerde mit dem Antrag, die
Invalidenversicherung habe die Hüftgelenkoperation nebst Nachbehandlung zu
übernehmen. Zur Begründung verwies er auf ein Zeugnis des Dr. H. vom
30. März 1972, worin der Arzt ausführte, die Gonarthrose rechts sei
an sich wenig schmerzhaft; die derzeitigen Reaktionen im rechten
Knie seien weitgehend verursacht durch die Überbelastung wegen des
Hüftleidens links; durch die vorgeschlagene Operation der linken
Hüfte sollten die Verhältnisse an den Beinen soweit saniert werden
können, dass der Versicherte in der Lage sei, bis auf weiteres
seinen Beruf voll auszuüben. Am 12. September 1972 teilte Dr. H. der
Invalidenversicherungs-Kommission noch folgendes mit:

    "Zur besseren Beurteilung des Rekurses von obigem Patienten teile
   ich ihnen mit, dass die am 5. April 1972 durchgeführte

    Hüftgelenkoperation rechts (Einsetzen einer Totalprothese) die
Gehfähigkeit
   so stark gebessert hat, dass mit Aufnahme der Arbeit auf 1. Oktober
   1972 gerechnet werden kann. Die drohende Invalidität konnte damit
   vorläufig verhütet werden."

    Die Kantonale Rekursbehörde für die Sozialversicherung Schwyz wies
mit Urteil vom 20. November 1972 die Beschwerde ab. Abgesehen davon,
dass die Frage, ob ein Anspruch laut Art. 12 Abs. 1 IVG bestehe, nach
der medizinischen Prognose vor der Durchführung des operativen Eingriffs
zu beurteilen sei, stehe trotz der erfolgreich verlaufenen Operation
nach dem Urteil von Dr. H. keineswegs fest, dass mit einer dauerhaften
Verbesserung der Erwerbsfähigkeit zu rechnen sei; denn der Arzt vertrete
nur die Auffassung, dass eine Invalidität vorläufig habe verhindert werden
können, was gemäss den nach der Praxis anzulegenden strengen Anforderungen
nicht genüge. Im übrigen sei der Versicherte im Zeitpunkt des Erlasses der
angefochtenen Verfügung beinahe 63jährig gewesen. Auch wenn angenommen
würde, bei einem 63 Jahre alten männlichen Versicherten sei noch mit einer
verbleibenden Arbeitsdauer zu rechnen, die im Sinne des Art. 8 Abs. 1
IVG einen Eingliederungsanspruch rechtfertige, so sei im konkreten Fall
zu berücksichtigen, dass der Versicherte als Angestellter der SOB mit
dem erreichten 65. Altersjahr eine Pension beziehen und seine bisherige
berufliche Tätigkeit aufgeben werde. Es sei nicht anzunehmen, dass er
sich nach der Pensionierung noch beruflich betätigen werde; anders würde
es sich nach den in ZAK 1970 S. 618 entwickelten Grundsätzen allenfalls
bei einem Selbständigerwerbenden verhalten.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Josef
Stössel beantragen, die Invalidenversicherung habe die Kosten der am
5. April 1972 vorgenommenen Coxarthrose-Operation links (Totalprothese)
und der Nachbehandlung vollumfänglich zu übernehmen. Zur Begründung wird
vorerst auf eine Bestätigung des Dr. H. vom 22. Dezember 1972 verwiesen,
wonach die durchgeführte Operation mit grosser Wahrscheinlichkeit erwarten
lasse, dass der Versicherte bis zum Erreichen der regulären Pensionierung
auf seinem jetzt ausgeübten Beruf als Wagenführer arbeitsfähig bleiben
werde. Damit sei die Auffassung des kantonalen Richters widerlegt,
es fehle an der Glaubhaftmachung der dauernden Verbesserung der
Erwerbsfähigkeit. In den Akten finde sich ferner keine medizinische
Prognose, welche den Erfolg der Operation als Eingliederungsmassnahme
im Sinne des IVG negativ beurteilen würde. Die einzige prognostische
Beurteilung des Eingliederungserfolges sei im Bericht des Dr. H.
vom 7. Februar 1972 enthalten; danach könne der Versicherte durch
das Einsetzen der Totalprothese gehfähig erhalten und die chronische
Überbelastung des rechten Knies mit den dadurch ausgelösten Gelenkergüssen
verhindert werden. Die Prognose sei also nicht ungünstiger gewesen
als der effektiv eingetretene Erfolg; andernfalls wäre sie falsch
gewesen, was indessen unbeachtlich sei. Was die Dauerhaftigkeit des
Eingliederungserfolges bei älteren Versicherten anbelange, sei der
Schlussatz von Art. 8 Abs. 1 IVG als Ausnahmebestimmung im Sozialrecht
einschränkend zu interpretieren. Es müsse den Versicherten soweit
immer möglich die Gelegenheit gegeben werden, bis zu ihrer ordentlichen
Pensionierung arbeiten zu können. Nur in Fällen. wo die verbleibende
Aktivität gänzlich geringfügig sei, dürfe diese Bestimmung herangezogen
werden, um wirtschaftlich unsinnige Eingliederungsmassnahmen versagen zu
können; sonst aber hätten die menschlichen Aspekte den Vorrang. Josef
Stössel könne dank der Operation mit grosser Wahrscheinlichkeit noch
nahezu 2 Jahre arbeiten, was ins Gewicht falle. Im übrigen rechtfertige
sich die von der kantonalen Rekursbehörde vorgenommene Diskriminierung
pensionsberechtigter Angestellter gegenüber Selbständigerwerbenden
nicht. Die Vorinstanz scheine den Umstand, dass eine Gonarthrose als
weiteres invalidierendes Leiden bestehe, nicht mehr als wesentlich zu
erachten. Dr. H. habe denn auch festgestellt, dass die Gonarthrose an
sich wenig schmerzhaft sei und dass die Überbelastung des Knies durch
die Hüftoperation habe behoben werden können. Wenn schliesslich das
kantonale Gericht feststelle, es fehle der Nachweis der Glaubhaftmachung
einer dauernden Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, so hätte es von Amtes
wegen einen fehlenden Beweis ergänzen müssen.

    Während die Ausgleichskasse auf eine Stellungnahme verzichtet,
schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Unter den allgemeinen Voraussetzungen des Art. 8 Abs.  1 IVG
hat der Versicherte nach Art. 12 Abs. 1 IVG Anspruch auf medizinische
Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern
unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet
sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor
wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Diese Bestimmung bezweckt
namentlich, die Aufgabenbereiche der Invalidenversicherung einerseits
und der sozialen Kranken- und Unfallversicherung anderseits gegeneinander
abzugrenzen. Die Abgrenzung "beruht auf dem Grundsatz, dass die Behandlung
einer Krankheit oder einer Verletzung ohne Rücksicht auf die Dauer des
Leidens primär in den Aufgabenbereich der Kranken- und Unfallversicherung
gehört" (Bericht der eidgenössischen Expertenkommission für die Revision
der Invalidenversicherung vom 1. Juli 1966, S. 31).

    Das Gesetz umschreibt die Vorkehren medizinischer Art.  welche von
der Invalidenversicherung nicht zu übernehmen sind, mit dem Rechtsbegriff
"Behandlung des Leidens an sich". Wo und solange labiles pathologisches
Geschehen besteht und mit medizinischen Vorkehren angegangen wird,
seien sie kausal oder symptomatisch, auf das Grundleiden oder
dessen Folgeerscheinungen gerichtet, stellen solche Heilmassnahmen,
sozialversicherungsrechtlich betrachtet, Behandlung des Leidens an
sich dar. Dem labilen pathologischen Geschehen hat die Rechtsprechung
seit jeher im Prinzip alle nicht stabilisierten Gesundheitsschäden
gleichgestellt, die Krankheitswert haben. Demnach gehören jene Vorkehren,
welche auf die Heilung oder Linderung pathologischen oder sonstwie
Krankheitswert aufweisenden Geschehens labiler Art gerichtet sind, nicht
ins Gebiet der Invalidenversicherung. Erst wenn die Phase des (primären
oder sekundären) pathologischen Geschehens insgesamt abgeschlossen und
ein stabiler bzw. relativ stabilisierter Zustand eingetreten ist, kann
sich - beim volljährigen Versicherten - überhaupt die Frage stellen,
ob eine Vorkehr Eingliederungsmassnahme sei. Die Invalidenversicherung
übernimmt in der Regel nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur
stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren,
sofern sie die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten Erfolges
im Sinne des Art. 12 Abs. 1 IVG voraussehen lassen. Dagegen hat die
Invalidenversicherung eine Vorkehr, die der Behandlung des Leidens an
sich zuzuzählen ist, auch dann nicht zu übernehmen, wenn ein erheblicher
Eingliederungserfolg vorauszusehen ist. Der Eingliederungserfolg, für
sich allein betrachtet, ist im Rahmen des Art. 12 IVG kein taugliches
Abgrenzungskriterium, zumal praktisch jede ärztliche Vorkehr, die
medizinisch erfolgreich ist, auch im erwerblichen Leben eine entsprechende
Verbesserung bewirkt (BGE 100 V 101 Erw. 1a, 98 V 208 Erw. 2).

    b) Nach der Praxis gelten im Hinblick auf Coxarthrose-Operationen
(insbesondere Osteotomien, Arthrodesen, Total-Endoprothesen) die
Gesundheitsverhältnisse vor dem Eingriff nicht mehr als labil, wenn
im mehr oder weniger zerstörten Hüftgelenk ein relativ stabilisierter
Enddefekt erblickt werden kann, obschon, genau genommen, nicht immer
bereits ein stabiler Defektzustand vorliegt. Solche Operationen sind
daher gemäss der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts durch
die Invalidenversicherung als medizinische Eingliederungsmassnahmen zu
übernehmen, sofern sie den pathologisch-anatomischen Zustand des Skelettes
als Ursache der unphysiologischen Beanspruchung und die sekundären Symptome
dauerhaft sanieren. In diesen Fällen sind aber strenge Anforderungen an
die übrigen Voraussetzungen - die Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des
angestrebten Eingliederungserfolges - zu stellen. Ob diese Voraussetzungen
gegeben seien, ist - der Rechtsgleichheit wegen - im massgebenden Zeitpunkt
medizinisch-prognostisch zu beurteilen (BGE 98 V 34 Erw. 2). Für diese
Prognose ist der vor der fraglichen Operation vorhandene medizinische
Sachverhalt in seiner Gesamtheit massgebend. Das bedeutet namentlich,
dass die im Hinblick auf die Coxarthrose angezeigte Hüftoperation im
Einzelfall für sich allein möglicherweise den Eingliederungserfolg nicht
dauernd und wesentlich zu bewirken vermag, wenn neben der Coxarthrose
weitere erhebliche, d.h. die Erwerbsfähigkeit (bzw. die Fähigkeit der
Betätigung im bisherigen Aufgabenbereich) beeinträchtigende, krankhafte
Nebenbefunde vorliegen (ZAK 1972 S. 179 f., EVGE 1969 S. 100 ff., 1968
S. 112 ff., ZAK 1968 S. 464 ff.).

    Diese grundsätzliche Betrachtungsweise ist sinngemäss auch dort
anwendbar, wo als Streitgegenstand eine Gonarthrose-Operation in Frage
steht.

Erwägung 2

    2.- Prof. Dr. med. T. erstattete dem Eidg.  Versicherungsgericht am
29. August 1974 ein Grundsatzgutachten, in welchem er die folgenden vom
Gericht gestellten Fragen zu beantworten hatte:

    - ob es allgemeingültige Regeln für die prognostische Beurteilung von
Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges bestimmter
Arten von Coxarthrose- bzw. Gonarthrose-Operationen gebe und auf welche
zeitliche Dauer sich gegebenenfalls erfahrungsgemäss eine zuverlässige
Prognose stellen lasse;

    - ob es spezielle Regeln für die erwähnte Beurteilung gebe im Hinblick
auf die häufigsten Nebenbefunde (andere Gelenkschäden, Wirbelsäuleschäden,
Zirkulationsstörungen, Adipositas), welche die Sanierung des Gehapparates
erschweren können;

    - ob es allgemeine Regeln betreffend die Indikation der Art des
Eingriffs, je nach Zustand und Alter des Patienten, gebe.

    Prof. T. verneinte in seinem ausführlichen Gutachten die Anwendbarkeit
genereller Regeln zur Beantwortung dieser Fragen. Er erklärte namentlich,
allgemeingültige Kriterien sowohl für die Beurteilung von Dauerhaftigkeit
und Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges als auch für den Entscheid
hinsichtlich Nebenbefunde seien nur im Hinblick auf den konkreten
Einzelfall möglich und abhängig von zahlreichen physischen, psychischen
und sozialen Faktoren, so dass eine generelle, auf eine grosse Zahl
von Versicherten anwendbare Regel nicht mit der geringsten Aussicht auf
Objektivität umschrieben werden könne. Zusammenfassend hielt der Experte
folgendes fest:

    - "L'état actuel de nos connaissances et l'expérience acquise dans
   l'usage des prothèses articulaires ne permettent pas encore de définir
   des règles générales pour établir un pronostic de la durée et de
   l'importance de l'amélioration de la capacité de travail à la suite
   de ces interventions. Chaque cas devrait faire l'objet d'un bilan
   tenant compte de tous les facteurs locaux et généraux, somatiques et
   psychiques et s'il le faut sociaux et professionnels pour établir un
   pronostic dont le degré de certitude restera de toute façon médiocre.

    Le seul argument tout à fait objectif reste la capacité de travail
   obtenue après l'intervention."

    - "Une aide efficace dans l'établissement du pronostic est la
   distinction entre les lésions secondaires à l'arthropathie, c'est-à-dire
   provoquées par elle et capables de réagir favorablement à l'intervention
   et les lésions indépendantes de la lésion articulaire elle-même et
   assombrissant certainement son pronostic. Mais leur rôle ne peut faire
   l'objet d'une règle générale et ne peut être apprécié que pour chaque
   cas isolément."

    - "Les indications des différentes opérations réparatrices d'une
   arthropathie dépendent de l'âge, de l'importance de la lésion
   articulaire, de sa cause, de l'état général du patient et de ses
   conditions de travail futures. S'il est déjà possible de définir des
   directives générales, celles-ci ne peuvent être appliquées qu'avec de
   très nombreuses exceptions."

Erwägung 3

    3.- An der bisherigen, in Erwägung 1b dargestellten Rechtsprechung ist
daher grundsätzlich festzuhalten. Unter Berücksichtigung der Ausführungen
des Experten und der Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung
ist zur Beantwortung der Frage, ob die Arthrosebehandlung durch die
Invalidenversicherung als medizinische Eingliederungsmassnahme nach Art. 12
IVG zu übernehmen sei, ausserdem von folgenden Grundsätzen auszugehen:

    a) Bei der Arthrose fehlen allgemeingültige Regeln zur Abgrenzung
des pathologischen oder sonstwie Krankheitswert aufweisenden Geschehens
labiler Art von relativ stabilisierten Verhältnissen. Im Einzelfall kommt
somit zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine medizinische Vorkehr ins
Gebiet der sozialen Krankenversicherung oder der Invalidenversicherung
gehört, dem konkreten medizinischen Sachverhalt erhöhte Bedeutung zu. Um
die rechtsgleiche Behandlung zu gewährleisten, ist es daher unerlässlich,
dass die Verwaltung den medizinischen Tatbestand möglichst genau und nach
einheitlichem Frageschema abklärt.

    Bestehen trotz zuverlässiger Abklärung Zweifel, ob ein
Gesundheitsschaden ein medizinischen Eingliederungsmassnahmen der
Invalidenversicherung grundsätzlich zugängliches Leiden darstellt, so ist
die Annahme relativ stabilisierter Verhältnisse desto eher gerechtfertigt,
je eindeutiger im konkreten Fall die effektiven Auswirkungen des
Gesundheitsschadens zu einer (unmittelbar drohenden) Invalidität
erheblichen Ausmasses geführt haben. Anderseits kann das Bestehen einer
(unmittelbar drohenden) Invalidität die Voraussetzung des stabilisierten
Zustandes nicht ersetzen, weil sonst praktisch jede Operation einer
Arthrose, die einem Versicherten schon in einem relativ frühen Stadium
erhebliche Beschwerden verursacht, von der Invalidenversicherung zu
übernehmen wäre.

    b) Dauernd im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG ist der von einer
medizinischen Eingliederungsmassnahme zu erwartende Eingliederungserfolg,
wenn die konkrete Aktivitätserwartung gegenüber dem statistischen
Durchschnitt nicht wesentlich herabgesetzt ist (BGE 98 V 212 lit. c;
vgl. auch Art. 8 Abs. 1 letzter Satz IVG). Diesbezüglich kann derzeit
auf die Angaben in der 3. Auflage der Barwerttafeln STAUFFER/SCHAETZLE
(Zürich 1970) abgestellt werden, welche auf den tatsächlichen Erfahrungen
der Invalidenversicherung beruhen (vgl. auch das in ZAK 1971 S. 273
publizierte Urteil vom 7. Januar 1971 i.S. Lampert).

    Dadurch, dass gemäss bisheriger Praxis die Aktivitätserwartung
im konkreten Fall "nicht wesentlich" vom statistischen Durchschnitt
abweichen darf, soll namentlich bei kurz vor dem AHV-Rentenalter
stehenden Versicherten verhindert werden, dass einer an sich
erfolgreichen medizinischen Massnahme bereits dann Dauerhaftigkeit im
invalidenversicherungsrechtlichen Sinne zuerkannt wird, wenn es sich im
Grunde genommen lediglich um eine stabilisierende Vorkehr für die kurze
Dauer bis zur Erreichung des AHV-Rentenalters handelt.

    Demgegenüber wäre es bei jüngeren Versicherten unbillig und
wirklichkeitsfremd, die erforderliche Dauerhaftigkeit des prognostischen
Eingliederungserfolges eng an die Aktivitätsperiode, mit welcher der
Versicherte nach der statistischen Wahrscheinlichkeit rechnen kann,
binden zu wollen. Denn es geht nicht an, einer medizinischen Massnahme
die vom Gesetz verlangte Dauerhaftigkeit des Eingliederungserfolges
nur deshalb abzusprechen, weil die statistische Aktivitätserwartung
des Versicherten weit über die Zeitspanne hinausgeht, für die sich aus
medizinischer Sicht selbst bei günstigen Voraussetzungen ein Dauererfolg
überhaupt prognostizieren lässt. Daher ist bei jüngeren Versicherten
im Gegensatz zu kurz vor dem AHV-Rentenalter stehenden Versicherten der
Eingliederungserfolg voraussichtlich dauernd, wenn er Wahrscheinlich
während eines bedeutenden Teils der Aktivitätserwartung erhalten bleiben
wird.

    In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass laut den
Darlegungen des Experten bei Hüftgelenksprothesen nach den bisherigen
Erfahrungen mit einem medizinischen Erfolg für die Dauer von 5-10
Jahren gerechnet werden kann. Weil der invalidenversicherungsrechtliche
Eingliederungserfolg nach den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes
für Sozialversicherung in der Regel ungünstiger sein wird, darf selbst
bei sonst günstigen Voraussetzungen ein unter dem Gesichtspunkt von
Art. 12 IVG relevanter Eingliederungserfolg kaum auf eine 5 Jahre
wesentlich übersteigende Dauer prognostiziert werden. - Bezüglich der
intertrochanteren Osteotomien erlaubt die von Prof. T. in seinem Gutachten
wiedergegebene Erfolgsstatistik keine allgemeingültigen Schlüsse. -
Die Auswirkungen einer Arthrodese hinsichtlich Dauerhaftigkeit können
dagegen laut einem vom Bundesamt für Sozialversicherung zu den Akten
gegebenen Gutachten von Prof. Dr. med. S. vom 9. Oktober 1974 besonders
für jüngere Versicherte als günstig bezeichnet werden.

    Bei der prognostischen Beurteilung der Dauerhaftigkeit des
Eingliederungserfolges medizinischer Massnahmen ist schliesslich den
Besonderheiten erwerblicher und gesundheitlicher Art des jeweiligen
Einzelfalles nur insoweit Rechnung zu tragen, als sich ihretwegen ein
Abgehen von der statistischen Wahrscheinlichkeit deutlich aufdrängt (ZAK
1971 S. 273, 1970 S. 114 und 618; EVGE 1969 S. 152). Dieser Grundsatz
ist in zweifacher Hinsicht weiter einzuschränken. Erstens darf den
im Zeitpunkt der Beurteilung bestehenden subjektiven Absichten des
Versicherten bezüglich seiner zukünftigen Aktivität keine Bedeutung
zugemessen werden; denn diese Vorhaben lassen sich in der Regel nicht
zuverlässig feststellen und sind zudem in hohem Masse der Möglichkeit
bzw. der Wahrscheinlichkeit einer späteren Gesinnungsänderung aus
wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder sonstigen persönlichen oder
familiären Gründen ausgesetzt. Zweitens lässt es sich - schon aus Gründen
der Rechtsgleichheit - entgegen der bisherigen Rechtsprechung (vgl.
ZAK 1971 S. 276, 1970 S. 618) nicht rechtfertigen, einen Unterschied
zwischen Unselbständigerwerbenden (mit oder ohne Pensionsanspruch)
und Selbständigerwerbenden zu machen. Es muss jedem Versicherten
freigestellt sein, die ihm verbleibende Aktivitätsdauer so lange als
möglich auszunützen bzw. von einem beliebigen Zeitpunkt an auf eine weitere
Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise zu verzichten. Insbesondere kann auch
bei Unselbständigerwerbenden mit Pensionsberechtigung nicht zum vorneherein
ausgeschlossen werden, dass sie sich nach der Pensionierung auf eine
andere Erwerbstätigkeit - eventuell auch eine nichterwerbliche Betätigung
in einem anderen angemessenen Aufgabenbereich - umstellen werden.

    c) Wesentlich im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG ist der durch eine
Behandlung erzielte Nutzeffekt nur dann, wenn er in einer bestimmten
Zeiteinheit einen erheblichen absoluten Grad erreicht (BGE 98 V 211
Erw. 4b). Durch die medizinischen Massnahmen soll in der Regel innerhalb
einer gewissen Mindestdauer eine gewisse Mindesthöhe an erwerblichem Erfolg
erwartet werden können. Inwieweit der voraussichtliche Eingliederungserfolg
noch als wesentlich bezeichnet werden kann, lässt sich nicht generell
sagen, sondern ist auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles
zu entscheiden. Dabei werden Massnahmen, die nur eine geringfügige
Verbesserung der Erwerbsfähigkeit bewirken, von der Invalidenversicherung
nicht übernommen. Es muss vorausgesetzt werden, dass eine noch bedeutende
Erwerbsfähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt wird, denn
das Gesetz sieht keine Massnahmen vor, um einen kleinen und unsicheren
Rest von Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Die Frage nach der Wesentlichkeit
des Eingliederungserfolges hängt ferner ab von der Schwere des Gebrechens
einerseits sowie von der Art der vom Versicherten ausgeübten bzw. im Sinne
bestmöglicher Eingliederung in Frage kommenden Erwerbstätigkeit anderseits;
persönliche Verhältnisse des Versicherten, die mit seiner Erwerbstätigkeit
nicht zusammenhängen, sind dabei nicht zu berücksichtigen (nachstehendes
Urteil vom 31. Januar 1975 i.S. Schweizer).

    d) Nach ständiger Rechtsprechung muss der voraussichtliche Erfolg der
Massnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (BGE 97 V
165 oben; ZAK 1972 S. 58 Erw. 2, 1970 S. 229; EVGE 1968 S. 273, 1966 S. 38,
1964 S. 238, 1962 S. 235). Dieser Grundsatz der Verhältnismässigkeit
zwischen den Kosten des Aufwandes und dem voraussichtlichen Nutzen
erhält erhöhte praktische Bedeutung namentlich in Grenzfällen, d.h. wenn
die Beurteilung der Frage der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des
Eingliederungserfolges medizinischer Massnahmen kritisch ist.

Erwägung 4

    4.- a) Im vorliegenden Fall war laut dem Bericht des Dr. H.
vom 7. Februar 1972 das Einsetzen einer Totalprothese in das linke
Hüftgelenk unerlässlich zur Erhaltung der Gehfähigkeit, welche eine
notwendige Teilvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers
darstellt. Es darf daher davon ausgegangen werden, dass das Hüftgelenk
mehr oder weniger zerstört war, was nach der Praxis die Annahme relativ
stabilisierter Verhältnisse erlaubt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang
ferner die im Jahre 1964 vorgenommene Arthrodese am rechten Hüftgelenk. Den
Akten kann nichts entnommen werden, was den Schluss zuliesse, jene Hüfte
sei seit der Operation nicht beschwerdefrei geblieben und es liege kein
gänzlich stabiler Zustand vor. Allerdings vermag, wie das Bundesamt für
Sozialversicherung mit Recht erklärt, diese Gelenkversteifung zu einer
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit beizutragen. Weil der Versicherte
bisher trotz des versteiften rechten Hüftgelenks seinen Beruf weiterhin
voll ausüben konnte, darf indessen davon ausgegangen werden, dass -
jedenfalls bei ausreichendem Eingliederungserfolg der nunmehr streitigen
Operation - der Arthrodese der rechten Hüfte keine erhebliche Bedeutung
zukommt.

    b) Es fragt sich somit, ob - prognostisch beurteilt - von der
Einsetzung einer Hüftgelenksprothese links, welche beim 63jährigen
Beschwerdeführer indiziert ist, unter Berücksichtigung der bestehenden
Gonarthrose rechts ein dauernder und wesentlicher Eingliederungserfolg
zu erwarten war.

    Dr. H. diagnostizierte am 7. Februar 1972 eine klinisch und
röntgenologisch schwerere Gonarthrose rechts und einen chronischen
Kniegelenkerguss rechts als Folge der Überbelastung. Der Hinweis des
Arztes, dass das Einsetzen der Totalprothese und die damit verbundene
Beseitigung der chronischen Überbelastung des rechten Knies zur Erhaltung
der Gehfähigkeit unerlässlich sei, beinhaltet die Prognose, dass mit dem
Eingriff die durch die Coxarthrose sowie durch die Gonarthrose verursachte
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Noch vor der
Operation teilte Dr. H. am 30. März 1972 mit, dass durch die Totalprothese
der Zustand der Beine so gebessert werde, dass der Versicherte bis auf
weiteres seinen Beruf voll ausüben könne. Am 22. Dezember 1972 präzisierte
der Arzt, es sei durch die im April 1972 vorgenommene Operation mit grosser
Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Josef Stössel bis zur Erreichung des
Pensionierungsalters auf seinem jetzt ausgeübten Beruf als Wagenführer
arbeitsfähig bleiben werde. Obschon dieser Bericht nach der Operation
erstattet wurde, lässt der Sachzusammenhang darauf schliessen, dass
diese Aussage praeoperativ-prognostisch gemeint war. Im übrigen besteht
kein Anlass, an dieser Prognose zu zweifeln. Der allein ins Gewicht
fallende Nebenbefund der Gonarthrose vermag somit den zu erwartenden
Eingliederungserfolg der Hüftoperation nicht in wesentlichem Masse in Frage
zu stellen. Denn es kann nicht gesagt werden, dass die Arbeitsfähigkeit
des Beschwerdeführers trotz erfolgreicher Hüftoperation durch die
sekundäre Gonarthrose weiterhin erheblich beeinträchtigt würde. Aus den
Angaben von STAUFFER/SCHAETZLE (Barwerttafeln, 3. Aufl., 1970, S. 193),
wonach die mittlere Aktivitätsdauer bei einem 60jährigen Mann 10,7 und
bei einem 65jährigen Mann noch 7,39 Jahre beträgt, geht hervor, dass der
63jährige Beschwerdeführer mit einer statistischen Aktivitätserwartung
bis gegen das 72. Altersjahr rechnen kann. Hinsichtlich der konkreten
Arbeitsdauer des Beschwerdeführers steht fest, dass er laut ärztlicher
Prognose mindestens bis zur Pensionierung als Wagenführer der SOB voll
arbeitsfähig sein wird. In jenem Zeitpunkt wird seine Arbeitsfähigkeit
nicht unvermittelt zu Ende gehen. Werden die beruflichen Anpassungs- und
Umstellungsmöglichkeiten des Versicherten nach seiner Pensionierung in
Betracht gezogen, so darf eine invalidenversicherungsrechtlich relevante
Erwerbstätigkeit oder eine nichterwerbliche Betätigung in einem andern
angemessenen Aufgabenbereich noch etliche Jahre über das 65. Altersjahr
hinaus angenommen werden. Es rechtfertigt sich daher, in diesem Grenzfall
den voraussichtlichen Eingliederungserfolg als dauernd im Sinne des
Art. 12 Abs. 1 IVG zu bezeichnen.

    Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer dank
der Operation während zwei Jahren auf seinem angestammten Beruf weiterhin
voll tätig sein und wahrscheinlich mit einer weiteren Erwerbsfähigkeit
in erheblichem Umfange für eine längere Zeitspanne rechnen kann, ist auch
die Wesentlichkeit des Eingliederungserfolgs zu bejahen.

    c) Bei diesen Gegebenheiten hat der Beschwerdeführer darauf Anspruch,
dass die Invalidenversicherung die Kosten der Coxarthroseoperation samt
Nachbehandlung übernimmt...

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden die
angefochtene Kassenverfügung vom 22. März 1972 und der Entscheid der
Kantonalen Rekursbehörde für die Sozialversicherung Schwyz vom 20. November
1972 aufgehoben. Die Invalidenversicherung wird verpflichtet, die am
5. April 1972 vorgenommene Coxarthrose-Operation samt Nachbehandlung als
medizinische Massnahme zu übernehmen.