Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 31



101 V 31

6. Urteil vom 19. Februar 1975 i.S. Ausgleichskasse Nidwalden gegen
Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des
Innern Regeste

    Kassenzugehörigkeit (Art. 64 AHVG) von unselbständigen Betriebszweigen.

Sachverhalt

    A.- Gemäss Auszug aus dem Handelsregister des Kantons Nidwalden
vom 28. Juni 1973 besteht unter der Bezeichnung "Gesellschaft für die
Verwaltung der Stiftung der Gnadenkapelle Maria Rickenbach" ein Verein mit
Sitz in Stans zum Zweck der "Verwaltung der Stiftung der Wallfahrtskapelle,
der Pfründe, des Pilgerhauses, des Kurhaus Engel mit Umgelände, Wald
und Drahtseilanlage in Maria Rickenbach". Unter der Drahtseilanlage ist
die Luftseilbahn Dallenwil-Niederrickenbach gemeint. Diese besitzt, wie
die übrigen Teilbetriebe, keine rechtliche Selbständigkeit, sondern ist
Bestandteil der Stiftung, die ihrerseits durch den Verein repräsentiert
wird. Die Stiftung ist auch unbestrittenermassen Konzessionsinhaberin. Nach
aussen tritt die Luftseilbahn wie eine selbständige Unternehmung mit
eigenen Organen auf.

    Weil die bisher der Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden
angeschlossene Luftseilbahn Mitglied des Arbeitgeberverbandes
schweizerischer Transportunternehmungen war, forderte die Ausgleichskasse
der schweizerischen Transportunternehmungen am 29. September 1972 von der
kantonalen Ausgleichskasse die Luftseilbahn auf den 1. Januar 1973 als
Mitglied an. Die Verbandsausgleichskasse verzichtete dann aber auf diesen
Anschluss, nachdem sie auf Grund des von der kantonalen Ausgleichskasse
beim Bundesamt für Sozialversicherung erhobenen Widerspruchs erfahren
hatte, dass die Luftseilbahn keine rechtlich selbständige Unternehmung
sei, sondern der Stiftung der Gnadenkapelle gehöre. Als darauf, d.h. am
30. Oktober 1972, die Luftseilbahn dem Bundesamt gegenüber auf dem
Übertritt zur Ausgleichskasse Transport beharrte, schrieb diese Kasse
gestützt auf einen Vorstandsbeschluss ihres Gründerverbandes am 10. Januar
1973 dem Bundesamt, einem solchen Übertritt stehe nichts entgegen. Am
19. Juni 1973 verfügte das Bundesamt: "Die Stiftung der Gnadenkapelle
Maria Rickenbach ist für die Luftseilbahn Dallenwil-Niederrickenbach ab
1. Januar 1973 der Ausgleichskasse schweizerischer Transportunternehmungen
anzuschliessen."

    B.- Auf Beschwerde der kantonalen Ausgleichskasse hin bestätigte das
Eidgenössische Departement des Innern mit Entscheid vom 19. Dezember
1973 diese Verfügung. Zur Begründung führte das Departement aus:
Die Luftseilbahn sei mit eigenen Organen ausgestattet, woraus
geschlossen werden dürfe, dass sie von der Stiftung ermächtigt sei,
ihre Interessen nach aussen selbständig zu wahren. Ausserdem sei
anzunehmen, die Luftseilbahn sei vom Arbeitgeberverband schweizerischer
Transportunternehmungen als ein mit einer Konzessionsnehmerin verbundener
Betrieb aufgenommen worden ...

    C.- Die kantonale Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, der Entscheid des Eidgenössischen Departements des Innern
sei aufzuheben, und es sei die Luftseilbahn Dallenwil-Niederrickenbach als
nicht selbständiger Betrieb zusammen mit der Arbeitgeberin, der Stiftung
der Kapellverwaltung Maria Rickenbach, der Ausgleichskasse des Kantons
Nidwalden anzuschliessen ...

    Die Ausgleichskasse Transport beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Einzig die Luftseilbahn als Unternehmung
mit eigener Rechnungsführung sei dem Gründerverband der Ausgleichskasse
Transport angeschlossen, nicht aber die Stiftung als solche.

    Das Bundesamt beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Rechtlich massgebend für die Kassenzugehörigkeit ist
Art. 64 AHVG. Nach dessen Abs. 1 werden alle Arbeitgeber und
Selbständigerwerbenden, die einem Gründerverband angehören, der
entsprechenden Verbandsausgleichskasse angeschlossen. Arbeitgeber und
Selbständigerwerbende, die sowohl einem Berufsverband als auch einem
zwischenberuflichen Verband angehören, werden nach freier Wahl der
Ausgleichskasse eines der beiden Verbände angeschlossen. Alle andern
Arbeitgeber und Selbständigerwerbenden (mit Ausnahme der gemäss Art. 62
AHVG den Ausgleichskassen des Bundes zugehörigen) werden den kantonalen
Ausgleichskassen angeschlossen (Art. 64 Abs. 2). Die Kassenzugehörigkeit
eines Arbeitgebers erstreckt sich auf alle Arbeitnehmer, für die er den
Arbeitgeberbeitrag zu leisten hat (Abs. 3). Der Bundesrat erlässt die
erforderlichen Vorschriften über die Kassenzugehörigkeit von Arbeitgebern
und Selbständigerwerbenden, die mehr als einem Berufsverband angehören
oder deren Tätigkeit sich auf mehr als einen Kanton erstreckt (Abs. 4).

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass die Luftseilbahn
Dallenwil-Niederrickenbach keine rechtliche Selbständigkeit besitzt,
sondern nur ein unselbständiger Betriebszweig der sogenannten
Kapellenstiftung ist, allerdings mit einer verwaltungstechnisch
besondern Organisation. Rechtssubjekt und Arbeitgeberin im Sinne der
AHV ist also allein die Kapellenstiftung, welche auch die Bahnkonzession
besitzt. Welches die wirkliche Rechtsnatur dieser Arbeitgeberin ist, kann,
weil unter dem heute zu beurteilenden Gesichtspunkt der Kassenzugehörigkeit
unerheblich, offen bleiben.

    Die Ausgleichskasse Transport bestätigt, dass die Stiftung dem
Gründerverband als Mitglied weder angehört noch angehören kann. Sie
anerkennt lediglich die Luftseilbahn als Mitglied. Ob eine solche
Mitgliedschaft eines unselbständigen Betriebszweiges unter Ausschluss des
eigentlichen Rechtssubjektes, dem der Betriebszweig angehört, rechtlich
möglich ist, braucht nicht näher geprüft zu werden. Sollte eine solche
Mitgliedschaft möglich sein, so ändert dies nichts an der Tatsache,
dass der rechtlich massgebende Arbeitgeber als solcher nicht Mitglied
des Gründerverbandes ist. Bei Verneinung der rechtlichen Möglichkeit
der Mitgliedschaft eines solchen unselbständigen Betriebszweiges würde
es an sich naheliegen, den Verbandsbeitritt des Zweigbetriebes in einen
solchen der Stiftung umzudeuten. Aber auch damit wäre im vorliegenden Fall
nichts gewonnen, weil die Ausgleichskasse Transport die Mitgliedschaft
der Stiftung als solcher nicht nur ausdrücklich verneint, sondern
ausserdem als - offenbar gemäss Verbandsstatuten - gar nicht möglich
bezeichnet. Demnach gehört die Stiftung gemäss Art. 64 Abs. 1 AHVG
der kantonalen Ausgleichskasse an, und da sich die Kassenzugehörigkeit
eines Arbeitgebers nach Art. 64 Abs. 3 AHVG auf alle seine Arbeitnehmer
erstreckt, wird damit auch die Luftseilbahn erfasst.

    Entgegen der Auffassung des Eidgenössischen Departements des Innern
kann ein bloss verwaltungstechnisch ausgeschiedener Zweigbetrieb eines
Arbeitgebers keine eigene Mitgliedschaft bei einem Gründerverband
und damit keine selbständige Kassenzugehörigkeit bei der betreffenden
Verbandsausgleichskasse erwerben.

    Auch die Argumentation in der bundesamtlichen Verfügung vermag nicht
zu überzeugen. Wohl mag es zutreffen, dass bei verwaltungstechnischer
Verselbständigung einzelner Betriebszweige mit eigener Organisation und
eigener Rechnungsführung der Anschluss an verschiedene Ausgleichskassen
verwaltungsmässig durchführbar wäre. Dies macht es aber weder nötig noch
auch nur wünschbar, die eindeutige Vorschrift von Art. 64 Abs. 3 AHVG
zu umgehen. Die Auffassung des Bundesamtes würde die Aufsplitterung
eines Arbeitgebers in beliebig viele Zweigbetriebe ermöglichen
(insbesondere in Betrieben mit starker Diversifikation), Was letztlich zu
unübersichtlichen und kaum kontrollierbaren Verhältnissen führen würde;
denn die Verwaltungsorgane und die Kontrollinstanzen der AHV hätten
es stets nur mit Teilbereichen der Arbeitgebertätigkeit zu tun, ohne
eine richtige Übersicht über das Ganze zu haben. Auch das Argument der
speziellen Berufszugehörigkeit besonderer Zweigbetriebe ist kein zwingendes
Argument für die Zweckmässigkeit des Anschlusses an die entsprechenden
Verbandsausgleichskassen. Nach Art. 53 AHVG ist es ja keineswegs so,
dass die Verbandsausgleichskassen je nur eine bestimmte Berufsgattung
zu betreuen hätten. Nicht nur können sich gänzlich verschiedene
Berufsverbände zu einem Gründerverband zusammenschliessen, sondern es
sind auch zwischenberufliche Gründerverbände auf schweizerischer oder
regionaler Basis möglich.

    Das Bundesamt will in seiner Verfügung seine Betrachtungsweise
noch "mit Erwägungen begründen, die jenen ähnlich sind, die
für die Sonderregelung bei Betrieben mit örtlich getrennten
Zweigniederlassungen massgebend sind": Die Luftseilbahn und das - von
der Stiftung als weiterer besonderer Betriebszweig geführte - Hotel
könnten in gewissem Sinne als Zweigniederlassung der Stiftung gemäss
Art. 117 Abs. 3 AHVV betrachtet werden; ferner bilde die Tatsache,
dass die verschiedenen Tätigkeitsgebiete der Stiftung wirtschaftlich
getrennt geführt würden, ein "besonderes Verhältnis" im Sinne der
genannten Verordnungsbestimmung, das eine getrennte AHV-Abrechnung als
vernünftig und geboten erscheinen lasse. Offenbar will das Bundesamt
damit sagen, die funktionell-organisatorische Sonderstellung von
bestimmten Betriebszweigen könne in Analogie zu den durch das Kriterium
der örtlichen Trennung charakterisierten Zweigniederlassungen gesetzt
werden. Diese Folgerung ist indessen allein schon deshalb unzutreffend,
weil die Zweigniederlassung nebst der örtlichen Trennung in gewissem
Masse ebenfalls eine organisatorische Trennung voraussetzt, weshalb die
Zweigniederlassung gegenüber dem bloss besondern Betriebszweig eine
qualifizierte Sonderstellung einnimmt. Aus diesem Grund und mangels
einer wirklichen Notwendigkeit, den bloss funktionell-organisatorisch
ausgeschiedenen Betriebsteilen eine besondere Kassenzugehörigkeit zu
ermöglichen (was allenfalls gestützt auf Art. 64 Abs. 4 AHVG hätte
vorgesehen werden können), darf keine von der Verwaltung bzw. vom
Richter auszufüllende echte Lücke in der Verordnung angenommen werden.
Anderseits deckt Art. 64 Abs. 4 AHVG die Bestimmung von Art. 117 Abs. 3
AHVV, wonach das Bundesamt bei Vorliegen besonderer Verhältnisse Ausnahmen
von der Regel, dass Zweigniederlassungen der gleichen Ausgleichskasse wie
der Hauptsitz angeschlossen werden, bewilligen kann, sicher mindestens
insoweit, als es um ausserkantonale Zweigniederlassungen geht. Ob diese
Regelung auch bezüglich der innerkantonalen Zweigniederlassungen durch
das AHVG gedeckt ist, braucht nicht näher untersucht zu werden, weil es
im vorliegenden Fall nicht um eine Zweigniederlassung geht. Ebensowenig
muss zur Frage Stellung genommen werden, wie es sich beim Hotel der
Stiftung bezüglich der Kassenzugehörigkeit verhält, da diese Frage nicht
Gegenstand der angefochtenen Verfügung ist. Aus dem gleichen Grund kann
die weitere von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, nach welchem
Modus die Verbandsausgleichskasse von den kantonalen Ausgleichskassen die
Mitglieder anzufordern haben und inwieweit den kantonalen Ausgleichskassen
diesbezüglich ein Kontrollrecht zusteht, offen bleiben. Schliesslich
sei noch erwähnt, dass die Beschwerdeführerin irrt, wenn sie meint,
Institutionen, die in erster Linie kulturellen und religiösen Zwecken
und nicht Erwerbszwecken dienen, fehle das wesentliche Interesse an der
Mitgliedschaft bei einem Berufsverband, weshalb solche Institutionen
grundsätzlich der kantonalen Ausgleichskasse angeschlossen werden
sollten. Sobald eben eine solche Institution gemäss Verbandsstatuten
einem Berufsverband oder aber einem zwischenberuflichen Verband beitreten
kann, dürfte in der Regel ein rechtlich schützenswertes Interesse an
einem solchen Beitritt mindestens möglich und damit gegebenenfalls die
Voraussetzung zum Anschluss an eine Verbandsausgleichskasse erfüllt sein.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid
des Eidgenössischen Departements des Innern vom 19. Dezember 1973 und die
Verfügung des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 19. Juni 1973 werden
aufgehoben mit der Feststellung, dass die Stiftung der Gnadenkapelle
Maria Rickenbach bezüglich der Seilbahn der Ausgleichskasse des Kantons
Nidwalden angeschlossen bleibt.