Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 252



101 V 252

51. Auszug aus dem Urteil vom 21. Oktober 1975 i.S. Meister
gegen Ausgleichskasse der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte sowie
AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Beitragsrechtliche Qualifikation der Bezüge eines Spitalarztes
(Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 AHVG).

Sachverhalt

    A.- Dr. med. Meister ist leitender Arzt der Röntgenabteilung des
Kreisspitals Männedorf. Mit Verfügung vom 11. Juli 1974 setzte die
Ausgleichskasse seine persönlichen Sozialversicherungsbeiträge für die
Jahre 1974/75 auf Grund eines massgebenden reinen Erwerbseinkommens aus
den Jahren 1971/72 von Fr. ... fest.

    B.- Hiegegen beschwerte sich der Beitragspflichtige und machte
geltend, auf den 1. Januar 1974 sei im Kreisspital Männedorf eine neue
Tarifordnung in Kraft getreten, womit sich sein Einkommen im Jahre 1974
auf Fr. ... vermindern werde.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde
mit Entscheid vom 20. Dezember 1974 ab. Eine blosse Veränderung der
Einkommenshöhe erfülle die Voraussetzungen zur Beitragsfestsetzung
im ausserordentlichen Verfahren nicht, weshalb die Beiträge der Jahre
1974/75 nach dem durchschnittlichen Erwerbseinkommen der Berechnungsjahre
1971/72 (17. Wehrsteuerperiode) festzusetzen seien. Im übrigen
habe die Ausgleichskasse die Beiträge auf Grund der rechtskräftigen
Wehrsteuerveranlagung zutreffend berechnet.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
Dr. med. Meister die Neufestsetzung der Beiträge "auf der Basis der
effektiven Einkommensverhältnisse 1974". In der Begründung wird im
wesentlichen vorgebracht, gemäss den im Kreisspital Männedorf seit
dem 1. Januar 1974 gültigen Bestimmungen für die Entschädigung nicht
fixbesoldeter Spitalärzte sei anstelle der bisher üblichen Honorierung je
Untersuchungsfall eine pauschale Stundenentlöhnung, ausgedrückt in einer
maximalen SUVA-Taxpunktzahl, getreten. Diese grundsätzliche Änderung der
Vertragsverhältnisse habe eine wesentliche Verminderung des Einkommens
bei gleicher Arbeitszeit, gleicher Leistung und unveränderten Unkosten
zur Folge.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Rückweisung des
Falles an die Verwaltung zur Neubeurteilung. Das streitige Einkommen
bilde jedenfalls zum Teil aller Wahrscheinlichkeit nach massgebenden
Lohn, weshalb nicht auf die Meldung der Steuerbehörde abgestellt werden
könne. Bevor Beiträge von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
festgesetzt werden könnten, müsse daher geprüft werden, ob und
gegebenenfalls in welchem Masse solches Einkommen erzielt worden sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht Erwerbstätiger
richtet sich u.a. danach, ob das in einem bestimmten Zeitraum erzielte
Erwerbseinkommen als solches aus selbständiger oder aus unselbständiger
Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist (Art. 5 und 9 AHVG sowie Art. 6
ff. AHVV). Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender Lohn jedes
Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte
Zeit geleistete Arbeit; als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
gilt nach Art. 9 Abs. 1 AHVG "jedes Einkommen, das nicht Entgelt für in
unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt".

    Für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall selbständige
oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, sind nicht die
zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse, sondern die wirtschaftlichen
Gegebenheiten massgebend. Als unselbständig ist im allgemeinen zu
betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw.
arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches
Unternehmerrisiko trägt (BGE 98 V 18, 97 V 134, 217).

    b) Die beitragsrechtliche Qualifikation des Erwerbseinkommens
aus ärztlicher Tätigkeit bestimmt sich somit nach den wirtschaftlichen
Gegebenheiten, unter welchen der Arzt ein Entgelt erzielt. Zum massgebenden
Lohn gehören sämtliche Vergütungen, die der Arzt in abhängiger Stellung
erzielt, zum Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit dagegen die
Einkünfte aus der eigenen Praxis. Entgelte, die ein Arzt in seiner
Stellung als Chefarzt vom Spital bezieht, stellen in der Regel massgebenden
Lohn dar, auch soweit es sich um Anteile an Operations- und Röntgentaxen
oder um Zuschläge für Privatpatienten handelt. Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit bilden dagegen die Honoraransprüche des Chefarztes
aus der privaten Praxis im Spital, die ihm unmittelbar gegenüber den
Patienten zustehen und für welche er das wirtschaftliche Risiko trägt
(EVGE 1967 S. 80 ff.).

Erwägung 2

    2.- Die Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Zürich erliess am
19. Dezember 1973 "Grundsätze für die Entschädigung nicht fixbesoldeter
Ärzte der Spitäler". Diese Weisungen traten am 1. Januar 1974 in Kraft,
wurden aber am 18. Februar 1974 rückwirkend auf den 1. Januar 1974 wieder
aufgehoben. Das Kreisspital Männedorf hielt in der Folge jedoch an den
neuen Bestimmungen fest. Spitalverwaltung und Beschwerdeführer sind sich
jedenfalls darüber einig, dass sich ihre Beziehungen für die Zeit ab
1. Januar 1974 nach diesen "Grundsätzen" zu richten haben.

    Gemäss § 4 der "Grundsätze" werden die auf Grund fester Ansätze
erfolgenden Zahlungen an die Ärzte gekürzt, soweit sie ein Stundenhonorar
ergeben, das 40 Taxpunkte des SUVA-Tarifes überschreitet. Die Ärzte
haben "mindestens wöchentlich dem Spital die in ihm verbrachten Stunden
(auf die Viertelstunde genau) schriftlich zu melden". Die Entschädigung
erfolgt für die Behandlung stationärer Patienten der allgemeinen Abteilung
durch das Spital und für die halbprivaten und privaten Patienten durch die
Patienten selbst (§ 21). Für die halbprivaten Patienten gelten bestimmte
Limiten (§ 22 ff.), während für die Behandlung privater Patienten der
Arzt im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen frei Rechnung stellen kann
(§ 29). Auch bei den privaten und halbprivaten Patienten erfolgt die
Rechnungsstellung durch die Spitalverwaltung, die auch die Auszahlungen
vornimmt nach Abzug von 10% aller eingehenden Honorarbeträge (§ 21).

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz geht in ihrem Entscheid davon aus, der
Beschwerdeführer sei hinsichtlich sämtlicher Honorarbezüge seitens des
Kreisspitals Männedorf als Selbständigerwerbender zu betrachten. Diese
Auffassung teilte zunächst auch die Ausgleichskasse. In der Vernehmlassung
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt die Kasse nun aber aus,
der Beschwerdeführer sei in seiner Eigenschaft als Röntgenarzt am
Kreisspital im Hauptberuf Selbständigerwerbender und nebenberuflich auch
in unselbständiger Stellung tätig. In der ergänzenden Stellungnahme vom
9. Juli 1975 hebt die Kasse hervor, der Beschwerdeführer sei jedenfalls
hinsichtlich der Entschädigungen für die ärztliche Tätigkeit in der
Abteilung stationärer Patienten als Unselbständigerwerbender zu bezeichnen.

    a) Der Beschwerdeführer bezieht für seine Tätigkeit am Kreisspital
Männedorf keine feste Vergütung. Die Entschädigung für seine ärztliche
Tätigkeit bei stationären Patienten der allgemeinen Abteilung erfolgt
nach festen Ansätzen, ausgedrückt in Taxpunkten des SUVA-Tarifes. Ergibt
sich hieraus zusammen mit den Honoraren aus der Behandlung stationärer
Patienten der halbprivaten und privaten Abteilung sowie den Entschädigungen
für die Mitwirkung bei der Untersuchung ambulanter Spitalpatienten
ein durchschnittliches Stundenhonorar von mehr als 40 Taxpunkten
des SUVA-Tarifes, so werden die Gesamtbezüge der Abrechnungsperiode
entsprechend gekürzt. Gemäss dieser Regelung wird das Einkommen des
Beschwerdeführers in wesentlichem Masse von der Präsenzzeit im Spital
beeinflusst; der Zahl der Patienten sowie der Art der Behandlung kommt
dagegen nur mittelbar und nur in begrenztem Umfange Bedeutung zu.

    Bei dieser Sachlage trägt die Tätigkeit des Beschwerdeführers
im Kreisspital Männedorf die Merkmale einer unselbständigen
Erwerbstätigkeit. Mit der Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit
liesse sich nicht vereinbaren, dass sich die Entschädigung für die
ärztliche Tätigkeit im Rahmen eines maximalen Stundenhonorars zur
Hauptsache nach der Präsenzzeit im Spital bestimmt. Insofern erwähnt
der Beschwerdeführer in der erstinstanzlichen Beschwerde zu Recht, die
neue Regelung entspreche praktisch einem "Lohntarif".

    b) Fraglich erscheint immerhin, wie es sich hinsichtlich der Bezüge
für die Behandlung privater und halbprivater Patienten verhält. Bei
den halbprivaten Patienten kann der Arzt nach den Bestimmungen der
"Grundsätze" innerhalb bestimmter Limiten über die für Patienten
der allgemeinen Abteilung geltenden Ansätze hinausgehen; bei privaten
Patienten ist er lediglich an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden. Das
gesamte Rechnungswesen erfolgt durch die Spitalverwaltung, die auf
allen eingehenden Beträgen einen Abzug von 10% vornimmt; das Risiko
für die Einbringlichkeit der Honorarforderungen bleibt anscheinend beim
Arzt. Diese Regelung spricht für die Annahme selbständiger Erwerbstätigkeit
(vgl. Rz. 160c der genannten Wegleitung). In ihrer Vernehmlassung
vom 9. Juli 1975 führt die Ausgleichskasse nun aber aus, gemäss einer
Erklärung der Spitalverwaltung bestehe zwischen der allgemeinen und der
Privatabteilung insofern kein Unterschied, "als der gleiche SUVA-Tarif
für die Patienten beider Abteilungen gilt". Ob hieraus auf eine von den
"Grundsätzen" abweichende Regelung zu schliessen ist, lässt sich anhand
der Akten nicht beurteilen. Es wird daher Sache der Ausgleichskasse sein,
hiezu ergänzende Abklärungen vorzunehmen.

    c) Zusätzlicher Angaben bedarf es auch hinsichtlich der vom
Beschwerdeführer bezogenen Anteile an den Spitaleinnahmen für
Röntgenuntersuchungen und Behandlungen ambulanter Patienten. Um
selbständige Erwerbstätigkeit, wie sie die Ausgleichskasse annimmt,
könnte es sich dabei handeln, soweit Patienten aus der eigenen Praxis des
Beschwerdeführers im Spital ambulant untersucht und behandelt werden. Ob
und gegebenenfalls inwieweit dies zutrifft, lässt sich den Akten nicht
mit Sicherheit entnehmen. Die Sache ist daher auch in diesem Punkt an
die Verwaltung zurückzuweisen.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten stellen die Bezüge des Beschwerdeführers
aus seiner Tätigkeit am Kreisspital Männedorf AHV-rechtlich zumindest
teilweise massgebenden Lohn dar. Die der angefochtenen Beitragsverfügung
zugrunde gelegte Steuermeldung ist daher für die Beitragsfestsetzung nicht
brauchbar. Es wird demzufolge Sache der beschwerdebeklagten Ausgleichskasse
sein, das beitragspflichtige Einkommen im Sinne von Art. 24 AHVV selbst
zu ermitteln (BGE 98 V 243 sowie Rz. 172b der Wegleitung über die Beiträge
der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen vom 1. Januar 1970).

    Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist nicht zu prüfen, ob die
Voraussetzungen zu einer Neueinschätzung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 AHVV
als erfüllt zu betrachten wären.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 11. Juli
1974 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen
wird zur Vornahme zusätzlicher Abklärung im Sinne der Erwägungen und
Neubeurteilung des Falles.