Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 241



101 V 241

50. Urteil vom 29. Oktober 1975 i.S. Liser AG gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Bundesamt für Sozialversicherung Regeste

    Unfallverhütung (Art. 65 KUVG, Art. 8 und Art. 71 lit. a
ArbG). Verhältnis der Bestimmungen des Arbeitsgesetzes über Unfallverhütung
zu den entsprechenden Vorschriften der obligatorischen Unfallversicherung.

Sachverhalt

    A.- Am 26. Mai 1970 erteilte die Gemeinde Spreitenbach der Liser AG die
Bewilligung, ein "Verteilzentrum/Hochregallager mit Abfertigungsbau" (heute
als "Verteilzentrum Nestlé-Maggi" in Betrieb) zu errichten. Nach Ziff. 4
der gemeinderätlichen Verfügung war das Projekt dem kantonalen Industrie-
und Gewerbeamt in Aarau (im folgenden IGA genannt) zu unterbreiten. Die
Bedingungen dieser Instanz wurden zu einem integrierenden Bestandteil
der Baubewilligung erklärt. Die vom IGA am 25. Juni 1970 erteilte
Plangenehmigung enthielt - entsprechend den bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vor Erteilung der Baubewilligung
eingeholten Weisungen - folgende Anordnung:

    "Die Laderampen entlang den Geleisen sind überkragend auszubilden,
   damit Personen darunter Schutz finden können. Der Schutzraum muss ein
   Mindestmass von 80 x 80 cm aufweisen."

    Das IGA erliess diese Anordnung allem Anschein nach, ohne zu beachten,
dass das Eidgenössische Arbeitsinspektorat ca. 3 Wochen früher, nämlich
am 2. Juni 1970, dem IGA und der SUVA folgendes mitgeteilt hatte:

    "Das vorliegende Projekt ist anlässlich einer früheren Besprechung ...
   auf Ihrem Inspektorat behandelt worden. Wie bekannt, handelt es
   sich eindeutig um einen nichtindustriellen Betrieb, auf welchen die
   Sondervorschriften für industrielle Betriebe nicht angewendet werden
   können ...

    Der Betrieb ist auf Art. 6 ArbG aufmerksam zu machen, dessen

    Bestimmungen zu beachten und einzuhalten sind. Wir haben keine
   weiteren Bemerkungen anzubringen und senden Ihnen die Planunterlagen
   zurück."

    Mit Wirkung ab 1. Oktober 1971 wurde die Liser AG der obligatorischen
Unfallversicherung unterstellt, nachdem der unmittelbar nach Erlass der
Baubewilligung begonnene Bau im September 1971 vollendet worden war.

    Am 2. November 1972 stellte die SUVA unter anderem fest, dass die
Laderampen des Verteilzentrums nicht "überkragend" ausgestaltet worden
waren. In der Folge setzte sie das IGA über die festgestellten Mängel in
Kenntnis mit dem Ersuchen, dem Betrieb in einer Nachtragsverfügung die
zur Behebung dieser Mängel notwendigen Massnahmen bekanntzugeben. Das
IGA teilte der SUVA hierauf mit:

    "Wir sehen uns ... veranlasst, Sie ... darauf hinzuweisen, dass unsere
   seinerzeitige Plangenehmigung in der damals noch unbestimmten Annahme,
   dass der Betrieb möglicherweise später den Sondervorschriften für
   industrielle Betriebe des Arbeitsgesetzes unterstellt werden könnte,
   erteilt wurde. In der Folge hat sich jedoch ergeben, dass die

    Voraussetzungen für eine derartige Unterstellung nicht vorhanden sind.

    Unter diesen Umständen sehen wir deshalb keine rechtliche Handhabe, dem

    Betrieb die von Ihnen gewünschte Nachtragsverfügung zuzustellen
   (Art. 8 ArbG). Wir müssen Sie deshalb bitten, die zu treffenden
   Massnahmen dem Betrieb direkt bekanntzugeben."

    Mit Schreiben an die Liser AG vom 25. April 1973 forderte die SUVA
die Behebung der festgestellten Mängel, worauf die Firma der Anstalt das
Gesuch unterbreitete, statt des vorgesehenen Schutzraumes einen Auftritt
erstellen zu können, wie er bei bereits bestehenden Bahnrampen ausgeführt
werde. Die SUVA lehnte diesen Vorschlag am 31. Oktober 1973 als ungenügend
ab und ersuchte die Liser AG, die im Schreiben vom 25. April 1973 genannten
Massnahmen als Weisungen im Sinne von Art. 65 Abs. 2 KUVG zu betrachten
und für deren Ausführung bis zum 31. Mai 1974 besorgt zu sein.

    B.- Die Liser AG zog diese Verfügung an das Bundesamt für
Sozialversicherung weiter mit dem Antrag, die Weisung der SUVA sei
aufzuheben und es sei ihr zu gestatten, "die Laderampen statt mit einem
Schutzraum mit einem Auftritt auszugestalten, wie dies hinsichtlich
bestehender Anlagen in der Wegleitung zur Verordnung III zum Arbeitsgesetz
in den Bemerkungen zu Art. 23 (Abbildung 8c) vorgesehen ist. Die Liser AG
sei ferner zusätzlich zu verpflichten, die gesamten Geleiseanlagen längs
allen drei Rampen mit einem festen Belag aus Bitumenkies zu versehen." Die
Beschwerdeführerin machte unter anderem geltend, eine Abänderung der
Rampen gemäss der SUVA-Verfügung sei mit Kosten von ca. Fr. 800'000.--
verbunden, was nicht verhältnismässig und auch volkswirtschaftlich nicht
verantwortbar sei.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 22. August 1974 im wesentlichen mit folgender Begründung
ab: In tatbeständlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die von der
SUVA erhobene Forderung, die Verladerampen überkragend auszugestalten,
dem von der Rekurrentin mit der Bauleitung beauftragten Architekten
rechtzeitig bekanntgegeben worden sei. Von entscheidender Bedeutung sei
die Tatsache, dass das IGA diese Weisung in die Plangenehmigung vom
25. Juni 1970 übernommen habe. Das IGA sei bei Erlass der Verfügung
zwar davon ausgegangen, das Verteilzentrum sei nach der Inbetriebnahme
den Sondervorschriften für industrielle Betriebe des Arbeitsgesetzes zu
unterstellen, was sich nachträglich als unzutreffend erwiesen habe. Es
sei jedoch zu beachten, dass das Verwaltungsrecht die Nichtigkeit
rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich ausschliesse. Nachdem die
Beschwerdeführerin die in Frage stehende Verfügung nicht angefochten
habe, sei diese in formelle Rechtskraft erwachsen "und deshalb insofern
zumindest einzuhalten, als sie Weisungen zur Unfallverhütung zum
Gegenstand hat, die ursprünglich von der SUVA ausgegangen sind". In
materieller Hinsicht schützte das Bundesamt die Auffassung der SUVA,
wonach die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Ersatzmassnahmen
den Anforderungen der Unfallverhütung nicht genügten. Die Weisung der
SUVA verstosse weder gegen die in Art. 65 Abs. 1 KUVG vorgeschriebene
Rücksichtnahme auf die Verhältnisse des Betriebes noch gegen den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit des Verwaltungshandelns. Der voraussichtliche
Aufwand für die notwendigen Anpassungsarbeiten übersteige - gemessen an
den Gesamtkosten des Verteilzentrums - den Rahmen des Zumutbaren nicht.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert die
Liser AG das erstinstanzliche Rechtsbegehren. In der Begründung wird
zur Hauptsache geltend gemacht, die Beschwerdeführerin führe keinen
industriellen Betrieb, weshalb das IGA nicht zuständig gewesen sei,
ihr im Plangenehmigungsverfahren gemäss Arbeitsgesetz Weisungen zu
erteilen. Die Praxis, wonach bei fehlerhaften Verwaltungsakten Nichtigkeit
nur ausnahmsweise anzunehmen sei, schütze das Interesse des auf die
Rechtmässigkeit der Verfügung vertrauenden Bürgers, welchem Kriterium
im vorliegenden Fall jedoch keine Bedeutung zukomme. Die SUVA-Verfügung
vom 31. Oktober 1973 sei nicht im Sinne von Art. 65 Abs. 1 KUVG "den
Verhältnissen des Betriebes angemessen" und verstosse gegen das Prinzip der
Verhältnismässigkeit. Dieser Grundsatz lasse sich keinesfalls einschränkend
auslegen, wenn ein unbestrittenermassen fehlerhafter Verwaltungsakt nicht
befolgt worden sei. Eine Gleichbehandlung von Verstössen gegen rechtmässige
und unrechtmässige behördliche Verfügungen verletze auch den Grundsatz
der Rechtsgleichheit. Im übrigen sei zu beachten, dass Bahnrampen bisher
meist ohne den von der SUVA vorgeschriebenen Fluchtweg erstellt worden
seien und es keineswegs sicher sei, dass es sich dabei um eine Massnahme
handle, welche gemäss Art. 65 Abs. 1 KUVG "nach der Erfahrung notwendig"
sei. Dies sei in Verbindung mit den örtlichen Gegebenheiten (Fluchtweg
nach einer Seite offen) und der von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen
zusätzlichen Massnahme (Erstellen eines Auftrittes und eines Belages aus
Bitumenkies längs der Rampen) bei der Beurteilung zu berücksichtigen.

    Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. In
ihrer Vernehmlassung beruft sich die Anstalt auf das Verfahren der
Plangenehmigung gemäss Art. 8 des Arbeitsgesetzes und pflichtet der
Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung bei, wonach das IGA
über die streitige Ausgestaltung der Bahnrampen rechtskräftig verfügt
habe. Nach der aargauischen Vollziehungsverordnung vom 18. August
1966 zum Arbeitsgesetz könne das Plangenehmigungsverfahren auch bei
nichtindustriellen Betrieben Platz greifen, wenn es diese verlangten und
sofern deren Unterstellung unter die Sondervorschriften für industrielle
Betriebe in absehbarer Zeit in Betracht fallen könnte. Diese Vorschrift
habe im vorliegenden Fall die Durchführung des Plangenehmigungsverfahrens
erlaubt. Die entsprechende Verfügung sei daher rechtsgültig und infolge
Nichtanfechtung seitens der Liser AG auch rechtskräftig geworden. Erst
als sich nach der Betriebsaufnahme im Jahre 1971 herausgestellt habe, dass
das Unternehmen in Form eines nichtindustriellen Betriebes geführt werde,
sei die Zuständigkeit des IGA zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften
dahingefallen und der Vorbehalt des KUVG in Art. 71 lit. a ArbG wirksam
geworden. Trotz der rechtskräftigen kantonalen Verfügung vom 25. Juni 1970
habe sich die SUVA zum Erlass einer neuen Verfügung entschlossen, "um der
Rekurrentin den Rechtsweg nicht mit einer rein formellen Begründung zu
verschliessen". Die Verfügung stütze sich auf Art. 65 KUVG und entspreche
Art. 23 Abs. 2 der Verordnung III zum Arbeitsgesetz und der zugehörigen
Praxis (Wegleitung des BIGA vom 3. April 1970), wie sie als Richtlinie
auch für nichtindustrielle Betriebe Geltung hätten. Im übrigen hält
die SUVA an ihrer Auffassung fest, wonach die der Beschwerdeführerin
auferlegte Pflicht zur Abänderung der Laderampen den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit nicht verletze.

    D.- Mit Verfügung vom 8. Oktober 1974 hat der Präsident des Eidg.
Versicherungsgerichts dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung
aufschiebender Wirkung entsprochen (Art. 111 Abs. 2 OG).

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 65 Abs. 1 KUVG haben die Inhaber obligatorisch
versicherter Betriebe oder deren Stellvertreter zur Verhütung von Unfällen
und Berufskrankheiten "alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung
notwendig, nach dem Stande der Technik anwendbar und den Verhältnissen
des Betriebes angemessen sind". Gemäss Abs. 2 der Bestimmung ist die SUVA
befugt, nach Anhörung der Beteiligten entsprechende Weisungen zu erlassen.

    Gestützt auf Art. 65 KUVG hat der Bundesrat eine Reihe von Verordnungen
erlassen, welche die Unfallverhütung in einzelnen Sachbereichen zum
Gegenstand haben. Dagegen sind die in Art. 10 der Verordnung II über
die Unfallversicherung vorgesehenen allgemeinen Vorschriften betreffend
die Verhütung von Unfällen bisher nicht erlassen worden. Eine allgemeine
Verordnung besteht lediglich hinsichtlich der Berufskrankheiten (Verordnung
über die Verhütung von Berufskrankheiten vom 23. Dezember 1960).

Erwägung 2

    2.- a) Art. 8 des Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe
und Handel (Arbeitsgesetz, ArbG) vom 13. März 1964 schreibt vor: Wer einen
industriellen Betrieb errichten oder umgestalten will, hat die Genehmigung
der geplanten Anlage bei der kantonalen Behörde nachzusuchen. Diese holt
das Gutachten des Eidgenössischen Arbeitsinspektorates und durch dessen
Vermittlung die Weisungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
ein (Abs. 1). Entspricht die geplante Anlage den Vorschriften des
Bundes und der Kantone, so genehmigt die kantonale Behörde die Pläne,
nötigenfalls mit der Auflage, dass besondere Schutzmassnahmen getroffen
werden (Abs. 2). Die kantonale Behörde erteilt die Betriebsbewilligung,
wenn Bau und Einrichtung des Betriebes dem Entscheid über die Genehmigung
der Pläne entsprechen (Abs. 3).

    Die Art. 22 bis 29 der Verordnung I (Allgemeine Verordnung) vom
14. Januar 1966 zum ArbG regeln das Verfahren der Plangenehmigung
und der Betriebsbewilligung; die materiellen Bestimmungen über die
Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung in industriellen Betrieben sind
in der Verordnung III vom 26. März 1969 zum ArbG enthalten.

    b) Entsprechend der allgemeinen Bestimmung des Art. 41 ArbG, wonach der
Vollzug des Gesetzes unter Vorbehalt der Bundesaufsicht den kantonalen
bzw. den von ihnen bezeichneten Vollzugsbehörden zusteht, bestimmt
Art. 51 ArbG, dass es Sache der kantonalen Behörde, des Eidgenössischen
Arbeitsinspektorates oder des Arbeitsärztlichen Dienstes ist, für
die Durchsetzung der gesetzlichen Vorschriften und der Verfügungen -
nötigenfalls verbunden mit einer Strafandrohung nach Art. 292 StGB -
besorgt zu sein.

    Sodann unterliegen die auf Grund von Art. 8 ArbG erlassenen Verfügungen
der kantonalen Behörden - auch soweit sie Weisungen der SUVA enthalten -
dem Beschwerdeverfahren gemäss Art. 56 ArbG.

Erwägung 3

    3.- a) Über das Verhältnis zwischen den Bestimmungen des ArbG über
Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung einerseits und den entsprechenden
Vorschriften im Rahmen der obligatorischen Unfallversicherung anderseits
bestimmt Art. 71 lit. a ArbG, dass die Bundesgesetzgebung über die
Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten vorbehalten bleibt. Wie der
Bundesrat in der Botschaft vom 30. September 1960 zum Arbeitsgesetz
festgestellt hat, ergibt sich hieraus, dass für die Errichtung
von Betrieben grundsätzlich die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes
massgebend sind. Dabei unterliegen industrielle Betriebe sowohl den
materiellen Vorschriften nach Art. 6 und 7 ArbG als auch dem Verfahren
der Plangenehmigung und Betriebsbewilligung gemäss Art. 8 ArbG; für
die Errichtung nichtindustrieller Betriebe sind dagegen lediglich die
Art. 6 und 7 ArbG anwendbar. Nach der Eröffnung von Betrieben, die der
obligatorischen Unfallversicherung unterstehen, wird die Anwendbarkeit
von Art. 6 und 7 ArbG im Umfange anderslautender Bestimmungen des
KUVG eingeschränkt (BBl 1960 II 960; vgl. auch SCHAETTI, Unfall-
und Krankheitsverhütung als Rechtsproblem, in SZS 1970, S. 14 ff.,
insbesondere S. 30/31).

    b) Gestützt auf Art. 65 Abs. 3 KUVG und Art. 40 Abs. 1 lit. c ArbG
hat der Bundesrat am 8. Mai 1968 eine Verordnung über die Koordination
der Durchführung des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes und
des Arbeitsgesetzes auf dem Gebiete der Verhütung von Unfällen und
Berufskrankheiten erlassen (veröffentlicht in BBl 1972 I 802 ff.). Die
Verordnung regelt die Vorbereitung und den Vollzug der Vorschriften
über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten durch die SUVA
und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit in Betrieben,
die sowohl dem KUVG als auch dem Arbeitsgesetz unterstehen (Art. 1),
zu welchem Zweck gemischte Ausschüsse gebildet werden (Art. 2 bis 4).
Art. 7 der Verordnung hält fest, dass es im Plangenehmigungsverfahren
gemäss Art. 8 Abs. 1 ArbG Sache der Arbeitsinspektorate ist, die
Gesuche auf deren Übereinstimmung mit den Schutzvorschriften zu prüfen,
bei Abweichungen die entsprechenden Massnahmen zu verfügen und, soweit
besondere Schutzmassnahmen auf Grund des KUVG erforderlich sind, Weisungen
im Sinne von Art. 65 Abs. 2 KUVG zu erlassen. Aus Art. 10 der Verordnung
geht ferner hervor, dass bei Nichtbefolgung von Vorschriften die SUVA auf
Veranlassung des Arbeitsinspektorates oder von sich aus eine Verfügung
gemäss Art. 103 Abs. 2 KUVG erlässt, "sofern sich eine Versetzung in
eine höhere Gefahrenstufe des Prämientarifes rechtfertigt" (Abs. 2). In
den übrigen Fällen, in welchen Verwaltungsmassnahmen gemäss Art. 51 und
52 ArbG notwendig sind, erlässt das Arbeitsinspektorat auf Veranlassung
der Anstalt oder von sich aus eine Anordnung im Sinne von Art. 82 der
Verordnung I zum ArbG. Nötigenfalls ersucht das Arbeitsinspektorat die
kantonale Behörde um den Erlass einer entsprechenden Verfügung im Sinne
von Art. 51 Abs. 2 ArbG (Abs. 3).

Erwägung 4

    4.- a) Mit Verfügung vom 25. Juni 1970 erteilte die zuständige
kantonale Behörde der Beschwerdeführerin die Plangenehmigung mit der
Auflage, die Laderampen entlang den Geleisen "überkragend" auszugestalten,
wie dies von der SUVA im Hinblick auf die Unterstellung des Betriebes
unter die obligatorische Unfallversicherung verlangt worden war. Bereits
vor Erlass der Plangenehmigungsverfügung, nämlich am 2. Juni 1970,
hatte das Eidgenössische Arbeitsinspektorat dem IGA und der SUVA
indessen mitgeteilt, bei der Liser AG handle es sich eindeutig um einen
nichtindustriellen Betrieb. In der Folge unterstellte das IGA den Betrieb
dennoch dem Plangenehmigungsverfahren, wobei es möglicherweise davon
ausging, § 6 der aargauischen Vollziehungsverordnung vom 18. August
1966 zum Arbeitsgesetz finde Anwendung. Nach dieser Bestimmung kann das
Plangenehmigungsverfahren auch für nichtindustrielle Betriebe durchgeführt
werden, "sofern diese es verlangen und sofern deren Unterstellung unter
die Sondervorschriften für industrielle Betriebe in absehbarer Zeit in
Betracht fallen könnte". Am 14. Februar 1973 teilte das IGA der SUVA
jedoch mit, die Voraussetzungen zur Unterstellung der Liser AG unter die
Sondervorschriften für industrielle Betriebe des Arbeitsgesetzes seien
nicht gegeben, weshalb keine Rechtsgrundlage bestehe zum Erlass einer
Nachtragsverfügung hinsichtlich der von der SUVA festgestellten Mängel.

    b) Nach dem Gesagten ist die SUVA befugt, Weisungen zur Verhütung
von Unfällen und Berufskrankheiten bei industriellen Betrieben schon im
Plangenehmigungsverfahren gemäss Art. 8 ArbG erteilen zu lassen. Solche
Weisungen bilden rechtlich jedoch einen Bestandteil der kantonalen
Verfügung, welche sich auf Art. 8 ArbG stützt, und stellen keine
selbständige Verfügung der SUVA im Sinne von Art. 65 Abs. 2 KUVG dar
(vgl. HUG, Kommentar zum Arbeitsgesetz, N 11 zu Art. 8 ArbG). Erst mit
dem Wegfall des Plangenehmigungsverfahrens wurde die SUVA im Sinne des
Vorbehaltes von Art. 71 lit. a ArbG zum Erlass selbständiger Weisungen
befugt. Es stellt sich die Frage, ob die Anstalt materiell an der gestützt
auf Art. 8 ArbG erteilten Weisung auf "überkragende" Ausgestaltung der
Laderampen festhalten durfte.

Erwägung 5

    5.- Die SUVA ist in der Anordnung konkreter Unfallverhütungsmassnahmen
nicht frei. Massgebend ist für sie Art. 65 Abs. 1 KUVG, wonach sich die
Pflicht des Betriebes auf Massnahmen beschränkt, die nach der Erfahrung
notwendig, nach dem Stande der Technik anwendbar und den Verhältnissen des
Betriebes angemessen sind. Entscheidend sind die konkreten Verhältnisse,
wie sie im Zeitpunkt des Verfügungserlasses bestehen.

    a) Im vorliegenden Fall hat die SUVA den nichtindustriellen
Betrieb der Beschwerdeführerin einer Weisung unterstellt, die das
Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gemäss der Vo III zum
Arbeitsgesetz erlassen hat. Mit dieser Verordnung hat der Bundesrat
nähere Vorschriften aufgestellt über die "Gesundheitsvorsorge und
Unfallverhütung in industriellen Betrieben". Die in Art. 23 und 24 der
Verordnung enthaltenen Bestimmungen über "Gleise und Rampenauffahrten"
werden ergänzt durch Weisungen des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe
und Arbeit. Die Wegleitung zur Vo III vom 3. April 1970 führt zu Art.
23 und 24 Vo III aus, es müsse

    "bei Laderampen von mehr als 10 m Länge und mehr als 0,8 m

    Höhe über Schienenoberkante ein Schutzabstand vorhanden sein ...,
   oder die Rampen sind überkragend auszuführen ... Bei bestehenden

    Rampen kann ein Auftritt ... angebracht werden, um das Verlassen des

    Gleisfeldes über die Rampe zu erleichtern."

    b) Um bestehende Rampen im Sinne der Wegleitung handelt es
sich im vorliegenden Fall nicht: Die streitige Weisung war der
Beschwerdeführerin schon vor Erhalt der Baubewilligung bekannt; auch
ist die in der Baubewilligung ausdrücklich vorbehaltene Verfügung des
IGA unbestrittenermassen rechtzeitig erfolgt. Wie die Beschwerdeführerin
ausführt, soll die Nichtbefolgung der Weisung auf einen Planungsfehler
der für die Projektausführung verantwortlichen Architekten und Ingenieure
zurückzuführen sein. Dass die Rampen bereits fertig erstellt waren, als
die SUVA die angefochtene Verfügung erliess, ist daher grundsätzlich von
der Beschwerdeführerin zu vertreten.

    Bei der Beurteilung des Falles ist aber zu berücksichtigen, dass auch
das Vorgehen der zuständigen Instanzen als mangelhaft erscheint. So hat
das IGA die Beschwerdeführerin dem Plangenehmigungsverfahren gemäss Art. 8
ArbG unterstellt und ihr am 25. Juni 1970 eine entsprechende Verfügung
zugestellt, obgleich das Eidgenössische Arbeitsinspektorat ihm am 2. Juni
1970 mitgeteilt hatte, bei der Liser AG handle es sich eindeutig um
einen nichtindustriellen Betrieb, auf welchen die Sondervorschriften
für industrielle Betriebe nicht angewendet werden könnten. Selbst wenn
sich das IGA beim Erlass auf die erwähnte kantonale Vollzugsbestimmung
gestützt haben sollte, hat es sich in der Folge jedenfalls nicht um die
Durchsetzung der verfügten Auflagen bemüht. Erst im Februar 1973, somit
rund 1 1/2 Jahre nach der Betriebsaufnahme, teilte das Amt der SUVA mit,
dass entgegen "der damals noch unbestimmten Annahme, dass der Betrieb
möglicherweise später den Sondervorschriften für industrielle Betriebe des
Arbeitsgesetzes unterstellt werden könnte", die Voraussetzungen für eine
solche Unterstellung nicht gegeben seien. Anderseits hat auch die SUVA
vom Inhalt des Schreibens des Eidgenössischen Arbeitsinspektorates an das
IGA schon anfangs Juni 1970 Kenntnis erhalten. Es wäre daher zu erwarten
gewesen, dass die Anstalt auf Grund dieser Mitteilung eigene Vorkehren zur
Durchsetzung der von ihr verlangten Unfallverhütungsmassnahmen treffen
würde. Jedenfalls hätte ungeachtet der nachfolgenden Plangenehmigung
Anlass dazu bestanden, den Sachverhalt näher abzuklären, nachdem sich
die Verfügung des IGA vom 25. Juni 1970 nicht mit der Stellungnahme
des Eidgenössischen Arbeitsinspektorates vom 2. Juni 1970 vereinbaren
liess. Die SUVA hat es somit ebenfalls an der notwendigen Sorgfalt, wie sie
angesichts der Tragweite der in Frage stehenden Massnahme vorauszusetzen
war, fehlen lassen; insbesondere hat sie nicht alles ihr Zumutbare zur
Sicherstellung der verlangten Unfallverhütungsmassnahme vorgekehrt.

    Die genannten verfahrensmässigen Mängel haben dazu beigetragen, dass
der Planungsfehler von der Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig erkannt
und behoben wurde. Es kann daher nicht allein der Liser AG angelastet
werden, dass die Laderampen entgegen den Weisungen der SUVA erstellt worden
sind. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die Beschwerdeführerin habe
der Weisung bewusst zuwidergehandelt, rechtfertigt es sich, den Sachverhalt
rechtlich gleich zu beurteilen, wie wenn es sich um eine rechtmässig
erstellte bestehende Anlage handeln würde. Für bestehende Rampen genügt es
nach den erwähnten Vorschriften, wenn ein Auftritt angebracht wird, welcher
das Verlassen des Gleisfeldes über die Rampe erleichtert. Solange diese
Massnahme bei bestehenden Rampen als zwar nicht ideale, immerhin jedoch den
Verhältnissen angemessene Unfallverhütungsmassnahme betrachtet wird, darf
nach dem Gesagten im vorliegenden Fall nicht darüber hinausgegangen werden.

Erwägung 6

    6.- Aus den genannten Gründen kann die angefochtene Verfügung
nicht bestätigt werden. Die Beschwerdeführerin wird dagegen den
Unfallverhütungsvorschriften, wie sie für bestehende Rampen Geltung haben
(Erstellen eines Auftrittes), nachzukommen haben. Es wird Sache der
SUVA sein, eine entsprechende Verfügung im Sinne von Art. 65 Abs. 2 KUVG
zu erlassen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
vorinstanzliche Entscheid und die Verfügung der SUVA vom 31. Oktober
1973 aufgehoben.