Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 184



101 V 184

38. Urteil vom 9. Juli 1975 i.S. Forster gegen Ausgleichskasse ASTI und
AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 29bis Abs. 2, Art. 30 Abs. 2 und Art. 31 AHVG. Zur Festsetzung
der einfachen Altersrente der verheirateten oder geschiedenen Frau
ist eine Vergleichsrechnung anzustellen, indem einerseits die Summe der
Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der gesamten Versicherungszeit und
anderseits nur die Einkommen vor der Ehe (bzw. bei geschiedenen Frauen
vor und nach der Ehe) durch die Zahl der entsprechenden Beitragsjahre
geteilt werden. Massgebend ist alsdann das für die Versicherte günstigere
Resultat.

Sachverhalt

    A.- Die 1912 geborene Gertrude Forster verrichtete während der Ehe
Heimarbeit im Stundenlohn und leistete ab 1948 Beiträge an die AHV.
Nach der Scheidung im Jahre 1953 trat sie als Angestellte in die Dienste
der Firma G. ein, wo sie bis zum Rentenalter tätig war.

    Mit Verfügung vom 15. Februar 1974 sprach ihr die Ausgleichskasse
mit Wirkung ab 1. April 1974 eine einfache Altersrente von Fr. 750.--
im Monat zu, auf Grund eines durchschnittlichen Jahreseinkommens von
Fr. 25'800.-- aus 26 Jahren (Rentenskala 25).

    B.- Hiegegen beschwerte sich die Versicherte mit dem Antrag, bei
der Rentenberechnung seien die Beiträge des geschiedenen Mannes aus den
Ehejahren 1948-1953 mitzuberücksichtigen.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde am
5. April 1974 ab, da die Beitragsleistungen des geschiedenen Ehemannes
nach der gesetzlichen Ordnung nur berücksichtigt werden könnten, wenn
dieser gestorben sei. Im übrigen sei die Rente von der Verwaltung richtig
berechnet worden.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
Gertrude Forster die Überprüfung der Rentenberechnung in dem Sinne, "dass
die fünf Ehejahre, während denen nur eine beschränkte Berufstätigkeit
zu Hause möglich war ..., ausgeklammert werden". Auf Grund der "21 Jahre
Vollbeschäftigung" bei einem durchschnittlichen Jahresverdienst von über
Fr. 30'000.-- sei ihr eine Rente von Fr. 800.-- im Monat auszurichten. Die
geltende Regelung der Rentenberechnung bei geschiedenen Frauen lasse
unberücksichtigt, dass die verheiratete Frau und Mutter nicht immer voll
berufstätig sein könne. Während sich die unvollständigen Beitragsleistungen
der Frau beim Anspruch auf Ehepaar-Altersrente günstig auszuwirken
vermöchten, stellten sie für den Anspruch der geschiedenen Frau auf die
einfache Altersrente einen Nachteil dar, zumal jede jährliche Zahlung an
die AHV im gesetzlichen Mindestbetrag als volles Beitragsjahr angerechnet
werde. Sie wäre daher heute besser gestellt, wenn sie während der Ehe
keine Beiträge geleistet hätte.

    Während die Ausgleichskasse unter Hinweis auf die erstinstanzliche
Vernehmlassung auf eine Stellungnahme verzichtet, beantragt das Bundesamt
für Sozialversicherung Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und Zusprechung einer Rente von Fr. 800.-- im Monat. Die Begründung
dieses Antrages ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden
Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die ordentlichen Renten der AHV und IV gelangen als Vollrenten
oder Teilrenten zur Ausrichtung, wobei Anspruch auf die volle Rente
besteht, wenn die Beitragsdauer vollständig ist (Art. 29 Abs. 2 AHVG). Als
vollständig gilt die Beitragsdauer, wenn der Versicherte vom 1. Januar des
der Vollendung des 20. Altersjahres folgenden Jahres bis zur Entstehung des
Rentenanspruches während der gleichen Anzahl von Jahren wie sein Jahrgang
Beiträge geleistet hat (Art. 29bis Abs. 1 AHVG). Bei unvollständiger
Beitragsdauer besteht Anspruch auf eine Teilrente, entsprechend dem
gerundeten Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten
und denjenigen seines Jahrganges (Art. 38 Abs. 2 AHVG). Innerhalb der
anwendbaren Rentenskala (Art. 52 AHVV) bestimmt sich der Rentenbetrag nach
dem durchschnittlichen Jahreseinkommen des Versicherten (Art. 30 Abs. 1
AHVG). Dieses wird ermittelt, indem die Summe der Erwerbseinkommen, von
denen der Versicherte bis zum 31. Dezember des Jahres, das der Entstehung
des Rentenanspruchs vorangeht, Beiträge geleistet hat, durch die Anzahl
Jahre geteilt wird, während welcher der Versicherte seit dem 1. Januar
des der Vollendung des 20. Altersjahres folgenden Jahres bis zum genannten
Zeitpunkt Beiträge geleistet hat (Art. 30 Abs. 2 AHVG).

    b) Die Berechnung der einer geschiedenen Frau zustehenden einfachen
Altersrente erfolgt grundsätzlich nach den gleichen Regeln, wie sie für die
einfache Altersrente von ledigen Versicherten Geltung haben. Hinsichtlich
der Beitragsdauer bestimmt Art. 29bis Abs. 2 AHVG jedoch, dass die
Jahre, während welcher die Frau auf Grund von Art. 3 Abs. 2 lit. b
AHVG als nichterwerbstätige Ehefrau (oder als im Betriebe des Ehemannes
mitarbeitende Ehefrau ohne Barlohn) keine Beiträge entrichtet hat, als
Beitragsjahre gezählt werden. Sodann wird unter bestimmten Voraussetzungen
der Rentenberechnung das für die Berechnung der Ehepaar-Altersrente
massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen zugrunde gelegt, wobei
der Anspruch auf die solcherart berechnete Rente jedoch frühestens am
1. Tag des dem Tode des geschiedenen Mannes folgenden Monats entsteht
(Art. 31 Abs. 3 und 4 AHVG).

Erwägung 2

    2.- a) Im erstinstanzlichen Verfahren beantragte die
Beschwerdeführerin, bei der Ermittlung des durchschnittlichen
Jahreseinkommens seien auch die von ihrem geschiedenen Ehemann während
der Ehe geleisteten Beiträge zu berücksichtigen. Sinngemäss wurde damit
geltend gemacht, es seien die für die Ehepaar-Altersrente massgebenden
Berechnungsgrundlagen anzuwenden, wie sie gemäss Art. 33 Abs. 1 AHVG auch
für die Witwenrente Geltung haben. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber
in Art. 31 Abs. 4 AHVG jedoch ausdrücklich auf die Berechnung der einfachen
Altersrente der geschiedenen Frau nach dem Tode ihres früheren Ehemannes
beschränkt (BGE 99 V 89 Erw. 2c).

    b) Entgegen der nach Art. 33 Abs. 3 AHVG für die Witwe geltenden
Ordnung besteht auch keine Vorschrift, wonach die einfache Altersrente der
geschiedenen Frau auf Grund der Beiträge des Ehemannes oder der eigenen
Beiträge berechnet werden kann, je nachdem, welche Berechnungsweise zu
einer höheren Rente führt (BGE 99 V 88 Erw. 2b).

Erwägung 3

    3.- In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nunmehr geltend gemacht,
es seien die während der Ehe geleisteten Beiträge bei der Rentenberechnung
nicht zu berücksichtigen und es sei das durchschnittliche Jahreseinkommen
allein auf Grund der nach der Scheidung der Ehe erzielten Einkommen
festzusetzen.

    a) Die Beschwerdeführerin hat als nebenerwerbstätige Ehefrau und -
ab 1953 - als erwerbstätige geschiedene Frau seit Inkrafttreten der
AHV bis zum Erreichen der AHV-Altersgrenze ununterbrochen Beiträge
geleistet. Es bestehen somit keine beitragslosen Ehejahre im Sinne
von Art. 29bis Abs. 2 AHVG, und es stimmt die für die Berechnung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens massgebende Beitragsdauer mit der
für die Wahl der Rentenskala massgebenden Dauer überein. Die Verwaltung
hatte somit nach der geltenden Berechnungsmethode bei der Ermittlung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens von einer Beitragsdauer von 26 Jahren
(1948-1973) auszugehen; sie hatte nach Art. 30 Abs. 2 AHVG ferner sämtliche
in dieser Zeit erzielten Erwerbseinkommen in Rechnung zu ziehen.

    b) Diese Berechnungsmethode für die einfache Altersrente der
verheirateten und geschiedenen Frau lässt unberücksichtigt, dass
erwerbstätige Ehefrauen neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Mutter
in der Regel nur einen verhältnismässig geringen Verdienst erzielen. Bei
Frauen, die vor der Ehe oder nach geschiedener Ehe erwerbstätig gewesen
sind, kann dies zur Folge haben, dass das massgebende durchschnittliche
Jahreseinkommen und damit die zur Ausrichtung gelangende einfache
Altersrente geringer ausfallen, als wenn die Versicherte während der Ehe
nicht erwerbstätig gewesen wäre und keine Beiträge geleistet hätte.

    Um diesen Nachteil zu vermeiden, schlägt das Bundesamt für
Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung vor, der Begriff des
Beitragsjahres im Sinne von Art. 30 Abs. 2 AHVG sei gleich zu verwenden
wie in Art. 29bis Abs. 1 und 2 AHVG, d.h. die nach Art. 3 Abs. 2
lit. b AHVG beitragsfreien Ehejahre seien auch bei der Ermittlung
des durchschnittlichen Jahreseinkommens mitzuberücksichtigen. Für die
Festsetzung der einer Ehefrau oder geschiedenen Frau zustehenden einfachen
Altersrente sei sodann eine Vergleichsrechnung vorzunehmen, indem in einer
ersten Rechnung die Summe der Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der
gesamten Versicherungszeit (Variante I) und in einer zweiten Rechnung nur
die Einkommen vor der Ehe, bzw. - bei geschiedenen Frauen - vor und nach
der Ehe, durch die Zahl der entsprechenden Beitragsjahre geteilt werden
(Variante II); hierauf sei die im Einzelfall höhere Rente auszurichten.

Erwägung 4

    4.- a) Die vorgeschlagene Regelung umfasst zunächst eine
Vereinheitlichung des Begriffes der "Beitragsdauer" im Sinne von
Art. 29bis Abs. 2 und Art. 30 Abs. 2 AHVG und führt damit insofern zu einer
Vereinfachung, als die Ermittlung der effektiven Beitragsdauer von Frauen
für die Zeit, da sie während der Ehe einer Teilzeitarbeit nachgegangen
sind, entfällt. Gleichzeitig können (gemäss Variante I) Missbräuche
verhindert werden, wie sie sich nach bisheriger Praxis insbesondere beim
Rentenanspruch von Ehefrauen, die im Betrieb des Ehemannes mitarbeiten,
gezeigt haben (ZAK 1974 S. 532).

    b) Vergleichsrechnungen in dem Sinne, dass der Rentenbetrag nach
zwei Berechnungsmethoden ermittelt wird und das im Einzelfall für den
Versicherten günstigere Ergebnis für die Festsetzung der Rente massgebend
ist, sind an sich nichts Neues. Die beantragte Alternativlösung findet
insbesondere eine Parallele in der gemäss Art. 51 Abs. 3 AHVV für die
Berechnung von Alters- und Hinterlassenenrenten von Versicherten, die
früher eine Invalidenrente bezogen haben, geltenden Regelung. Auch wenn
sich die beiden Sachverhalte wesentlich unterscheiden, stimmen sie doch
hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlich massgebenden wirtschaftlichen
Gesichtspunkte weitgehend überein. Ähnlich der Invalidität können auch
die Obliegenheiten der Ehefrau als Hausfrau und Mutter die Ausübung
einer (vollen) Erwerbstätigkeit hindern, was sich in gleicher Weise
auf den künftigen Altersrentenanspruch auswirken kann. Es lässt sich
daher vertreten, bei der einfachen Altersrente von verheirateten und
geschiedenen Frauen eine analoge Rentenberechnung einzuführen, wie sie
für den in Art. 51 Abs. 3 AHVV geregelten Sachverhalt gilt.

    Im übrigen kann darauf hingewiesen werden, dass der Anwendungsbereich
alternativer Berechnungsmethoden im Laufe der verschiedenen
Gesetzesrevisionen wiederholt erweitert worden ist. Das ursprüngliche
AHVG vom 20. Dezember 1946 sah eine Vergleichsrechnung lediglich für
die einfache Altersrente der Witwe vor (Art. 33 Abs. 3 AHVG). Auf den
1. Januar 1960 wurde eine Alternativlösung getroffen für Alters- und
Hinterlassenenrenten, die anstelle von Invalidenrenten treten (Art. 33bis
Abs. 1 AHVG), und auf den 1. Januar 1964 eine solche für Alters- und
Hinterlassenenrenten, die der Invalidenrente nicht unmittelbar folgen
(Art. 51 Abs. 3 AHVV). Mit der auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen
8. AHV-Revision wurde schliesslich eine Vergleichsrechnung auch für die
einfache Altersrente der geschiedenen Frau nach dem Tode des früheren
Ehemannes eingeführt (Art. 31 Abs. 3 und 4 AHVG).

    c) Die neue Berechnungsmethode scheint geeignet, die unbefriedigenden
Ergebnisse der bisherigen Praxis weitgehend zu vermeiden. Sie trägt dem
Umstand Rechnung, dass der Wortlaut von Art. 30 Abs. 2 AHVG offensichtlich
nicht auf den später eingeführten Art. 29bis Abs. 2 AHVG abgestimmt worden
ist, und bezieht die mit dieser Bestimmung beabsichtigte Verbesserung der
Stellung der verheirateten und geschiedenen Frau auch auf die Ermittlung
des durchschnittlichen Jahreseinkommens. Damit wird erreicht, dass die
Rentenhöhe nicht durch ein geringeres durchschnittliches Jahreseinkommen
beeinträchtigt wird, wenn die Ehefrau wegen der Beanspruchung im Haushalt
nur eine Teilzeitarbeit verrichten kann.

    Es ist indessen nicht zu übersehen, dass sich die vorgeschlagene
Regelung auch zu Ungunsten einzelner Kategorien von Rentenberechtigten
auswirken kann. Dies betrifft insbesondere Ehefrauen, die sich vor dem
Jahre 1948 verheiratet haben oder deren Rente aus einem andern Grund
nicht nach Variante II berechnet werden kann. In diesen Fällen hat die
Rentenberechnung nach Variante I zu erfolgen, was zu einem niedrigeren
durchschnittlichen Jahreseinkommen führen kann als nach bisheriger
Berechnungsmethode. Anderseits kann die Rentenberechtigte nach Variante II
der Vergleichsrechnung auf Grund eines einzigen vor- oder nachehelichen
Jahreseinkommens die Höchstrente beanspruchen, was unter Umständen als
stossend erscheinen mag.

Erwägung 5

    5.- Wie das Gesamtgericht entschieden hat, ist dem Antrag
des Bundesamtes für Sozialversicherung in Würdigung aller Umstände
grundsätzlich beizupflichten unter dem Vorbehalt künftiger Anpassungen
der Berechnungsmethode, sofern sich solche als notwendig erweisen
sollten. Die neue Praxis entspricht dem geltenden Rentensystem wesentlich
besser und führt zumindest in der Mehrzahl der Fälle zu befriedigenderen
Ergebnissen als die bisherige, streng dem Wortlaut des Gesetzes folgende
Berechnungsmethode. Die bestehende Rentenordnung geht davon aus, dass
sich die Rentenhöhe bei gleicher persönlicher Beitragsdauer nach der
Höhe der Einkommen richtet, auf welchen Beiträge bezahlt worden sind. Es
stünde diesem Grundsatz entgegen, wenn man zulassen wollte, dass sich -
unter sonst gleichen Verhältnissen - trotz höherer Beitragsleistungen eine
geringere Rente ergeben kann. Eine derartige Systemwidrigkeit kann nicht
Ausdruck der geltenden Rechtsordnung sein, weshalb die Rentenberechnung
in solchen Fällen nicht auf Grund einer textgebundenen Auslegung und
Anwendung von Art. 30 Abs. 2 AHVG erfolgen kann. Der Richter ist zwar
an das Gesetz gebunden; ausnahmsweise aber hat er bei offensichtlich
unhaltbaren Ergebnissen, die dem wahren Willen des Gesetzes zuwiderlaufen,
entgegen dem Wortlaut der gesetzlichen Norm auf Grund richterlicher
Rechtsfindung zu entscheiden (vgl. EVGE 1968 S. 108 sowie 1952 S. 209
ff. und 1951 S. 205 ff.).

Erwägung 6

    6.- Nach dem Gesagten ist die der Beschwerdeführerin ab April 1974
zustehende einfache Altersrente auf Grund der Vergleichsrechnung neu
festzusetzen. Hiezu gehen die Akten an die Verwaltung zurück.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 15. Februar
1974 aufgehoben. Die Akten gehen an die Ausgleichskasse zurück zur
Neufestsetzung der Rente im Sinne der Erwägungen.