Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 V 1



101 V 1

1. Urteil vom 25. Februar 1975 i.S. Eschler gegen Ausgleichskasse des
Grosshandels und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 5 Abs. 2 AHVG. Zu den von der Beitragspflicht ausgenommenen
Zuwendungen im Sinne von Art. 8 lit. c AHVV gehören auch Vermächtnisse
des Arbeitgebers zugunsten der Belegschaft, sofern die einzelne Zuwendung
einen Monatslohn nicht übersteigt.

Sachverhalt

    A.- Der am 12. Juli 1971 verstorbene Max Eschler war Inhaber der
Einzelfirma Eschler-Urania, die sich unter anderem mit dem Handel
und Verkauf von Automobil-Ersatzteilen und Zubehör sowie Garagen- und
Tankstelleneinrichtungen befasst. Max Eschler verfügte testamentarisch,
dass insgesamt Fr. X an alle Angestellten und Arbeiter, welche im Zeitpunkt
seines Ablebens seit mindestens 3 Jahren im Geschäftsbetrieb tätig waren,
nach Massgabe ihrer Dienstdauer auszurichten seien mit der Auflage,
dass die betreffenden Arbeitnehmer noch während mindestens 2 Jahren beim
Geschäftsnachfolger tätig seien.

    Die Firma Eschler-Urania erkundigte sich am 17. Oktober 1973
bei der Ausgleichskasse, ob die den bezugsberechtigten Arbeitnehmern
auszurichtenden Beträge der paritätischen Beitragspflicht unterstellt
seien. Mit Verfügung vom 12. November 1973 teilte die Ausgleichskasse
der Firma mit, nach dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung stünden die
Zuwendungen in direktem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und seien
Treueprämien gleichzustellen; diese gehörten zum massgebenden Lohn.
Auf dem Vermächtnis von insgesamt Fr. X seien daher die gesetzlichen
Beiträge an die AHV/IV/EO sowie an die kantonale Familienausgleichskasse
zu entrichten.

    B.- Hiegegen beschwerte sich die Firma mit der Begründung, bei
der fraglichen Zuwendung an die Arbeitnehmer handle es sich um eine
letztwillige Verfügung, welche nicht die Betriebsrechnung der Firma,
sondern allein den Sohn und einzigen Erben des Max Eschler belaste. Das
Vermächtnis habe mit der Arbeitsleistung der Bedachten nichts zu tun,
weshalb es sich nicht um eine Treueprämie handeln könne. Dies auch deshalb
nicht, weil es um eine einmalige Zuwendung gehe und der Zeitpunkt der
Auszahlung zufällig und ausschliesslich vom Hinschied des Vermächtnisgebers
abhängig sei.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde
mit Entscheid vom 25. April 1974 ab. Zum massgebenden Lohn gehörten auch
Entgelte, die nicht auf Grund dienstvertraglicher Vereinbarung ausgerichtet
würden, sofern die Leistung wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis
zusammenhänge. Dies treffe im vorliegenden Fall zu, wie sich aus den
Bestimmungen der letztwilligen Verfügung klar ergebe. Zudem komme den
Leistungen eindeutig der Charakter von Treueprämien zu; diese gehörten
nach Art. 7 lit. c AHVV zum massgebenden Lohn. Im übrigen handle es
sich nicht um "Zuwendungen anlässlich besonderer Ereignisse", welche nach
Art. 8 lit. c AHVV unter bestimmten Voraussetzungen vom massgebenden Lohn
ausgenommen seien.

    C.- Die Firma Eschler-Urania lässt diesen Entscheid an das Eidg.
Versicherungsgericht weiterziehen mit dem Antrag, es sei "das Vermächtnis
von Herrn Max Eschler senior an seine früheren Angestellten von
insgesamt Fr. X nicht der Abrechnungspflicht der AHV/IV/EO und
Familienausgleichskassen zu unterstellen". Die Rekurskommission
lasse unberücksichtigt, dass es sich bei den Zuwendungen des früheren
Arbeitgebers um ein Vermächtnis im Sinne des Erbrechtes und nicht um
eine direkte Entschädigung für geleistete Arbeit handle. Die bestehenden
Auflagen änderten hieran nichts. Vermächtnisse stellten ihrer Natur nach
einmalige Leistungen dar, die nach der gesetzlichen Ordnung nicht als
massgebender Lohn zu erfassen seien; es handle sich namentlich nicht um
Leistungen, die Treueprämien gleichgestellt werden könnten.

    Während die Ausgleichskasse auf eine Vernehmlassung verzichtet,
beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Das Eidg. Versicherungsgericht beurteilt letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97 und
98 lit. b-h OG auf dem Gebiete der Sozialversicherung (Art. 128 OG). Als
Verfügungen gelten gemäss Art. 5 Abs. 1 VwG Anordnungen der Behörden
im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und
bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich ihres Gegenstandes erfüllen.

    Mit dem angefochtenen Verwaltungsakt vom 12. November 1973 wird
nicht unmittelbar über Rechte und Pflichten (i.c. die Beitragspflicht)
der hievon Betroffenen entschieden. Es genügt jedoch, dass die
massgebenden Rechtsverhältnisse auf Grund der getroffenen Feststellung
zweifelsfrei bestimmbar sind (nicht publiziertes Urteil vom 11. Juni
1971 i.S. Hostettler, EVGE 1960 S. 219). Beim kantonalen Entscheid vom
25. April 1974 handelt es sich demnach um eine anfechtbare Verfügung im
Sinne von Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwG.

    b) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann jedoch nur soweit
eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrecht
streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es
sich bezüglich der Beitragsschuld an die kantonale Familienausgleichskasse
verhält.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt
für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit
geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche
Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis
zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder
gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig
erfolgen. Der Beitragspflicht unterliegen grundsätzlich auch freiwillige
Sozialleistungen und Zuwendungen des Arbeitgebers anlässlich besonderer
Ereignisse, soweit diese nicht gemäss Art. 6 Abs. 2 oder Art. 8 AHVV hievon
ausgenommen sind (BGE 98 V 240; EVGE 1969 S. 33, 1965 S. 8, 1964 S. 220).

    b) In Art. 8 AHVV hat der Bundesrat von der ihm gemäss Art. 5 Abs. 4
AHVG zustehenden Befugnis Gebrauch gemacht und bestimmte Sozialleistungen
sowie Zuwendungen des Arbeitgebers anlässlich besonderer Ereignisse
vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausgenommen. Gemäss lit. c der
genannten Verordnungsbestimmung gehören nicht zum massgebenden Lohn:
"Zuwendungen beim Tod Angehöriger von Arbeitnehmern, Zuwendungen an
Hinterlassene von Arbeitnehmern, Umzugsentschädigungen, Jubiläumsgaben,
Verlobungs-, Hochzeits- und Dienstaltersgeschenke sowie Zuwendungen für
bestandene berufliche Prüfungen".

    Das Bundesamt für Sozialversicherung hat hiezu mit Rz. 89 ff. der
Wegleitung über den massgebenden Lohn Verwaltungsweisungen erlassen und die
Liste der nicht zum massgebenden Lohn gehörenden Arbeitgeberleistungen
insofern ergänzt, als auch Naturalgeschenke anlässlich besonderer
Ereignisse bis zu einem Wert von Fr. 300.-- (Rz. 93) sowie "Zuwendungen
an den Arbeitnehmer, die gewährt werden zum Andenken an den verstorbenen
Arbeitgeber, sofern sie einen Monatslohn nicht übersteigen" (Rz. 93b),
von der Beitragspflicht ausgenommen werden.

    Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt ausgeführt hat, ist
die vom Bundesrat gestützt auf Art. 5 Abs. 4 AHVG erlassene Liste der
vom massgebenden Lohn ausgenommenen Arbeitgeberleistungen grundsätzlich
abschliessend (EVGE 1954 S. 188, 263). Allgemein verbindliche Erlasse
dürfen jedoch nicht zu rechtlichen Unterscheidungen führen, für die
ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen
nicht ersichtlich ist (BGE 96 I 456, 95 I 134). Solche Gründe bestehen
hinsichtlich der von der Verwaltung zusätzlich berücksichtigten
Sachverhalte nicht, weshalb es einer willkürlichen Rechtsanwendung
gleichkäme, sie beitragsrechtlich anders zu werten. Die genannten
Verwaltungsweisungen bestehen folglich zu Recht.

Erwägung 3

    3.- a) Die Firma Eschler-Urania begründet die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Hauptsache damit, die fraglichen
Zuwendungen stünden in keinem direkten Zusammenhang mit der Arbeitsleistung
der Bedachten und könnten schon deshalb nicht der Beitragspflicht
unterstellt werden, weil es sich um eine einmalige Leistung in Form eines
Vermächtnisses handle, welche überdies das Geschäftsvermögen nicht belaste.

    Nach der letztwilligen Verfügung des Max Eschler werden mit dem
Vermächtnis sämtliche Angestellten und Arbeiter bedacht, die im Zeitpunkt
des Todes des Geschäftsinhabers seit mindestens 3 Jahren im Betriebe tätig
waren. Der Gesamtbetrag der Zuwendung wird in soviele Teile zerlegt,
als die Berechtigten insgesamt Dienstjahre aufweisen; jeder erhält die
seinen Dienstjahren entsprechende Anzahl Teile. Das Vermächtnis ist jedoch
nur geschuldet, sofern der betreffende Arbeitnehmer während weiteren 2
Jahren beim Geschäftsnachfolger tätig ist. Die Zuwendung setzt demnach
eine Mindestdauer der Anstellung voraus und macht den Anspruch von einer
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses abhängig.

    Bei dieser Sachlage ist der Zusammenhang zwischen den Zuwendungen
und dem Arbeitsverhältnis offensichtlich. Unmassgeblich ist, dass
die Leistungen auf Grund einer letztwilligen Verfügung zur Ausrichtung
gelangen. Auf die rechtliche Form, in welcher eine Leistung erbracht wird,
kommt es für die Frage der Beitragspflicht ebensowenig an wie darauf, ob
es sich um eine arbeitsvertraglich geschuldete oder um eine freiwillige
Leistung handelt. Auch einmalige Leistungen des Arbeitgebers gehören -
vorbehältlich der gesetzlichen Ausnahmen - zum massgebenden Lohn, sofern
sie ihren wirtschaftlichen Grund im Arbeitsverhältnis haben.

    b) Verwaltung und Vorinstanz nehmen an, die Zuwendungen seien
Treueprämien gleichzustellen, welche gemäss Art. 7 lit. c AHVV ausdrücklich
zum massgebenden Lohn gehören. Dem steht indessen entgegen, dass es sich
im vorliegenden Fall um eine einmalige Zuwendung handelt, der eindeutig
Ausnahmecharakter zukommt, wogegen Treueprämien periodisch wiederkehrende
Leistungen sind, die als Zulagen zum Arbeitsentgelt ausgerichtet werden
(EVGE 1969 S. 33). Entscheidende Bedeutung kommt dieser Frage jedoch nicht
zu, da nach der gesetzlichen Ordnung sämtliche dem Arbeitnehmer aus dem
Arbeitsverhältnis zukommenden Leistungen zum massgebenden Lohn gehören,
soweit sie nicht ausdrücklich hievon ausgenommen sind.

    c) Von den in Art. 8 AHVV erwähnten Ausnahmen vom massgebenden
Lohn fallen im vorliegenden Fall einzig die in lit. c der Bestimmung
genannten Dienstaltersgeschenke in Betracht. Diese sind ihrer Natur
nach Ausnahmeleistungen an Arbeitnehmer mit sehr langer Dienstzeit beim
gleichen Arbeitgeber, die einmal oder höchstens zweimal im Laufe der
Aktivitätsperiode ausgerichtet werden (EVGE 1969 S. 33, 1965 S. 5). Die im
Streite stehenden Zuwendungen kommen einem Dienstaltersgeschenk zweifellos
nahe, indem auch hier die Treue zum Arbeitgeber von wesentlicher
Bedeutung für die Leistung ist. Sie haben ihren Grund jedoch nicht
in einem bestimmten Dienstalter des Arbeitnehmers, sondern im Tode des
Geschäftsinhabers. Sowohl der Kreis der Bedachten wie auch die Höhe der an
den einzelnen Arbeitnehmer zur Ausrichtung gelangenden Zuwendung richtet
sich nach dem Zeitpunkt des Todes des Vermächtnisgebers.

    Gemäss Rz. 93b der vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen
Wegleitung über den massgebenden Lohn gelten als beitragsfreie "Zuwendung
anlässlich besonderer Ereignisse" im Sinne von Art. 8 lit. c AHVV auch
"Zuwendungen an den Arbeitnehmer, die gewährt werden zum Andenken
an den verstorbenen Arbeitgeber, sofern sie einen Monatslohn nicht
übersteigen". Im vorliegenden Fall geht es zwar um Zuwendungen auf Grund
einer letztwilligen Verfügung des verstorbenen Arbeitgebers und nicht
um Leistungen, welche von der Firma zum Andenken an den verstorbenen
Arbeitgeber ausgerichtet werden. Die Leistungen unterscheiden sich
jedoch lediglich hinsichtlich des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes,
nicht dagegen in bezug auf den für die Beitragspflicht massgebenden
wirtschaftlichen Tatbestand.

    Selbst wenn die Ausnahmen vom massgebenden Lohn gemäss Art. 8 AHVV
nicht extensiv auszulegen sind, lässt sich daher eine unterschiedliche
beitragsrechtliche Beurteilung nicht rechtfertigen. Es gelten hiefür die
gleichen Gründe, wie sie bezüglich der Verwaltungsweisungen in Erwägung
2b hievor angeführt worden sind.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten sind die streitigen Zuwendungen von der
Beitragspflicht befreit, sofern sie einen Monatslohn nicht übersteigen. Die
Begrenzung der Beitragsfreiheit auf einen Monatslohn, welche offenbar
der Beitragsumgehung vorbeugen soll, hält sich im Rahmen rechtmässigen
Ermessens der Verwaltung und ist nicht zu beanstanden (vgl. auch EVGE
1964 S. 218 Erw. 2). Die Verwaltung wird daher näher zu prüfen haben, ob
die dem einzelnen Arbeitnehmer zustehenden Vermächtnisse den jeweiligen
Monatslohn übersteigen. Gestützt hierauf wird die Beitragspflicht des
heutigen Geschäftsinhabers, welcher als einziger Erbe die fraglichen
Leistungen schuldet und damit als Arbeitgeber im Sinne von Art. 12 Abs. 1
AHVG zu gelten hat, neu festzusetzen sein.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten
ist, gutgeheissen und die Sache zum Erlass einer Verfügung im Sinne der
Erwägungen an die Ausgleichskasse zurückgewiesen.