Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 93



101 IV 93

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. April 1975 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. Regeste

    Die Verjährungsvorschrift in Art. 11 des dringlichen Bundesbeschlusses
über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes vom 20. Dezember 1972
verstösst nicht gegen Art. 333 StGB.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Ferner macht der Beschwerdeführer geltend, Art. 11 des dringlichen
Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Stabilisierung des Baumarktes vom
20. Dezember 1972 (BB) verletze Art. 333 StGB. Bei den Straftatbeständen
des Art. 9 Ziff. 1 BB handle es sich um Übertretungen, die nach den
allgemeinen Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches innert
längstens zwei Jahren absolut verjähren, währenddem die absolute Verjährung
gemäss BB erst nach 4 Jahren eintrete. Es sei nicht zulässig, in einem
dringlichen Bundesbeschluss längere Verjährungsfristen festzusetzen als
im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, der nach Art. 333 Abs. 1 StGB
auch auf das Nebenstrafrecht Anwendung finde.

    a) Es trifft zu, dass die allgemeinen Bestimmungen des
Strafgesetzbuches auch für die eidgenössischen Nebenstrafgesetze anwendbar
sind. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur subsidiär, d.h. unter dem Vorbehalt,
dass die betreffenden Bundesgesetze nicht selbst abweichende Bestimmungen
aufstellen (Art. 333 Abs. 1 StGB; V. SCHWANDER, Das Schweizerische
Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Nr. 54). Von dieser Befugnis wurde -
namentlich auch bezüglich der Verjährung - in grossem Umfange Gebrauch
gemacht (siehe SCHWANDER, aaO, Nr. 54a; ferner BGE 83 IV 121 ff. und 176
ff. sowie 74 IV 25 ff.).

    b) Der Beschwerdeführer beanstandet, dass durch einen von Volk
und Ständen nicht sanktionierten dringlichen Bundesbeschluss die bei
Schaffung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs bewusst herbeigeführte
Vereinheitlichung der Verjährungsvorschriften für Übertretungen geändert
werde.

    Für die Änderung von Bestimmungen des StGB ist ein Ständemehr ohnehin
nicht erforderlich. Im übrigen handelt es sich bei Art. 11 BB, wie oben
unter a) ausgeführt, nicht um eine Änderung des StGB, sondern um eine
durch dieses Gesetz ausdrücklich vorbehaltene Ausnahmebestimmung. Dass
diese nicht in einem Gesetz, sondern in einem dringlichen Bundesbeschluss
enthalten ist, berührt ihre Gültigkeit nicht.

    Sollte aber der Beschwerdeführer behaupten wollen, der BB sei
kein Bundesgesetz im Sinne von Art. 333 Abs. 1 (am Ende) StGB, so wäre
diese Auffassung verfehlt. Wenn hier von "Bundesgesetzen" die Rede ist,
so ist damit nicht das Gesetz im formellen Sinne, sondern materielles
Gesetzesrecht gemeint, gleichgültig ob es in Form eines Gesetzes, eines
Bundesbeschlusses oder einer Verordnung erlassen wurde.

    c) X. beruft sich auch auf Art. 333 Abs. 2 StGB, der für Taten,
die in einem anderen Bundesgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Monaten bedroht sind, die allgemeinen Bestimmungen über Übertretungen
anwendbar erklärt. Diese Vorschrift sei zwingend, der BB könne nicht
gültig abweichende Verjährungsfristen vorsehen.

    Art. 333 Abs. 2 StGB wurde erlassen, weil das frühere Bundesstrafrecht
die Unterscheidung zwischen Vergehen und Übertretungen nicht kannte
(SCHWANDER, aaO, Nr. 54). Die Bestimmung steht nicht im Gegensatz zu
Art. 333 Abs. 1; abweichende Sondervorschriften - insbesondere über
die Verjährungsfristen - werden nicht ausgeschlossen (O. A. GERMANN,
Schweiz. Strafgesetzbuch, 9. Auflage, S. 483 zu Art. 333).

    Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Vorinstanz zu Recht
auf die in Art. 11 BB enthaltene Verjährungsfrist abgestellt hat.