Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 47



101 IV 47

13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. April 1975 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 181 StGB, Nötigung.

    1. Ob die angedrohten Nachteile "ernstliche" sind, entscheidet sich
nach einem objektiven Massstab (Erw. 2a).

    2. Rechtswidrigkeit der Nötigung (Erw. 2b).

    3. Begriff der Mittäterschaft (Erw. 3).

    4. Der Mittäter, der einen anderen zur gemeinsamen Tat anstiftet, ist
nur wegen Mittäterschaft, nicht auch wegen Anstiftung strafbar (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 21. August 1973 veranlasste X. seinen Sohn Y. und Z., am Abend
in seinem Personenwagen mit ihm nach Schaffhausen zu fahren. Dort forderten
sie den kaufmännischen Lehrling B. zur Mitfahrt auf und führten ihn
zwischen 20 und 21 Uhr zum Parkplatz Schaaren bei Wilisdorf (Kt. Thurgau).
Während der Fahrt versuchten sie, den Lehrling durch Einschüchterungen
zu nötigen, Y. Fr. 1'650.-- in den folgenden Tagen zu übergeben. B. gab
zuerst nach, orientierte aber am nächsten Tag die Polizei.

    B.- Mit Urteil vom 30. Oktober 1974 sprach das Bezirksgericht Arbon
X. des vollendeten Versuchs der Nötigung und der Anstiftung dazu sowie
weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe
von 20 Monaten.

    Das Obergericht des Kantons Thurgau wies am 4. Februar 1975 die
Berufung des Verurteilten ab.

    C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen
Entscheid hinsichtlich der Verurteilung wegen vollendeten Versuchs der
Nötigung sowie der Anstiftung dazu aufzuheben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Eine Bestrafung wegen vollendeten Nötigungsversuchs gemäss Art. 181
in Verbindung mit Art. 22 StGB setzt u.a. voraus, dass der Täter jemandem
ernstliche Nachteile androht.

    X. stellt sich auf den Standpunkt, dass im vorliegenden Fall die
Rechtswidrigkeit nicht gegeben sei. Art. 181 StGB, der die persönliche
Freiheit schütze, müsse zurückhaltend angewendet werden. Wer sich in das
Geschäft des Betäubungsmittelhandels einlasse, rechne zum vornherein mit
etwas härteren Methoden und willige in diese ein.

    a) Ob die angedrohten Nachteile "ernstliche" im Sinne des Gesetzes
sind, entscheidet sich nach einem objektiven Massstab. Nur Drohungen, die
eine verständige Person in der Lage des Betroffenen motivieren können,
fallen darunter (G. STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I,
S. 90 f. mit Hinweisen; ferner BGE 96 IV 62). Entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers spielt die subjektive Widerstandskraft des Opfers keine
Rolle. Lässt sich der Bedrohte aus irgendeinem Grunde nicht einschüchtern,
so liegt ein Versuch der Nötigung vor.

    Im übrigen vermag die Auffassung des Beschwerdeführers ohnehin
nicht durchzudringen, da die Vorinstanz verbindlich feststellt, B. habe
grosse Angst gehabt und gefürchtet, die drei Angeklagten würden ihn
zusammenschlagen, falls er die Rückzahlung nicht anerkenne. Darum versprach
er, was die Täter verlangten. Erst am nächsten Tag, nach Wegfall der
Drohung, habe er sich zur Polizei gewagt. Demnach kann keine Rede davon
sein, dass B. auf seine Handlungsfreiheit teilweise verzichtet habe und
im Drogenmilieu besonders resistent geworden sei. Infolgedessen ist die
Voraussetzung der Androhung ernstlicher Nachteile im Sinne von Art. 181
StGB erfüllt.

    b) Zur Frage der Rechtswidrigkeit hat der Kassationshof wiederholt
erklärt, dass eine Nötigung strafbar sei, sofern der damit verfolgte
Zweck oder das dazu verwendete Mittel gegen die Rechtsordnung oder
die guten Sitten verstosse (BGE 96 IV 60 E. 1, 101 IV 43 E. 1). Die
Einschüchterungsversuche mit dem Dolch anlässlich der gemeinsamen
Autofahrt enthielten zweifellos eine Drohung mit einem rechtswidrigen
Mittel im Sinne der Rechtsprechung und stellen somit einen rechtswidrigen
Nötigungsversuch dar.

    Aber auch die Äusserungen gegenüber B., man werde ihn wegen
Handels mit 2 kg Haschisch "hochfliegen" lassen, falls er die
Forderung von Fr. 1'650.-- nicht anerkenne, erfüllen den Tatbestand des
Nötigungsversuchs. Zwar ist die Androhung einer Strafanzeige an sich kein
unerlaubtes Mittel, und auch der verfolgte Zweck - nämlich die Anerkennung
einer Forderung - verstösst an sich nicht gegen die Rechtsordnung (BGE 87
IV 14). Ein Verstoss gegen die Rechtsordnung ist aber gegeben, sobald die
Verknüpfung zwischen dem zulässigen Mittel und dem erlaubten Zweck sich
als rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig darstellt (STRATENWERTH, aaO,
S. 92 und V. SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage,
N. 629a). Demzufolge hat der Kassationshof seit jeher die Drohung mit einer
Strafanzeige dann als rechtswidrig betrachtet, wenn - wie im vorliegenden
Fall - zwischen dem Straftatbestand, der angezeigt werden soll, und dem
Gegenstand des gestellten Begehrens ein sachlicher Zusammenhang fehlt
(BGE 87 IV 14 und 96 IV 60 ff.).

Erwägung 3

    3.- Ferner macht X. geltend, er habe mit seinem Sohn und Z.  zusammen
lediglich bei B. dessen Schuld eintreiben wollen. Die als Nötigung
qualifizierten Handlungen seien im wesentlichen von Z. ausgeführt worden.
Soweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen werde, durch Unterlassung
mitgewirkt zu haben, komme ihm die erforderliche Garantenstellung nicht
zu. Ebenso fehle der entscheidende Nötigungsvorsatz völlig. Mit diesen
Ausführungen bestreitet X. sinngemäss seine Mittäterschaft, insbesondere
den entsprechenden Vorsatz.

    Mittäterschaft liegt vor, wenn jemand bei der Entschliessung, Planung
oder Ausführung eines Deliktes vorsätzlich und in massgebender Weise mit
einem andern Täter zusammenwirkt (BGE 98 IV 259 E. 5 mit Verweisungen;
ferner BGE 99 IV 85 und 100 IV 1). Welchen Vorsatz ein Täter hatte,
ist eine Frage des inneren Tatbestandes. Die von der Vorinstanz darüber
getroffenen Feststellungen sind für den Kassationshof verbindlich
und können nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden
(Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP; BGE 98 IV 66 und 259
E. 4). Auch wenn die diesbezüglichen Erwägungen des Obergerichts nicht
sehr klar formuliert sind, so ergibt sich doch aus dem gesamten Urteil,
dass X. den Nötigungsvorsatz hatte. Selbst wenn man annehmen wollte, die
Anregung des Beschwerdeführers zur gemeinsamen Fahrt nach Schaffhausen
habe sich noch nicht auf ein strafbares Vorgehen bezogen, so zeigen
die Bemerkungen von Z. deutlich, dass B. unter Druck gesetzt werden
sollte. Schon die nächtliche Fahrt der drei Angeklagten mit B. zusammen
auf einen einsamen Platz weist darauf hin, dass es sich hier offenbar nicht
um eine gewöhnliche Zahlungsaufforderung handelte. Die Mittäterschaft des
Beschwerdeführers an der Nötigung und sein entsprechender Vorsatz ergeben
sich vor allem aus der festgestellten Tatsache, dass er das offensichtlich
bereits verängstigte Opfer im Auto an eine einsame Stelle führte, wo es
dem massiven Druck von Z. hilflos ausgesetzt werden sollte. Aus diesem
Sachverhalt folgt, dass sich der Tatbeitrag von X. keineswegs in einem
blossen Unterlassen erschöpfte.

Erwägung 4

    4.- Begründet ist dagegen die Beschwerde, soweit sie sich gegen die
Verurteilung wegen Anstiftung zum Nötigungsversuch richtet.

    a) Die Verurteilung wegen Anstiftung wird von der Vorinstanz
ausschliesslich auf folgende Aussagen des Beschwerdeführers gestützt:
"Ich schlug vor, man könnte nach Schaffhausen fahren und von B. das Geld
verlangen, Z. erwähnte, er komme mit, er wisse schon wie man das Bürschli
unter Druck setzen könne. Ich war einverstanden. Ich dachte mir, da kann
er zeigen, was er kann." Ob diese Äusserungen für eine Bestrafung gemäss
Art. 24 StGB genügen, erscheint fraglich, braucht aber nicht entschieden
zu werden. Denn die Beschwerde muss in diesem Punkt schon aus anderen
Gründen geschützt werden.

    b) Nach der Praxis des Bundesgerichtes geht die Teilnahme
(einschliesslich Anstiftung) in der Täterschaft auf (BGE 100 IV 2
ff. E. 5). Ein Täter kann also nicht auch noch wegen Anstiftung eines
Mittäters zum gemeinsamen Delikt bestraft werden. Dies gilt jedenfalls
dann, wenn er bereits im Zeitpunkt der Anstiftung massgeblich an der
Planung, Vorbereitung oder Ausführung der Tat beteiligt war.

    Die Beschwerdegegnerin kritisiert diese Rechtsprechung mit
der Behauptung, dass die Korruptionstheorie den schweizerischen
Grundprinzipien eines Schuldstrafrechtes wesentlich besser entspreche
als die vom Bundesgericht vertretene Auffassung. Dieser Einwand ist
jedoch verfehlt. In BGE 100 IV 2 ff. wurde ausführlich dargelegt, dass
der Strafgrund der Teilnahme - namentlich auch der Anstiftung - in der
Mitwirkung an dem vom Täter begangenen Unrecht liegt. Das ergibt sich aus
dem in Art. 26 StGB verankerten Grundsatz der limitierten Akzessorietät
(G. STRATENWERTH, ZStR 81/1965, S. 203). Von diesem Standpunkt abzuweichen,
besteht kein Anlass.

    Ferner wendet die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau gegen
die bundesgerichtliche Praxis ein, dass sie bei der Strafzumessung in
den Fällen bloss versuchter Straftaten zu kaum vertretbaren Ergebnissen
führe. In jenen Fällen nämlich, wo ein Mittäter andere zu einem gemeinsamen
Delikt anstifte und sein eigener Tatbeitrag - im Gegensatz zu demjenigen
der übrigen Mittäter - im Stadium der Versuches stecken bleibe, könne
der Richter die Strafe für den anstiftenden Mittäter, nicht jedoch
diejenige für die angestifteten nach Art. 21 StGB mildern. Damit wird
aber von der Beschwerdegegnerin der Begriff der Mittäterschaft verkannt;
eine Bestrafung wegen Mittäterschaft bei einer vollendeten Tat setzt
nicht voraus, dass der Tatbeitrag des betreffenden Mittäters sich als
vollendetes Delikt darstellt. Es wird nicht einmal verlangt, dass ein
Mittäter an der Tatausführung selbst beteiligt sei; vielmehr kann auch
eine Beteiligung an der Tatplanung für die Mittäterschaft genügen (BGE 98
IV 259 E. 5). Im übrigen lässt sich ein allfälliges erhöhtes Verschulden
eines Mittäters, der andere zu einem gemeinsamen Delikt anstiftet, im
Rahmen der Strafzumessung nach Art. 63 StGB hinreichend berücksichtigen
(PH. THORMANN/A. V. OVERBECK, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Bd. I,
N. 11 vor Art. 24 und BJM 1969, S. 30).

    Aus diesen Gründen muss die Beschwerde hinsichtlich der Bestrafung
wegen Anstiftung zum Nötigungsversuch gutgeheissen werden. Der Fall
ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie in diesem Punkt den
Beschwerdeführer freispreche und sich erneut zum Strafmass äussere. Dabei
steht es ihr frei, die Einwirkung des Beschwerdeführers auf Z., die
im angefochtenen Urteil gesondert als Anstiftung erfasst worden ist,
nunmehr bei der Strafzumessung für die Nötigung als zusätzliche Belastung
zu berücksichtigen. Die teilweise Gutheissung der Beschwerde muss somit
nicht auch zu einer Minderung der Strafe führen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil
des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 4. Februar 1975 aufgehoben und
die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.