Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 402



101 IV 402

93. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Oktober 1975 i.S.
Lenzlinger und Kons. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    1. Art. 182 Ziff. 1 StGB, Freiheitsberaubung, Rechtsirrtum.
Rechtswidrige Festnahme eines mutmasslichen Täters durch Privatpersonen
(Erw. 1b).

    2. Art. 144 StGB. Hehlerei an gestohlenen Blankopässen. Vorsatz des
Hehlers (Erw. 2).

    3. Art. 179 Abs. 1 StGB, Verletzung des Briefgeheimnisses.
Strafantragsberechtigt ist der Adressat des Briefes, nicht der Dritte,
an den der Inhalt der Sendung weiterzuleiten war (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- In den Jahren nach 1970 leitete Lenzlinger eine Organisation
zur Fluchthilfe für Personen, die sich aus den Oststaaten, namentlich
aus der Deutschen Demokratischen Republik, in den Westen absetzen
wollten. Catterini, der mit Lenzlinger verfeindet war, versuchte dessen
Tätigkeit zu hintertreiben und übermittelte dem Staatssicherheitsdienst
der DDR in Ostberlin Informationen über das Fluchthilfeunternehmen. Als
Lenzlinger davon erfuhr, ging er seinerseits gegen Catterini vor
und erstattete der Polizei verschiedentlich Meldungen über dessen
Nachrichtentätigkeit. Schliesslich wurde auch gegen Lenzlinger und seine
Mitarbeiter ein Strafverfahren eröffnet.

    a) Am Nachmittag des 9. April 1973 lockten Lenzlinger, Brunner,
Schläpfer und Bugmann den nach ihrer Meinung für Catterini tätigen
Ostagenten Fahrni in das Parkhaus des Hotels Zürich, fesselten ihn
mit Handschellen und verbrachten ihn in die Büroräume Lenzlingers in
Zürich. Dort hielten sie Fahrni bis gegen 20 Uhr fest, um Geständnisse
über seinen Nachrichtendienst zu erhalten. Am gleichen Abend führten
sie ihn gefesselt im Auto nach Bern, wo sie ihn auf eine Mistkarette
festbanden und mit einem an den Bundesanwalt gerichteten Lieferschein
vor dem Bundeshaus abstellten.

    b) Im Frühjahr 1972 übernahm Lenzlinger von einem Deutschen,
namens Zenker, einen Koffer, enthaltend 70-80 Westdeutsche Blankopässe,
zur Verwahrung in Zürich, um zu verhindern, dass die Pässe bei den
verschiedenen Grenzübertritten Zenkers entdeckt und beschlagnahmt würden.

    c) Anfang April 1973 nahm Lenzlinger in seinem Büro in Zürich einen
verschlossenen, an Frau Catterini adressierten Brief entgegen, den ihm
Bugmann überbracht hatte. Er öffnete ihn ohne Wissen der Adressatin,
erstellte eine Fotokopie des Inhalts und übergab den Brief später der
Polizei.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, verurteilte
am 7. Februar 1975 Lenzlinger wegen Freiheitsberaubung, Hehlerei und
Verletzung des Briefgeheimnisses zu 3 Monaten Gefängnis und Fr. 200.--
Busse, Brunner und Schläpfer wegen Freiheitsberaubung zu 10 bzw. 8
Tagen Gefängnis sowie Bugmann wegen Betruges, Freiheitsberaubung und
Sachbeschädigung zu 30 Tagen Gefängnis und Fr. 100.-- Busse. Im Falle
Lenzlinger verweigerte es den bedingten Strafaufschub.

    C.- Die vier Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache teils zur
Freisprechung, teils zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Falle der Freiheitsberaubung (Art. 182 Ziff. 1 StGB) machen
die Beschwerdeführer geltend, das Obergericht habe die Begriffe des Tat-
und Rechtsirrtums sowie des Notstandes verkannt und die Art. 19, 20 und
34 StGB zu Unrecht nicht angewendet.
   a) ...

    b) Was den behaupteten Rechtsirrtum nach Art. 20 StGB anbelangt, stellt
die Vorinstanz nirgends fest, dass die Beschwerdeführer tatsächlich
im Glauben gehandelt hätten, sie seien zur Tat berechtigt. Davon
abgesehen, lagen nach dem verbindlich festgestellten Sachverhalt auch
keinerlei zureichende Gründe vor, die Freiheitsberaubung für erlaubt
zu halten. Insbesondere können sich die Beschwerdeführer auf keine
Vorschriften des kantonalen und eidgenössischen Rechts berufen, um die
Festnahme Fahrnis und den rund 8 Stunden dauernden Freiheitsentzug zu
rechtfertigen. Wie das Obergericht ausführt, erlaubt § 69 der zürcherischen
StPO Privatpersonen die Festnahme eines mutmasslichen Täters nur, wenn die
Ergreifung unmittelbar der Wahrnehmung dringender Verdachtsgründe folgt
und der Festgenommene sofort der Polizei übergeben wird. Ebenso verlangt
Art. 63 BStP, dass die festnehmende Privatperson Zeuge eines Verbrechens
oder Vergehens gewesen oder unmittelbar nach der Tat dazugekommen ist
und dass der ergriffene Täter sofort der Polizei übergeben werde. Im
vorliegenden Fall waren die Beschwerdeführer weder Zeuge einer im Gange
befindlichen oder unmittelbar zuvor verübten Straftat, noch bestand die
Notwendigkeit einer raschen Festnahme eines Tatverdächtigen. Ebenso wurde
eine unverzügliche Übergabe des Verhafteten an die Polizei unterlassen. Den
Beschwerdeführern ging es nach den tatsächlichen Feststellungen in
Wirklichkeit nicht in erster Linie um die Unterstützung der Polizei,
sondern vielmehr darum, Fahrni während Stunden selber zu verhören und
durch die Aktion in Bern öffentliches Aufsehen zu erregen.
   c) ...

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer Lenzlinger bestreitet zu Recht nicht,
dass Pässe, auch wenn sie noch keine amtlichen Eintragungen enthalten,
körperliche Gegenstände, also Sachen im Sinne des Art. 144 StGB sind.
Unbestreitbar ist auch, dass Blankopässe nicht wertlos sind, sondern
sogar einen erheblichen Vermögenswert erreichen können, hat doch der
Beschwerdeführer selbst schon westdeutsche Blankopässe zum Kaufpreis von
je Fr. 6'000.-- erworben.

    Dagegen wendet Lenzlinger vergeblich ein, es sei keine strafbare Vortat
nachgewiesen worden, durch die Vermögensrechte verletzt worden seien. Denn
es steht verbindlich fest, dass Zenker die dem Beschwerdeführer übergebenen
Pässe in westdeutschen Amtslokalen entwendet hatte. Sie sind somit durch
eine gegen das Vermögen der Bundesrepublik Deutschland gerichtete strafbare
Handlung erlangt worden, gleichgültig, ob die Vortat als Diebstahl,
Sachentziehung oder als anderes Vermögensdelikt im weiten Sinne gewürdigt
wird. Unerheblich ist ferner, ob der Vortäter verfolgt und bestraft wird
oder nicht, denn erforderlich ist nur, dass die Vortat die objektiven
Merkmale einer strafbaren Handlung erfüllt (BGE 81 IV 91, 90 IV 16).

    Lenzlinger hat die Pässe bei sich aufbewahrt, um zu verhindern,
dass die "heisse Ware" bei den Grenzübertritten Zenkers entdeckt und
beschlagnahmt werde. Er half somit, den durch die Vortat geschaffenen
rechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten, und beging Hehlerei durch
Verheimlichen im Sinne des Art. 144 StGB (BGE 90 IV 17 Erw. 2).

    Vorsätzlich handelt der Hehler nicht nur, wenn er um die strafbare
Herkunft der Sache weiss, sondern auch dann, wenn Verdachtsgründe die
Möglichkeit einer strafbaren Vortat nahelegen. Insbesondere ist nicht
nötig, dass er die konkrete Eigenart der strafbaren Handlung kennt
(STRATENWERTH, I S. 267). Nach den massgebenden Feststellungen der
Vorinstanzen war sich der Beschwerdeführer im klaren darüber, dass
Zenker durch irgendeine strafbare Handlung in den Besitz der Pässe
gelangt war. Der Vorsatz ist damit verbindlich festgestellt. Dass
Lenzlinger anfänglich den Angaben Zenkers glaubte, die Pässe stammten
aus einer Druckerei, in der sie doppelt hergestellt worden seien, ändert
nichts. Denn er hat die Verheimlichung auch noch fortgesetzt, als er zur
Überzeugung gelangte, die Darstellung Zenkers stimme nicht, und sich der
Möglichkeit einer strafbaren Handlung bewusst wurde.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob Art. 34 Ziff. 2 StGB anwendbar wäre,
wenn der Beschwerdeführer die Pässe zu Fluchtaktionen hätte verwenden
wollen. Eine solche Absicht lag ihm fern. Mangels einer bestimmten und
unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr hat daher das Obergericht
das Vorliegen einer Notstandssituation auch hier zu Recht abgelehnt.

Erwägung 3

    3.- Es steht fest, dass sich der Beschwerdeführer Lenzlinger der
Verletzung des Briefgeheimnisses im Sinne des Art. 179 Abs. 1 StGB schuldig
gemacht hat, indem er einen verschlossenen Brief, der an Elsa Catterini
adressiert war, ohne dazu berechtigt zu sein, geöffnet und vom Inhalt
der Sendung Kenntnis genommen hat.

    Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, dass die Briefempfängerin
nicht berechtigt gewesen sei, gegen ihn Strafantrag zu stellen, da sie
den Auftrag gehabt habe, den Brief an eine andere Person weiterzuleiten
und somit bloss als Deckadresse gedient habe. Darauf kommt es jedoch
nicht an. Durch den Verschluss einer Schrift oder Sendung bringt der
Absender zum Ausdruck, dass ihr Inhalt Unbefugten nicht zur Kenntnis
gelangen soll. Art. 179 Abs. 1 StGB schützt diesen Geheimbereich und
bedroht mit Strafe, wer eine nicht für ihn bestimmte verschlossene
Schrift oder Sendung öffnet. Welcher Person aber das Recht zum Öffnen des
Verschlusses zusteht, bestimmt der Absender, indem er den Empfänger der
Sendung namentlich bezeichnet. Träger des geschützten Rechtsgutes ist
daher der auf dem Verschluss angegebene Adressat. Demzufolge ist nach
ständiger Rechtsprechung auch der Adressat als unmittelbar Verletzter
allein berechtigt, gegen den Verletzer des Schriftgeheimnisses Strafantrag
zu stellen (BGE 90 IV 41, 92 IV 2). Eine Drittperson, der der Adressat
der Sendung eine Schrift oder Nachricht des Absenders zu vermitteln hat,
wird durch den Bruch des Schriftgeheimnisses nur unmittelbar betroffen
und besitzt somit kein Strafantragsrecht gegen den Täter.

    Auf Rechtsirrtum (Art. 20 StGB) kann sich der Beschwerdeführer nicht
berufen. Dass er wirklich angenommen habe, er sei zur Öffnung des Briefes
berechtigt, ist den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils
nicht zu entnehmen. Das Obergericht bezeichnet zudem die Behauptung des
Beschwerdeführers, er habe Anhaltspunkte gehabt, der Brief könnte mit
einer Spionageangelegenheit zusammenhängen, als blosse Ausrede.

Erwägung 4

    4.- (Betrugsfall)

Erwägung 5

    5.- (Strafzumessung)

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.