Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 396



101 IV 396

92. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1975 i.S. X.
und Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 125 Abs. 2 StGB; Verkehrssicherungspflicht für Skipisten.

    1. Der räumliche Bereich der Verkehrssicherungspflicht einer Bergbahn
für die ihrem Publikum zur Verfügung gestellten Skipisten kann ausser
der präparierten Verkehrsfläche auch unmittelbar anstossende Nebenflächen
umfassen (Erw. 2).

    2. Die Markierung einer gefährlichen Stelle mit an einer Schnur
angehängten Fähnchen ist eine zumutbare Sicherungsmassnahme (Erw. 3a).

    3. Das Befahren einer als harmloser Buckel erscheinenden, in
der natürlichen Fortsetzung der Piste liegenden, jedoch talwärts
steil abfallenden Kuppe durch einen geübten Skifahrer ist kein so
aussergewöhnliches Verhalten, dass damit nicht gerechnet werden müsste
(Erw. 3b).

Sachverhalt

    A.- 1.- Am Nachmittag des 1. März 1974 fuhr die geübte Skiläuferin
B. M. zusammen mit einer Freundin auf der Graubergpiste über Startgels
hinunter in Richtung Flims. Es herrschten zur fraglichen Zeit gute, wenn
auch nicht ideale Sichtverhältnisse. Kurz vor 15 Uhr näherten sich die
beiden Skifahrerinnen der Gondelbahnstation Startgels. Die Graubergpiste
wird dort bei leichtem Gefälle schmäler, führt über eine Brücke und
vereinigt sich noch vor dieser mit der Startgelspiste. Etwas oberhalb der
Brücke führt die Piste in einer Rechtsbiegung vor einer Kuppe durch, die
ihrerseits auf der der Piste abgewandten Talseite über mehrere Meter steil
gegen die darunter durchführende Startgelspiste abfällt. An jenem Tag war
der linke Rand der Graubergpiste wohl oberhalb der Kuppe mit den üblichen
an einer Schnur befestigten Fähnchen markiert. Bei der Kuppe selbst war
die Abschrankung jedoch auf mehrere Meter unterbrochen. Als B. M. sich
dieser Stelle näherte und feststellte, dass eine Skispur geradeaus
durch den Tiefschnee auf die Kuppe führte, liess sie sich verlocken,
diese ihrerseits zu überfahren. Sie sprang über die wie eine Schanze
wirkende Kuppe hinaus, kam nach einigen Metern zu Fall und stürzte -
sich mehrmals überschlagend - den Steilhang hinunter, bis sie in einer
Mulde liegen blieb. Beim Sturz zog sie sich eine schwere Luxationsfraktur
des ersten Lendenwirbels mit Verletzung des Rückenmarks zu, was u.a. zu
einer vollständigen und bleibenden Lähmung der Beine führte.

    2.- X. ist Vizedirektor und technischer Leiter der Bergbahnen Flims
AG, Y. ist Pistenchef. Nach seinem Pflichtenheft ist der erste für die
Instandhaltung der Skipisten und während der schneefreien Zeit für ihre
Vorbereitung verantwortlich; Einsatz und Unterhalt der Pistenfahrzeuge
sind seine Sache. Dem zweiten obliegt die volle Verantwortung für den
Unterhalt der gesamten Skipisten. Die Markierungen der Pisten hat er
in Zusammenarbeit mit dem technischen Leiter zu bestimmen und dann
auszuführen: "der gesamte Pistensicherungsdienst" ist ihm unterstellt.

    B.- Der Kreisgerichtsausschuss Trins sprach X. und Y. am 12. Februar
1975 von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung frei.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sprach der Kantonsgerichtsausschuss
von Graubünden am 16. Juni 1975 X. und Y. der fahrlässigen Körperverletzung
nach Art. 125 Abs. 2 StGB schuldig und büsste den ersten mit Fr. 300.--,
den zweiten mit Fr. 150.--.

    C.- X. und Y. führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Kantonsgerichtsausschusses sei aufzuheben und die Sache zur
Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft von Graubünden beantragt Abweisung der
Beschwerde. Das Kantonsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführer anerkennen die grundsätzliche Pflicht
der Bergbahnen Flims AG, die für die Sicherheit der Pistenbenützer
notwendigen Vorkehren zu treffen, sowie ihre eigene Garantenstellung,
für Unterlassungen in diesem Bereich einzustehen. Zur Entscheidung
gestellt ist jedoch die Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich ihrer
Verkehrssicherungspflicht, der ihnen zur Last gelegten Fahrlässigkeit und
dem rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen dieser und dem Unfall.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer machen geltend, die Auffassung der Vorinstanz,
wonach zu der zu sichernden Piste nicht nur der eigentliche präparierte
Teil, sondern auch ein gewisser Grenzbereich gehöre, sei verfehlt, soweit
damit gesagt werden Wolle, auch der jenseits der fraglichen Kuppe gelegene
Steilabfall gehöre noch zu diesem Bereich. Die Bestimmung des Pistenrandes
sei nicht immer so einfach wie bei Strassen. Nach Meinung des einschlägigen
Schrifttums werde der Pistenrand durch Absperrung, Befahrung oder die
natürlichen Gegebenheiten, insbesondere durch die Geländeverhältnisse
bestimmt, Im vorliegenden Fall sei für die verunglückte Skifahrerin aus den
Geländeverhältnissen klar erkennbar gewesen, dass die Graubergpiste zur
Brücke führe und links und rechts durch die angeschnittene Geländerippe
begrenzt werde. Die Kuppe links habe den Pistenrand gebildet und die
Skifahrerin auch optisch klar erkennbar in Richtung Brücke gewiesen. Der
Pistenrand sei hier somit durch die Geländeverhältnisse eindeutig gegeben
gewesen. Im übrigen gehöre zur ordnungsgemässen Pistensicherung nur
die Vorsorge, dass ein Skifahrer auf der Piste nicht durch versteckte
oder schlecht sichtbare Hindernisse oder Gefahren zu Schaden komme. Dazu
gehöre auch, dass ein Skifahrer, der bei korrekter Pistenbenützung stürze,
nicht in den Gefahrenbereich rutsche oder falle. Das sei jedoch hier
nicht möglich gewesen. Der Gefahrenbereich sei nur durch Überfahren des
eindeutig erkennbaren Pistenrandes zu erreichen gewesen. Die Vorinstanz
habe jenen zu Unrecht zu dem zu sichernden Grenzbereich gerechnet.

    a) Nach dem angefochtenen Urteil steht fest, dass im Zeitpunkt des
Unglücks die Kuppe nicht mehr als eigentliche Pistenbegrenzung erschienen
ist, sondern die Geländeverhältnisse durch Schneeverfrachtungen so
verändert worden waren, dass die Kuppe nur noch eine kleine Erhebung, einen
harmlosen Buckel darstellte, der ohne weiteres befahren und gewissermassen
als Teil der Piste angesehen werden konnte. Das sind tatsächliche
Annahmen, die den Kassationshof binden und mit der Nichtigkeitsbeschwerde
weder bestritten noch bemängelt werden können (Art. 273 Abs. 1 lit. b
und Art. 277bis Abs. 1 BStP). Die Behauptung der Beschwerdeführer,
die Piste sei durch die Kuppe links optisch klar abgegrenzt worden,
die Geländeverhältnisse hätten eine eindeutige Begrenzung der Piste
dargestellt, widerspricht jenen Feststellungen der Vorinstanz und ist
deshalb nicht zu hören.

    b) Wieweit der räumliche Bereich der Verkehrssicherungspflicht für
Skipisten geht, hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles
ab. Ohne zur kontroversen Frage endgültig Stellung nehmen zu müssen, wann
letztlich noch eine Skispur anzunehmen bzw. wie dieser Begriff in seinen
äussersten, rechtlich noch vertretbaren Grenzen zu umschreiben sei, kann
im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die von
einer Bergbahn ihrem Publikum für Skiabfahrten zur Verfügung gestellten
markierten, präparierten und kontrollierten Verkehrsflächen nach der
Meinung des Schrifttums Skipisten sind (DALLÈVES, La responsabilité civile
du skieur et des personnes chargées de l'entretien des pistes de ski,
JdT 1967 S. 331/2; DANNEGGER, Haftungsfragen im Recht des Skifahrens,
Festgabe Wilhelm Schönenberger, S. 232; HASLER, Strafrechtliche Haftung
für mangelhafte Sportanlagen, insbesondere Skipisten, Diss. Zürich
1971, S. 17; PADRUTT, Verkehrssicherungspflicht für Skipisten,
ZStrR 1971, S. 69 f.; PADRUTT, Sport und Recht, S. 110; WANNER, La
responsabilité civile à raison des pistes de ski, Diss. Lausanne 1970,
S. 21 ff.). Das will indessen nicht heissen, dass bei Pisten dieser Art
sich die Verkehrssicherungspflicht des verantwortlichen Unternehmens
strikte auf die präparierte Verkehrsfläche beschränkt. Vielmehr kann je
nach den Verhältnissen in jene Pflicht auch die Sicherung von unmittelbar
an die präparierte Bahn anstossenden Nebenflächen einbezogen sein, dies
beispielsweise dort, wo die Markierung des Pistenrandes unterbrochen
ist und die Piste auch nicht durch Sperren oder durch das Gelände
klar abgegrenzt wird. Es ist nämlich eine Erfahrungstatsache, dass
an solchen Stellen die ursprünglich präparierte Bahn durch häufiges
Befahren eine seitliche Veränderung erfahren kann. Wo nach den örtlichen
Gegebenheiten eine solche Möglichkeit naheliegt, da erstreckt sich die
Verkehrssicherungspflicht des verantwortlichen Unternehmens auch auf diese
unmittelbar angrenzenden Nebenflächen mit der Folge, dass dort bestehende,
für den Skifahrer nicht ohne weiteres erkennbare atypische Gefahren
kenntlich gemacht und wenn nötig durch Sperren und dergleichen entschärft
werden müssen (s. hiezu insbesondere PADRUTT, Verkehrssicherungspflicht,
S. 70; WANNER, op.cit. S. 24/25). Dass das Gesagte vor allem dort
gelten muss, wo eine solche Nebenfläche nach den Geländeverhältnissen
in der natürlichen Fortsetzung des ihr vorgelagerten Pistenteils liegt
und deshalb namentlich für sichere Skifahrer die Versuchung besteht,
die Fahrt statt in einem Bogen geradeaus fortzusetzen, liegt auf der Hand.

    c) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die
fragliche Kuppe als eine solche Stelle anzusehen. Nicht nur lag sie
im unmittelbaren Grenzbereich der ursprünglich präparierten Bahn,
sondern auch in ihrer natürlichen Fortsetzung, indem diese vor ihr eine
Rechtsbiegung beschrieb. Zum anderen hörte die Markierung mit an einer
Schnur aufgehängten Fähnchen einige Meter vor jener Stelle auf und war die
ursprünglich als natürliche Schranke wirkende Vertiefung zwischen der Kuppe
und der Piste durch Schneeverfrachtungen derart aufgefüllt worden, dass
die Kuppe nurmehr als eine kleine, leicht befahrbare Erhebung erschien. Da
sie jedoch talwärts steil abfiel, was der von oben kommende Skifahrer
nicht erkennen konnte und womit er nach dem äusseren Erscheinungsbild
der Kuppe als eines harmlosen Buckels auch nicht rechnen musste, wurde
sie von der Vorinstanz mit Recht zu jenem Grenzbereich der Piste gezählt,
für dessen Sicherung die Beschwerdeführer hätten sorgen müssen.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer versuchen unter Berufung auf die für Strassen
gültigen Grundsätze der Verkehrssicherung die Unzumutbarkeit weitergehender
Massnahmen als der von ihnen getroffenen darzutun und überdies den
rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Unterlassung und dem
Unfall zu bestreiten.

    a) Gegenüber einer vorbehaltlosen Übertragung der für Strassen
gültigen Überlegungen auf Skipisten wurde im Schrifttum (PICHLER,
Besteht eine Rechtspflicht zur Sicherung von Skipisten? in SJZ 1968,
S. 281 ff.) bereits überzeugend festgehalten, dass Bewegungsart und
Bewegungstechnik beim Skilauf und beim Motorfahrzeugverkehr voneinander
verschieden sind und deshalb von der fehlenden Notwendigkeit einer
bestimmten Sicherungsvorkehr im Strassenverkehr nicht auf die fehlende
Notwendigkeit einer Sicherungsvorkehr im Pistenskilauf geschlossen werden
dürfe (insbes. S. 284). Wenn deshalb die Beschwerdeführer einerseits
geltend machen, Strassenbau und Strassenunterhalt seien sehr kostspielig
und kleinste Änderungen erforderten, sofern sie durchgehend ausgeführt
würden, sehr hohe Aufwendungen, und anderseits daraus den Schluss ziehen,
dass eine durchgehende Einzäunung der Pisten links und rechts höchst
aufwendig und dem Sicherungspflichtigen nicht zumutbar sei, so gehen sie
an der Sache vorbei. Im vorliegenden Fall hätte es vollauf ausgereicht,
die ohnehin schon bis unmittelbar vor die Kuppe gezogene Schnur mit daran
angehängten Fähnchen einige Meter weiterzuziehen und damit die Piste in
einer für jeden Skifahrer erkennbaren Weise auch im Bereich der Kuppe
abzugrenzen. Das hätte ohne grossen finanziellen und arbeitsmässigen
Aufwand geschehen können und wäre zumutbar gewesen.

    b) Was aber den Hinweis auf die den Strassenbenützer wie den
Skifahrer treffende Pflicht zu vernünftiger und vorsichtiger Fahrweise
anbelangt, derzufolge der eine wie der andere diese seinem Können
sowie den Witterungs- und Geländeverhältnissen anzupassen hat, so
ist schlechterdings nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführer
hieraus etwas zur Stütze ihrer Behauptung ableiten könnten, wonach es
am rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Unterlassung
und dem Unfall fehle. B. M. ist nicht in einer ihrem Können und den
konkreten Verhältnissen völlig unangepassten Art gefahren, wenn man den im
angefochtenen Urteil verbindlich festgestellten Sachverhalt zugrundelegt.
Dass sie über die als harmloser Buckel erscheinende, in der natürlichen
Fortsetzung der Piste liegende Kuppe fuhr, war entgegen der in der
Beschwerde erneut unzulässigerweise vorgetragenen Behauptung, dass der
Pistenrand im Bereich der Kuppe klar erkennbar gewesen sei, keineswegs
so unvernünftig, dass gesagt werden könnte, es habe mit einem solchen
Verhalten eines Skifahrers unter den gegebenen Umständen schlechterdings
nicht gerechnet werden müssen. Durch die Unterbrechung der Markierung
an der kritischen Stelle haben die Beschwerdeführer vielmehr selber beim
unvoreingenommenen Skifahrer den irreführenden Eindruck der Gefahrlosigkeit
erweckt und jenen damit erst recht zum Befahren der Kuppe verführt. Hätten
sie die Markierung einige Meter weitergezogen und damit den Pistenrand
auch im Bereich der talseits gefährlichen Kuppe klar abgesteckt, hätte
sich nach der allgemeinen Erfahrung des Lebens der Unfall nicht ereignet.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.