Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 33



101 IV 33

10. Urteil des Kassationshofes vom 3. Februar 1975 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen Weiss. Regeste

    Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1, 94 Ziff. 2 SVG, Art. 137, 140 StGB.

    Abgrenzung von Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch und
Verwendung eines anvertrauten Motorfahrzeugs zu Fahrten bzw. von Diebstahl
und Veruntreuung, insbesondere bei Mitgewahrsam von Täter und Geschädigtem.

Sachverhalt

    A.- Ernst Weiss wurde 1972 der Lernfahrausweis auf unbestimmte Dauer
entzogen.

    1973 verkaufte er seinen Personenwagen dem mit ihm lebenden Sohn Peter.

    Dieser wurde im selben Jahr für unbestimmte Zeit in der psychiatrischen
Klinik Hasenbühl interniert. Bei der Einlieferung übergaben die Ärzte der
Notfallstation Ernst Weiss den Autoschlüssel. Nach einem zweiwöchigen
Aufenthalt zu Hause wurde Peter Weiss erneut hospitalisiert. Vor
dem zweiten Eintritt in die Klinik warf er den Wagenschlüssel in den
Briefkasten.

    Bei der ersten Hospitalisierung des Peter Weiss stand der Wagen in
Binningen auf einem Parkplatz. Ernst Weiss steuerte ihn nach Hause. In
der Folge benützte er ihn am 8. Dezember 1973, am 29. und 30. Januar 1974
und möglicherweise ein weiteres Mal vor dem 8. Dezember 1973.

    B.- Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte Ernst Weiss
der wiederholten Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch (Art. 94
Ziff. 1 Abs. 1 SVG) und des wiederholten Autofahrens trotz Entzuges des
Lernfahrausweises (Art. 95 Ziff. 2 SVG) schuldig und verurteilte ihn zu
einem Monat Gefängnis und Fr. 50.-- Busse.

    Auf Appellation Weiss sprach das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft ihn am 29. Oktober 1974 frei vom Vorwurf der wiederholten
Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch und auferlegte ihm wegen
wiederholten Autofahrens trotz Entzugs des Lernfahrausweises eine
Haftstrafe von 14 Tagen und eine Busse von Fr. 50.--.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz zur Verurteilung Weiss' wegen wiederholter Entwendung eines
Motorfahrzeugs zum Gebrauch.

    Weiss beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, dass Weiss den
Tatbestand der Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch gemäss Art. 94
Ziff. 1 Abs. 1 SVG nicht erfüllt habe, hingegen jenen der Verwendung
eines anvertrauten Motorfahrzeugs zu Fahrten (Art. 94 Ziff. 2 SVG), wofür
er aber mangels Strafantrags nicht bestraft werden könne. Wegen seiner
Hospitalisierung von längerer Dauer habe der Sohn Weiss, als ihm bei der
ersten Einlieferung die Ärzte den Autoschlüssel abnahmen und als er ihn
beim zweiten Klinikeintritt in den Briefkasten warf, die Verfügungsgewalt,
die tatsächliche Sachherrschaft über sein Auto verloren und damit an ihm
nicht mehr Gewahrsam gehabt. Der Angeklagte habe deshalb mit seinen Fahrten
nicht einen Gewahrsamsbruch begangen, welcher Tatbestandserfordernis
des Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG sei. Die Übergabe des Schlüssels an
den Angeklagten habe den Wagen zu einer anvertrauten Sache gemacht,
eine Erlaubnis für Fahrten aber nicht eingeschlossen, sondern nur eine
Aufbewahrungspflicht begründet. Da der Angeklagte das Fahrzeug trotzdem
benützte, habe er seine Treuepflicht und damit Art. 94 Ziff. 2 SVG
verletzt, welche Bestimmung aber mangels Strafantrags nicht anwendbar sei.

    b) Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft bestreitet, dass der
Sohn des Angeklagten durch die Hospitalisierung und die Übergabe des
Schlüssels den Gewahrsam am Wagen verloren habe. Anderseits schlössen die
tatsächlichen Verhältnisse die Annahme aus, der Wagen sei dem Angeklagten
anvertraut worden.

Erwägung 2

    2.- a) Für die Unterscheidung von Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 und 94
Ziff. 2 SVG gilt das Kriterium für die Abgrenzung zwischen Diebstahl (Art.
137 StGB) und Veruntreuung (Art. 140 StGB). Der Begriff der Entwendung
in Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG entspricht demjenigen der Wegnahme in
Art. 137 StGB, was deutlich der französische Text zeigt, der beide Male
denselben Ausdruck verwendet (soustraction). Ebenso sprechen Art. 94
Ziff. 2 SVG und Art. 140 StGB übereinstimmend von Anvertrauen.

    Entwendung (Wegnahme) setzt Bruch fremden und Begründung eigenen
Gewahrsams voraus (SCHULTZ, Strafbestimmungen des SVG S. 239; STRATENWERTH,
Bes. Teil I S. 179), wobei zum Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft
über die Sache gehört, verbunden mit dem Willen, sie auszuüben (BGE 71
IV 91, 185).

    Bei Mitgewahrsam von Täter und Geschädigtem ist nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 98 IV 22, 92 IV 90) dort, wo
der Eigentümer der Sache bzw. der Halter des Fahrzeugs übergeordneten
Gewahrsam hat (SCHULTZ, ZBJV 1973 S. 416), Diebstahl bzw. Entwendung zum
Gebrauch gemäss Art. 94 Ziff. 1 Abs. 1 SVG anzunehmen, bei gleichgeordnetem
Gewahrsam, wo das Vertrauenselement im Vordergrund steht, dagegen
Veruntreuung bzw. Verwendung eines anvertrauten Fahrzeugs im Sinne von
Art. 94 Ziff. 2 SVG.

    b) Der Angeklagte hat den Gewahrsam seines Sohnes an dem Wagen nicht
gebrochen. Er hat Gewahrsam dadurch erlangt, dass ihm der Schlüssel
übergeben bzw. in den Briefkasten gelegt wurde. Somit hat er keine
Entwendungshandlung begangen. Vergeblich versucht die Staatsanwaltschaft
zu unterscheiden zwischen dem Gewahrsam am Schlüssel und dem Gewahrsam
am Wagen. Die tatsächliche Herrschaft über den Schlüssel bringt die
Herrschaft über den Wagen mit sich. Wieso es hier anders sein sollte,
ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil folgert das Obergericht aus dem
Umstand, dass dem Angeklagten der Schlüssel zur Aufbewahrung übergeben
wurde, zu Recht, dass ihm damit die Pflicht zur Aufbewahrung des Wagens
selber überbunden wurde, umso mehr, als nach Art. 332 Abs. 3 ZGB das
Familienhaupt von Gesetzes wegen zu sorgfältiger Verwahrung der sich in
seiner Verfügungsgewalt befindlichen Sachen eines Hausgenossen verpflichtet
ist. Ob der Angeklagte zusammen mit seinem Sohn Mitgewahrsam gehabt hat,
kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls wäre der Mitgewahrsam nach den
Umständen ein gleichgeordneter gewesen und die Vertrauenskomponente
überwiegend in Erscheinung getreten. In Betracht wäre daher in jedem
Fall nur Art. 94 Ziff. 2 SVG gekommen, der mangels Strafantrags nicht
anzuwenden ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.