Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 324



101 IV 324

76. Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1975 i.S. Frau X. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 42 Abs. 1 SVG, Art. 34 Abs. 2 VRV.

    Die Bestimmungen dienen u.a. der Lufthygiene und der allgemeinen
Lärmbekämpfung. Nicht erforderlich ist, dass sich Personen in der Nähe
des Motorfahrzeugs aufhalten.

    Das Laufenlassen des Motors eines stillstehenden Personenwagens,
um diesen aufzuheizen, stellt eine vermeidbare Belästigung dar und ist
deshalb unzulässig.

Sachverhalt

    A.- Am 28. Dezember 1974, um 20.30 Uhr, befand sich Frau X.
zwecks Ausübung des Dirnengewerbes mit ihrem Personenwagen auf der
Allmend in Bern. Sie hatte ihr Fahrzeug bei der Festhalle in der Nähe der
dort üblicherweise parkierten Lastwagen abgestellt. Bei stillstehendem
Fahrzeug liess sie den Motor ca. 5 Minuten lang laufen in der Absicht,
das Wageninnere aufzuheizen.

    B.- Der Gerichtspräsident VIII von Bern verurteilte Frau X. am 26. März
1975 wegen Verletzung von Art. 42 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 34
Abs. 2 VRV zu einer Busse von Fr. 50.--.

    Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 1. Juli 1975 den
Schuldspruch, nahm aber von einer Bestrafung Umgang.

    C.- Frau X. führt eidg. Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt
Freisprechung.

    D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes und der
Feststellung, dass der Angeklagte eines bestimmten Deliktes schuldig
ist, wird ein für die Frage der Verurteilung und damit für den Ausgang
des Verfahrens bestimmender Vorentscheid getroffen, der nicht blosse
Urteilserwägung ist, sondern im Rahmen der Urteilsfindung selbständige
Bedeutung hat. Der Schuldspruch ist daher unerlässlicher und wesentlicher
Bestandteil des Strafurteils und nimmt als solcher auch an dessen
Rechtskraft teil. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist zulässig, wenn
der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert
wird und ein rechtliches Interesse an ihrer Aufhebung hat. Diese
Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Richter nach der Schuldigerklärung
von Strafe Umgang nimmt. Der Beschwerdeführer hat daher ein rechtlich
schützenswertes Interesse an der Aufhebung des Schuldspruches und ist
zur Nichtigkeitsbeschwerde zuzulassen, um geltend machen zu können,
dass er freizusprechen sei (BGE 96 IV 66 ff.).

    Auf die Beschwerde der Angeschuldigten, die die Vorinstanz der
Widerhandlung gegen Art. 42 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2
VRV schuldig erklärte, jedoch gestützt auf Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
von einer Strafe Umgang nahm, ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Art. 42 Abs. 1 SVG schreibt den Fahrzeugführern vor, jede
vermeidbare Belästigung von Strassenbenützern und Anwohnern, namentlich
durch Lärm und Geruch, zu unterlassen. Untersagt ist vor allem u.a. gemäss
Art. 34 Abs. 2 VRV das Laufenlassen des Motors im Stillstand.

    Zu Unrecht will die Beschwerdeführerin aus dem Hinweis auf
"Strassenbenützer und Anwohner" schliessen, das fragliche Gebot bzw. Verbot
gelte nicht für einen offenen Platz wie die Berner Allmend, die nicht
dem Verkehr, sondern der Aufstellung von Fahrzeugen diene. Die genannten
Bestimmungen sehen keine derartige Ausnahme vor. Eine solche liesse sich
auch nicht mit dem Zweck dieser Normen vereinbaren. Daran ändert nichts,
dass die Allmend ausserhalb der Wohnzone liegt und sich Abgase infolge
des offenen Geländes allenfalls rasch verflüchtigen können. Dass die
Beschwerdeführerin mit ihrem Wagen keinen übermässigen Lärm verursacht
hat, ist nicht entscheidend. Die Vorschriften der Art. 42 Abs. 1 SVG und
Art. 34 Abs. 2 VRV gelten schlechthin der Vermeidung von Lärm und den
Abgasen, die ein stillstehendes Fahrzeug mit laufendem Motor verursacht,
auch wenn sie nicht übermässig sind. Insbesondere dient Art. 34 Abs. 2
VRV der Lufthygiene. Das ist daraus ersichtlich, dass nach dieser
Bestimmung ein laufender Motor auch bei kürzeren Halten abzustellen
ist, also sowohl bei verkehrsbedingten Halten als auch beim Warten vor
Verkehrsregelungsanlagen, Bahnübergängen und dgl., ohne Rücksicht darauf,
ob sich der Fahrzeugführer in einem Wohngebiet oder einem nicht überbauten
Gelände befindet. (vgl. SCHLEGEL/GIGER, 1974 S. 134.) Mit der Vorschrift
will vermieden werden, dass der Lufthaushalt und damit die Lufthygiene
durch Abgase beeinträchtigt werden. Ein unnötig laufender Motor belastet
die Umwelt auch im weiteren Sinne und ist deshalb als Belästigung zu
bezeichnen. Unter diesen Umständen ist der vorinstanzliche Schuldspruch
nicht zu beanstanden.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.