Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 279



101 IV 279

64. Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1975 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Luzern gegen M. Regeste

    Art. 112 StGB, Mord.

    Besonders verwerfliche Gesinnung, bekundet durch:

    - egoistisches Tatmotiv (Aus dem Weg Räumen einer Geschwängerten),

    - heimtückische und kaltblütige Tatausführung (In einen
wohlvorbereiteten Hinterhalt Locken des vertrauensvollen Opfers, das zum
Täter in einer Liebesbeziehung gestanden hatte).

Sachverhalt

    A.- Margrith Z. erklärte M. im April 1973, er habe sie
geschwängert. M. bestritt dies, weil er beim einzigen Mal, als sie - in
seinem Wagen - geschlechtlich verkehrt hätten, keinen Samenerguss gehabt
habe. Nach M.s Darstellung beharrte Margrith Z. auf ihrer Behauptung
und setzte ihm Frist bis 21. Mai 1973, um eine Abtreibungsmöglichkeit zu
finden; andernfalls würde sie seine Verlobte benachrichtigen.

    M. verabredete sich mit Margrith Z. auf den 19. Mai 1973 vor dem
Kunsthaus in Luzern und erklärte ihr, die Abtreibung würde nachts in
einem Ambulanzwagen vorgenommen werden. Am 19. Mai besuchte M. in Luzern
einen Fussballmatch. In der Pause um 21 Uhr verliess er das Stadion und
fuhr zum Kunsthaus, wo Margrith Z. in den Wagen stieg. Er erklärte ihr,
er müsse etwas abseits fahren, "die Leute kämen im Auto" und er habe"
einen günstigen Platz vereinbart". Darauf fuhr er zum Lochmühle-Weiher
ob Ettisbühl, den er von der Jagd her kannte. Auf dem Platz vor dem
Weiher stiegen beide aus. M. zog den Mantel aus, nahm einen Revolver aus
der Manteltasche und steckte ihn in den Hosenbund. In einem Augenblick,
als Margrith Z. ruhig dastand und von ihm wegblickte, gab er aus etwa 50
cm Entfernung einen Schuss auf ihren Hinterkopf ab. Darauf warf er den
Revolver in den Wagen und nahm das vom elterlichen Bauernhof mitgebrachte
Material aus dem Kofferraum. Er stülpte zwei Plastiksäcke über den Kopf
des Opfers, band der Leiche ein Stahlseil um die Knie, zog es durch eine
Zementröhre und wickelte das lose Ende um den Kopf. Dann versenkte er die
Leiche im Weiher. Er entledigte sich noch verschiedener Habseligkeiten der
Toten und fuhr gegen 22.30 Uhr nach Wolhusen zu seiner Verlobten. Dort
blieb er bis zum frühen Morgen und kehrte dann nach Hause zurück. Am
22. Mai 1973 wurde im entleerten Weiher die Leiche des Opfers entdeckt. Die
Obduktion ergab eine tödliche Kopfschussverletzung und u.a. Frakturen
beider Schläfenbeinschuppen sowie eine Schwangerschaft im dritten bis
vierten Monat. Am 23. Mai wurde M. verhaftet.

    B.- Das Obergericht des Kantons Luzern sprach M. am 10. April 1975 der
vorsätzlichen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu 18 Jahren Zuchthaus.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes
sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung M.s wegen Mordes an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    M. beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mord liegt vor, wenn der Täter unter Umständen oder mit einer
Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder seine
Gefährlichkeit offenbaren (Art. 112 StGB). Zu den für die Beurteilung der
Verwerflichkeit oder Gefährlichkeit erheblichen Umständen zählen nach der
Rechtsprechung nicht bloss die Tatumstände im eigentlichen Sinne, sondern
ebensosehr Gegebenheiten und Verhaltensweisen vor und nach der Tat, soweit
sie über die Persönlichkeit des Täters, dessen Einstellung sowie über die
psychischen Vorgänge in ihm zur Zeit der Tat Aufschluss geben können (BGE
87 IV 113). In Betracht fallen danach neben äussern Umständen wie der Wahl
eines besonders verwerflichen Mittels (z.B. Gift, Feuer) oder der Art der
Ausführung (z.B. Grausamkeit, Heimtücke) auch die Beweggründe des Täters
(z.B. Mordlust, Rache, Egoismus), seine persönlichen Beziehungen zum Opfer
(z.B. Blutbande, Liebesverhältnis) und seine nachträgliche Einstellung
zur Tat (z.B. mangelnde Reue) (BGE 77 IV 63, 80 IV 240, 82 IV 8, 87 IV
114, 95 IV 165, nicht veröffentlichte Urteile i.S. H. vom 5. April 1963,
B. vom 7. Mai 1958, D. vom 27. April 1970).

Erwägung 2

    2.- Die Staatsanwaltschaft stellt sich auf den Standpunkt, M.  habe
Margrith Z. heimtückisch umgebracht. Das Obergericht ist demgegenüber
der Meinung, das Vorgehen des Beschwerdegegners grenze bloss an
Heimtücke. Indessen anerkennt es an anderer Stelle seines Urteils,
dass das letzte "Rendez-vous" zwischen Täter und Opfer zum Zweck der
angeblichen Abtreibung vereinbart worden war und dass Margrith Z., als
sie ins Auto M.s stieg, arglos und ahnungslos gewesen sei. Diese Arg- und
Ahnungslosigkeit aber hat der Beschwerdegegner bewusst ausgenützt, um das
Mädchen in einen Hinterhalt zu locken in der Absicht, es zu töten. Darin
liegt unzweifelhaft Heimtücke. Nachdem nämlich M. der Margrith Z. auf
ihr Drängen hin schon am 16. Mai 1973 am Telefon zugesagt hatte, dass er
für die Möglichkeit einer Abtreibung sorgen werde, und er ihr überdies
am 18. Mai mitgeteilt hatte, dass der Eingriff in der Nacht vom 19.
Mai in einem Ambulanzwagen vorgenommen werden würde, weshalb sie am
betreffenden Abend vor dem Kunsthaus in Luzern auf ihn warten solle,
nachdem er schliesslich auf ihre Frage im Wagen erklärte, er müsse
etwas abseits fahren, weil "die Leute im Auto" kämen und er mit ihnen
einen günstigen Platz vereinbart habe, hatte sie nicht den geringsten
Anlass zur Annahme, er könnte sie an dem abgelegenen Ort töten. Nichts
in seinem Gehaben verriet den zuvor gefassten Entschluss und die zu
dessen Verwirklichung getroffenen Vorbereitungen. Vielmehr war sie
umso eher bereit, seine Angaben für wahr zu halten, als sie sich wegen
der unerwünschten Schwangerschaft in Bedrängnis befand. Dass zwischen
dem Beschwerdegegner und dem Mädchen, wie die Vorinstanz feststellt,
in diesem Zeitpunkt kein enges Vertrauensverhältnis bestand, steht
dem Gesagten nicht entgegen, hat doch die Rechtsprechung bis anhin
die heimtückische Ausführung der Tat als Indiz für eine besonders
verwerfliche Gesinnung oder Gefährlichkeit stets selbständig neben der
persönlichen Beziehung des Täters zum Opfer berücksichtigt. Im übrigen
aber wäre hier nicht zu übersehen, dass nach den eigenen Aussagen des
Beschwerdegegners er und Margrith Z. seit ungefähr zwei Monaten häufig
miteinander in Verbindung standen, dass sie sich sympathisch waren, und
dass das Mädchen, wie er glaubte, in ihn verliebt war. Mögen sich ihre
Beziehungen wegen der Schwangerschaft und den Drohungen des Mädchens auch
abgekühlt haben, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihre Bekanntschaft
in diesem Zeitpunkt zu einer eigentlichen Schicksalsgemeinschaft geworden
war. Daraus versteht sich denn auch, warum Margrith Z. auf die Angaben
M.s ohne weiteres vertraut hat und ihm arglos an den Tatort gefolgt
ist. Das hat offenbar auch die Vorinstanz empfunden; einerseits spricht
sie selbst von der vertrauensvollen Erwartung des Mädchens und anderseits
stellt sie fest, es habe eine ganz besonders geartete, eigentümliche
Täter-Opfer-Beziehung bestanden. Diese Beziehungssituation aber genügte
vollauf, um jedenfalls im Hinblick auf die gewünschte Abtreibung beim
Mädchen jene ahnungslose Bereitschaft zu bewirken, den Angaben des Täters
vorbehaltlos zu glauben. Dieses Vertrauen aber hat M. schamlos ausgenützt.

Erwägung 3

    3.- Ist demnach Heimtücke im Vorgehen des Beschwerdegegners zu bejahen,
so fällt anderseits aber auch die Kaltblütigkeit des Beschwerdegegners
vor und nach der Tat auf. Nachdem er den Entschluss gefasst hatte,
Margrith Z. umzubringen, war er nach seinen eigenen Angaben wie erlöst
und ruhig. Er traf die nötigen Vorbereitungen, indem er eine Zementröhre,
ein Drahtseil und Plastiksäcke in den Kofferraum seines Wagens legte und
aus dem Schlafzimmer seiner Eltern einen Revolver holte. Gegen Abend fuhr
er dann an einen Fussballmatch und verliess diesen in der Pause, um sich
mit Margrith Z. zu treffen und die Tat zu verüben. Nach dieser begab er
sich abmachungsgemäss zu seiner Braut, bei welcher er einen Teil der Nacht
verbrachte und ihr vom Fussballmatch erzählte. Tags darauf beteiligte er
sich an einem Wettschiessen, wobei er einen Kranz schoss. Auch arbeitete er
in den folgenden Tagen normal und fiel niemandem auf. Diese Kaltblütigkeit
ist, auch wenn die Vorinstanz darin nicht eine ausgesprochene Gemüts-
und Gefühlsarmut erblickt, doch nicht unwesentlich für die Beurteilung
der Täterpersönlichkeit.

Erwägung 4

    4.- Sodann ist auch das Tatmotiv aus der egozentrischen Einstellung M.s
heraus zu erklären, indem der Beschwerdegegner, um sich Unannehmlichkeiten
zu ersparen, einfach einen Menschen, zu dem er noch kurze Zeit zuvor
Liebesbeziehungen unterhalten hatte, mit der Schusswaffe aus dem Weg
räumte, ohne auch nur, was die Vorinstanz selber anerkennt, zuvor nach
einer anderen Lösung gesucht zu haben. Dass nach dem angefochtenen
Urteil darin kein primitiver Egoismus liegt, hilft nicht. Das Töten
eines Menschen aus Egoismus schlechthin ist Indiz für eine besonders
verwerfliche Gesinnung.

Erwägung 5

    5.- Vergleicht man im übrigen diese Feststellungen mit der vom
psychiatrischen Gutachter umschriebenen und wörtlich ins angefochtene
Urteil übernommenen Würdigung des Beschwerdegegners als eines unreifen,
geltungsbedürftigen, oberflächlich-flüchtigen und etwas gemütsarmen Wesens,
so erscheint die Tat auch keineswegs als persönlichkeitsfremd. Indem die
Vorinstanz jene Charakterisierung M.s durch den Gutachter einerseits
ausdrücklich zur Grundlage ihres Urteils macht, anderseits dann aber
annimmt, in Würdigung des Charakterbildes und der Persönlichkeit des Täters
stelle das Tötungsdelikt ein einmaliges schweres Versagen dar, verstrickt
sie sich in einen Widerspruch. Ihrer Auffassung, die genannten Umstände
liessen nicht auf Mord schliessen, kann daher nicht gefolgt werden. Selbst
BINDER (Der juristische und der psychiatrische Massstab bei der Beurteilung
der Tötungsdelikte, ZStR 1952, S. 322), auf dessen juristisch-ethische
Wertung des Mordes die Vorinstanz abstellt, erwähnt unter den Taten, die
er als Morde betrachtet, den Eliminationsmord, durch den eine als lästig
empfundene Person, z.B. ein geschwängertes Mädchen oder der Mitwisser
eines Verbrechens, beseitigt wird. Eine solche Tat liegt hier aber vor.

    Daran ändert auch der vom Obergericht festgestellte Umstand nichts,
dass der Beschwerdegegner während mindestens 12 Stunden, vielleicht
auch schon ein bis zwei Tage vor der Tat sich in einem erheblichen
sog. protrahierten Affektzustand befand, bei welchem der Mechanismus der
Affekthandlung verzögert abgelaufen ist. Affekt steht der Annahme von
Mord nicht entgegen (BGE 98 IV 153).

    Aus der Tatsache sodann, dass M. sich sonst recht aufgeführt und
den Anforderungen seiner Mitwelt hinreichend angepasst hat, könnte nur
etwas geschlossen werden, wenn nachgewiesen wäre, dass er sich schon bei
anderer Gelegenheit ebenso erheblichen Schwierigkeiten gegenüber gesehen
hätte wie in seinen Beziehungen zu Margrith Z. und dass er sie damals in
rechtmässiger Weise überwunden hätte. Dafür liegt jedoch nichts vor.

    Die Feststellung der Vorinstanz schliesslich, dass dem Bericht
des Anstaltslehrers zu entnehmen sei, M. zeige immer wieder, dass er
die Tat bereue, bindet zwar den Kassationshof. Das will indessen nicht
heissen, dass diese Annahme jene für eine besonders verwerfliche Gesinnung
sprechenden Umstände in solchem Masse zu entkräften vermöchte, dass von
Mord nicht gesprochen werden könnte. Vielmehr sind die verschiedenen
Momente in einer Gesamtwürdigung des Täters gegeneinander abzuwägen. Bei
solcher Betrachtung aber überwiegt die festgestellte Reue nicht, zumal
M. jedenfalls während der Strafuntersuchung keine ernsthaften Reuegefühle
gezeigt hatte, stellt doch der Gutachter ausdrücklich fest, im grossen
und ganzen erscheine die Reue nicht von sehr grosser Intensität und in
den Gesprächen hätten mehrmals fortdauernde Hassgefühle gegen die Tote
durchgeschimmert. Dieser Eindruck wird auch durch einen von M. an H. aus
der Haft geschriebenen Brief bestätigt, in welchem der Beschwerdegegner
sein Opfer in wenig gutem Licht darstellte.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen
Mordes an die Vorinstanz zurückgewiesen.