Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 247



101 IV 247

55. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Juli 1975
i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern Regeste

    1. Art. 269 BStP. Die Vereinigung von Nichtigkeitsbeschwerde und
staatsrechtlicher Beschwerde in einer gemeinsamen Eingabe ist nur zulässig,
wenn die beiden Rechtsmittel auseinandergehalten und getrennt behandelt
werden (Erw. 1).

    2. Art. 397 StGB. Die Wiederaufnahme kann auf ein neues Gutachten
gestützt werden, wenn es geeignet ist, eine neue Tatsache zu beweisen
(Erw. 2).

    3. Art. 13 StGB. Von einer weitern psychiatrischen Begutachtung darf
abgesehen werden, wenn voraussichtlich keine wesentlich neuen Tatsachen
mehr festgestellt werden können (Erw. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit der Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen (Art. 268 ff. BStP)
kann nur die Verletzung eidgenössischen Rechts gerügt werden, nicht
aber die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, deren Inhalt durch die
eidgenössische Gesetzgebung nicht näher umschrieben wird (BGE 81 IV 118,
91 I 34). So sind insbesondere Verstösse gegen Art. 4 BV, z.B. wegen
willkürlicher Beweiswürdigung, mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend
zu machen (Art. 269 Abs. 2 BStP).

    Nichtigkeits- und staatsrechtliche Beschwerde sind zwei selbständige
Rechtsmittel, die - sowohl was die Form der Einreichung als die
gerichtliche Behandlung betrifft - auch unterschiedlichen Verfahrensregeln
unterworfen sind. Grundsätzlich dürfen daher die beiden Beschwerden nicht
in ein und derselben Eingabe vereinigt werden, sondern ist jede getrennt
zu erheben und in einer besondern Eingabe zu begründen (BGE 63 II 38,
68 IV 10, 82 II 398, 82 IV 54, 85 I 196, 89 IV 27).

    Eine Ausnahme vom Erfordernis getrennter Eingaben wird nur dann
gemacht, wenn die verschiedenen Rechtsmittel in der Rechtsschrift
äusserlich klar auseinandergehalten werden (Entscheid der staatsrechtlichen
Abteilung vom 7. Dezember 1955 i.S. Commune de Neuchâtel c. Schneeberger,
Beschluss des Kassationshofes vom 24. Oktober 1957 und Urteil der
I. Zivilabteilung von 13. Februar 1958 i.S. Sprenger c. Büeler). Die
Verbindung von Nichtigkeits- und staatsrechtlicher Beschwerde in einer
gemeinsamen Eingabe ist somit nur zulässig, wenn die beiden Rechtsmittel
nicht vermengt werden, sondern für jede Beschwerde gesondert und
abschliessend dargelegt wird, was mit ihr vorgebracht werden will.

    Im vorliegenden Fall bezeichnet der Beschwerdeführer in der
Beschwerdeanmeldung und in der Beschwerdebegründung die Beschwerde
ausdrücklich als Nichtigkeitsbeschwerde, beruft sich jedoch in beiden
Eingaben sowohl auf die Verletzung von Strafbestimmungen (Art. 397,
11, 13 StGB) als auch auf die Verletzung von Art. 4 BV (willkürliche
Beweiswürdigung, Beeinträchtigung der Parteirechte usw.), ohne die
beiden Beschwerden auseinanderzuhalten und getrennt zu behandeln. Auf die
staatsrechtliche Beschwerde, die im Verhältnis zur Nichtigkeitsbeschwerde
subsidiären Charakter hat (BGE 89 IV 27), ist somit nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Neue Gutachten gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
nicht als neue Beweismittel im Sinne des Art. 397 StGB, wenn sie als
Revisionsgrund angerufen werden, um eine im früheren Verfahren geltend
gemachte, aber nicht als erwiesen angenommene Tatsache darzutun. Dagegen
kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auf ein neues Gutachten gestützt
werden, wenn es geeignet ist, eine neue Tatsache zu beweisen (BGE 78
IV 56, 76 IV 36). Wie das Obergericht anerkennt, hatten die Luzerner
Richter in den früheren Verfahren die Frage der Beeinträchtigung der
geistigen Gesundheit des Beschwerdeführers nicht zu beurteilen. Die im
Wiederaufnahmegesuch behauptete Tatsache, dass er seinerzeit im Zustand
verminderter Zurechnungsfähigkeit gehandelt habe, ist daher neu.

    Ob die neue Tatsache auch erheblich im Sinne des Art. 397 StGB
sei, hängt in erster Linie davon ab, ob die behauptete Verminderung der
Zurechnungsfähigkeit in einem Grad dargetan wird, dass es gerechtfertigt
erscheint, eine gegenüber dem früheren Urteil wesentlich mildere Strafe
auszufällen. Das Obergericht hat diese Frage verneint, indem es aufgrund
des Gutachters Dr. F. annimmt, die Beeinträchtigung der geistigen
Gesundheit sei so geringfügig gewesen, dass sie keinen Einfluss auf die
Fähigkeit des Beschwerdeführers hatte, das Unrecht seiner Taten einzusehen
und dementsprechend zu handeln. Das sind tatsächliche, auf Beweiswürdigung
beruhende Feststellungen, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht
angefochten werden können (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Hat aber die
Vorinstanz der neuen Tatsache die Erheblichkeit aus Gründen des Beweises,
nicht aus rechtlich unzutreffenden Überlegungen abgesprochen, liegt in
der Ablehnung des Revisionsgesuches weder eine Verletzung des Art. 397
noch eine solche von Art. 11 StGB.

    Auch Art. 13 StGB ist nicht verletzt. Der Beschwerdeführer wurde
bereits zweimal psychiatrisch begutachtet. Zwar bezogen sich die Gutachten
Dr. M. und Dr. F. unmittelbar auf die seit 1965 begangenen Delikte, während
die im Kanton Luzern beurteilen Straftaten früher verübt worden sind. Beide
Gutachter berücksichtigten jedoch die gesamte Lebensentwicklung des
Beschwerdeführers und befassten sich mit der Frage, von welchem Zeitpunkt
an die von ihnen festgestellten psychischen Besonderheiten aufgetreten
sind. Damit haben sie sich, wenn auch nicht übereinstimmend, zugleich zur
Frage geäussert, wie es mit der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers
zur Zeit der im Kanton Luzern begangenen Taten bestellt war. Auf Grund
der beiden Arztberichte durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass sie über
den Geisteszustand des Beschwerdeführers hinreichend unterrichtet sei und
dass von einer weitern Begutachtung keine wesentlich neuen Erkenntnisse
zu erwarten wären.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher abzuweisen.