Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 124



101 IV 124

33. Urteil des Kassationshofes vom 28. Mai 1975 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Stadt gegen Pfister Regeste

    Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 und 3 StGB; Verwahrung geistig Abnormer.

    1. Schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (Erw. 2).

    2. Notwendigkeit der Verwahrung; Bedeutung des Gutachtens (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 26. September 1973 begab sich Alfred Pfister, ein
Verwaltungsangestellter der Öffentlichen Krankenkasse Basel, in das Büro
seines Vorgesetzten Dr. Willi Siegrist, um mit ihm über die geplante
Versetzung in eine andere Abteilung zu sprechen. Als sich dieser weigerte,
die Versetzung rückgängig zu machen, entsicherte Pfister - entsprechend
seiner vorgefassten Absicht - einen bereits geladenen und gespannten
Revolver, den er in der linken Hosentasche trug, zog diesen heraus und
gab drei Schüsse auf den vor ihm stehenden Dr. Siegrist ab. In der Nacht
vom 7./8. Mai 1974 erlag der Angeschossene den erlittenen Verletzungen.

    B.- Mit Urteil vom 19. Juni 1974 sprach das Strafgericht Basel-Stadt
Pfister der vorsätzlichen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer
Zuchthausstrafe von acht Jahren, wobei der Vollzug der Strafe aufgeschoben
und eine Verwahrung gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB angeordnet wurde.

    Auf Appellation des Verurteilten hin bestätigte das Appellationsgericht
des Kantons Basel-Stadt am 29. Januar 1975 den erstinstanzlichen Entscheid
hinsichtlich Schuldspruch und Strafmass, hob hingegen die Verwahrung auf.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Vorinstanz anzuweisen, die Verwahrung gemäss Art. 43 Ziff. 1
Abs. 2 StGB auszusprechen und eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische
Behandlung während des Vollzuges anzuordnen.

    Der Beschwerdegegner beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Verwahrung gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB setzt voraus,
dass der Täter infolge seines Geisteszustandes die öffentliche Sicherheit
in schwerwiegender Weise gefährdet und diese Massnahme notwendig ist,
um ihn vor weiterer Gefährdung anderer abzuhalten. Seinen Entscheid
trifft der Richter dabei "auf Grund von Gutachten über den körperlichen
und geistigen Zustand des Täters und über die Verwahrungs-, Behandlungs-
oder Pflegebedürftigkeit" (Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3).

    Ob der Täter wegen seines Geisteszustandes die öffentliche
Sicherheit in schwerwiegender Weise gefährdet und ob er nur durch eine
Verwahrung von der Gefährdung anderer abgehalten werden kann, ist zum
Teil Tatfrage, welche der Richter mit Hilfe von Gutachten abzuklären
hat. Die diesbezüglichen Ausführungen der kantonalen Instanzen können
mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden (Art. 273 Abs. 1
lit. b und 277bis Abs. 1 BStP). Rechtsfrage ist hingegen, ob der vom
Experten und Sachrichter festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen
des Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erfüllt (BGE 101 IV 129).

Erwägung 2

    2.- Das Strafgericht hat - im Gegensatz zum Appellationsgericht,
das die Frage offen lässt, weil nach seiner Auffassung die übrigen
Voraussetzungen der Verwahrung nicht gegeben sind - angenommen, dass
bei Pfister aufgrund seines Geisteszustandes die vom Gesetz verlangte
Gefährlichkeit gegeben sei. Diese Ansicht stützt es auf die Ermittlungen
während des Strafverfahrens und die beiden von Prof. Battegay erstatteten
Gutachten vom 14. September und 4. Dezember 1973. Danach steht fest,
dass eine in der Jugend bei einem Unfall erlittene Verstümmelung
der rechten Hand und des rechten Armes beim Beschwerdegegner eine
abnorme seelische Entwicklung verursacht hat, die sich in wachsenden
Insuffizienzgefühlen mit kompensatorischem Geltungsstreben sowie in
zunehmender Sensitivität und einer Neigung zu paranoider Verarbeitung
des Verhaltens seiner Umgebung bemerkbar machte und dabei kurzschlüssige
Reaktionen begünstigte. Diese Entwicklung führte dazu, dass Pfister
während seiner Tätigkeit in der Öffentlichen Krankenkasse Basel mit
Mitarbeitern wie auch mit Vorgesetzten wegen an sich unwesentlicher
Probleme immer wieder Auseinandersetzungen hatte. Dabei reagierte er
gemessen am auslösenden Anlass oft unverhältnismässig heftig. So hat er
z.B. anlässlich eines Streites, als ihn sein Vorgesetzter Brun aufforderte,
nicht zu schreien, diesen ins Gesicht geschlagen. In dieselbe Richtung
weist das Verhalten des Beschwerdegegners im Zusammenhang mit der geplanten
Versetzung in eine andere Abteilung. Als man ihm nämlich erklärte, dass
er angesichts der früheren Vorfälle nicht mehr Herrn Brun unterstellt
bleiben könne, antwortete er: "Unter diesen Umständen kommt der komplette
Kurzschluss." Später stellte sich heraus, dass Pfister bereits während der
Besprechung vom 17. September 1973 eine geladene und gespannte, jedoch
gesicherte Waffe in der linken Hosentasche auf sich getragen hatte. Die
vorausgesagte Kurzschlusshandlung erfolgte dann am 26. September 1973,
als er auf Dr. Siegrist, da dieser an der provisorischen Versetzung in
die Lochkartenabteilung festhielt, mehrere Revolverschüsse abgab.

    Unter diesen Umständen durfte das Strafgericht ohne Rechtsverletzung
annehmen, dass Pfister infolge seines Geisteszustandes die
öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise gefährde. Aufgrund des
geschilderten Sachverhaltes ist damit zu rechnen, dass es in Zukunft bei
Meinungsverschiedenheiten wieder zu derartigen Reaktionen kommen wird. Es
besteht somit eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der verschiedenen
Mitarbeiter und Vorgesetzten des Beschwerdegegners. Zum gleichen Ergebnis
gelangt jedenfalls auch der Gutachter, wenn er feststellt, dass "jederzeit
wieder mit einer gefährlichen Kurzschlusshandlung gerechnet werden"
müsse, wenn es nicht möglich sein sollte, dem drängenden Willen Pfisters
entsprechend diesen nunmehr zu pensionieren und ihm eine Invalidenrente
zuzusprechen; eine Voraussetzung, die der Strafrichter nicht zu erfüllen
in der Lage ist.

Erwägung 3

    3.- Neben der besonderen Sozialgefährlichkeit verlangt Art.  43 Ziff. 1
Abs. 2 StGB ausserdem, dass die Verwahrung notwendig ist, um den Täter
vor weiterer Gefährdung anderer abzuhalten. Mit dieser Voraussetzung
wird zum Ausdruck gebracht, dass die Verwahrung angesichts der Schwere
des Eingriffes in die persönliche Freiheit des Verurteilten subsidiären
Charakter hat und nur als ultima ratio zur Anwendung gelangen darf. Die
Verwahrung muss demnach unterbleiben, wenn die bestehende Gefährlichkeit
auf eine andere Weise, d.h., durch weniger einschneidende Vorkehrungen,
behoben werden kann (siehe H. SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen
Teil des Strafrechts, Bd. II, 2. Auflage, S. 123).

    a) Hierzu führt das Appellationsgericht aus, dass der Sicherungsgedanke
der Verwahrung namentlich dort besondere Bedeutung erlange, wo die Dauer
der ausgesprochenen Strafe nicht ausreiche, um gleichzeitig auch dem
Schutzbedürfnis der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Hingegen trage
bei einer langjährigen Freiheitsstrafe schon die Strafdauer dem Schutz
derselben ausreichend Rechnung. Nach den Erfahrungen des Lebens sei
auch anzunehmen, dass Pfister nach dem Vollzug der Strafe kein weiteres
Tötungsdelikt mehr begehen werde. Ebensowenig sei anzunehmen, dass
der Verurteilte früher aus dem Strafvollzug entlassen werde, als dies,
Wohlverhalten vorausgesetzt, bei der Verwahrung der Fall wäre. Aus diesen
Gründen erscheine die Verwahrung im vorliegenden Fall weder sinnvoll,
noch entspreche sie dem Zweck des Gesetzes.

    b) Diese Erwägungen reichen indessen nicht aus, um von einer Verwahrung
Umgang zu nehmen. Denn Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 StGB legt zwingend fest, dass
der Richter über die Verwahrungs-, Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit
des geistig abnormen Täters ein Gutachten einholen müsse (Urteile des
Kassationshofes vom 14. April 1972 i.S. Cherix und vom 17. April 1975
i.S. X.). Eine derartige Expertise fehlt aber im vorliegenden Fall.

    Die beiden Berichte von Prof. Battegey äussern sich zwar zur
Gefährlichkeit des Beschwerdegegners, enthalten jedoch keine genügenden
Angaben hinsichtlich der Notwendigkeit der Verwahrung. Die Formulierung des
Gutachters "Selbst wenn der Expl. in ein psychiatrisches Spital eingewiesen
werden sollte, könnte er, falls seine abnorme seelische Entwicklung in
der gleichen Intensität wie heute fortdauerte, bei Entlassung wieder
gefährlich werden," spricht weder für noch gegen die Unerlässlichkeit
einer Verwahrung.

    Infolgedessen ist die Sache zur Befolgung von Art. 43 Ziff. 1
Abs. 3 StGB an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Appellationsgericht
wird zunächst ein neues Gutachten einholen müssen über die Frage, ob
die Verwahrung des Beschwerdegegners notwendig sei, um ihn vor weiterer
Gefährdung anderer abzuhalten, bzw. ob dazu die Verbüssung der ausgefällten
Zuchthausstrafe oder andere Vorkehrungen ausreichen. Ferner wird sich der
Experte auch über eine allfällige notwendige psychiatrische Behandlung
während des Straf- bzw. Massnahmenvollzuges aussprechen müssen. Wenn das
ergänzende Gutachten erstattet ist, hat die Vorinstanz erneut darüber
zu befinden, ob eine Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ihr
als unerlässlich erscheint, und ob dabei eine psychiatrische Behandlung
vorzunehmen ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil
des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 29. Januar 1975
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurückgewiesen.