Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IV 1



101 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1975 i.S. H. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. Regeste

    1. Art. 22 StGB, vollendeter Versuch. Die Anwendbarkeit dieser
Bestimmung ist auf die sog. Erfolgsdelikte im technischen Sinn beschränkt,
weil nur bei ihnen der Erfolg nicht ohne weiteres schon mit der Vollendung
der strafbaren Tätigkeit gegeben ist (Erw. 2).

    2. Art. 187 Abs. 2 StGB, qualifizierte Notzucht.

    a) Da Notzucht ein sog. reines Tätigkeitsdelikt ist, gibt es keinen
vollendeten Versuch gemäss Art. 22 StGB (Erw. 2) (Praxisänderung).

    b) Widerstandsunfähigkeit einer Frau, die, von drei Männern an Armen
und Beinen gefesselt, ein Bein befreien kann (Erw. 1).

Sachverhalt

    A.- Am 4. September 1973 wurde die 1956 geborene Monika B., als sie
nach Wirtschaftsschluss das Dancing "Lanterne" in Rheineck verliess, von
Walter E. angesprochen und zu einem Kaffee bei ihm zu Hause eingeladen. Sie
stieg mit E. und dessen Freunden Walter G. und Alberto H. in des letztern
Auto. Die Fahrt ging zu einem Budenwagen in Altenrhein. Dort plauderten
die vier längere Zeit. Dann zogen die drei Burschen das Mädchen trotz
heftiger Gegenwehr nackt aus, legten es gewaltsam auf ein Kajütenbett und
banden seine Arme und Beine am Bett fest. E. vollzog gegen ihren Willen
den Geschlechtsverkehr. Darauf legte sich H. auf das Mädchen. Dieses
hatte zuvor das linke Bein freimachen können und versucht, sich damit zu
wehren. H. lag fünf bis zehn Minuten auf dem Mädchen, um geschlechtlich
mit ihm zu verkehren. Doch ist nicht nachgewiesen, dass er sein Glied in
die Scheide einführte. Schliesslich wurde das Mädchen freigelassen.

    B.- Das Kantonsgericht St. Gallen beurteilte E., H. und G. am
4. November 1974. H. erklärte es des vollendeten Versuchs zu qualifizierter
Notzucht schuldig (Art. 187 Abs. 2/Art. 22 Abs. 1 StGB) und verurteilte
ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus.

    C.- H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung
der Sache an das Kantonsgericht zur Schuldigerklärung wegen unvollendeten
Versuchs der einfachen Notzucht und zur Verurteilung zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von nicht mehr als einem Jahr.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz führt aus, der Umstand, dass das Mädchen das
linke Bein aus der Fesselung befreien konnte, bevor sich H. auf sie
legte, sei rechtlich unerheblich. Ihre Wehrlosigkeit sei damit auch nicht
teilweise aufgehoben gewesen. Die Fesselung an beiden Handgelenken und am
rechten Fuss habe eine wirksame Betätigung ihres Abwehrwillens weiterhin
verhindert. Die durch Lösung der linken Beinfessel gewonnene Teilfreiheit
habe der Täter mit seinem Körpergewicht mit Leichtigkeit wieder zunichte
machen können.

    Der Beschwerdeführer bestreitet die Widerstandsunfähigkeit gemäss
Art. 187 Abs. 2 StGB mit der Begründung, solange das Mädchen mit einem
Bein frei war, sei sie zum Widerstand nicht vollständig unfähig gewesen;
sie hätte z.B. mit dem Bein ausschlagen und den Beschwerdeführer wegstossen
können, als dieser sich auf sie legte.

    Die Gewaltanwendung muss die Abwehr des Opfers in solchem Masse
ausschalten, dass irgendwelche Bewegungen, zu denen die Frau noch
fähig ist, das Vorhaben des Angreifers weder zu vereiteln noch zu
beeinträchtigen vermögen (BGE 98 IV 102, auch 100 IV 164). Diese Wirkung
war hier erzielt. Abgesehen davon, dass es dem Beschwerdeführer ein
Leichtes gewesen wäre, Abwehrbewegungen des linken Beines des Mädchens
erfolgreich zu begegnen, waren die Mitangeklagten E. und G. anwesend, die
das Mädchen zuvor gefesselt hatten und ohne weiteres in der Lage waren,
das freigewordene Bein wieder anzubinden oder festzuhalten (vgl. im
letztern Sinne wiederum BGE 98 IV 102). Die Vorinstanz hat somit die
Widerstandsunfähigkeit des Opfers zu Recht bejaht.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht hingegen zutreffend geltend, er
hätte wegen unvollendeten statt wegen vollendeten Notzuchtversuches
schuldig erklärt werden sollen. Der Notzucht im Sinne von Art. 187
Abs. 2 StGB macht sich insbesondere schuldig, wer mit einer Frau den
ausserehelichen Beischlaf vollzieht, nachdem er sie zu diesem Zwecke
zum Widerstand unfähig gemacht hat. Unvollendeter Versuch liegt nach
Art. 21 Abs. 1 StGB vor, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung des
Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht
zu Ende führt. So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer hat alles
getan, um mit der zum Widerstand unfähigen Frau gegen ihren Willen den
Beischlaf zu vollziehen, konnte dann aber das Glied nicht in die Scheide
einführen. Hätte er es getan, würde vollendete Notzucht vorliegen; denn
bei diesem Delikt fällt die Ausführung der strafbaren Tätigkeit in ihrer
Endphase (Einführen des Glieds in die Scheide) mit dem tatbeständlichen
Erfolg (Duldung des Beischlafs) notwendig zusammen und bleibt für einen
über die zu Ende geführte strafbare Tätigkeit hinausgehenden Erfolg kein
Raum. Einen vollendeten Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB gibt es deshalb
bei der Notzucht als einem sog. reinen Tätigkeitsdelikt nicht (SCHULTZ, 2.
Aufl. I S. 229, STRATENWERTH, II S. 318). Die Anwendbarkeit von Art. 22
StGB ist auf die sog. Erfolgsdelikte im technischen Sinne beschränkt,
weil nur bei ihnen der Erfolg nicht ohne weiteres schon mit der Vollendung
der strafbaren Tätigkeit gegeben ist (BGE 91 IV 233 a.E.). Soweit in BGE
99 IV 153 etwas anderes gesagt wurde, ist daran nicht festzuhalten.

    Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen zur
Schuldigsprechung des Beschwerdeführers wegen unvollendeten Versuchs
der qualifizierten Notzucht. Im übrigen hat sie an ihrem Urteil nichts
zu ändern; denn sowohl Art. 21 Abs. 1 wie Art. 22 Abs. 1 StGB sehen
fakultative Strafmilderung nach Art. 65 StGB vor.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise
gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.