Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 333



101 II 333

56. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Juli 1975 i.S. Saner und
Mitbeteiligte gegen Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt.
Regeste

    Mietzinserhöhung, Anpassung an die Teuerung.

    1. Art. 36 Abs. 5, 46 und 47 Abs. 1 OG. Berechnung des Streitwertes bei
Mietzinserhöhungen, von denen ungewiss ist, wie lange sie dauern (Erw. 1).

    2. Art. 15 lit. d BMM, Art. 11 VMM. Berechnung einer nach diesen
Bestimmungen zulässigen Erhöhung von Mietzinsen für Bauten, die vor 1971
erstellt worden und nicht mit Hypotheken belastet sind (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt ist
Eigentümerin der Liegenschaften Bernstrasse 11 und 13 in Solothurn, deren
Wohnungen sie vermietet. Am 16. Mai 1973 schrieb sie den 11 Mietern, dass
die Mietzinse ab 1. Oktober um 14,13% erhöht würden. Die Mieter hielten
die Erhöhung für missbräuchlich und wandten sich an die Schlichtungsstelle,
vor der die Parteien sich aber nicht einigen konnten.

    Auf Klage der Vermieterin verfügte der Gerichtspräsident von
Solothurn-Lebern am 18. September 1974, dass die Klägerin die Mietzinse
ab 1. Oktober 1973 um 11,1% erhöhen dürfe.

    Die Beklagten rekurrierten an das Obergericht des Kantons
Solothurn. Dieses bestätigte am 20. Februar 1975 die angefochtene Verfügung
und erkannte, dass die den Mietern am 16. Mai 1973 mitgeteilte Zinserhöhung
nichtig (Ziff. 1), dass eine solche von 11,1% ab 1. Oktober 1973 aber
zulässig sei (Ziff. 2).

    B.- Die Beklagten haben gegen dieses Urteil Berufung und
staatsrechtliche Beschwerde eingelegt. Mit der Berufung beantragen sie,
Urteilsspruch Ziff. 2 des angefochtenen Entscheides aufzuheben und eine
Erhöhung der Mietzinse ab 1. Oktober 1973 für unzulässig zu erklären,
eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der BB über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom
30. Juni/20. Dezember 1972 (BMM) und die vom Bundesrat dazu erlassene
Verordnung vom 10. Juli 1972 (VMM) enthalten soziales Mietrecht, durch das
die Mieter vor missbräuchlichen Mietzinsen und anderen missbräuchlichen
Forderungen der Vermieter geschützt werden sollen (Art. 1 BMM). Der Streit
darüber, ob ein solcher Mietzins gefordert werde, ist wie derjenige
über die Erstreckung eines Mietverhältnisses vermögensrechtlicher
Natur (BGE 98 II 106 und 201, 99 II 299); das Verfahren richtet sich
in beiden Fällen zudem nach den gleichen Vorschriften (Art. 29 BMM,
Art. 267 f OR). Kantonale Endentscheide über solche Streitigkeiten können
mit der Berufung nur angefochten werden, wenn der Streitwert nach den
Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig
waren, wenigstens 8'000 Franken erreicht (Art. 46 OG).

    Die Klage der Vermieterin geht auf einen höheren Jahreszins für
wiederkehrende Nutzungen, von denen ungewiss ist, wie lange sie dauern.
Diesfalls ist gemäss Art. 36 OG der mutmassliche Kapitalwert (Abs. 4),
d.h. der zwanzigfache Betrag der streitigen Jahresleistung als Streitwert
einzusetzen (Abs. 5). Vor dem Obergericht stritten die Parteien sich
noch um Erhöhungen von 11,1% auf Jahreszinsen von mindestens Fr. 4'500.--
oder um einen Mehrbetrag von Fr. 499.50 je Mieter. Das ergibt bei einem
Mieter einen Kapitalwert von Fr. 9'990.--, bei elf Beklagten, deren
Ansprüche einander nicht ausschliessen und daher zusammenzurechnen sind
(Art. 47 Abs. 1 OG), somit einen Streitwert von Fr. 109'890.--. Diese
Berechnung beruht freilich auf einer Vereinfachung, da insbesondere nicht
berücksichtigt wird, wie lange die Vermieterin den erhöhten Mietzins
tatsächlich fordert, ob ein Mieter deswegen oder aus andern Gründen
das Vertragsverhältnis nicht mehr stillschweigend erneuert, sondern
auflöst. Wie es sich damit verhält, ist indes ungewiss, und gerade für
solche Fälle enthält Art. 36 Abs. 5 OG eine klare und einfache Regel,
die dem Bundesgericht erlauben soll, den Streitwert nach seinem Ermessen
rasch und ohne besondern Aufwand an Zeit oder Kosten zu ermitteln.
Dieser Wert übersteigt hier den von Art. 46 OG vorgesehenen. Auf die
Berufung ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 15 lit. d BMM sind Mietzinse in der Regel
nicht missbräuchlich, wenn sie lediglich der Kaufkraftsicherung des
risikotragenden Kapitals dienen. Als solches gelten gemäss Art. 11 VMM 40
Prozent des Ertragswertes, der auf Grund der orts- oder quartierüblichen
Mietzinse für gleichartige Objekte zu berechnen ist (Abs. 1); der dafür
geforderte Mietzins darf den orts- oder quartierüblichen des Jahres 1970,
erhöht um 40 Prozent der seitherigen Steigerung des Lebenskostenindexes
für Konsumentenpreise, nicht überschreiten (Abs. 2).

    a) Das Obergericht hält im vorliegenden Fall eine Mietzinserhöhung von
11,1%, die zu 7,6% auf die Kaufkraftsicherung des risikotragenden Kapitals
und zu 3,5% auf die Hypothekarzinserhöhung entfielen, für zulässig.

    Es führt aus, Art. 15 lit. d BMM sei erst anlässlich der
parlamentarischen Beratungen eingefügt worden. Aus den dabei abgegebenen
Voten erhelle (Sten.Bull. 1972 StR S. 346, NR S. 974 und 979/80),
dass man die Kaufkraft des investierten Eigenkapitals sichern und
hiefür im Durchschnitt 40% des Anlagewertes berücksichtigen wollte,
gleichviel ob der Vermieter die Liegenschaft ganz oder nur teilweise
aus eigenen Mitteln finanzierte. Mit dieser Regelung solle verhindert
werden, dass der Vermieter auf nominell gleichbleibenden Schulden einen
Inflationsgewinn erziele und dass die Mieter unterschiedliche, vom
Prozentsatz des investierten Eigenkapitals abhängige Mietzinse bezahlen
müssen. Nach diesen Grundgedanken des BMM dürfe die Klägerin bei einem
Anstieg des Indexes um 22 Punkte zwischen Oktober 1970 und April 1973,
was einer Teuerung von 19,2% entspreche, diese zu 40% (= 7,6% der Teuerung)
auf die Mieter abwälzen.

    Das Obergericht nimmt sodann an, die Klägerin habe die Liegenschaften
aus eigenen Mitteln finanziert; gleichwohl dürfe sie die Mietzinse auch
wegen des inzwischen gestiegenen Hypothekarzinsfusses anpassen, da sie
das investierte Eigenkapital anderswo zu einem höheren Zinsfuss anlegen
könnte; die Anpassung entspreche dem Sinn des Gesetzes. Die Kantonalbank
Solothurn habe die Hypothekarzinse auf 1. Januar 1971 um 1/4% erhöht; es
sei nicht bewiesen, dass die Klägerin diese Erhöhung bereits am 1. Oktober
1970 berücksichtigt habe. Der hiefür bewilligte Aufschlag von 3,5% decke
sich mit den Richtlinien des Beauftragten des Bundesrates zur Überwachung
der Preise, Löhne und Gewinne.

    b) Die Beklagten versuchen die Ausführungen des Obergerichtes zur
Entstehungsgeschichte des Art. 15 lit. d BMM nicht zu widerlegen. Sie
bestreiten auch nicht, dass danach und nach Art. 11 VMM das risikotragende
Kapital unbekümmert um die hypothekarische Belastung einer Liegenschaft
mit 40% des Anlagewertes zu berücksichtigen ist. Sie anerkennen ferner
die von der Vorinstanz verwendeten Berechnungsgrundlagen.

    Die Beklagten bestreiten dagegen, dass die Klägerin die Mietzinse des
Jahres 1973 um das Ergebnis von 7,6% aufschlagen dürfe, wie das Obergericht
annehme. Art. 11 Abs. 2 VMM gehe von den Mietzinsen des Jahres 1970
aus und lasse nur eine Erhöhung von 40% der seitherigen Steigerung des
Landesindexes für Konsumentenpreise zu; dies könne nur heissen, dass der
Zuschlag von 7,6% nach den Zinsen von 1970 zu berechnen sei, die hier von
den orts- oder quartierüblichen nicht abwichen, von der Klägerin aber in
den Jahren 1971 und 1972 erheblich erhöht worden seien. Diese Aufschläge
müsse sie sich bei der Ermittlung der Kaufkraftsicherung anrechnen lasse,
die nur einen Sinn habe, wenn unter dem risikotragenden Kapital eine fixe
Grösse verstanden werde; für Bauten, die vor 1971 erstellt wurden, ergebe
sich diese Grösse aus dem Ertragswert von 1970. Der jeweilige Ertragswert
sei nicht massgebend, da eine solche Lösung darauf hinausliefe, alle
Mietzinse laufend zu 40% zu indexieren, was nicht nur dem Sinn und Zweck
des Gesetzes, sondern auch den parlamentarischen Beratungen widerspräche.

    c) Nach dem klaren Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 VMM dürfen nur die zur
Kaufkraftsicherung des risikotragenden Kapitals geforderten Mietzinse die
Quote von 40% nicht übersteigen; die Beschränkung bezieht sich also nicht
auf den gesamten Mietzins. Diese Auslegung deckt sich mit den Überlegungen,
welche die Eidg. Räte veranlassten, Art. 15 lit. d in den BMM aufzunehmen.
SCHÜRMANN/STÖCKLI/ZWEIFEL (Das Mietrecht in der Schweiz, Anm. 61 S. 47/8 in
Verbindung mit Anm. 58 S. 45) führen dazu insbesondere aus, die Anpassung
der Mietzinse an die allgemeine Teuerung erstrecke sich nicht auf das
Fremdkapital, da die Hypotheken nominelle Schulden des Eigentümers
seien; dagegen solle das nachrangige Eigenkapital zur Erhaltung des
Investitionsanreizes vor Kaufkraftverlust gesichert sein. Um die Anwendung
zu vereinfachen, habe man nicht nur den risikotragenden Kapitalbetrag
allgemein auf 40% des Ertragswertes festgelegt, sondern auch angenommen,
dass ein gleicher Prozentsatz des gesamten Mietzinses auf die Verzinsung
dieses Betrages entfalle. Sei der Landesindex z.B. seit 1970 um 15%
gestiegen, so dürfe zwecks Kaufkraftsicherung des Eigenkapitals ein um 6%
höherer Mietzins verlangt werden. Dieser Zweck werde aber nur erreicht,
wenn im Unterschied zum zulässigen Index für Wohnungsmieten (Art. 6 VMM),
der 4/5 der Steigerung des Landesindexes für Konsumentenpreise betrage,
zusätzlich auch die seither eingetretenen Kostensteigerungen (Art. 9 VMM)
abgegolten würden.

    Entgegen den Einwänden der Beklagten ist die Streitfrage damit, dass
die Klägerin die Mietzinse zwischen Herbst 1970 und Frühjahr 1973 aus
irgendwelchen Gründen erhöht hat, also nicht erledigt. Wie es sich mit
diesen Erhöhungen verhielt, kann zudem offen bleiben. Denn einerseits ist
weder behauptet worden noch den Belegen zu entnehmen, dass die Vermieterin
dabei die Kaufkraftsicherung des risikotragenden Kapitals mitberücksichtigt
habe. Anderseits steht fest, dass sich ihre Mietzinse von 1970 im Rahmen
der orts- oder quartierüblichen hielten und dass sich daran auch nach den
letzten Erhöhungen im Jahre 1971 nichts änderte. Bei dieser Sachlage darf
der Klägerin nicht verwehrt werden, die Mietzinse um 40% der bis April
1973 eingetretenen Steigerung des Landesindexes für Konsumentenpreise zu
erhöhen, um der Kaufkraftsicherung des Eigenkapitals Rechnung zu tragen.

    Diese Erhöhung darf jedoch nicht nach den bisherigen Mietzinsen
berechnet werden, wie das Obergericht annimmt. Richtig ist, dass die
entsprechenden 7,6% ab 1. Oktober 1973 den bisherigen Zinsen zuzuschlagen
sind; dem Betrage nach müssen sie aber den Zinsen des Jahres 1970
entnommen werden. Dies gilt auch für eine allfällige spätere Anpassung zur
Kaufkraftsicherung. Entweder ist vorweg die Indexsteigerung lediglich für
die Zwischenzeit zu ermitteln oder muss die bereits ausgeglichene Quote
vom Prozentsatz der gesamten seit 1970 eingetretenen Steigerung abgezogen
werden. Eine andere Berechnung widerspräche nicht nur Art. 11 Abs. 2 VMM,
sondern auch dem Grundgedanken der auf fünf Jahre befristeten Ordnung
(vgl. RAISSIG, Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, S. 33/4; GMÜR,
Die Rechte des Mieters, S. 66/7).

    Auf die Neufassung des Art. 11 VMM (AS 1975 S. 174 und 176 unter
Ziff. II), die erst am 1. März 1975 in Kraft getreten ist, können die
Beklagten sich nicht berufen; sie ergäbe im vorliegenden Fall übrigens
keine andere Lösung.

    d) Erhöhungen des Hypothekarzinsfusses gehören zu den
Kostensteigerungen, die nach Art. 15 lit. b BMM und Art. 9 VMM angerechnet
werden dürfen. Eine Erhöhung des Zinsfusses um 1/4% ist nach den
geltenden Richtlinien, was unbestritten ist, einer Mietzinserhöhung von
3,5% gleichzusetzen, darf folglich in diesem Umfange dem Mieter belastet
werden. Die Belastung wird, wie bereits ausgeführt worden ist, durch den
Zuschlag für die Kaufkraftsicherung des risikotragenden Kapitals nicht
ausgeschlossen. Unbestritten ist ferner, dass der Vermieter den Ausgleich
selbst dann verlangen darf, wenn er zur Finanzierung der Liegenschaft kein
Fremdkapital benötigte (vgl. SCHÜRMANN/STÖCKLI/ZWEIFEL, aaO Anm. 61 S.
46; RAISSIG, aaO S. 30). Auf den neuen Text des Art. 11 VMM kommt auch
in diesem Zusammenhang nichts an.

    Die Beklagten versuchen, die Anrechnung der Hypothekarzinserhöhung
als missbräuchlich hinzustellen, weil die Vermieterin nach eigenen
Angaben von 1970 bis 1972 Bruttorenditen zwischen 11,60 und 12,93%
erzielt habe; sie verweisen für Einzelheiten auf Vorbringen im kantonalen
Verfahren. Mit solchen Angaben lässt sich die Unangemessenheit eines
Ertrages im Sinne von Art. 14 Abs. 1 BMM indes weder allgemein noch im
gegebenen Fall belegen. Verweise auf Eingaben im kantonalen Verfahren
widersprechen zudem dem Art. 55 Abs. 1 lit. c OG (BGE 97 II 163). Da die
Mietzinse bei Erhöhung des Hypothekarzinsfusses grundsätzlich angepasst
werden dürfen, müsste übrigens für die Beurteilung des Ertrages gemäss
Art. 14 Abs. 1 BMM zunächst untersucht werden, ob die noch streitigen
Mietzinse den quartierüblichen Rahmen für gleichartige Liegenschaften
überschreiten. Dass dies der Fall sei, wird von den Beklagten jedoch
weder behauptet noch dargetan; damit ist ihrem Versuch, die Anpassung
als missbräuchlich auszugeben, aber zum vorneherein der Boden entzogen
(Art. 15 lit. a BMM; SCHÜRMANN/STÖCKLI/ZWEIFEL, aaO Anm. 52 S. 43).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und Urteilsspruch Ziff. 2 des
angefochtenen Urteils dahin abgeändert, dass für die beteiligten Mieter
der Liegenschaften Bernstrasse 11 und 13 in Solothurn ab 1. Oktober 1973
eine Erhöhung der bisherigen Mietzinse um 11,1%, wovon 7,6% nach den
Mietzinsen des Jahres 1970 zu berechnen sind, zulässig ist.