Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 329



101 II 329

55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. November 1975 i.S.
Günthner gegen Grundstückgesellschaft Juventus AG. Regeste

    Art. 1 Abs. 1 und 216 Abs. 1 OR.

    1. Auslegung einer Regelung über den Kaufpreis, die eine Übernahme
bestehender Grundpfandschulden ausschliesst (Erw. 2).

    2. Bei diesem Ergebnis lässt sich nicht sagen, die Pflicht des
Verkäufers zur Ablösung der Pfandschulden sei durch die öffentliche
Beurkundung des Vertrages nicht gedeckt (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Franz Günthner verkaufte der Juventus AG am 2. Juli 1971
zum Preise von Fr. 880'000.-- die 464,8 m2 messende Liegenschaft
Nr. 5566 in Zürich-Aussersihl. Der Kaufpreis sollte zu Fr. 400'000.--
bei der Eigentumsübertragung in bar und zu Fr. 480'000.-- durch einen
Inhaber-Schuldbrief getilgt werden, der im 1. Rang zugunsten des Verkäufers
zu errichten war. Dass auf dem Grundstück bereits fünf Schuldbriefe im
1. bis 5. Rang mit einer Gesamtsumme von Fr. 385'000.-- lasteten, wurde
im Vertrag nicht gesagt. Das Eigentum sollte spätestens innert zweieinhalb
Jahren auf die Käuferin übergehen.

    Mit Schreiben vom 1. November 1973 forderte die Juventus AG den
Verkäufer auf, am 16. November zu diesem Zwecke auf dem Grundbuchamt zu
erscheinen; sie fügte bei, dass ihm dabei die in bar zu entrichtende Summe
des Kaufpreises bezahlt werde. Der Verkäufer kam nicht. Auf eine weitere
Aufforderung vom 19. November antwortete er am 3. Dezember, dass er auf
den Vertrag nicht eintreten könne, da sich die Lage inzwischen für ihn
geändert habe.

    B.- Die Juventus AG klagte daraufhin gegen Günthner insbesondere
auf Feststellung, dass sie nach dem Kaufvertrag die Übertragung des
Grundstückes Nr. 5566 ohne die bestehenden Grundpfandschulden auf ihren
Namen verlangen dürfe, der Beklagte folglich verpflichtet sei, die fünf
Schuldbriefe im Gesamtbetrag von Fr. 385'000.-- abzulösen und im Grundbuch
löschen zu lassen.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 21. Oktober 1974
die Klage mit Bezug auf diese Verpflichtung des Beklagten.

    C.- Der Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichtes Berufung
eingelegt. Das Bundesgericht weist sie ab und bestätigt den angefochtenen
Entscheid.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Parteien streiten sich vor allem um die fünf Schuldbriefe,
welche zur Zeit des Vertragsschlusses auf der Liegenschaft lasteten, im
Vertrag aber nicht erwähnt wurden. Die Klägerin will die Liegenschaft
pfandfrei gekauft, der Beklagte sich dagegen nicht zur Ablösung der
bestehenden Schuldbriefe verpflichtet haben.

    Wird ein mit Pfandrechten belastetes Grundstück veräussert, so haften
das Pfand und der Schuldner unverändert weiter, wenn nichts anderes
vereinbart wird (Art. 832 Abs. 1 ZGB). Das gilt auch für den Fall, dass
die Pfandsache nicht dem Schuldner gehört (Art. 845 Abs. 1 ZGB). Es wird
von keiner Seite behauptet und ist auch dem Vertrag nicht zu entnehmen,
dass die Parteien ausdrücklich etwas anderes vereinbarten. Der Beklagte
macht vielmehr geltend, die Haftung des Grundstückes für seine persönlichen
Verpflichtungen aus den Schuldbriefen bestehe weiter, entspreche also
der gesetzlichen Regelung.

    Die Parteien setzten den Kaufpreis der Liegenschaft auf Fr. 880'000.--
fest. Die Käuferin hatte davon bei der Eigentumsübertragung Fr. 400'000.--
in bar und Fr. 480'000.-- mit einem Schuldbrief zu zahlen, der zugunsten
des Verkäufers im 1. Rang zu errichten war. Diese Klausel lässt keinen
Raum für die Annahme, dass die Klägerin nach der Handänderung mit der
Liegenschaft für die Forderungen aus den vorbestehenden Schuldbriefen
einzustehen habe, was im Ergebnis einer Übernahme der Pfandschulden
gleichkäme. Der klare Wortlaut der Klausel schliesst eine solche Annahme
vielmehr aus. Der Beklagte sieht denn auch ein, dass der vertraglich
vorgesehene Schuldbrief im 1. Rang nicht errichtet werden kann, solange
ein anderer in diesem Rang und vier weitere in den Rängen 2 bis 5 bestehen.

    Nach der Vertrauenstheorie muss der Beklagte sich diese Auslegung
selbst dann entgegenhalten lassen, wenn sie nicht seinem damaligen
Willen entsprochen haben sollte. Er verkennt, dass zum Abschluss eines
Vertrages nur die Übereinstimmung der gegenseitigen Willensäusserungen
erforderlich ist (Art. 1 Abs. 1 OR); dass auch der tatsächliche Wille
der Parteien übereinstimme, ist nicht nötig. Im vorliegenden Falle aber
deckten sich die Willensäusserungen über den Kaufpreis und die Art,
wie er getilgt werden sollte. Das erhellt daraus, dass beide Parteien
den ihre Erklärungen enthaltenden Kaufvertrag unterzeichnet haben.

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte macht ferner geltend, die Verpflichtung über die
Ablösung der bestehenden Belastung sei jedenfalls nicht öffentlich
beurkundet worden, was den Vertrag als ganzes nichtig mache.

    a) Kaufverträge über Grundstücke bedürfen der öffentlichen
Beurkundung (Art. 126 Abs. 1 OR und Art. 657 Abs. 1 ZGB). Diese
Form muss von Bundesrechts wegen alle wesentlichen Tatsachen des
Rechtsgeschäftes und Willenserklärungen der Parteien erfassen; dazu
gehören insbesondere die genaue Bezeichnung des Grundstückes und die
ganze dafür versprochene Gegenleistung (BGE 90 II 281 Erw. 6, 94 II
272, 95 II 310 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall ist bloss streitig,
ob die vom Handelsgericht durch Auslegung ermittelte Vereinbarung,
wonach der Beklagte die Liegenschaft vor der Eigentumsübertragung von
den bestehenden Pfandrechten zu befreien hatte, durch die Form gedeckt sei.

    In dem in BGE 90 II 274 ff. veröffentlichten Falle übernahm der Käufer
drei Hypotheken, deren Summe im Vertrag mit Fr. 130'000.-- angegeben wurde,
in Wirklichkeit aber Fr. 135'585.-- betrug. Das Bundesgericht nahm an,
dass die Belastung insbesondere für den Käufer wichtig gewesen und ihre
unrichtige Feststellung im Vertrag deshalb als Pflichtverletzung der
Urkundsperson zu betrachten sei. Daran ändere nichts, dass die Beteiligten
die Belastung kannten und der Meinung waren, sie werde noch vor der
Eigentumsübertragung auf den verurkundeten Betrag herabgesetzt. Die
Urkundsperson hätte den noch herzustellenden Stand der Pfandrechte nicht
als bestehend ausgeben dürfen, sondern die wirkliche Belastung sowie die
Verpflichtung des Verkäufers zu deren Herabsetzung auf Fr. 130'000.--
in den Vertrag aufnehmen müssen. Diese Rechtsprechung wurde in BGE 93
II 239 ff. dahin verdeutlicht, dass die Unterlassung der Urkundsperson,
bestehende Hypotheken in den Vertrag aufzunehmen, jedenfalls dann nicht
gegen Bundesrecht verstosse, wenn die Parteien nicht eine Übernahme der
Pfandschulden durch den Käufer, sondern deren Ablösung durch den Verkäufer
vereinbarten und dies aus dem Vertrag hervorgehe.

    b) Im vorliegenden Fall ist in der Vertragsurkunde weder von
der bestehenden Belastung noch von der Pflicht des Verkäufers, sie
abzulösen, die Rede. Die vertragliche Regelung über den Kaufpreis und
seine Zahlung kann indes nur dahin verstanden werden, dass die Käuferin
eine pfandfreie Liegenschaft erwerben, der Verkäufer folglich die
vorbestehenden Pfandrechte bis zur Eintragung des Kaufes im Grundbuch
ablösen sollte. Dafür hatte der Beklagte nach dem Vertrag denn auch
zweieinhalb Jahre Zeit. Seine Pflicht zur Ablösung war keine zusätzliche
Vereinbarung, mit welcher die Vertragsurkunde formlos ergänzt worden
wäre. Sie war nicht ausdrücklich, aber dem Sinne nach als notwendiger
Nebeninhalt der Klausel über den Kaufpreis im Vertragstext enthalten,
folglich durch die Form der öffentlichen Beurkundung ebenfalls gedeckt.

    Bei diesem Ergebnis kommt nichts darauf an, unter welchen
Voraussetzungen ergänzende Nebenabreden der Vertragsparteien, z.B. über
Bedingungen oder Modalitäten der Zahlung oder über die Errichtung von
Schuldbriefen zur teilweisen Tilgung des Kaufpreises, auch formlos
gültig sind oder der öffentlichen Beurkundung bedürfen (vgl. BGE 71
II 270, 75 II 146, 86 II 260, 88 II 161; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 9 und
BECKER, N. 4 zu Art. 216 OR). Offen bleiben kann auch, ob die Berufung
auf Nichtigkeit des Vertrages wegen Formmangels missbräuchlich wäre,
wie die Klägerin einwendet.