Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 323



101 II 323

54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. September 1975 i.S.
Wildberger gegen Müller. Regeste

    Bürgschaft oder selbständiges Schuldversprechen?

    1. Art. 111 und 492 OR. Erklärung eines Verwaltungsratspräsidenten
und Hauptaktionärs, für eine Darlehensschuld der Gesellschaft persönlich
haften zu wollen. Auslegung der Erklärung nach den gesamten Umständen,
die für eine selbständige Verpflichtung sprechen (Erw. 1).

    2. Art. 260 SchKG. Im Konkurs der Gesellschaft können die
Konkursgläubiger nur auf Ansprüche verzichten, die der Masse zustehen
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 16. Januar 1967 gewährte Josef Müller
der Arplan AG, die durch ihren einzelunterschriftsberechtigten
Verwaltungsratspräsidenten Eugen Wildberger vertreten war, ein Darlehen
von Fr. 115'000.--. Wildberger versprach, das Darlehen für die Vollendung
von vier Ferienhäusern in Oberterzen zu verwenden und für die Schuld der
Gesellschaft persönlich zu haften, bis vier Grundpfandverschreibungen,
die auf den Bauparzellen lasteten, in Schuldbriefe umgewandelt würden
(Ziff. 1 des Vertrages). Zur Sicherstellung des Darlehens räumte die
Arplan AG Müller an den vier Hypothekarforderungen, die ihr gehörten
und zusammen Fr. 115'000.-- ausmachten, ein Faustpfandrecht ein
(Ziff. 3). Die Rückzahlung sollte so erfolgen, dass die Gesellschaft nach
der Umwandlung der Grundpfandverschreibungen in Schuldbriefe ihre vier
Hypothekarforderungen an Müller abtrat (Ziff. 4). Bis dahin sollte die
Arplan AG das Darlehen mit 5 1/2% verzinsen (Ziff. 5).

    Im November 1967 wurde über die Arplan AG der Konkurs eröffnet. Von
den vier Grundpfandverschreibungen konnte Müller nur eine, lautend auf
Fr. 25'000.--, in einen Schuldbrief umwandeln lassen. Bei den übrigen von
je Fr. 30'000.-- erhielt er von den Schuldnern, die gegen die Arplan AG
Gegenforderungen erhoben, vergleichsweise insgesamt Fr. 22'982.15. Seine
ungedeckte Darlehensforderung belief sich nach dem Konkurs der Gesellschaft
noch auf Fr. 44'340.85.

    B.- Im Juli 1973 klagte Müller gegen Wildberger auf Zahlung dieses
Betrages nebst 5% Zins seit verschiedenen Verfalldaten.

    Das Bezirksgericht Baden wies die Klage ab. Auf Appellation des
Klägers hiess das Obergericht des Kantons Aargau sie dagegen am 7. März
1975 dahin gut, dass es den Beklagten zur Zahlung von Fr. 44'340.85 nebst
5% Zins seit 7. November 1968 verurteilte.

    Das Obergericht ist der Auffassung, die in Ziff. 1 des Vertrages
enthaltene Wendung, dass das Darlehen "mit persönlicher Haftbarkeit"
Wildbergers gewährt werde, sei entgegen der Annahme des Bezirksgerichtes
nicht als Bürgschaft, sondern als eine formlos gültige Garantieerklärung
oder kumulative Mitverpflichtung auszulegen.

    C.- Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt, das Urteil
des Obergerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen. Er macht geltend,
es sei weder eine Garantie- noch eine Solidarschuldverpflichtung gewollt
und versprochen worden; einem allfälligen Anspruch des Klägers könnte er
übrigens die Saldoabmachung vom 7./12. November 1969 entgegenhalten.

    Der Kläger hält das angefochtene Urteil für richtig; er beantragt,
es vollumfänglich zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dem Wortlaut des Vertrages ist nicht zu entnehmen, ob die Parteien
eine Bürgschaftsverpflichtung, die akzessorischer Natur ist und bei
natürlichen Personen der öffentlichen Beurkundung bedarf (Art. 492 und 493
OR), oder ein selbständiges Schuldversprechen, d.h. eine Garantieerklärung
oder eine Schuldmitübernahme des Beklagten beabsichtigt haben. Die Wendung,
das Darlehen werde "mit persönlicher Haftbarkeit" Wildbergers gewährt,
lässt nicht erkennen, was die Parteien sich unter dieser Verpflichtung des
Beklagten im Verhältnis zur Darlehensschuld der Arplan AG vorstellten. Wie
die im Vertrag niedergelegte Willensäusserung zu verstehen ist, muss
daher durch Auslegung ermittelt werden. Welchen Sinn sie hat, beurteilt
sich nicht bloss nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach dem Zusammenhang,
in dem die Äusserung steht, und nach den gesamten Umständen, unter denen
sie abgegeben worden ist (BGE 69 II 322/3, 81 II 525, 83 II 307, 90 II
454 Erw. 3, 94 II 104, 95 II 437).

    a) Zu diesen Umständen gehörte hier insbesondere, dass
der Beklagte nach dem angefochtenen Urteil Hauptaktionär und
einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsratspräsident der Arplan AG war und
dass die Gesellschaft das Darlehen zur Vollendung von vier Ferienhäusern
benötigte. Diese Feststellungen über tatsächliche Verhältnisse binden
das Bundesgericht, weshalb der Beklagte mit seiner erneut erhobenen
Behauptung, die Arplan AG sei faktisch von einem Architekten beherrscht
worden, nicht gehört werden kann. Schon nach seiner Stellung in der
Gesellschaft hatte der Beklagte im Januar 1967 aber ein erhebliches
eigenes Interesse, dass der Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und der
Arplan AG zustande kam. Mit dem Darlehen konnte die Gesellschaft ihren
finanziellen Schwierigkeiten begegnen, den Konkurs jedenfalls vorübergehend
vermeiden. Dass der Beklagte daran unmittelbar selber interessiert war,
ergibt sich auch aus seiner Vereinbarung vom 7./12. November 1969 mit der
Konkursverwaltung und dem Gläubigerausschuss. Nach dem Sinn und Zweck
der Vereinbarung rechnete er damit, im Konkurs der Arplan AG zivil-
oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.

    Ein unmittelbares eigenes Interesse des Promittenten am Geschäft, für
dessen Erfüllung er einzustehen verspricht, ist nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass keine
akzessorische, sondern eine selbständige Verpflichtung vorliegt (BGE 56
II 381 Erw. 2 und 3, 64 II 346, 72 II 24, 75 II 53, 81 II 526/7). Nach der
herrschenden Lehre kommt diesem Interesse des Promittenten für die Frage,
ob sein Versprechen als Bürgschaft oder als unabhängige Verpflichtung
auszulegen sei, ebenfalls entscheidende Bedeutung zu (Becker, N. 17 zu
Art. 111 OR, OSER/SCHÖNENBERGER, N. 50 zu Art. 492 OR, VON TUHR/ESCHER,
OR Bd. II S. 302).

    b) Für ein eigenes Interesse und damit für eine selbständige
Verpflichtung des Beklagten spricht ferner, dass er sich persönlich
verpflichtete, das Darlehen für die Vollendung der vier Ferienhäuser zu
verwenden. Seine Behauptung, er habe bloss versprochen, die richtige
Verwendung des Darlehens durch die Gesellschaft zu überwachen,
widerspricht dem Wortlaut des Vertrages, der in diesem Punkte keiner
Auslegung bedarf. Hätte er im Falle einer vertragswidrigen Verwendung
des Geldes aber auch hiefür persönlich einstehen müssen, so ist nicht zu
beanstanden, dass das Obergericht darin ein weiteres wichtiges Indiz für
eine selbständige Verpflichtung des Beklagten erblickt hat.

    An den Vertragsverhandlungen nahm der Treuhänder Dr. Adolf Keller als
Berater des Beklagten teil. Er sagte als Zeuge aus, er habe die umstrittene
Wendung gekannt, sie aber "als nicht sehr glücklich" betrachtet; er habe
sie in den Vertrag aufgenommen, weil damals noch keine richtige Sicherheit
vorhanden gewesen sei und der Kläger die persönliche Haftbarkeit des
Beklagten verlangt habe; die Arplan AG sei wegen Liquiditätsschwierigkeiten
an einem raschen Abschluss des Vertrages interessiert gewesen. Beide
Parteien wollten somit die Erfüllung des Vertrages nicht durch eine
ungültige Abrede gefährden. In der von ihnen gewählten einfachen
Schriftform war die Vereinbarung über die persönliche Haftbarkeit des
Beklagten aber nur gültig, wenn sie den Sinn einer Garantieerklärung oder
einer kumulativen Schuldübernahme hatte. Die einfache Schriftlichkeit
hätte, was Dr. Keller als Jurist wissen musste, für eine Bürgschaft nicht
genügt, die Aufnahme der Wendung folglich Treu und Glauben widersprochen
und den Gläubiger über die Gültigkeit der Verpflichtung getäuscht.

    Eine selbständige Verpflichtung des Beklagten entsprach
auch dem wirtschaftlichen Zweck, den die Parteien mit dem Vertrag
verfolgten. Nach der Feststellung des Obergerichtes war das Darlehen
nur als Übergangslösung gedacht, da es dem Kläger um den Erwerb von
Schuldbriefen ging. Der Beklagte bezeichnet die Zeit bis zur Umwandlung
der Grundpfandverschreibungen denn auch selber als Zwischenphase. Es wäre
daher nicht sinnvoll gewesen, die Verpflichtung des Beklagten vom Bestand
der Darlehensschuld abhängig zu machen.

    c) Dass das Obergericht aus dem Wortlaut des Vertrages folgerte,
die persönliche Haftbarkeit des Beklagten erstrecke sich auf
den Darlehensbetrag, nicht aber auf den Zins, schliesst weder
eine Schuldmitübernahme noch eine Garantieverpflichtung aus. Ein
selbständiges Schuldversprechen kann nach dem Willen der Beteiligten auf
die Kapitalschuld beschränkt, die Zinsschuld also beim ursprünglichen
Schuldner belassen werden. Der Bürge haftet dagegen, wenn nichts anderes
vereinbart ist, bis zu dem in der Bürgschaftsurkunde angegebenen
Höchstbetrag auch für einen allfälligen Vertrags- oder Verzugszins
(Art. 499 OR). Es kann deshalb offen bleiben, ob der Beklagte nach dem
Vertrag nur für die Darlehensschuld, nicht aber für den Zins Haftung
versprochen habe, wie das Obergericht annimmt.

    Dass der Kläger zuerst gegen die Grundpfandschuldner vorging,
er sich der Subsidiarität des Schuldversprechens also bewusst war,
steht einer selbständigen Verpflichtung des Beklagten ebenfalls nicht
entgegen. Der Kläger begründete sein Vorgehen damit, er habe in erster
Linie Schuldbriefe erhalten wollen, vom Beklagten aber nur Geld erwarten
dürfen. Diese Begründung leuchtet ein; sie deckt sich mit dem Zweck
des beabsichtigten Geschäftes, das von Anfang an auf den Erwerb von
Schuldbriefen ausgerichtet war. Dass der Kläger auf dem Umweg über ein
Darlehen an die Arplan AG eine langfristige Kapitalanlage anstrebte,
erhellt auch aus dem Vertrag. Im übrigen ist selbst die Leistungspflicht
des Garanten in dem Sinne subsidiär, als er erst in Anspruch genommen
werden darf, wenn feststeht, ob und in welchem Umfang die Leistung des
Dritten entfällt.

    d) Die streitige Wendung über die persönliche Haftbarkeit des
Beklagten erweist sich somit nach den Umständen nicht als akzessorische,
sondern als selbständige Verpflichtung, die keiner besonderen Form
bedarf und daher gültig ist, gleichviel ob sie als Garantiezusage oder
als kumulative Mitverpflichtung aufgefasst wird. Damit bleibt für die
vom Bundesgericht aufgestellte Vermutung, wonach zur Verwirklichung des
vom Bürgschaftsrecht angestrebten Schutzes des Verpflichteten eher auf
eine Bürgschaft zu schliessen ist, kein Raum mehr; denn die Vermutung
gilt nur für den Fall, dass weder aus dem Wortlaut, noch aus dem Zweck
und den gesamten Umständen ein sicherer Schluss gezogen werden kann
(BGE 66 II 28/9, 81 II 525 Erw. 3).

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte macht geltend, dass er jedenfalls nach der
Vereinbarung vom 7./12. November 1969, die er mit der Konkursverwaltung
und dem Gläubigerausschuss im Konkurs der Arplan AG getroffen habe,
nicht mehr belangt werden dürfe. Der Beklagte verpflichtete sich damals,
vergleichsweise und per Saldo aller Ansprüche Fr. 165'000.-- an die
Konkursmasse zu zahlen, wenn Konkursverwaltung und Gläubigerausschuss
"sowohl als Behörde wie auch als Privatpersonen" darauf verzichteten,
weitere Schritte gegen ihn zu unternehmen.

    Richtig ist, dass die Konkursgläubiger beim Abschluss der Vereinbarung
durch den Obmann ihres Ausschusses vertreten waren und durch die
Genehmigung der Vereinbarung verpflichtet wurden, diese einzuhalten. Der
Beklagte übersieht indes, dass die Konkursgläubiger nur auf Ansprüche
verzichten konnten, die der Konkursmasse zustanden. Die Forderung,
um die es hier geht, gehörte nicht dazu, sondern ist eine persönliche
des Klägers, der sie folglich unbekümmert darum, ob er der Vereinbarung
zustimmte oder nicht, einklagen durfte. Es kann deshalb offen bleiben,
ob der Verzicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses, den Beklagten zu
belangen, sich bloss auf Ansprüche, welche die Masse ihnen gemäss Art. 260
SchKG abtreten konnte, oder auch auf private Forderungen bezogen habe.
Der Eventualstandpunkt des Beklagten erweist sich so oder anders als
unbegründet.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes (I.
Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 7. März 1975 bestätigt.