Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 II 1



101 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. März 1975 i.S. N.
gegen N. Regeste

    Eheschutzverfahren (Art. 169 ff. ZGB); Zuständigkeit.

    Die Anhängigmachung einer Scheidungsklage vermag die Zuständigkeit
des bereits zuvor angerufenen Eheschutzrichters nur soweit aufzuheben,
als die im Eheschutzverfahren verlangten Massnahmen nicht auf die ihr
vorangehende Zeit zurückwirken sollen.

Sachverhalt

    A.- Am 4. Juni 1974 leitete die Klägerin beim Einzelrichter in
Ehesachen des Bezirkes Zürich ein Eheschutzverfahren im Sinne von Art. 169
ff. ZGB ein. Der Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit;
eventualiter beantragte er Abweisung des Begehrens. Zur Begründung
wies er insbesondere darauf hin, dass er am 18. Juni 1974 in Zug die
Scheidungsklage eingeleitet habe.

    Der Einzelrichter in Ehesachen des Bezirkes Zürich erachtete sich
als zuständig, wies aber das Begehren der Klägerin am 2. Juli 1974 mit
der Begründung ab, die Voraussetzungen des Art. 170 Abs. 1 ZGB für die
Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes seien nicht erfüllt.

    Die Klägerin zog diesen Entscheid an das Obergericht des Kantons
Zürich weiter, das den Rekurs am 26. September 1974 guthiess.

    Gegen diesen Beschluss erhob der Beklagte Nichtigkeitsbeschwerde an das
Bundesgericht, mit dem Antrag, das Eheschutzbegehren sei mangels örtlicher
Zuständigkeit im Sinne von Art. 73 Abs. 2 OG abzuweisen, eventuell sei
die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Der Beklagte macht vorab geltend, angesichts der Rechtshängigkeit
der Scheidungsklage sei für Eheschutzmassnahmen kein Raum mehr.

    Richtig ist, dass nach Rechtsprechung und Lehre keine
Eheschutzmassnahmen im Sinne von Art. 169 ff. ZGB mehr getroffen, sondern
nur noch vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses
gemäss Art. 145 ZGB angeordnet werden können, sobald die Scheidungsklage
ordnungsgemäss und beim zuständigen Richter angehoben worden ist (BGE 86
II 307; LEMP, N. 9 zu Art. 169 ZGB mit Verweisungen). Grundsätzlich hat
der Richter am Scheidungsort die Verhältnisse der Parteien vom Tage der
Klageeinleitung an zu ordnen (STREBEL, Zum Gerichtsstand im Eheschutz-
und Ehescheidungsverfahren, in Mélanges François Guisan, S. 23). Nach
Art. 145 ZGB ist er jedoch nur zuständig, Massnahmen "für die Dauer des
Prozesses" zu treffen. Anordnungen für den Zeitraum vor der Hängigkeit
der Scheidungsklage fallen nicht in seine Kompetenz. Die Anhängigmachung
einer Scheidungsklage kann demnach nur insoweit die Unzuständigkeit
des Eheschutzrichters zur Folge haben, als die im Eheschutzverfahren
verlangten Massnahmen nicht auf die ihr vorangehende Zeit zurückwirken
sollen (ZR 72 Nr. 37, 68 Nr. 125).

    Im vorliegenden Fall verlangte die Klägerin die Anordnung von
Eheschutzmassnahmen (unter anderem die Verpflichtung des Beklagten
zu Unterhaltsbeiträgen) am 4. Juni 1974, während der Beklagte die
Scheidungsklage in Zug erst am 18. Juni 1974 einleitete. Ob und in
welchem Umfange der Klägerin vom 4. Juni 1974 an bis zur Klageeinleitung
Unterhaltsbeiträge zustehen, ist demnach im Eheschutzverfahren zu
beurteilen. Die Zuständigkeit des zürcherischen Eheschutzrichters zur
Behandlung der bei ihm formgerecht gestellten Begehren wurde somit durch
die spätere Einleitung des Scheidungsprozesses nicht hinfällig.

    Anordnungen, die der Eheschutzrichter vor Beginn des
Scheidungsprozesses trifft, bleiben auch während desselben in Kraft,
solange sie nicht durch vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 145
ZGB aufgehoben oder abgeändert werden (STREBEL, aaO; LEMP, N. 9 zu
Art. 169 ZGB mit Verweisungen). Dasselbe muss analog in einem Fall wie
dem vorliegenden gelten, wo die Zuständigkeit des Eheschutzrichters zwar
vor der Einreichung der Scheidungsklage begründet wurde, der Entscheid
aber erst nach Anhebung des Scheidungsprozesses gefällt werden kann. Die
Klägerin hat somit auch heute noch ein erhebliches rechtliches Interesse
am Erlass von Eheschutzmassnahmen im Sinne von Art. 169 ZGB, was der
Beklagte denn auch mit Recht nicht bestreitet. Die Tatsache, dass er am
18. Juni 1974 in Zug die Scheidungsklage einleitete, bedeutet demnach
für sich allein noch nicht, dass für Eheschutzmassnahmen im Sinne von
Art. 169 ff. ZGB grundsätzlich kein Raum mehr wäre.