Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 III 52



101 III 52

11. Entscheid vom 23. Januar 1975 i.S. R. Regeste

    Freihandverkauf im Konkurs.

    1. Die Beschlüsse der zweiten Gläubigerversammlung bzw.
Zirkulationsbeschlüsse der Gläubiger sind wegen willkürlicher Handhabung
des Ermessens mit dem Rekurs nach Art. 19 SchKG anfechtbar (Erw. 1).

    2. Kann ein, vom Käufer aus betrachtet, gültig abgeschlossener
Freihandverkauf wegen Missachtung der gesetzlichen Verfahrensregeln
aufgehoben werden? Frage offen gelassen (Erw. 2).

    3. Vor Abschluss des Freihandverkaufs ist allen Gläubigern Gelegenheit
zu geben, den angebotenen Preis zu überbieten (Erw. 3c; Bestätigung der
Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Über die Firma X. AG wurde am 1. Juli 1974 der Konkurs
eröffnet. Mit Zirkularschreiben vom 7. November 1974 schlug das Konkursamt
den Gläubigern den Freihandverkauf der vorhandenen Geschäftsaktiven vor. Es
teilte ihnen darin mit, dass eine Offerte der Firma P. AG in der Höhe
von Fr. 80'000.-- vorliege. Gleichzeitig gab das Konkursamt den Gläubigern
Gelegenheit, bis zum 14. November 1974 höhere Offerten einzureichen.

    Dagegen beschwerte sich der Gläubiger R. mit Eingabe vom 13. November
1974 bei der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und
Konkurs. Der Präsident der Aufsichtsbehörde erteilte der Beschwerde mit
Verfügung vom 19. November 1974 aufschiebende Wirkung. Mit schriftlicher
Erklärung vom 16. Dezember 1974 verzichtete R. auf die aufschiebende
Wirkung, "sofern dadurch ein Freihandverkauf ermöglicht wird, welcher die
ausstehenden Massakosten deckt und eine sofortige Räumung der gemieteten
Räumlichkeiten bis ca. Ende 1974 ermöglicht".

    B.- Am 28. November 1974 gelangte das Konkursamt mit einem neuen
Rundschreiben an die Gläubiger, worin es ihnen bekannt gab, dass ein
Gläubiger eine neue Offerte von Fr. 92'000.-- gemacht habe. Gleichzeitig
suchte es um die Ermächtigung nach, den Freihandverkauf an den
höchstbietenden Interessenten zu tätigen. Die Gläubiger, die sich für
den Kauf interessierten, wurden ersucht, sich bis zum 4. Dezember 1974
beim Konkursamt zu melden, damit ihnen Gelegenheit zur Offertstellung
gegeben werden könne. Zum Antrag des Konkursamtes äusserten sich 139 von
214 Gläubigern, und zwar stimmten 116 zu, 19 sandten den Stimmzettel leer
zurück, 3 lehnten den Antrag ab und einer stimmte bedingt. Offenbar hatte
inzwischen der Interessent, der Fr. 92'000.-- geboten hatte, seine Offerte
wieder zurückgezogen. Jedenfalls wurden die vorhandenen Geschäftsaktiven
der konkursiten Firma am 18. Dezember 1974 zum Preis von Fr. 80'000.--
an die Firma P. AG freihändig verkauft. Der Gläubiger R. hatte zuvor
dem Konkursbeamten am 16. Dezember 1974 erklärt, er verzichte auf die
Stellung einer Kaufsofferte, nachdem der Verkauf zum Preise von Fr.
80'000.-- in Aussicht stehe.

    Am 26. Dezember 1974 erhob R. bei der kantonalen Aufsichtsbehörde
Beschwerde und machte geltend, der Freihandverkauf sei nicht gesetzmässig
durchgeführt worden; das Konkursamt sei deshalb anzuweisen, den Vollzug
des Verkaufs zu verweigern, und es sei dafür zu sorgen, dass die bereits
entfernten Vermögensgegenstände wieder zurückgeschafft würden. Gleichzeitig
verlangte er, seiner Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen,
was vom Präsidenten der Aufsichtsbehörde am 6. Januar 1975 abgelehnt wurde.

    C.- Mit Entscheid vom 30. Dezember 1974 schrieb die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde vom 13. November 1974 in bezug auf die
Untersagung des Freihandverkaufs als gegenstandslos ab. Zugleich wies
sie das Konkursamt an, das Konkursinventar umgehend zu erstellen
sowie allfällig notwendige Aussonderungsverfahren, die Erwahrung der
Konkursforderungen und die Aufstellung des Kollokationsplanes ohne
Verzögerung an die Hand zu nehmen.

    R. zog diesen Entscheid mit einer staatsrechtlichen Beschwerde vom
9. Januar 1975 (P 406) an das Bundesgericht weiter. Er stellte das
Begehren, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das Konkursamt
anzuweisen, den Vollzug des Verkaufs zu verweigern.

    D.- Die Beschwerde vom 26. Dezember 1974 wies die kantonale
Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 17. Januar 1975 ab. Hiegegen reichte
R. am 19. Januar 1975 eine weitere staatsrechtliche Beschwerde (P 427)
beim Bundesgericht ein, mit welcher er die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides beantragte.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetr.- u. Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die beiden Beschwerden vom 9. Januar 1975 (P 406) und vom
19. Januar 1975 (P 427) richten sich gegen Entscheide der kantonalen
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs und haben Massnahmen
des Konkursamtes bzw. Beschlüsse von Gläubigern zum Gegenstand. Sie können
daher wegen Verletzung von Bundesrecht gemäss Art. 19 SchKG mit Rekurs an
das Bundesgericht angefochten werden. Insoweit ist die staatsrechtliche
Beschwerde gestützt auf Art. 84 Abs. 2 OG ausgeschlossen. Allerdings
können Beschlüsse der zweiten Gläubigerversammlung - denen
Zirkulationsbeschlüsse der Gläubiger gleichgestellt sind (BGE 54 III 122;
FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II S. 160) - nicht wegen
Unangemessenheit, sondern nur wegen Gesetzesverletzung mit dem Rekurs
angefochten werden (BGE 86 III 103). Indessen fallen Ermessensmissbrauch
und Ermessensüberschreitung unter den Begriff der Gesetzesverletzung
(BGE 87 III 113 und 96 III 16; FRITZSCHE, aaO Bd. I S. 43). Die Rüge der
willkürlichen Ermessensbetätigung kann daher auch mit dem Rekurs nach
Art. 19 SchKG erhoben werden. Die beiden Beschwerden P 406 und P 427,
mit welchen der Gläubiger R. geltend macht, die kantonale Aufsichtsbehörde
habe willkürlich gehandelt und damit Bundesrecht verletzt, stellen somit
materiell Rekurse im Sinne von Art. 19 SchKG dar. Sie erfüllen auch die
formelle Voraussetzung, die das Gesetz an einen solchen Rekurs stellt,
indem sie innert zehn Tagen seit Mitteilung des angefochtenen Entscheides
eingereicht worden sind. Die beiden Eingaben sind daher als Rekurse im
Sinne von Art. 19 SchKG entgegenzunehmen und zu behandeln. Im Hinblick
auf ihren Sachzusammenhang sind sie zu vereinigen und durch einen einzigen
Entscheid zu erledigen.

Erwägung 2

    2.- In seinen beiden Eingaben verlangt der Rekurrent lediglich,
der Vollzug des Freihandverkaufs sei zu verweigern;, den Verkauf
selbst betrachtet er offenbar als rechtsgültig und unwiderruflich
abgeschlossen. Wäre dem so, könnte aber eine Verweigerung des Vollzuges
nicht in Frage kommen; denn einen rechtsgültig und unwiderruflich
abgeschlossenen Vertrag müsste das Konkursamt vollziehen, und auch
die Aufsichtsbehörden wären selbstverständlich nicht befugt, diesen
Vollzug durch irgendwelche Weisungen zu verhindern. Den Ausführungen
in den Rekursschriften ist indessen zu entnehmen, dass der Rekurrent in
Wirklichkeit geltend machen will, der Freihandverkauf als solcher sei zu
widerrufen und nachträglich aufzuheben, weil er in Verletzung gesetzlicher
Bestimmungen zustandegekommen sei.

    In der Praxis ist umstritten, ob die Aufsichtsbehörden befugt sind,
einen, vom Käufer aus betrachtet, gültig abgeschlossenen Freihandverkauf
wieder aufzuheben, weil das Konkursamt die hiefür geltenden gesetzlichen
Regeln missachtet hat. In BGE 50 III 110 wurde diese Frage verneint;
in BGE 63 III 81 und 87 hingegen wurden Freihandverkäufe aufgehoben,
ohne dass das Bundesgericht zur grundsätzlichen Frage der Zulässigkeit
ihrer Aufhebung Stellung genommen hätte. In BGE 76 III 104 wurde diese
Frage unter Hinweis auf die bestehende Kontroverse offen gelassen. Auch
FRITZSCHE, aaO Bd. I S. 285/86, äussert sich nicht eindeutig zu diesen
Problem, während HINDERLING, ZSR 83/1964 I S. 110 ff., der Auffassung ist,
der Freihandverkauf sei privatrechtlicher Natur. Im vorliegenden Fall kann
die Frage nach der Rechtsnatur des Freihandverkaufs indessen ebenfalls
offen bleiben, weil die Rekurse auch dann abzuweisen sind, wenn an sich
eine Aufhebung des bereits getätigten Freihandverkaufs zulässig wäre.

Erwägung 3

    3.- In materieller Hinsicht wirft der Rekurrent dem Konkursamt vor,
es habe beim freihändigen Verkauf der noch vorhandenen Geschäftsaktiven
in mehrfacher Hinsicht gesetzwidrig gehandelt.

    a) Der Rekurrent macht zunächst geltend, der Verkauf hätte nicht
erfolgen dürfen, weil der Präsident der kantonalen Aufsichtsbehörde seiner
Beschwerde vom 13. November 1974 am 19. November 1974 aufschiebende Wirkung
zuerkannt habe, die bis zum materiellen Entscheid über die Beschwerde
am 30. Dezember 1974 nicht widerrufen worden sei. Diese Argumentation
ist jedoch offensichtlich unhaltbar. Wie sich aus dem Entscheid der
Vorinstanz vom 30. Dezember 1974 ergibt, wurde diese am 17. Dezember 1974
vom Konkursamt darüber informiert, dass der Rekurrent auf die seiner
Beschwerde zugestandene aufschiebende Wirkung verzichte. Dem Schreiben
des Konkursamtes lag eine entsprechende schriftliche Erklärung des
Rekurrenten vom 16. Dezember 1974 bei. Darin knüpfte er seinen Verzicht
an die Bedingung, dass "dadurch ein Freihandverkauf ermöglicht wird,
welcher die ausstehenden Massakosten deckt und eine sofortige Räumung der
gemieteten Räumlichkeiten bis ca. Ende 1974 ermöglicht". Dass mit diesem
Vorgehen erreicht werden wollte, die Geschäftsaktiven der konkursiten
Firma so rasch als möglich zum offerierten Preis der Kaufinteressentin
P. AG zu veräussern, ergibt sich auch aus dem Schreiben des Konkursbeamten
vom 16. Dezember 1974 an den Rekurrenten. Sonst hätte der Verzicht auf
die aufschiebende Wirkung gar keinen Sinn gehabt. Es liegt daher auf der
Hand, dass bei allen Beteiligten die Meinung bestand, die aufschiebende
Wirkung sei dahingefallen, auch wenn keine formelle Aufhebungsverfügung
erlassen wurde. Aus diesem Grund kann daher der Freihandverkauf nicht
aufgehoben werden.

    b) Im weitern bringt der Rekurrent vor, dem Freihandverkauf seien
Rechte von Massagläubigern entgegengestanden, zu deren Gunsten einzelne der
verkauften Geschäftsaktiven gepfändet gewesen seien. Dabei handelt es sich
aber um eine neue Behauptung. Ob sie zulässig ist, kann offen bleiben;,
denn der Rekurrent legt nicht dar, und es ist auch nicht erfindlich,
inwiefern er durch diese von ihm behauptete Rechtsverletzung beschwert
sein soll.
   c) Nach der Rechtsprechung ist die Zustimmung zu einem
Freihandverkauf ungültig, wenn den Gläubigern nicht Gelegenheit gegeben
wurde, höhere Angebote zu machen (BGE 63 III 87, 76 III 105, 82 III 62,
88 III 39 Erw. 6 und 93 III 29; FRITZSCHE, aaO Bd. II S. 162). Der
Rekurrent macht nun geltend, es sei ihm keine genügende Gelegenheit
zur Stellung einer Offerte eingeräumt worden. Das ist jedoch eine
offensichtlich haltlose Behauptung. Das Konkursamt stellte dem Rekurrenten
seine Zirkulare vom 7. und 28. November 1974 zu, in welchen die Gläubiger
über die vorhandenen Angebote orientiert wurden. In beiden Rundschreiben
wurden die Gläubiger ausdrücklich auf die Möglichkeit, höhere Offerten zu
stellen, aufmerksam gemacht. Am 16. Dezember 1974 teilte das Konkursamt
dem Rekurrenten mit, dass ein Angebot von Fr. 80'000.-- vorliege,
worauf er erklärte, in diesem Falle verzichte er auf die Stellung einer
Offerte. Diese Tatsache muss sich der Rekurrent entgegenhalten lassen;
die Darstellung in der Rekursschrift, sein diesbezügliches Verhalten
habe kaufmännischer Klugheit entsprochen, kann nicht gehört werden. Seine
weitere Behauptung, er habe nicht gewusst, was nun wirklich Gegenstand des
Freihandverkaufes bilden solle, ist neu und daher im Rekursverfahren vor
Bundesgericht unzulässig. Zudem hätte er sich, falls diese Behauptung
zutreffen würde, beim Konkursamt über diese Fragen näher erkundigen
können. Dass er das getan und keine Antwort erhalten habe, behauptet er
nicht. Es kann somit keinesfalls gesagt werden, es sei dem Rekurrenten
nicht Gelegenheit gegeben worden, ein höheres Angebot zu machen.

    d) Schliesslich behauptet der Rekurrent, das Konkursinventar sei
mangelhaft aufgenommen worden. Er versucht, daraus die Möglichkeit der
Schädigung von Gläubigerinteressen abzuleiten. Diese allgemein gehaltenen
Ausführungen genügen indessen nicht, um darzutun, dass das Konkursamt eine
Gesetzesverletzung begangen habe, die eine Aufhebung des Freihandverkaufes
zu rechtfertigen vermöchte.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Die staatsrechtlichen Beschwerden werden als Rekurse im Sinne von
Art. 19 SchKG behandelt, und diese werden abgewiesen.