Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 99



101 Ib 99

18. Urteil vom 31. Januar 1975 i.S. E.G. Portland Zementfabriken gegen
Eidg. Zollrekurskommission Regeste

    Verfahren der Zollabfertigung. Fall eines Importeurs, welcher
Anspruch auf Anwendung eines Präferenzzollansatzes erhebt, aber die dafür
erforderlichen Warenverkehrsbescheinigungen binnen der gesetzten Frist
nicht dem zuständigen Zollamt, sondern den Schweizerischen Bundesbahnen
übergeben hat.

    1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Auslegung von
Art. 100 lit. h OG (Erw. 1).

    2. Anwendung des in Art. 21 Abs. 2 VwVG und anderen Bestimmungen des
Bundesrechts ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes, wonach eine Frist
als gewahrt gilt, wenn die Partei rechtzeitig an eine unzuständige Behörde
gelangt. Die Bundesbahnen gelten als Behörde (Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG)
auch dann, wenn sie zivilrechtliche Verträge abschliessen und die darin
übernommenen Verpflichtungen erfüllen (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Firma E.G. Portland, Zürich, führte im April und Mai 1973 aus
Italien über Chiasso Portlandzement ein. Sie erhob Anspruch auf Anwendung
des Präferenzzollansatzes von 80 Rp. je 100 kg gemäss Freihandelsabkommen
zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften (EG). Da
sie die dafür erforderlichen Warenverkehrsbescheinigungen noch nicht
beibringen konnte, liess sie durch die Güterverwaltung SBB in Chiasso
die provisorische Verzollung zum Normalansatz von Fr. 1.-- je 100 kg
beantragen. Das Zollamt nahm eine definitive Abfertigung zu diesem Ansatz
vor, machte aber in einem jeder Zollquittung beigehefteten Zettel darauf
aufmerksam, dass die Vorzugsbehandlung gewährt werde, sofern innerhalb
60 Tagen die Warenverkehrsbescheinigung vorgelegt werde. Die Frist
wurde von der Oberzolldirektion für alle solchen Fälle bis zum 31. Juli
1973 erstreckt. Die E.G. Portland liess mit einer der Post in Zürich am
31. Juli 1973 übergebenen Sendung die Warenverkehrsbescheinigungen an
die Güterverwaltung SBB in Chiasso abgehen. Diese übergab die Papiere am
3. August 1973 dem Zollamt.

    Die Zollkreisdirektion Lugano lehnte das Gesuch der E.G. Portland um
Rückerstattung der Differenz zwischen dem normalen und dem Vorzugszoll
ab, weil sie fand, die Frist für die Einreichung der Bescheinigungen sei
nicht eingehalten worden. Auf Beschwerde der Firma hin bestätigte die
Oberzolldirektion diese Verfügung. Die Zollrekurskommission, an welche
die Gesellschaft die Sache weiterzog, wies die Beschwerde ebenfalls ab.

    Die E.G. Portland erhebt gegen diesen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in welcher sie am Begehren um Rückerstattung
festhält. Die Oberzolldirektion und die Zollrekurskommission beantragen
die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist zulässig, da sie
sich gegen eine Verfügung einer eidgenössischen Rekurskommission richtet
(Art. 97 Abs. 1 und Art. 98 lit. e OG) und keiner der Fälle vorliegt,
in denen dieses Rechtsmittel nach Art. 99-102 OG ausgeschlossen ist. Dem
Eintreten steht insbesondere Art. 100 lit. h OG nicht entgegen, wonach die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen über die Zollveranlagung
unzulässig ist, soweit diese von der Tarifierung oder der Gewichtsbemessung
abhängt. Diese Bestimmung beruht auf der Überlegung, dass die Tarifierung
und die Gewichtsbemessung in Zollsachen sich für die Überprüfung durch das
Bundesgericht nicht eignen. Die Vorschrift ist, wie sich aus ihrem Text
("soweit") deutlich ergibt, in dem Sinne einschränkend auszulegen, dass sie
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur ausschliesst, wenn die angefochtene
Verfügung der Zollbehörde die Tarifierung oder die Gewichtsbemessung zum
Gegenstand hat. Um eine solche Verfügung handelt es sich hier nicht. Zwar
wird im angefochtenen Entscheid das Begehren der Beschwerdeführerin um
Rückerstattung der Differenz zwischen dem nach dem Normalansatz erhobenen
Zoll und dem bei Anwendung des niedrigeren Ansatzes gemäss Abkommen mit
den EG sich ergebenden Betrag abgelehnt, aber lediglich deshalb, weil
nach der Auffassung der Zollrekurskommission die Frist für die Vorlegung
der Warenverkehrsbescheinigungen nicht eingehalten worden ist. Es ist
nicht bestritten, dass dem Rückerstattungsbegehren zu entsprechen wäre,
wenn anzunehmen wäre, dass die Frist gewahrt worden ist. Der Streit geht
darum, ob die Beschwerdeführerin innert der Frist gehandelt habe. Auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die von der Oberzolldirektion für die nachträgliche Vorlegung
der Warenverkehrsbescheinigungen gesetzte Frist ist am 31. Juli 1973
abgelaufen. Spätestens an diesem Tage hätten die von der Beschwerdeführerin
beigebrachten Bescheinigungen dem für die Zollabfertigung zuständigen
Zollamt in Chiasso oder zu dessen Handen der schweizerischen Post übergeben
werden sollen. Sie sind zwar am 31. Juli 1973 der Post in Zürich übergeben
worden, aber zuhanden der Güterverwaltung SBB in Chiasso, an welche die
Sendung adressiert war; diese Stelle hat die Papiere erst am 3. August
1973, also nach Ablauf der Frist, dem Zollamt ausgehändigt.

    Die Beschwerdeführerin hält dafür, sie habe die Frist gleichwohl
eingehalten, indem sie rechtzeitig an eine unzuständige Behörde gelangt
sei, nämlich an die SBB, welche gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG eine
Behörde seien; in einem solchen Fall gelte die Frist nach Art. 21 Abs. 2
VwVG als gewahrt. Demgegenüber machen die Oberzolldirektion und die
Zollrekurskommission geltend, nach Art. 3 lit. e VwVG finde dieses Gesetz
auf das Verfahren der Zollabfertigung keine Anwendung; überdies sei Art. 21
Abs. 2 VwVG im vorliegenden Fall auch deshalb nicht anwendbar, weil die SBB
hier nicht als Behörde im Sinne des Art. 1 VwVG gehandelt hätten, sondern
als kommerzielle Unternehmung auf Grund eines dem Zivilrecht unterstehenden
Vertrages, durch dessen Abschluss sie, gleich wie jeder andere Warenführer
oder Spediteur, die Aufgaben eines Zollmeldepflichtigen übernommen hätten.

    a) In der Tat bestimmt Art. 3 lit. e VwVG, dass dieses Gesetz auf das
Verfahren der Zollabfertigung keine Anwendung findet. Den Vorinstanzen ist
auch zuzugeben, dass man es hier mit einem solchen Verfahren zu tun hat. Es
handelt sich um eine Phase eines Verfahrens, das eine vorschriftsgemässe
Veranlagung des Zolls zum Ziele hat. Die Zollveranlagung findet stets im
Rahmen einer Zollabfertigung statt.

    Für das Verfahren der Zollabfertigung sind die besonderen
Vorschriften des Zollrechts massgebend. Die Zollgesetzgebung enthält
keine Bestimmung darüber, wie es zu halten ist, wenn im erstinstanzlichen
Zollabfertigungsverfahren der Zollpflichtige innert einer von ihm zu
wahrenden Frist nicht an die zuständige, sondern an eine unzuständige
Stelle gelangt. Dagegen finden sich im Zollgesetz einschlägige Vorschriften
für das Beschwerdeverfahren. Art. 109 ZG bestimmt in Abs. 2, dass
die Frist für die erste Beschwerde gegen die Zollabfertigung 60 Tage
beträgt, und in Abs. 3, dass im übrigen das Beschwerdeverfahren sich
nach den Art. 44 ff. VwVG und den Art. 97 ff. OG richtet. Es ist klar
und wird durch diese Verweisung bestätigt, dass Art. 107 Abs. 1 OG,
wonach die Frist für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht
auch dann als gewahrt gilt, wenn der Beschwerdeführer fristgerecht an
eine unzuständige Behörde gelangt, in Zollsachen ebenfalls Anwendung
findet. Keinem Zweifel unterliegt ferner, dass Art. 21 Abs. 2 VwVG, der
für die im Anwendungsbereich dieses Gesetzes einzuhaltenden Fristen den
gleichen Grundsatz ausspricht, insbesondere auch das Beschwerdeverfahren
gemäss Art. 44 ff. VwVG betrifft. Indem Art. 109 Abs. 3 ZG auf die Art. 44
ff. VwVG verweist, erklärt er also für das Beschwerdeverfahren vor den
Zollkreisdirektionen, der Oberzolldirektion, der Zollrekurskommission
und dem Eidg. Finanz- und Zolldepartement auch Art. 21 Abs. 2 VwVG als
anwendbar. Die Zollrekurskommission bestreitet dies nicht, nimmt aber an,
aus Art. 3 lit. e VwVG und Art. 109 Abs. 3 ZG ergebe sich, dass der in
Art. 21 Abs. 2 VwVG ausgesprochene Grundsatz für das erstinstanzliche
Verfahren der Zollabfertigung nicht gelte. Dieser Auffassung kann nicht
zugestimmt werden.

    Art. 21 Abs. 2 VwVG ist nicht eine vereinzelte Bestimmung; das OG
enthält in Art. 32 Abs. 3, Art. 96 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 1 ähnliche
Vorschriften. In allen diesen Bestimmungen kommt der gleiche Grundsatz zum
Ausdruck. Er muss jedenfalls in allen Verfahren, in denen eidgenössische
Behörden Verwaltungsrecht des Bundes anwenden, massgebend sein, soweit
seiner Geltung nicht besondere Vorschriften oder die besondere Natur
eines bestimmten Verfahrens entgegenstehen. Wie gesagt, ist er nach dem
Wortlaut und Sinn der gesetzlichen Ordnung auch für das Beschwerdeverfahren
in den Zollsachen anerkannt, zu denen die Streitigkeiten, welche die
Zollabfertigung betreffen, ebenfalls gehören. In Anbetracht dieser
Ordnung kann die Annahme der Vorinstanzen, dass der Grundsatz nur gerade
für das erstinstanzliche Zollabfertigungsverfahren nicht gelte, nicht
einfach daraus abgeleitet werden, dass eine entsprechende ausdrückliche
Vorschrift für dieses Verfahren fehlt und Art. 3 lit. e VwVG dieses Gesetz
auf das Zollabfertigungsverfahren nicht anwendbar erklärt. Art. 3 lit. e
VwVG schliesst nicht aus, dass im Verfahren der Zollabfertigung auch
allgemeine Grundsätze, die in der Zollgesetzgebung nicht besonders erwähnt
sind, angewandt werden. Jene Auffassung der Vorinstanzen liesse sich nur
rechtfertigen, wenn ein zureichender sachlicher Grund dafür bestände. Ein
solcher Grund wird jedoch nicht genannt und ist auch nicht ersichtlich. Es
muss daher angenommen werden, dass der in Frage stehende allgemeine
Grundsatz auch für das erstinstanzliche Verfahren der Zollabfertigung gilt.

    b) Nach Art. 1 BG vom 23. Juni 1944 über die Schweizerischen
Bundesbahnen sind diese eine innerhalb der Schranken der Bundesgesetzgebung
selbständige eidgenössische Verwaltung, d.h. ein autonomer eidgenössischer
Betrieb im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG und Art. 98 lit. d
OG. Solche Betriebe gelten, wie Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG ausdrücklich
bestimmt, als Behörden im Sinne dieses Gesetzes. Die SBB können also
gegebenenfalls eine "unzuständige Behörde" im Sinne des in Art. 21 Abs. 2
VwVG (und anderen Bestimmungen des Bundesrechts) zum Ausdruck gebrachten
Grundsatzes sein.

    So verhält es sich hier: Die Beschwerdeführerin hat sich in einer
Angelegenheit an die SBB gewandt, in der diese für Amtshandlungen nicht
kompetent waren. Die SBB sind also eine in dieser Sache nicht zuständige
Behörde.

    Daran ändert es nichts, dass ihre Beziehungen zur Beschwerdeführerin
im vorliegenden Fall zivilrechtlicher Natur waren. Eine staatliche
Stelle, die als Behörde gilt, behält diese Eigenschaft auch dann, wenn
sie zivilrechtliche Verträge abschliesst und die darin übernommenen
Verpflichtungen erfüllt. Die in Art. 1 Abs. 2 lit. a-d VwVG genannten
Amtsstellen sind, wie diese Bestimmungen bestätigen, unter allen Umständen
als Behörden zu betrachten, im Unterschied zu "anderen Instanzen oder
Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung", denen die nachfolgende
lit. e diese Eigenschaft nur zuerkennt, "soweit sie in Erfüllung ihnen
übertragener öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes verfügen". Für
die Anwendung des Grundsatzes, der in Art. 21 Abs. 2 VwVG und anderen
bundesrechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommt, ist es belanglos, aus
welchem Grunde die angegangene Amtsstelle unzuständig ist. Es genügt,
dass sie eine unzuständige Behörde ist, was hier für die SBB nach dem
Gesagten zutrifft.

    c) Diese Feststellungen führen zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin
die für die nachträgliche Einreichung der Warenverkehrsbescheinigungen
gesetzte Frist gewahrt hat; denn sie hat sich rechtzeitig an eine Stelle
gewandt, die eine unzuständige Behörde im Sinne des anwendbaren allgemeinen
Grundsatzes ist. Die zuständige Zollbehörde hätte daher auf das von der
Beschwerdeführerin gestellte Gesuch um Rückerstattung eines Zollbetrages
eintreten sollen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird insofern gutgeheissen, als der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die
Zollkreisdirektion Lugano zurückgewiesen wird.