Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 329



101 Ib 329

58. Urteil vom 8. Oktober 1975 i.S. Bürgerspital Basel gegen
Wohngenossenschaft Rodrisstrasse 1 und Mitbeteiligte Regeste

    Bundesbeschluss betreffend Überwachung der Preise, Löhne und Gewinne
vom 20. Dezember 1972 (BB).

    Art. 1 f. BB ermächtigen den Beauftragten nicht zur Überwachung der
Baurechtszinse.

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1949 schloss das Bürgerspital Basel mit den
Wohngenossenschaften Rodrisstrasse 1, Lettenhof und Ettingerhof mehrere,
auf 100 Jahre befristete Baurechtsverträge ab. Alle Verträge enthalten
die folgende Bestimmung:

    "Nach Ablauf von je fünfundzwanzig Jahren wird der Baurechtszins
   auf Grund entsprechender Verhandlungen neu festgesetzt. Hierbei ist
   auf den dannzumal geltenden Verkehrswert des Landes und die Boden- und

    Kapitalzinsverhältnisse abzustellen.

    Können sich die Parteien über die Höhe des neuen Baurechtszinses
   nicht einigen, so wird derselbe von dem in Ziffer 15 (fünfzehn)
   vorgesehenen Schiedsgericht festgesetzt".

    Am 13./14. Dezember 1973 gelangte die Direktion des Bürgerspitals mit
gesondertem Brief an jede der drei Wohngenossenschaften und verlangte
auf Ablauf der ersten 25 Jahre Baurechtsdauer eine Anpassung des
Baurechtszinses, die sie ziffernmässig angab. Sie gründete sich auf
eine durch die Bewertungskommission des Baudepartementes Basel-Stadt
vorgenommene Neuschätzung des Bodens. Ohne das vertraglich vorgesehene
Schiedsgericht anzurufen, wandten sich die drei Wohngenossenschaften
nacheinander an das Büro des Beauftragten für die Überwachung der Preise,
Löhne und Gewinne (nachfolgend der Beauftragte) und ersuchten ihn,
einzuschreiten.

    Der Beauftragte entschied am 31. Dezember 1974, dass er zur Überprüfung
von Baurechtszinsen zuständig sei. Der Begriff "Preise von Waren" müsse
vom Sinn und Zweck des Bundesbeschlusses betreffend Überwachung der
Preise, Löhne und Gewinne vom 20. Dezember 1972 (BB) aus interpretiert
werden. Der Preis einer Ware könne demnach nicht nur als Veräusserungspreis
verstanden werden; vielmehr falle darunter auch der Überlassungspreis
von Waren zum Gebrauch. Ökonomisch betrachtet sei der Boden als
wirtschaftliches Gut den Waren im Sinne des BB gleichzustellen. Die
Bedenken gegenüber einer Bodenbewertung durch Notrecht, die gegenüber
einer Preisüberwachung des Verkaufs von Grundstücken bestanden hätten,
bestünden nicht für die Überwachung des Bodenüberlassungspreises im Falle
der Baurechtszinse. Materiell setzte der Beauftragte die Baurechtszinse
entsprechend der Erhöhung des Indexstandes in den Jahren 1949-1974
neu fest.

    Eine vom Bürgerspital gegen den Entscheid des Beauftragten eingereichte
Beschwerde wurde vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
(EVD) abgewiesen. Zur Begründung der Zuständigkeit des Beauftragten zur
Überwachung von Baurechtszinsen oder des sachlichen Geltungsbereiches des
Bundesbeschlusses führte das EVD aus, Art. 1 Abs. 1 BB umschreibe lediglich
den Zweck der Preisüberwachung. Für den Geltungsbereich dagegen sei
Art. 2 Abs. 1 BB von entscheidender Bedeutung. Diese Vorschrift gebe dem
Bundesrat die Kompetenz, für von Kartellen oder ähnlichen Organisationen
in Aussicht genommene Preiserhöhungen die Meldepflicht zu verfügen. Diese
Kompetenz beziehe sich ganz allgemein, ohne sachliche Beschränkung, auf
Preiserhöhungen. Auch die Tatsache, dass der Beauftragte Einfluss auf
die Entwicklung des Hypothekarzinsfusses genommen habe, zeige, dass der
Anwendungsbereich der Preisüberwachung keineswegs nur auf Preise von Waren
oder Dienstleistungen im üblichen Sinn des Wortes beschränkt sei. Es lägen
keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber die Baurechtszinse
der Preisüberwachung habe entziehen wollen. Daher sei der Beauftragte
für die Überwachung und damit für die Herabsetzung von Baurechtszinsen
zuständig. Materiell sei der Beauftragte richtig vorgegangen; eine über die
Anpassung an den Index der Lebenskosten hinausgehende Baurechtszinserhöhung
müsse als ungerechtfertigt herabgesetzt werden.

    Das Bürgerspital Basel hat beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Hauptbegehren auf Aufhebung
der angefochtenen Verfügung.

    Das EVD und die drei Wohngenossenschaften beantragen Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zivilrechtlich betrachtet bildet der Baurechtszins die Vergütung
dafür, dass dem Baurechtsberechtigten eine Dienstbarkeit eingeräumt wird,
kraft deren er auf einem Grundstück ein Bauwerk errichten oder beibehalten
darf (Art. 779 ZGB). Wirtschaftlich gesehen ist der Baurechtszins ein
Nutzungsentgelt für die langfristige Nutzung eines Stückes Boden. Weder in
der Rechtssprache noch in der Umgangssprache wird somit der Baurechtszins
als Waren- oder Dienstleistungspreis begriffen. Die Baurechtszinse
könnten also der Preisüberwachung nur unterstehen, wenn sich aus der
Entstehungsgeschichte und dem Sinn des BB ergäbe, dass der Gesetzgeber auch
diesen Gegenstand der Kontrolle unterstellen wollte und dass deshalb der
Wortlaut des Erlasses zu eng ist (vgl. BGE 101 Ia 69 E. 2d, 100 Ib 316 f.).

Erwägung 2

    2.- Auch das EVD musste sich augenscheinlich davon überzeugen,
dass Baurechtszinse kaum als Preise von Waren oder Dienstleistungen
gelten können. Daher vertritt es die Auffassung, Art. 1 BB umschreibe
nur den Zweck der Preisüberwachung, nicht aber den Geltungsbereich des
Beschlusses. Für den Geltungsbereich sei vielmehr Art. 2 Abs. 1 BB von
entscheidender Bedeutung, der die Meldepflicht ohne sachliche Begrenzung
auf sämtliche Preiserhöhungen beziehe.

    Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden. Art. 1 BB stellt jedenfalls
insofern keinen Zweckartikel dar, als er bestimmt, dass der Bundesrat
befugt ist, die Entwicklung der Preise von Waren und Dienstleistungen
zu überwachen. Eine Zweckformulierung enthält höchstens der zweite
Satz, der bestimmt, dass diese Preisüberwachung zur Verhinderung von
Missbräuchen und zur Orientierung der Öffentlichkeit erfolgt. Eine typische
Zweckumschreibung enthält beispielsweise Art. 1 des Bundesbeschlusses
über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, wonach
der Beschluss bezweckt, die Mieter vor missbräuchlichen Mietzinsen und
andern Missbräuchlichen Forderungen der Vermieter zu schützen.

    Unrichtig ist auch, dass Art. 2 BB den gegenständlichen Geltungsbereich
der Preisüberwachung bestimme. Nach dem Randtitel wird hier lediglich
eine Meldepflicht statuiert, indem der Bundesrat vorschreiben kann,
dass durch Kartelle oder ähnliche Organisationen in Aussicht genommene
Preiserhöhungen vor ihrer Inkraftsetzung dem Beauftragten zu melden
und zu begründen sind. Wenn die Auffassung des EVD zuträfe, dann hätte
mindestens in der VO eine Bestimmung über die Baurechtszinse aufgenommen
werden müssen. Das trifft nun nach Art. 5 VO gerade nicht zu. Dazu kommt,
dass die Bestimmung über die Meldepflicht erst im Parlament eingefügt
wurde (Amtl.Bull. N. 1972 S. 2391); in der Vorlage des Bundesrates
war sie nicht enthalten. Diese bestimmte in Art. 1 unter dem Randtitel
"Überwachung der Preise", dass zur Orientierung der Öffentlichkeit und zur
Verhinderung von Missbräuchen der Bundesrat die Entwicklung der Preise
von Waren und Dienstleistungen überwache. In Art. 2 wurde unter dem
Randtitel "Verhinderung ungerechtfertigter Preiserhöhungen" bestimmt,
dass dann, wenn die Überwachung der Preise eine ausserordentliche
Preissteigerung bei einzelnen Waren oder Dienstleistungen ergebe, der
Beauftragte zuerst zu versuchen habe, in gemeinsamen Gesprächen mit den
Betreffenden die Preissteigerung zu beseitigen. Wenn das nicht gelinge,
so seien ungerechtfertigt erhöhte Preise herabzusetzen und weitere
Preiserhöhungen von einer Bewilligung abhängig zu machen. Diese Bestimmung
des Entwurfes ist nahezu unverändert zu Art. 3 des definitiven Beschlusses
geworden. Die zugehörige Botschaft des Bundesrates bestätigt eindeutig,
dass die ursprünglichen Art. 1 und 2 des Entwurfes als Umschreibung
des Geltungsbereiches des Überwachungsbeschlusses und der Zuständigkeit
des Beauftragten gedacht waren (BBl 1972 II 1571 und 1591). Daran hat
entgegen der Auffassung des EVD auch die Einfügung von Art. 2 BB durch das
Parlament nichts geändert. Aus dieser Bestimmung kann keine Erweiterung
des Geltungsbereiches abgeleitet werden.

Erwägung 3

    3.- Aus den Vorarbeiten zum BB ergibt sich ebenso eindeutig, dass der
Preisüberwachungsbeschluss nicht einen Preisstopp oder eine umfassende
Preiskontrolle bezweckte. So führte der Bundesrat in seiner Botschaft
unter anderem aus:

    "Preisstopp und umfassende Preiskontrolle erwiesen sich immer
   dann als Fehlschlag, wenn sie nicht von einer lückenlosen

    Lohnüberwachung ergänzt und nachfragedämpfenden Globalmassnahmen
getragen
   und schliesslich abgelöst wurden.

    Trotz dieser grundsätzlichen Ablehnung einkommenspolitischer

    Massnahmen in Form eines umfassenden Preis- und Lohnstopps kann
   der Bundesrat übermässigen Preisentwicklungen bei einzelnen Waren oder
   Dienstleistungen nicht tatenlos zusehen." (BBl 1972 II 1554 f.).

    Tatsächlich sind denn auch die Grundstückspreise von der Überwachung
ausgenommen worden; ein auf ihre Unterstellung abzielender Antrag wurde im
Parlament abgelehnt (Amtl.Bull. N. 1972 S. 2381, 2390; N. 1973 S. 1160 f.).

    Ebensowenig wurden die Mietzinse als Preise von Waren oder
Dienstleistungen begriffen. Daher oder statt dessen wurde der
Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen auf
das ganze Land ausgedehnt (Art. 6 BB; BBl 1972 II 1571 f.). Dabei ist
zu beachten, dass der Beauftragte für die Mietzinsüberwachung nicht
zuständig ist.

    Es lässt sich keine einleuchtende Erklärung dafür finden,
warum, wenn nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers Mieten
und Grundstücksverkäufe von der Überwachung ausgenommen sind, die
gewissermassen dazwischen liegenden Baurechtszinse ihr unterstellt
sein sollten. Auch die Entstehungsgeschichte des BB liefert keinen
Anhaltspunkt für eine solche Betrachtungsweise. Die Systematik des
Beschlusses bestätigt, dass es sich gerade nicht so verhält, dass alles der
Preisüberwachung untersteht, was nicht ausdrücklich davon ausgenommen ist;
vielmehr wird positiv umschrieben, was unterstellt sein soll, nämlich
die Preise von Waren und Dienstleistungen.

Erwägung 4

    4.- Auch vom Zweck her gesehen ist die Anwendung des
Preisüberwachungsrechtes auf den vorliegenden Sachverhalt nicht
angezeigt. Veranlassung zu der Preisüberwachung gab die konjunkturelle
Marktlage, welche Anbieter von Waren oder Dienstleistungen in die
Lage versetze, den Nachfrageüberhang auszunützen, um einseitig beim
Kunden überhöhte Preise für Waren oder Dienstleistungen durchzusetzen
(BBl 1972 II 1555). Im vorliegenden Fall dagegen haben die Parteien
zum vornherein eine vertragliche Vereinbarung getroffen, derzufolge ein
langfristiges Vertragsverhältnis im Abstand von 25 Jahren den veränderten
Verhältnissen anzupassen sei. Ein Zusammenhang mit einer ausserordentlichen
konjunkturellen Situation besteht also nicht. Sie ist nicht auslösende
Ursache. Die Anpassung soll an den dannzumal geltenden Verkehrswert
des Landes und die Boden- und Kapitalzinsverhältnisse erfolgen. Mangels
Verständigung unter den Parteien hat ein Schiedsgericht den während 25
Jahren unverändert gebliebenen und nachher wieder unverändert bleibenden
Baurechtszins neu festzusetzen.

    Die Anpassung des Baurechtszinses hat ihre Veranlassung mithin
nicht in der Ausnutzung einer konjunkturellen Ausnahmesituation. Für
die Anpassung sind ebensowenig die vorübergehenden ausserordentlichen
Verhältnisse massgebend, sondern eine objektiv zu beurteilende dauerhafte
Lage. So hat denn auch die Bewertungskommission den Bodenwert gestützt
auf ein Gesetz über die Ermittlung der Grundstückwerte vom 20. Juni
1968 nach objektiven Gesichtspunkten geschätzt. Daher rührt es, dass
nach der Beurteilung des Finanzdepartementes des Kantons Basel-Stadt
die auf Grund der Baurechtszinsanpassung erhöhten Mieten immer noch
weit niedriger liegen als der Basler-Durchschnitt. Dieser Hinweis soll
nicht im Sinne einer materiellen Beurteilung der Angemessenheit der
Baurechtszinsanpassung verstanden werden, sondern als Bestätigung dafür,
dass der Sachverhalt nicht die Merkmale aufweist, die Veranlassung zum
Preisüberwachungsbeschluss gegeben haben.

Erwägung 5

    5.- Die vom EVD vergleichsweise herangezogene Überwachung der
Hypothekarzinse lässt keinen Schluss auf die Zulässigkeit der Überwachung
auch der Baurechtszinse zu. Gestützt auf Art. 2 BB hat der Bundesrat in
Art. 5 Abs. 1 VO das Bankengewerbe der Meldepflicht für Preiserhöhungen
unterstellt. Banken gelten als Dienstleistungsbetriebe. Anscheinend
wurde die Unterstellung verfügt in der Meinung, dass die von Banken für
Gelddarleihen aller Art zur Anwendung gebrachten Zinssätze überwacht
werden sollten. Ob das nach Art. 1 BB tatsächlich zutrifft, kann offen
bleiben. Aus der Unterstellung grundpfändlich gesicherter Darlehen
unter die Preisüberwachung kann jedenfalls nicht geschlossen werden,
dass deswegen auch die Baurechtszinse überwacht werden müssten. Das
Hypothekarzinsgeschäft gehört zu den Dienstleistungen des Bankengewerbes;
die Besonderheit besteht lediglich darin, dass die Rückzahlung der
Hypothekardarlehen durch den Wert bestimmter Grundstücke sichergestellt
ist, während dies für andere Darlehens- und Kreditverhältnisse nicht
der Fall ist. Das Baurecht als beschränktes dingliches Recht dagegen
steht mit dem Eigentum an Grundstücken in Zusammenhang. Die für seine
Einräumung geschuldete Entschädigung, der Baurechtszins, besteht, wie
deutlich aus dem französischen Ausdruck "rente du droit de superficie"
hervorgeht, in einer jährlichen Rente, die nicht als Kapitalzins und
auch nicht als Amortisationsbeitrag oder als Annuität zu verstehen ist,
wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Revision der Vorschriften über
das Baurecht ausführte (BBl 1963 I 971). Somit darf aus der Unterstellung
der Hypothekarzinse unter den BB nicht der Schluss auf die Zulässigkeit
der Überwachung der Baurechtszinse gezogen werden.

Erwägung 6

    6.- Endlich kann auch nicht gesagt werden, das Fehlen der Unterstellung
der Baurechtszinse unter die Überwachung beruhe auf einem Versehen des
Gesetzgebers; es bestehe deshalb eine Lücke im BB. Eine Gesetzeslücke
könnte nur bei einer planwidrigen Unvollständigkeit des Erlasses angenommen
werden. Die Gesetzesmaterialien liefern keinen Anhaltspunkt dafür; im
Gegenteil ist aus der ausdrücklichen Ablehnung der Preisüberwachung für
Grundstücksverkäufe durch das Parlament und der speziellen, nicht im BB
enthaltenen Regelung für die Mietzinsüberwachung auf ein qualifiziertes
Schweigen des Gesetzgebers zu schliessen.

Erwägung 7

    7.- Erstreckt sich der Geltungsbereich des Preisüberwachungsbeschlusses
und die Zuständigkeit des Beauftragten nicht auf Baurechtszinse, so ist
dem Hauptbegehren des Beschwerdeführers auf Aufhebung der angefochtenen
Verfügung zu entsprechen. Es erübrigt sich daher, zu prüfen, ob die
Beschwerde auch deswegen geschützt werden müsste, weil die Erhöhung der
Baurechtszinse nicht als ungerechtfertigt erachtet werden könnte.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des Beauftragten
für die Überwachung der Preise, Löhne und Gewinne vom 31. Dezember 1974
wird aufgehoben.