Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 313



101 Ib 313

56. Auszug aus dem Urteil vom 14. November 1975 i.S. Schweiz. Bund
für Naturschutz gegen X., Baufirma Y. und Regierungsrat des Kantons
Graubünden Regeste

    Forstpolizei: Widerrechtliche Rodung; Interessenabwägung; Bestimmung
der Rechtsfolgen.

    - Waldgrundstücke, die bei der Ortsplanung in die Bauzone
eingereiht werden, bleiben trotz Einzonung Waldareal, dessen Rodung der
forstpolizeirechtlichen Bewilligung bedarf.

    - Bei der Interessenabwägung nach Art. 26 FPolV können nur legitime
Privatinteressen, nicht aber vom Gesuchsteller rechtswidrig geschaffene
vollendete Tatsachen berücksichtigt werden.

    - ist eine Rodung widerrechtlich vorgenommen worden, schliesst es
das materielle Forstpolizeirecht in sich, dass den zuständigen Behörden
auch die Kompetenz eingeräumt ist, jene Massnahmen zu treffen, die der
Wiederherstellung eines forstpolizeirechtlich konformen Zustandes dienen;
die zuständigen Behörden haben sich dabei von den allgemeinen verfassungs-
und verwaltungsrechtlichen Grundsätzen leiten zu lassen.

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1970 ersuchte X., der auf seinen aneinander grenzenden
Grundstücken in N., Kanton Graubünden, zwei Appartementhäuser erstellen
wollte und hiefür bereits die Baubewilligung der Gemeinde erhalten hatte,
um eine Rodungsbewilligung. Diese wurde abgelehnt, letztinstanzlich im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor Bundesgericht am 11. November
1974. Noch während der Pendenz dieses Rodungsbewilligungsverfahrens
erwirkte X. am 30. November 1973 bei der Gemeinde N. eine neue
Baubewilligung für ein Projekt mit kleinerer Kubatur. Am 12. August
1974 wurde sodann eine Baufirma Y. Miteigentümerin der beiden Parzellen
und am 19. September 1974 wurde mit dem Aushub für das neue Bauvorhaben
begonnen. Der Aushub griff auf das Waldgebiet über. Nach Bekanntwerden des
Bundesgerichtsurteils vom 11. November 1974 verfügte das kantonale Bau- und
Forstamt am 20. November 1974 die Einstellung der Bauarbeiten. Daraufhin
reichten die Eigentümer ein neues Rodungsbewilligungsgesuch für
die durch den Aushub bereits in Anspruch genommene Fläche ein. Die
Regierung des Kantons Graubünden hiess das Gesuch gut und bewilligte die
Rodung. Gegen diesen Entscheid führt der Schweiz. Bund für Naturschutz
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Die Regierung des Kantons Graubünden misst bei der nach Art. 26
FPolV vorzunehmenden Interessenabwägung dem Umstand entscheidende Bedeutung
bei, dass seit Mitte August 1974 die Baufirma Y. neben X. Miteigentümerin
der Parzellen ist, im internen Verhältnis zum grössten Teil engagiert
sei und bereits eine halbe Million in den Bau investiert habe. Dazu liege
eine Bewilligung im Interesse des notleidenden Engadiner Baugewerbes.

    Aus den Akten ergibt sich, dass die Rodung, für welche die Bewilligung
nachgesucht wird, im Zeitpunkt der Gesuchstellung bereits vollzogen
war. Die Bündner Behörden sahen für dieses rechtswidrige Vorgehen im
angefochtenen Bewilligungsentscheid eine Bestrafung des Eigentümers
X. vor. Seither, nämlich mit Strafmandat vom 26. Mai 1975, hat das Bau-
und Forstdepartement X. wegen Übertretung des FPolG in eine Busse von
Fr. 3'000.-- verfällt. Die Bündner Regierung ist jedoch der Meinung,
die nachträgliche Bewilligung der Rodung ermögliche die Behebung des
vom Eigentümer verschuldeten rechtswidrigen Zustandes. Diese Überlegung
als Motivation des angefochtenen Bewilligungsentscheides verletzt
offensichtlich Bundesrecht. In die Interessenabwägung nach Art. 26 FPolV
können nur legitime Privatinteressen einbezogen werden, nicht aber
vom Gesuchsteller rechtswidrig geschaffene vollendete Tatsachen. Die
gegenteilige Annahme würde bedeuten, dass rechtswidriges Handeln zu
Unrecht belohnt würde. Die Interessenabwägung ist daher unabhängig davon
vorzunehmen, ob bereits eigenmächtige Rodungshandlungen stattgefunden
haben.

    Der Umstand, dass die nunmehrige Miteigentümerin, die Baufirma
Y., gutgläubig gewesen sein soll, vermag keine Berufung auf den
Verfassungsgrundsatz des Vertrauensschutzes zu rechtfertigen; denn sie
behauptet selber nicht, es sei ihr von einer Forstpolizeibehörde irgendeine
Zusicherung gegeben worden.

    Die Tatsache, dass die beiden Parzellen in einer Bauzone liegen
gemäss einer Bauzonenordnung, die von der Regierung genehmigt worden
ist, rechtfertigt den Einwand des Vertrauensschutzes nicht. Im Urteil
vom 11. Oktober 1974 hat das Bundesgericht in Erwägung 4 sich mit diesem
Aspekt auseinandergesetzt. Die Grundstücke blieben trotz Einzonung in einer
Bauzone forstpolizeirechtlich Waldareal. Die Beanspruchung von Waldareal
kann nicht mit der Ortsplanung, sondern nur aufgrund einer von der
zuständigen Behörde ausgehenden Rodungsbewilligung erfolgen. Das war nicht
nur den Bündner Behörden, sondern zum mindesten auch dem Gesuchsteller
X., der für seine Eigenmächtigkeit gebüsst worden ist, klar. Das interne
zivilrechtliche Verhältnis zwischen X. und der Baufirma Y. und die Frage,
ob X. der Miteigentümerin von dem vor der Regierung negativ verlaufenen
und beim Bundesgericht pendenten Rodungsbewilligungsverfahren Kenntnis
gegeben hat oder nicht, sind vorliegend ohne Bedeutung. Andernfalls
könnte jeder Waldeigentümer im Wege dolosen Vorgehens das vom Gesetz
verpönte bauliche und wirtschaftliche Ergebnis dennoch erreichen, indem er
sein Eigentum teilweise oder ganz auf einen Dritten überträgt und dabei
seine forstrechtlichen Schwierigkeiten verschweigt (vgl. hierzu BGE 99
Ib 395 E. 2). Die Interessenlage des Käufers oder Miteigentümers aus
dem zivilrechtlichen Eigentumserwerb kann daher nicht berücksichtigt
werden, ohne dass der Schutzzweck der Forstgesetzgebung in Frage gestellt
würde. Darauf, dass der Wald auf der fraglichen Fläche bereits eigenmächtig
ruiniert worden ist und derzeit auch dem Landschaftsbild nicht mehr zu
dienen vermag, kann nichts ankommen. Massgebend sind die Eigenschaften
des Waldes vor der eigenmächtigen, rechtswidrigen Zerstörung.

    Die derzeitige schwierige Lage des Engadiner Baugewerbes
sodann kann offensichtlich nicht zu einer Rodungsbewilligung
führen. Bei Berücksichtigung solcher Faktoren würde der Zweck der
Forstpolizeigesetzgebung weitgehend illusorisch gemacht.

    Unter diesen Umständen muss es bei der in Erwägung 3 des Urteils
vom 11. Oktober 1974 vorgenommenen Interessenabwägung sein Bewenden
haben. Ein das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiegendes
Bedürfnis ist nicht dargetan. Dieser Meinung war auch die Bündner Regierung
noch am 28. Februar 1975, als sie - im Irrtum über die Zuständigkeit -
das neue Rodungsbewilligungsgesuch an das EDI mit dem Antrag auf Ablehnung
weiterleitete. Die heutige gegenteilige Annahme verletzt Bundesrecht. Die
erteilte Rodungsbewilligung ist daher in Gutheissung der Beschwerde des
Schweiz. Bundes für Naturschutz aufzuheben.

Erwägung 3

    3.- Die Verweigerung der Rodungsbewilligung bedeutet, dass
Rodungshandlungen auf den fraglichen Parzellen der Gesuchsteller nicht
erlaubt waren und sind, weil solche der eidg. Forstpolizeigesetzgebung
widersprechen. Damit ist allerdings noch nicht entschieden, in
welcher Weise die zuständigen kantonalen Behörden der missachteten
Forstpolizeigesetzgebung Nachachtung zu verschaffen haben und inwieweit
allenfalls auf vollendete Tatsachen Rücksicht genommen werden kann und
soll. Es liegt daher an diesen Behörden, in einem weiteren Entscheid
über die Rechtsfolgen des die Rodungsbewilligung ablehnenden Entscheids
zu befinden; sie werden mit andern Worten festzulegen haben, welche
rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen aus den rechtswidrigen
Rodungshandlungen zu ziehen sind. FPolG und FPolV nennen diese
Konsequenzen nicht ausdrücklich, doch schliesst es das materielle
Forstpolizeirecht in sich, dass den zuständigen Behörden grundsätzlich
auch die Kompetenz eingeräumt ist, jene Massnahmen zu treffen, die
der Wiederherstellung eines polizeikonformen Zustandes dienen. Die
zuständigen Behörden haben sich dabei von den allgemeinen verfassungs- und
verwaltungsrechtlichen Grundsätzen leiten zu lassen, zu denen auch jener
der Verhältnismässigkeit gehört. Da sich ein derartiger Entscheid materiell
auf Bundesverwaltungsrecht stützt, ist gegen den letztinstanzlichen
kantonalen Entscheid das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht wiederum zulässig. Dieser ist demzufolge mit einer
entsprechenden Rechtsmittelbelehrung zu versehen und auch dem Schweiz. Bund
für Naturschutz zu eröffnen