Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 160



101 Ib 160

30. Urteil vom 16. Mai 1975 i.S. X. und Y-Bank gegen Eidgenössische
Steuerverwaltung Regeste

    Auskunfterteilung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen vom 24.  Mai 1951
zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika (DBA-US).

    Art. XVI DBA-US verpflichtet die schweizerischen Behörden nicht, im
Rahmen der Amtshilfe die den Anforderungen des amerikanischen Rechtes
entsprechenden Beweise zu sichern und den Steuerbehörden der USA zu
übergeben.

Sachverhalt

    A.- Gestützt auf Art. XVI des am 24. Mai 1951 abgeschlossenen
Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den
Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen (DBA-US) ersuchte der Internal
Revenue Service in Washington (IRS) die Eidgenössische Steuerverwaltung
(EStV) am 16. Oktober 1969 um Auskunft aus Büchern und Belegen der
Y-Bank über Geschäfte dieser Bank mit dem amerikanischen Staatsbürger
X. oder von ihm beherrschten amerikanischen Gesellschaften. Die EStV
fasste das Ergebnis ihrer Abklärungen in einem Amtsbericht zusammen und
stellte diesen dem IRS am 19. April 1971 zu, nachdem das Bundesgericht
eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde von X. gegen dessen Übermittlung mit
Urteil vom 23. Dezember 1970 (BGE 96 I 737) abgewiesen hatte.

    In der Folge machten die amerikanischen Steuerbehörden geltend, der
Amtsbericht genüge vor amerikanischen Gerichten nicht; für den Beweis
im gerichtlichen Verfahren seien beglaubigte Originalbelege nötig. In
einem zweiten Amtshilfegesuch vom 10. November 1972 verlangte der IRS
die Beschaffung des nach amerikanischem Verfahrensrecht erforderlichen
Beweismaterials, einerseits die Übermittlung aller mit der Angelegenheit
irgendwie zusammenhängenden Dokumente der Y-Bank und anderseits die
Einvernahme von Zeugen, die in der Lage seien, Aussagen über die einzelnen
Urkunden zu machen. Mit Verfügung vom 31. August 1973 eröffnete die
EStV X. und der Y-Bank, sie werde dem Gesuch entsprechen. Sie lehnte
zwar die verlangten einlässlichen Zeugeneinvernahmen ab, ordnete jedoch
die Beschlagnahme der mit der Angelegenheit in Zusammenhang stehenden
Dokumente bei der Y-Bank und eine kurze Befragung der mit der Herausgabe
befassten Angestellten der Bank an. Einsprachen von X. und der Y-Bank
wies die EStV am 12. Februar 1974 im wesentlichen ab.

    X. und die Y-Bank haben Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie
beantragen in der Hauptsache, es sei dem zweiten Amtshilfegesuch des IRS
nicht zu entsprechen, und daher seien die Verfügung der EStV vom 31. August
1973 und der Einspracheentscheid vom 12. Februar 1974 aufzuheben.

    Die EStV beantragt, die Beschwerden abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Ablehnung des Einwandes der "res iudicata").

Erwägung 2

    2.- Art. XVI DBA-US sieht den Austausch von Auskünften (information)
vor. Die EStV hat im vorliegenden Fall aufgrund des ersten Gesuches dem
IRS die verlangten Auskünfte in Form eines Amtsberichtes zur Verfügung
gestellt.

    Im zweiten Amtshilfegesuch vom 10. November 1972 verlangt der IRS nun
die Beschaffung von Originaldokumenten oder beglaubigten Kopien sowie die
Einvernahme von Personen. Der IRS will sich nicht mit Auskünften begnügen,
sondern stellt das Begehren, es seien auch die nach amerikanischem Recht
erforderlichen Beweise auf dem Wege der Amtshilfe zu beschaffen.

    a) Nach dem Wortlaut bezieht sich Art. XVI DBA-US nur auf die Erteilung
von Auskünften: Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sollen
zu den angegebenen Zwecken (Durchführung des Abkommens, Verhütung von
Betrugsdelikten und dgl.) einander die für sie nach der Steuergesetzgebung
erhältlichen Auskünfte zur Verfügung stellen. Wie sich aus den Akten
ergibt, hat die EStV seit dem Inkrafttreten des DBA-US die vertragliche
Pflicht zum Austausch der erhältlichen Informationen stets dahin
verstanden, dass den amerikanischen Behörden nach Möglichkeit Auskünfte
zu geben, aber in der Regel nicht zusätzlich noch spezielle Beweise zu
beschaffen seien. Diese herkömmliche, dem Vertragstext entsprechende
Auslegung der staatsvertraglichen Amtshilfepflicht erscheint zutreffend.

    b) Fiskaldelikte sind nach schweizerischer Auffassung von
der Rechtshilfe in Strafsachen auszunehmen (Art. 11 Abs. 1 AuslG,
Art. 2 lit. a des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in
Strafsachen vom 20. April 1959/20. März 1967). Entstehungsgeschichte und
Text von Art. XVI DBA-US liefern keinen Anhaltspunkt für die Annahme,
die Schweiz habe - unter Aufgabe des Grundsatzes der Nichtleistung
von Rechtshilfe in Steuersachen - den Steuerbehörden der Vereinigten
Staaten für Steuerbetrugsfälle umfassende Rechtshilfe zusichern wollen;
die staatsvertragliche Verpflichtung umfasst lediglich den Austausch jener
Auskünfte, die für die Steuerbehörden nach der Gesetzgebung des ersuchten
Staates in solchen Fällen erhältlich sind. Eine weitergehende Pflicht
zur prozessualen Hilfeleistung in einem vom ersuchenden Staat geführten
Steuerstrafverfahren wäre - wie die in eigentlichen Rechtshilfeabkommen
getroffene Regelung beweist - nicht einfach mit der Feststellung
umschrieben worden, dass die zuständigen Behörden die erhältlichen
Auskünfte austauschen.

    Diese grundsätzliche Haltung wurde gerade gegenüber den Vereinigten
Staaten in dem am 25. Mai 1973 abgeschlossenen, von der Schweiz noch nicht
ratifizierten Staatsvertrag über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen
erneut bekräftigt. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist dort nur vorgesehen
bei Ermittlungen gegen leitende Personen des organisierten Verbrechens
(Art. 7 Ziff. 2). Als typische Akte der Rechtshilfe erwähnt Art. 1 Ziff. 4
des Vertrages u.a. die Abnahme von Zeugenaussagen oder anderen Erklärungen,
die Herausgabe oder Sicherstellung von Gerichtsakten, Schriftstücken oder
sonstigen Beweisstücken und die Beglaubigung von Schriftstücken. Von dieser
eigentlichen Rechtshilfe unterscheidet Art. 38 Ziff. 4 des Vertrages
"die Erteilung von Auskünften in Fällen betreffend Steuern, die unter
das Abkommen vom 24. Mai 1951 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
dem Gebiete der Steuern vom Einkommen fallen" (vgl. hiezu Botschaft des
Bundesrates vom 28. August 1974, BBl 1974 II 587).

    c) Die EStV leitet aus dem Urteil vom 23. Dezember 1970 ab, dass
Art. XVI DBA-US entgegen der bisherigen Praxis nach der Interpretation
des Bundesgerichtes die Verpflichtung enthalte, nicht nur Auskünfte zu
erteilen, sondern im Rahmen des nach schweizerischem Recht in analogen
Steuerbetrugsfällen Zulässigen die den Anforderungen des amerikanischen
Rechtes entsprechenden Beweise zu sichern und den Steuerbehörden der USA
zu übergeben.

    Bei der Beurteilung der ersten Verwaltungsgerichtsbeschwerde von
X. war jedoch lediglich darüber zu entscheiden, ob der von der EStV
erstellte Amtsbericht gemäss der damals angefochtenen Verfügung dem IRS
gestützt auf Art. XVI DBA-US zu übergeben sei. Das Bundesgericht bejahte
dies und wies die Beschwerde ab. In der Begründung wurde im wesentlichen
dargelegt, dass die in Frage stehenden Auskünfte über Bankgeschäfte als
erhältliche Auskünfte im Sinne von Art. XVI DBA-US zu betrachten seien,
weil für analoge Steuerbetrugsdelikte nach schweizerischem Recht -
jedenfalls in den drei Kantonen mit bedeutenden Bankzentren (Zürich,
Basel, Genf) - den Steuerbehörden Auskünfte erteilt werden müssten. Mit
dieser Erwägung schützte das Gericht die angefochtene Verfügung, wich
aber von der Argumentation der EStV ab, welche in Steuerbetrugsfällen die
Weiterleitung von erhältlichen Bankauskünften davon abhängig machen wollte,
ob die Berufung auf das Bankgeheimnis rechtsmissbräuchlich erfolge oder
nicht. Das Unterscheidungsmerkmal der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf
das Bankgeheimnis in Steuerbetrugsfällen lässt sich nicht als massgebendes
Kriterium für die Gewährung oder Verweigerung der Amtshilfe aus Art. XVI
DBA-US ableiten und würde auch kaum zu einer befriedigenden, praktikabeln
Lösung führen. Das Bundesgericht kam jedoch zum Ergebnis, dass eine
Auskunft im Sinne von Art. XVI "erhältlich" und auszutauschen sei, wenn
bei Umstellung des Sachverhaltes, d.h. bei einer analogen betrügerischen
Hinterziehung von schweizerischen Einkommenssteuern, die Steuerverwaltung
die entsprechende Auskunft verlangen könnte. Es besteht kein Anlass,
diese im Urteil vom 23. Dezember 1970 entschiedene Grundsatzfrage
hier neu zu prüfen; der zulässige Inhalt einer Auskunfterteilung durch
Amtsbericht steht jetzt nicht zur Diskussion. Wesentlich ist aber, dass
das Bundesgericht damals zur Frage einer über die Auskunfterteilung
hinausgehenden Rechtshilfe nicht Stellung nehmen musste und nicht
Stellung nehmen wollte. Wenn im Zusammenhang mit der Umschreibung der
"erhältlichen Auskunft" dargelegt wurde, welche Ermittlungshandlungen bei
Umstellung des Sachverhaltes nach schweizerischem Recht möglich wären,
so wollte das Gericht damit auf keinen Fall zum Ausdruck bringen, gemäss
Art. XVI DBA-US seien der ersuchenden Behörde in Steuerbetrugsfällen nicht
nur Auskünfte zu liefern, sondern im Rahmen des Möglichen auch alle nach
amerikanischem Recht notwendigen Beweise. Streitig war in jenem Fall, ob
die vorgesehenen Auskünfte als "erhältlich" zu gelten hätten und übergeben
werden dürften. Die in Art. XVI DBA-US statuierte Amtshilfepflicht sollte
jedoch nicht beiläufig auf dem Wege der Interpretation zu einer umfassenden
Rechtshilfepflicht erweitert werden. Alle Erwägungen bezogen sich auf die
Zulässigkeit des Amtsberichtes; eine weitergehende Bedeutung ist ihnen
nicht beizumessen. Wenn das Bundesgericht den Kreis der erhältlichen und
dem IRS zu übermittelnden Auskünfte etwas anders abgrenzte, als dies in der
vorangehenden Verwaltungspraxis üblich war, so stand dabei die vertraglich
festgelegte Form der Amtshilfeleistung - nämlich durch Erteilung von
Auskünften - nicht in Frage, sondern es ging nur um die Bestimmung des
zulässigen Inhalts solcher Auskünfte. Aus einzelnen Wendungen des Urteils
vom 23. Dezember 1970 darf daher nicht gefolgert werden, das Gericht
interpretiere Art. XVI DBA-US als Verpflichtung zu einer umfassenden
Rechtshilfe. Eine solche extensive Auslegung der Amtshilfeklausel im DBA
stünde auch im Widerspruch zu dem oben erwähnten Staatsvertrag vom 25. Mai
1973 über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, der ja Rechtshilfe
in Fiskalstrafsachen nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen
zusichert.

    d) Da sich die Amtshilfepflicht nach Wortlaut und Sinn von Art. XVI
DBA-US auf die Auskunfterteilung beschränkt und spezielle Massnahmen der
eigentlichen Rechtshilfe nicht umfasst, sind die durch die Verfügung vom
31. August 1973 angeordneten zusätzlichen Untersuchungshandlungen durch die
vertraglichen Verpflichtungen nicht gedeckt. Der angefochtene Entscheid
verletzt somit Bundesrecht, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind
gutzuheissen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerden werden gutgeheissen, und die Verfügung der Eidg.
Steuerverwaltung vom 31. August 1973 sowie der Einspracheentscheid vom 12.
Februar 1974 werden aufgehoben.