Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 427



101 Ia 427

69. Auszug aus dem Urteil vom 19. November 1975 i.S. Strafkommission
Obwalden gegen Müller und den Oberauditor der Armee sowie das
Eidg. Militärdepartement Regeste

    Kompetenzkonflikt nach Art. 223 MStG.

    Wenn ein Beamter der Militärverwaltung durch die Missachtung
von Strassenverkehrsregeln eine fahrlässige Beschädigung eines
Dienstfahrzeuges im Sinne von Art. 73 MStG verursacht, ist die
Voraussetzung für die militärische Strafgerichtsbarkeit gemäss Art. 218
Abs. 3 MStG erfüllt. Diese Vorschrift schliesst nicht aus, dass die
militärische Zuständigkeit auch dann begründet werden kann, wenn das
mit der Verkehrsübertretung im Zusammenhang stehende militärische
Delikt leichter Natur ist und einfach die Folge der Missachtung von
Verkehrsvorschriften darstellt (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Adj Uof Emil Müller, Instruktor der Fliegertruppe, fuhr am 5. März
1975, morgens, in Uniform mit seinem Instruktorenwagen vom Wohnort
Hergiswil zu seinem Dienstort in Alpnach. In Alpnach-Dorf kollidierte
er mit einem Personenwagen. Mit Strafbefehl vom 15. April 1975 wurde
er von der Strafkommission des Kantons Obwalden mit einer Geldbusse von
Fr. 80.-- belegt. Adj Uof Müller erklärte innert der Einsprachefrist,
er nehme den Strafbefehl nicht an, die Militärjustiz sei in seinem Falle
zur Strafverfolgung zuständig.

    Zur Stellungnahme aufgefordert schrieb das Oberauditorat der Armee
der Strafkommission, infolge Beschädigung des Instruktorenwagens habe
sich Adj Uof Müller des Missbrauchs und der Verschleuderung von Material
gemäss Art. 73 MStG schuldig gemacht, er unterstehe daher in Anwendung
von Art. 218 Abs. 3 MStG der Militärgerichtsbarkeit.

    Die Strafkommission des Kantons Obwalden wandte sich hierauf mit
einer Eingabe vom 21. August 1975 an das Bundesgericht mit dem Begehren:

    "Es sei die Zuständigkeit der Justizorgane des Kantons Obwalden
   zur Strafverfolgung gegen Emil Müller wegen des Strassenverkehrsunfalles
   vom 5. März 1975 zu bestätigen und die Zuständigkeit der Militärjustiz
   in dieser Sache zu verneinen."

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 218 Abs. 1 MStG ist eine Person der
Militärgerichtsbarkeit unterworfen, soweit sie dem Militärstrafrecht
untersteht.

    Adj Uof Müller trug unbestrittenermassen im Zeitpunkt des
Verkehrsunfalles die Uniform. Dem Militärstrafrecht unterstehen die Beamten
der Militärverwaltung u.a. immer dann, Wenn sie in Uniform auftreten
(Art. 2 Ziff. 2 MStG). Auch Ziff. 3 von Art. 2 MStG, der das Auftreten
jedes Dienstpflichtigen in Uniform erfasst, könnte anwendbar sein, sofern
Adj Uof Müller noch dienstpflichtig ist.

    Die Strafkommission des Kantons Obwalden macht geltend, Adj Uof
Müller habe ein geschlossenes Fahrzeug benützt; dass er die Uniform
trage, sei nicht ohne weiteres sichtbar gewesen. Wenn ein Beamter der
Militärverwaltung (oder ein Dienstpflichtiger) bei der in Frage stehenden
Handlung oder Unterlassung die Uniform trägt, dann ist die Voraussetzung
von Art. 2 Ziff. 2 bzw. 3 MStG erfüllt. Ob das Tragen der Uniform von
andern Beteiligten wegen der Sichtverhältnisse mehr oder weniger leicht
festgestellt werden kann, ist für die Anwendung dieser Vorschriften über
den Geltungsbereich des Militärstrafrechts unerheblich. Die Unterstellung
unter das Militärstrafrecht kann nicht davon abhängen, ob die Uniform
ohne weiteres als solche erkannt werden konnte.

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 219 MStG bleiben die dem Militärstrafrecht
unterstehenden Personen für strafbare Handlungen, die im MStG nicht
vorgesehen sind, in der Regel der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit
unterworfen. Da die Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsrecht im MStG
nicht vorgesehen sind, greift grundsätzlich bei Verkehrsübertretungen von
Personen, die an sich dem Militärstrafrecht und der Militärgerichtsbarkeit
unterstehen, die zivile Strafgerichtsbarkeit Platz.

    Von diesem Grundsatz gibt es nun aber gemäss Art. 218 Abs. 3 MStG
wichtige Ausnahmen:

    "Die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen sind ferner der

    Militärgerichtsbarkeit unterworfen, wenn sie bei einer militärischen
   Übung, bei einer dienstlichen Verrichtung der Truppe oder im

    Zusammenhang mit einer in diesem Gesetz vorgesehenen strafbaren
Handlung
   eine Widerhandlung gegen die Gesetzgebung des Bundes über den

    Strassenverkehr begehen. Die Strafbestimmungen des bürgerlichen

    Rechts sind anwendbar. In leichten Fällen erfolgt disziplinarische

    Bestrafung." (Vgl. zur Auslegung MKGE 8 Nr. 60.)

    Die zwei ersten in dieser Vorschrift erwähnten Ausnahmen - militärische
Übung, dienstliche Verrichtung der Truppe - fallen im vorliegenden
Fall ausser Betracht. Hingegen stützt das EMD die Beanspruchung der
militärischen Zuständigkeit auf die dritte Ausnahme: Durch die Kollision
wurde der dem Bund gehörende Instruktorenwagen fahrlässig beschädigt. EMD
und Oberauditorat gehen davon aus, dass damit der Tatbestand von Art. 73
MStG erfüllt worden sei und dass Müller folglich das Strassenverkehrsdelikt
im Zusammenhang mit einer im MStG vorgesehenen strafbaren Handlung
begangen habe.

Erwägung 4

    4.- Obschon das Ergebnis, dass Adj Uof Müller wegen des auf dem
Arbeitsweg mit einem Instruktorenwagen verursachten Verkehrsunfalls nicht
der bürgerlichen sondern der militärischen Gerichtsbarkeit unterstehen
soll, in praktischer Hinsicht nicht recht befriedigt, muss festgestellt
werden, dass die Einwendungen der Strafkommission des Kantons Obwalden
eine abweichende Lösung nicht zu begründen vermögen.

    a) Art. 73 MStG setzt voraus, dass die beschädigte Sache dem Täter
"dienstlich anvertraut oder überlassen" worden ist.

    Instruktorenwagen sind gemäss Art. 1 Abs. 1 der
Instruktorenwagenordnung Militärmotorfahrzeuge im Eigentum des Bundes,
die dem Halter in erster Linie die Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten
erleichtern sollen. Der Halter ist gemäss Art. 1 Abs. 2 dieses Erlasses
zwar befugt, den Wagen in seiner dienstfreien Zeit privat zu verwenden;
er kann auch zivile Kontrollschilder benützen. Das ändert aber nichts
daran, dass das dem Bund gehörende Fahrzeug dem Instruktor in erster
Linie zum dienstlichen Gebrauch anvertraut wird. Trotz der Erlaubnis
ausserdienstlicher Verwendung handelt es sich um ein im Sinne von Art. 73
MStG dienstlich anvertrautes Fahrzeug, das durch diesen Straftatbestand
gegen missbräuchliche Verwendung, Veräusserung, Verpfändung usw. sowie
gegen vorsätzliche oder fahrlässige Beschädigung geschützt ist (vgl. Urteil
des Militärkassationsgerichtes vom 18. März 1952 MKGE 6 Nr. 15).

    Ob die Anwendbarkeit von Art. 73 MStG bei einem sowohl für dienstliche
als auch für ausserdienstliche Verwendung zur Verfügung gestellten
Fahrzeug auf Beschädigung bei Dienstfahrten beschränkt werden könnte,
erscheint als sehr fraglich, braucht aber im vorliegenden Fall nicht
entschieden zu werden, da die tägliche Fahrt eines Instruktors vom
Wohnort zur Dienstleistung am Dienstort und zurück gemäss Art. 8 der
Instruktorenverordnung als Dienstfahrt gilt. Es handelt sich dabei um
Fahrten, für die im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b/Art. 7 Abs. 1
der Instruktorenwagenordnung und Art. 10 Abs. 3 der Verordnung über das
Instruktionskorps eine Vergütung der Transportauslagen vorgesehen ist.
Die in Frage stehende Verwendung des Fahrzeuges ist also nicht eine
ausserdienstliche.

    b) Dass der Instruktorenwagen bei der von Adj Uof Müller
mitverursachten Kollision fahrlässig beschädigt wurde, ist
unbestritten. Art. 73 MStG beschränkt die Strafbarkeit der Beschädigung
nicht auf Fälle grober, besonders schwerer Fahrlässigkeit, sondern erfasst
im Prinzip jede schuldhafte Beschädigung. Die von der Strafkommission des
Kantons Obwalden vertretene Auffassung, blosse Unachtsamkeit genüge nicht,
es brauche für die Anwendung von Art. 73 MStG eine qualifizierte Form
der Fahrlässigkeit, findet im Gesetzestext keine Stütze. Die in Ziff. 2
von Art. 73 MStG eingeräumte Möglichkeit disziplinarischer Bestrafung
bestätigt, dass auch leichte Fälle schuldhafter Beschädigung dienstlich
anvertrauter Sachen unter Art. 73 MStG zu subsumieren sind.

    c) Art. 73 Ziff. 1 MStG enthält allerdings in Abs. 3 eine
einschränkende Klausel: Diese Strafnorm soll nur Anwendung finden,
"sofern keine andere Strafbestimmung zutrifft". Es liesse sich die
Interpretation vertreten, wenn bei einer Kollision im Strassenverkehr die
Fahrlässigkeit des Motorfahrzeugführers, welche die Beschädigung eines
dienstlich anvertrauten Fahrzeuges zur Folge hat, durch die Bestrafung
wegen Widerhandlung gegen Vorschriften des Strassenverkehrsrechts
geahndet werde, so sei nach der einschränkenden Subsidiaritätsklausel
von Art. 73 Ziff. 1 Abs. 3 MStG auf die gleichzeitige Bestrafung
wegen Missbrauch und Verschleuderung von Material zu verzichten. Die
Praxis der Militärjustiz hat aus der einschränkenden Klausel keine
solchen Folgerungen gezogen. Art. 73 MStG wird offenbar in der Regel
neben andern Strafbestimmungen angewendet, sofern dies nicht nach den
allgemeinen Grundsätzen der Konkurrenz als ausgeschlossen erscheint. Nach
diesen Prinzipien ist es vertretbar, bei einer durch Missachtung von
Strassenverkehrsregeln verursachten fahrlässigen Beschädigung eines
Dienstfahrzeuges neben dem Verkehrsstrafrecht auch Art. 73 MStG in
Konkurrenz anzuwenden.

    Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, im Rahmen eines
Kompetenzkonfliktes darüber zu befinden, ob der einschränkenden
Klausel in Art. 73 Ziff. 1 Abs. 3 MStG nicht doch eine weitergehende
Bedeutung zukommen sollte. Im Rahmen der Entscheidung der Frage, ob
eine Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsrecht im Sinne von Art. 218
Abs. 3 MStG mit einem nach MStG strafbaren Verhalten zusammenhängt, ist
lediglich zu prüfen, ob das behauptete militärische Delikt aus sachlichen
Gründen nach den Umständen in Betracht kommen kann. Da im vorliegenden
Fall nach der Praxis der Militärjustiz eine Bestrafung gemäss Art.
73 MStG als durchaus möglich erscheint, ist die Voraussetzung für die
Zuständigkeit der militärischen Strafgerichtsbarkeit erfüllt. Dass
das mit der Verkehrsübertretung im Zusammenhang stehende militärische
Delikt leichter Natur ist und einfach die Folge der Missachtung von
Verkehrsvorschriften darstellt, ist nach dem Wortlaut und Sinn von
Art. 218 Abs. 3 MStG ohne Bedeutung. Diese Vorschrift schliesst nicht
aus, dass die militärische Zuständigkeit in solchen Fällen auch durch
den Zusammenhang mit einem eher geringfügigen militärischen Delikt
begründet werden kann. Nur wenn jeder solche Zusammenhang fehlt, sind
Verkehrsübertretungen der dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen
durch die zivilen Behörden zu verfolgen und zu beurteilen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Der Strafbefehl der Strafkommission des Kantons Obwalden vom
15. April 1975 wird aufgehoben; für die Verfolgung und Beurteilung der am
5. März 1975 von Adj Uof Emil Müller begangenen Widerhandlung gegen die
Gesetzgebung über den Strassenverkehr werden die militärischen Gerichte
als zuständig erklärt.