Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 259



101 Ia 259

43. Auszug aus dem Urteil vom 2. Juli 1975 i.S. Gemeinde Ritzingen gegen
Staatsrat des Kantons Wallis. Regeste

    Gemeindeautonomie; Genehmigung von Zonenplänen (Wallis).

    1. Autonomie der Walliser Gemeinden bei der Festlegung von Zonenplänen
(E. 2).

    2. Umfang der dem Walliser Staatsrat im Genehmigungsverfahren
zustehenden Überprüfungsbefugnis. Voraussetzungen, unter denen die
Nichtgenehmigung eines kommunalen Zonenplanes wegen Verletzung der
Autonomie angefochten werden kann (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Bürger der Gemeinde Ritzingen stimmten am 1. Oktober 1971
einem Bau- und Zonenreglement zu, das der Staatsrat des Kantons Wallis
in der Folge mit einigen Vorbehalten genehmigte; u.a. beanstandete er
die vorgesehene Aufnahme eines bestimmten Gebietes in die Bauzone und
verweigerte insoweit dem beschlossenen Zonenplan die Genehmigung. Die
Gemeinde Ritzingen führt hiegegen wegen Verletzung der Gemeindeautonomie
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Walliser Kantonsverfassung gewährleistet den Gemeinden
eine gewisse Selbständigkeit (Art. 69 KV), doch umschreibt sie deren
sachlichen Bereich nicht selber. Der Umfang der kommunalen Autonomie
bestimmt sich daher nach den Vorschriften des kantonalen Gesetzesrechtes
(BGE 100 Ia 84). Art. 4 des kantonalen "Gesetzes betreffend das Bauwesen"
vom 19. Mai 1924 (BauG) ermächtigt die Gemeinde zum Erlass von "Reglement
über die Baupolizei". Diese bedürfen zu ihrer Rechtskraft der Genehmigung
durch den Staatsrat (Art. 6 BauG). Art. 8 umschreibt den obligatorischen,
Art. 9 BauG den fakultativen Inhalt dieser Reglemente. Der Staatsrat geht
in seiner Vernehmlassung davon aus, aufgrund des kantonalen Baugesetzes
seien die Gemeinden auch zum Erlass von Zonenplänen befugt, welche als
Bestandteil der kommunalen Baureglemente aufzufassen seien. Da eine andere
kantonale Rechtsgrundlage für derartige Planungsmassnahmen offenbar nicht
besteht und das Baugesetz selber über die Ausgestaltung von Zonenplänen und
die Ausscheidung des Baugebietes keine näheren Vorschriften enthält, lässt
sich ohne weiteres annehmen, dass die Gemeinden in diesem Bereich im Sinne
der Autonomierechtsprechung eine "relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit"
besitzen. Sie sind daher in bezug auf den Erlass und die Abänderung von
Zonenplänen autonom und können sich gegenüber ungerechtfertigten Eingriffen
des Staats zur Wehr setzen. Dass die kommunalen Zonenpläne ebenso wie
die Baureglemente der Genehmigung durch die kantonale Behörde bedürfen,
ändert am Bestehen eines geschützten Autonomiebereiches nichts. Nach
dem Umfang dieser Kontrolle bestimmt sich aber, wann ein Eingriff in
die Befugnis zur selbständigen Festlegung der Zonenpläne die Autonomie
verletzt (BGE 93 I 160; vgl. auch BGE 100 Ia 290, 99 Ia 254, 97 I 138 E. 3,
95 I 39, sowie ZBl 1974 S. 431 ff.). Die Gemeinde ist nicht nur davor
geschützt, dass eine kantonale Aufsichts- oder Rechtsmittelbehörde in
einer in den kommunalen Autonomiebereich fallenden Frage einen unhaltbaren
Sachentscheid fällt, sondern sie kann sich auch gegen eine Überschreitung
der Überprüfungsbefugnis zur Wehr setzen. Soweit nicht Verfassungsrecht im
Spiele steht, prüft aber das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung
der kantonalen Normen durch die zuständige kantonale Behörde - auch
hinsichtlich des Umfanges der Überprüfungsbefugnis - nur unter dem
beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (BGE 100 Ia 84 mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Die Kantonsverfassung überträgt dem Staatsrat die Aufsicht über
die Gemeindeverwaltungen (Art. 82 Abs. 1 KV). Alle Gemeindereglemente
unterliegen seiner Genehmigung (Art. 82 Abs. 2 KV). Diese letztere Regel
wird in Art. 6 BauG wiederholt: "Um Gesetzeskraft zu besitzen, müssen
die Baureglemente der Gemeinden vom Staatsrate genehmigt sein".

    Die beschwerdeführende Gemeinde macht geltend, dem Kanton stehe
im Genehmigungsverfahren lediglich eine Rechtskontrolle zu; er werde
durch das positive kantonale Recht nirgends ausdrücklich ermächtigt,
"auch das Ermessen der Gemeinden" zu überprüfen. Der Staatsrat lehnt
eine derartige Beschränkung seiner Kontrolle im Bauwesen ab und hält
sich für befugt, im Genehmigungsverfahren auch die "Zweckmässigkeit"
der kommunalen Baureglemente und Zonenpläne zu überprüfen.

    Art. 82 KV, der die Gemeindereglemente allgemein für
genehmigungspflichtig erklärt, äussert sich zu dieser Frage nicht. Es muss
daher in erster Linie auf die Normen des kantonalen Baugesetzes abgestellt
werden. Der den Grundsatz der Genehmigungspflicht wiederholende Art. 6 BauG
lässt die Frage nach dem Umfang der Kontrollbefugnis ebenfalls offen. Einen
Anhaltspunkt bildet jedoch die vorangehende Vorschrift in Art. 5 BauG,
wonach der Staatsrat die Gemeinden anhalten kann, innert bestimmter Frist
"ein den örtlichen Verhältnissen angepasstes Reglement aufzustellen"
(franz. Text: "un règlement approprié aux conditions locales"), und
im Unterlassungsfalle befugt ist, den Gemeinden "von Amtes wegen ein
Reglement aufzuzwingen", wenn besondere Verhältnisse es erfordern. Hieraus
kann zumindest ohne Willkür abgeleitet werden, dass der Staatsrat im
Genehmigungsverfahren nach Art. 6 BauG die kommunalen Baureglemente
nicht nur auf ihre Rechtmässigkeit, d.h. auf ihre Vereinbarkeit mit
übergeordneten Vorschriften des Kantons und des Bundes, sondern auch
auf ihre Zweckmässigkeit hin überprüfen darf (ebenso: nicht publiziertes
Urteil des Bundesgerichtes vom 13. November 1968 i.S. Gemeinde Saas-Fee,
E. 4a). Dasselbe muss alsdann für die Überprüfung der Zonenpläne gelten,
wo eine klare Abgrenzung zwischen Rechtsfragen und Ermessensfragen ohnehin
kaum möglich ist. Eine auf formalrechtliche Gesichtspunkte beschränkte
Kontrolle würde den Zweck des Genehmigungsverfahrens nicht erfüllen. Selbst
im Rahmen einer Rechtskontrolle hätte die Genehmigungsbehörde darauf
zu achten, dass der Zonenplan nicht nur den Interessen der Gemeinde,
sondern auch den übergeordneten Zielen der kantonalen und eidgenössischen
Gesetzgebung sowie den Grundsätzen der Eigentumsgarantie Rechnung trägt,
was im Ergebnis in mancher Hinsicht einer Zweckmässigkeitskontrolle
nahekommt.

    Dem Walliser Staatsrat kann somit keine willkürliche
Überschreitung seiner Kompetenzen vorgeworfen werden, wenn er
sich im Genehmigungsverfahren eine uneingeschränkte Überprüfung der
kommunalen Planung vorbehält. Auch wenn er, um nicht in die Rolle einer
Oberplanungsbehörde zu verfallen, eine gewisse Zurückhaltung übt und in der
Regel nur eingreift, wenn der Mangel der kommunalen Planung eine gewisse
Schwere erreicht oder überkommunale Interessen berührt, so fehlt es doch
an einer kantonalrechtlichen Schranke, welche die Walliser Gemeinden vor
einer weitergehenden Kontrolle schützen würde.

    Verfügt aber der Staatsrat über eine uneingeschränkte
Überprüfungsbefugnis, so verletzt er die Autonomie der Gemeinde nicht
bereits dadurch, dass er einer allenfalls noch im Rahmen des Vertretbaren
liegenden planerischen Massnahme die Genehmigung verweigert. Entscheidend
ist vielmehr, ob sich die von der Genehmigungsbehörde verlangte Änderung
sachlich rechtfertigen lässt. Nur wenn der mit der Nichtgenehmigung
verbundene Eingriff in die kommunale Planungsfreiheit seinerseits
der vernünftigen Begründung entbehrt, vermag die Gemeinde mit einer
Autonomiebeschwerde durchzudringen.

Erwägung 4

    4.- Dies wird im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin
behauptet, indem sie geltend macht, der Staatsrat habe im streitigen Punkt
sein Ermessen missbraucht. Die Gemeinde rügt, durch die Verweigerung der
Einzonung des Gebietes "Eige" werde ihre Entwicklung besonders hinsichtlich
des Tourismus stark eingeschränkt; die Gemeinden im Berggebiet seien jedoch
auf diese Einkommensquelle je länger je mehr angewiesen. Der Staatsrat
weist demgegenüber in seiner Vernehmlassung darauf hin, dass das Gebiet
"Eige" westlich des Dorfes vom Kanton mit Genehmigung der Bundesbehörde in
die provisorische Schutzzone gemäss Art. 2 Abs. 1 des Bundesbeschlusses
über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März
1972 einbezogen worden ist. Schon dieser Umstand genügt, um den von
der Gemeinde erhobenen Vorwurf der Willkür zu entkräften, zumal die
behauptete Beeinträchtigung der touristischen Entwicklung, die sich durch
die angefochtene Massnahme ergeben soll, in keiner Weise näher belegt
und begründet wird. Der Staatsrat stellt überdies fest, das eingezonte
Gebiet sei auch ohne den streitigen Teil gross genug, um die touristische
Entwicklung zu sichern; durch die Freigabe des Gebietes "Eige" würde das
Gepräge des Dorfes zerstört und dessen Anziehungskraft beeinträchtigt;
die Gemeinde habe die Möglichkeit, ihre Bauzone nötigenfalls im Süden
der Strasse östlich des Dorfes auszudehnen.

    Weder aus der staatsrechtlichen Beschwerde noch aus den Akten
ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Auffassung des
Staatsrates unhaltbar sein könnte, weshalb sich nähere Abklärungen oder
ein bundesgerichtlicher Augenschein erübrigen. Soweit die Gemeinde die
teilweise Nichtgenehmigung ihres Zonenplanes der Sache nach anficht,
ist ihre Autonomiebeschwerde unbegründet.