Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 238



101 Ia 238

41. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. Liberale Partei des
Kantons Luzern und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Luzern.
Regeste

    Art. 85 lit. a OG; kantonale Volksabstimmung.

    1. Zu den Vorbereitungen eines Urnenganges, deren Mängel grundsätzlich
sofort geltend zu machen sind, gehören auch die amtlichen Botschaften und
erläuternden Berichte zu Sachvorlagen; Anforderungen an die Gestaltung
solcher behördlicher Erläuterungen (E. 3).

    2. Auch wenn das kantonale Recht keine Vorschrift darüber enthält, ob
und unter welchen Voraussetzungen eine Nachzählung durchzuführen ist, kann
der Regierungsrat als Aufsichtsbehörde im Bereich des Abstimmungswesens
von Amtes wegen eine Nachkontrolle anordnen, falls dies nach der gegebenen
Sachlage für die zuverlässige Resultatermittlung als geboten erscheint;
die Abstimmung muss nur dann kassiert werden, wenn sich die Auswirkungen
festgestellter Verfahrensmängel nicht durch die Nachkontrolle beseitigen
lassen (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Im Kanton Luzern fand am 26. Januar 1975 die Volksabstimmung über
eine Teilrevision des Gesetzes über die Grundstückgewinnsteuer (GStG)
statt. Das Justizdepartement des Kantons Luzern gab am Abstimmungssonntag
um ca. 14.30 Uhr auf Grund der telefonischen Meldungen der Gemeinden
das provisorische Abstimmungsergebnis bekannt. Danach war das Gesetz
mit 17'812 Ja gegen 18'025 Nein verworfen worden. Um 15.45 meldete die
Stadtkanzlei Luzern dem Justizdepartement, die telefonisch übermittelte
Zahl der Stadt Luzern stimme nicht, da ein Urnenkreis versehentlich das
Ergebnis einer gleichzeitig durchgeführten Gemeindeabstimmung gemeldet
habe. Auf Grund dieser Berichtigung lautete das provisorische Ergebnis
nun 17'917 Ja gegen 17'909 Nein. Das Gesetz war also entgegen der ersten
Meldung ganz knapp angenommen. Das Justizdepartement teilte mit, dass
das definitive Ergebnis nach einer Kontrolle der Abstimmungsverbale
der Gemeinden festgestellt werde. Diese Kontrolle ergab, dass im
Verbal der Gemeinde Flühli 20 Jastimmen weniger verzeichnet waren,
als am Abstimmungssonntag dem Justizdepartement telefonisch mitgeteilt
worden war. Das Abstimmungsresultat lautete nun dahin, dass das Gesetz
mit 17'897 Ja gegen 17'909 Nein mit einer Mehrheit von 12 Neinstimmen
verworfen war. Dieses Ergebnis gab das Justizdepartement am Dienstag, den
28. Januar, in einer Pressemitteilung als "definitives Ergebnis" bekannt.

    Der Grosse Rat des Kantons Luzern war am 28. Januar 1975
versammelt. Bei dieser Gelegenheit ersuchten zwei Ratsmitglieder, das
Abstimmungsmaterial überprüfen zu lassen. Der Regierungsrat beauftragte
am 30. Januar 1975 das Justizdepartement, das Abstimmungsergebnis durch
eine Nachzählung der Stimmzettel zu überprüfen. Diese Nachkontrolle ergab,
dass die Urnenbüros in verschiedenen Gemeinden oder Gemeindekreisen Ja-
und Neinstimmen verwechselt oder falsch gezählt hatten und dass demnach
die in den entsprechenden Verbalen angegebenen Zahlen nicht stimmten. Die
Differenzen waren zum grossen Teil nicht sehr bedeutend und betrafen
vielfach nur eine bis zwei Stimmen. In einigen Gemeinden waren hingegen
grössere Fehler gemacht worden. Im Kreis Kirchbühl der Gemeinde Kriens
waren 50 Jastimmen als Neinstimmen, in Richenthal 14 Neinstimmen als
Jastimmen gezählt worden; in Rickenbach waren 10 Neinstimmen zuviel gezählt
worden. Im gesamten ergab die Nachzählung eine Erhöhung der Jastimmen um
41 und eine Verminderung der Neinstimmen um 38. Dadurch veränderte sich
das Mehr von 12 Nein in ein Mehr von 67 Ja. Gestützt auf dieses Ergebnis
der Nachzählung berichtigte der Regierungsrat am 31. Januar 1975 das
Abstimmungsergebnis und stellte fest, dass die Änderung des Gesetzes mit
17'938 Ja gegen 17'871 Nein angenommen worden sei.

    Gegen diese Abstimmung haben die Liberale Partei des Kantons Luzern und
verschiedene Stimmberechtigte Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Die
Begründung der einzelnen Beschwerden ergibt sich, soweit erforderlich,
aus den nachfolgenden Erwägungen. Das Bundesgericht hat die Beschwerden
abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimmrecht gibt
dem Bürger unter anderem Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis
anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig
und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Stellt das Bundesgericht in dieser
Hinsicht Unregelmässigkeiten fest, die das Abstimmungsresultat beeinflusst
haben könnten, so hebt es die betreffende Abstimmung auf. Dabei verlangt
es nicht, dass der Bürger den Nachweis dafür erbringt, dass die gerügten
Unregelmässigkeiten das Resultat tatsächlich beeinflusst haben. Es genügt,
wenn nach den Umständen eine Beeinflussung als möglich erscheint. Ob
das zutrifft, entscheidet der Staatsgerichtshof in freier Prüfung. Er
prüft auch die Auslegung kantonaler Vorschriften, die Umfang und Inhalt
des kantonalen Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem
Zusammenhang stehen, grundsätzlich frei, tatsächliche Feststellungen der
kantonalen Behörden dagegen bloss unter dem Gesichtswinkel der Willkür
(BGE 100 Ia 238, 98 Ia 78).

    Die Beschwerdeführer Keiser und Isenschmid beanstanden den Inhalt
des erläuternden Berichts, den der Regierungsrat, wie es § 37 Abs. 1
des luzernischen Gesetzes über die Volksabstimmungen (VAG) vorsieht, mit
dem Text der Vorlage den Stimmberechtigten zustellte. Es stellt sich die
Frage, ob diese Rüge nicht sofort, vor der Abstimmung, hätte vorgebracht
werden müssen. Nach der Rechtsprechung verwirkt ein Stimmberechtigter
grundsätzlich das Recht zur Anfechtung eines Abstimmungsergebnisses,
wenn er es unterlässt, Fehler bei der Vorbereitung des Urnengangs sofort
durch Einsprache oder Beschwerde zu rügen, damit der Mangel noch vor
der Abstimmung behoben werden kann und diese nicht wiederholt zu werden
braucht (BGE 99 Ia 644). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
gehören zu den Anordnungen, gegen welche allfällige Einwände sofort
und nicht erst nach der Abstimmung geltend zu machen sind, auch die
amtlichen Botschaften und erläuternden Berichte zu Sachvorlagen (vgl. BGE
98 Ia 620 ff.; nicht veröffentlichtes Urteil Messerli vom 29. Juni 1961,
E. 3). Allerdings lässt sich nicht in allgemeiner Weise sagen, die Kritik
an einem Bericht, die nicht schon vor der Abstimmung vorgebracht wurde,
könne hinterher nicht mehr erhoben werden. Es kommt auf die Verhältnisse
des Einzelfalls und darauf an, ob dem Beschwerdeführer ein sofortiges
Handeln zuzumuten war (BGE 98 Ia 620, 89 I 87; vgl. auch BGE 98 Ia 70,
93 I 439, 89 I 442 f.). Da der Bericht vom Regierungsrat ausging, hätten
die Beschwerdeführer nach der luzernischen Gesetzgebung und Praxis wohl
kein kantonales Rechtsmittel ergreifen können, um den angeblichen Mangel
zu rügen. Als einziger Rechtsbehelf wäre die staatsrechtliche Beschwerde
in Frage gekommen. Hätten die Beschwerdeführer, wie es ihr Recht gewesen
wäre, die 30-tägige Beschwerdefrist, die mit der Zustellung des Berichts
am 9. Dezember 1974 zu laufen begann und vom 18. Dezember 1974 bis
1. Januar 1975 stillstand, ausgenützt, so wäre es zeitlich nicht mehr
möglich gewesen, den Mangel noch irgendwie - sei es durch Verschiebung der
Abstimmung, sei es durch Zustellung eines neuen oder ergänzenden Berichts
- vor dem 26. Januar 1975, dem Abstimmungstag, zu beheben. Bei dieser
Sachlage war vernünftigerweise den Beschwerdeführern nicht zuzumuten,
den Mangel vor der Abstimmung mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen.

    Man kann sich jedoch fragen, ob die Beschwerdeführer ihre Einwände
dem Regierungsrat nach der Zustellung des Berichts sonstwie zur Kenntnis
hätten bringen müssen. Der Regierungsrat hätte so die Stichhaltigkeit
der Einwände überprüfen und allfällige Mängel des Berichts noch vor
der Abstimmung beheben können. Wie es sich damit verhält, mag indessen
dahingestellt bleiben, da sich die Beschwerde in diesem Punkte, wie im
folgenden näher auszuführen ist, ohnehin als unbegründet erweist.

    Nach § 37 Abs. 1 des Abstimmungsgesetzes ist im erläuternden Bericht
auch der Standpunkt einer beachtlichen Minderheit des Grossen Rates
angemessen zu berücksichtigen. Keiser und Isenschmid behaupten, der
Regierungsrat sei dieser Vorschrift nicht nachgekommen. Sie begründen
die Behauptung in ihrer Beschwerde aber mit keinem Wort, sodass darauf
nach Art. 90 OG nicht einzutreten ist. Auf die in der Beschwerdeergänzung
enthaltene Begründung kann ebenfalls nicht eingegangen werden. Sie hätte,
da nicht erst die Vernehmlassung des Regierungsrates dazu Anlass bot,
ohne weiteres schon in der Beschwerdeschrift selbst vorgebracht werden
können (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 400). Wäre auf die Rüge
einzugehen, so würde sie sich nicht als stichhaltig erweisen. § 37
Abs. 1 des Abstimmungsgesetzes lässt dem Regierungsrat einen erheblichen
Spielraum des Ermessens. Diese Bestimmung schreibt nicht vor, dass in
der Botschaft die Gründe dargelegt werden müssten, welche die Gegner
der Vorlage im Grossen Rat vorbrachten. Es ist bloss der Standpunkt
einer beachtlichen Minderheit angemessen zu berücksichtigen. Der
Regierungsrat führte gleich zu Beginn der Botschaft, an einer Stelle, die
vom Leser nicht zu übersehen war, aus: "Eine Minderheit hatte die Vorlage
besonders im Hinblick auf die darin neu vorgesehene Staatsbeteiligung
am Grundstückgewinnsteuerertrag bekämpft." Damit war klargestellt, dass
im Grossen Rat eine Gegnerschaft bestand und welches ihr Hauptargument
war. In einem besondern Abschnitt sprach sich der Regierungsrat über
die Beteiligung des Kantons am Steuerertrag aus. Er nahm damit auf
den Haupteinwand der Gegner Bezug, wobei er freilich bloss darlegte,
weshalb dieser Einwand nach seiner Ansicht nicht stichhaltig sei. Er nahm
aber auch damit insofern auf den Standpunkt der Minderheit Rücksicht,
als er deren wesentlichen Ablehnungsgrund nicht überging, sondern dazu
ausführlich Stellung nahm. Wenn es auch je nach der Zahl der Gegner im
Grossen Rat angezeigt gewesen sein mochte, die Gründe der Minderheit, wie
sie vermutlich im Parlament vorgebracht worden waren, kurz darzulegen,
so kann doch nicht gesagt werden, der Regierungsrat habe den Spielraum
des Ermessens überschritten, den ihm das Gesetz in der Berücksichtigung
des Standpunktes der Minderheit einräumt.

    Die Beschwerdeführer Keiser und Isenschmid werfen dem Regierungsrat
ferner eine irreführende Beeinflussung der Stimmbürger vor, weil er
in der Botschaft ausführte, die Gemeinden erhielten einen Anteil (des
Steuerertrages), der ihre bisherigen Ertragsmöglichkeiten im Durchschnitt
gesehen sogar noch etwas verbessere. Auch mit dieser Rüge vermögen sie
nicht durchzudringen. Sie erklären, die Behauptung des Regierungsrats könne
nicht belegt werden. Sie müssten aber ihrerseits dartun, dass sie falsch
und damit irreführend ist. Sie erklären allerdings, durch die Ausklammerung
des Geschäftsvermögens aus dem Geltungsbereich des GstG sei in Gemeinden
mit grossen Grundstückgewinnsteuererträgen (Luzern und Umgebung) mit
bedeutenden Ausfällen zu rechnen. Der Regierungsrat führte aber bloss
aus, dass "im Durchschnitt gesehen" die bisherigen Ertragsmöglichkeiten
der Gemeinden durch die Gesetzesvorlage etwas verbessert würden. Das
widerlegen die Beschwerdeführer mit ihrem Einwand nicht. Der Regierungsrat
legt im übrigen in seiner Beschwerdeantwort dar, das Finanzdepartement
habe eingehende Erhebungen und Berechnungen angestellt, aus denen sich
ergebe, dass im Durchschnitt die Ertragsmöglichkeit der Gemeinden auf
Grund des neuen Gesetzes nicht geringer sein würde als unter dem alten
Gesetz. Die Beschwerdeführer, welche Gelegenheit erhielten, ihre Beschwerde
nach Eingang der Antwort des Beschwerdegegners zu ergänzen, haben diese
Ausführungen der Regierung nicht bestritten. Sie vermögen nicht darzutun,
dass die in der Botschaft enthaltene Erklärung des Regierungsrates
unrichtig und der Stimmbürger dadurch irregeführt worden wäre. Soweit die
Beschwerdeführer die Abstimmung wegen angeblicher Mängel des erläuternden
Berichts anfechten, ist ihre Beschwerde demnach unbegründet.

    Sie beanstanden ferner, dass Mitglieder des Regierungsrats und das
Kader der kantonalen Steuerverwaltung in vielen politischen Versammlungen
ganz einseitig und eindeutig den Standpunkt des Kantons vertreten
hätten. Es ist zulässig, dass Behördemitglieder im Abstimmungskampf eine
Vorlage zur Annahme empfehlen, sofern das nicht mit verwerflichen Mitteln,
z.B. unter Verwendung öffentlicher Gelder oder mit irreführenden Angaben
geschieht (BGE 98 Ia 624, 89 I 443/4 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer
behaupten nicht, dass sich Mitglieder der Regierung oder Staatsbeamte
verwerflicher Mittel bedient hätten. Dass diese allenfalls die Vorteile
der Vorlage besonders ins Licht rückten, war ihnen nicht verwehrt. Die
Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet.

Erwägung 4

    4.- a) In der Sache selber stellen sich zwei Hauptfragen.  Zunächst
ist darüber zu befinden, ob der Regierungsrat eine Nachzählung anordnen
und das Abstimmungsresultat gestützt darauf feststellen durfte. Wird
die Frage bejaht, so ist zu prüfen, ob das Verfahren und insbesondere
die Nachzählung durch die kantonale Behörde an solchen Mängeln litten,
dass begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Resultats bestehen.

    Bei kantonalen Abstimmungen halten die Urnenbüros das Resultat
im Verbal fest. Dieses und das gebrauchte Stimmaterial sind gesondert
sofort an das Justizdepartement zu senden (§§ 82 und 83 Abs. 2 VAG). Der
Regierungsrat stellt nach § 80 Abs. 3 des Gesetzes das Ergebnis der
kantonalen Abstimmung auf Grund der Verbale fest. Er hat demnach das
kantonale Resultat gestützt auf die in den Verbalen angegebenen Zahlen
festzustellen. Dass er befugt wäre, bei einzelnen oder allen Gemeinden
des Kantons nachzuprüfen, ob die in den Verbalen angegebenen Zahlen
richtig sind, d.h. mit dem gebrauchten Stimmaterial übereinstimmen,
bestimmt das Gesetz nicht ausdrücklich. Die Regierung ist aber im Bereich
des Abstimmungswesens Aufsichtsbehörde, und aus dieser Stellung ergibt
sich die Befugnis, die Verbale der Gemeinden auf ihre Richtigkeit hin zu
kontrollieren, wenn hiezu begründeter Anlass besteht. Es ist klar und
unbestritten, dass der Regierungsrat die Verbale der Urnenbüros durch
Vergleich mit dem Stimmaterial kontrollieren kann, wenn bei ihm eine
Abstimmungsbeschwerde erhoben ist (§ 139 Abs. 1 VAG). Da der Regierungsrat
als Aufsichtsbehörde von Amtes wegen die nötigen Massnahmen treffen muss,
um die zuverlässige Ermittlung eines kantonalen Abstimmungsergebnisses
zu gewährleisten, kann er die Verbale, sofern dazu begründeter Anlass
besteht, auch dann kontrollieren, wenn keine Beschwerde erhoben wurde. Es
kommt im zu beurteilenden Fall hinzu, dass gegen die Abstimmung über das
GstG nach dem 31. Januar 1975 beim Regierungsrat Beschwerden erhoben
wurden. Selbst wenn man zu Unrecht annähme, er könne die Verbale der
Gemeinden nur im Beschwerdefall kontrollieren, so hätte der Regierungsrat
die Kontrolle nach Einreichung der Beschwerden vornehmen dürfen, und es
würde die Annahme, die Kontrolle sei deshalb unzulässig, weil sie bereits
wenige Tage vor Einreichung der Beschwerden durchgeführt wurde, auf einen
überspitzten Formalismus hinauslaufen. Auch wenn das kantonale Gesetz
keine Vorschrift darüber enthält, ob und unter welchen Voraussetzungen
eine Nachzählung durchzuführen ist, kann die kantonale Behörde von Amtes
wegen eine Nachkontrolle anordnen, falls es nach der gegebenen Sachlage
als für die zuverlässige Ermittlung geboten erscheint. Das ergibt sich aus
einem neuen Urteil, in welchem das Bundesgericht eine allgemeine Pflicht
zur Nachzählung bei knappem Abstimmungsresultat zwar verneinte, aber ohne
weiteres davon ausging, die kantonale Behörde sei auch bei Fehlen einer
entsprechenden Gesetzesvorschrift befugt, in solchen Fällen von Amtes
wegen eine Nachzählung anzuordnen (BGE 98 Ia 85). Die Beschwerdeführer
Dr. Widmer/Liberale Partei führen selber aus, es dürfte dem Regierungsrat
als Aufsichtsbehörde die Kompetenz zur Anordnung einer Nachzählung
zustehen. Sie sind aber der Meinung, nachdem der Regierungsrat die
Unrichtigkeit einzelner Verbale festgestellt habe, hätte er die Abstimmung
kassieren müssen. In Beschwerdefällen ist die Abstimmung nur dann ganz
oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Auswirkungen festgestellter
Verfahrensmängel nicht durch den Beschwerdeentscheid beseitigen lassen (§
139 Abs. 2 VAG). Das muss auch gelten, wenn der Regierungsrat bei einer
von Amtes wegen durchgeführten Kontrolle Mängel feststellt. Ergeben sich
dabei Fehler, die auf falsches Auszählen zurückzuführen sind, so sind
sie zu berichtigen. Damit sind die Auswirkungen der Fehler beseitigt
und die Abstimmung muss nicht aufgehoben werden (vgl. PICENONI, Die
Kassation von Volkswahlen und Volksabstimmungen, Diss. Zürich 1945,
S. 107). Die Beschwerdeführer Keiser, Isenschmid und Achermann sind
offenbar der Meinung, dem Regierungsrat stehe es überhaupt nicht zu,
eine Nachzählung vorzunehmen. Gemäss den vorangehenden Erwägungen
kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Es kann zusätzlich auf §
83 Abs. 2 VAG verwiesen werden, wonach bei kantonalen Abstimmungen die
Urnenbüros der Gemeinden das Verbal und das gebrauchte Stimmaterial dem
Justizdepartement zuzustellen haben. Diese Regel verfolgt u.a. den Zweck,
der kantonalen Behörde selber eine Nachzählung, also eine Kontrolle der
Verbale auf Grund des gebrauchten Stimmaterials, zu ermöglichen, wenn
sich eine Nachzählung als nötig erweist.

    Es stellt sich deshalb bloss die Frage, ob der Regierungsrat genügenden
Anlass hatte, eine Nachzählung durchzuführen. Schon der Umstand, dass das
Resultat auf Grund der ursprünglichen Verbale mit 17'897 Ja gegen 17'909
Nein sehr knapp ausfiel, konnte füglich als zureichender Grund für eine
Nachkontrolle betrachtet werden (BGE 98 Ia 85). Es kam hinzu, dass das
erste provisorische Ergebnis negativ, das zweite positiv war, während sich
nach der Zusammenstellung der Verbale wiederum ein verwerfendes Resultat
ergab. Es versteht sich, dass nach diesen Wechseln das Vertrauen des
Bürgers in die Zuverlässigkeit der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses
erschüttert war. Auch im Grossen Rat verlangten einzelne Mitglieder eine
Nachzählung, und sie stellten für den Fall der Ablehnung des Begehrens
eine Beschwerde in Aussicht. Nach den widersprüchlichen Meldungen und
bei dem sehr knappen Resultat hätte sich ein Stimmbürger nicht ohne Grund
beschweren können, wenn der Regierungsrat eine Nachzählung abgelehnt
hätte. Die Beschwerdeführer fühlen sich demgegenüber zu Unrecht in ihren
politischen Rechten verletzt, weil der Regierungsrat diese Kontrolle
im Interesse einer zuverlässigen Resultatsermittlung vornahm. Wenn man
nicht annehmen will, eine Nachzählung durch die kantonale Behörde habe
sich geradezu aufgedrängt, so muss sie doch auf jeden Fall als sachlich
gerechtfertigt erachtet werden.

    b) Dem Regierungsrat wird Willkür bei der Anordnung der Nachzählung
vorgeworfen mit der Begründung, er sei faktisch als Partei am
Abstimmungsresultat interessiert gewesen. Nachdem das zweite Resultat eine
knappe Annahme des Gesetzes gezeigt habe, habe ein Regierungssprecher
gegenüber Presse und Radio erklärt, das Luzerner Abstimmungsgesetz
kenne keine Möglichkeit der Nachkontrolle. Als dagegen das dritte
Resultat auf eine knappe Ablehnung der Vorlage gelautet habe, habe
der Regierungsrat diese "gesetzlich nicht vorgesehene" Nachkontrolle
angeordnet. Die ersten zwei Resultate waren nur provisorisch. Wenn ein
Mitglied der Regierung nach der Meldung des zweiten Resultats erklärte,
das Abstimmungsgesetz sehe keine Nachkontrolle vor, so war diese Erklärung
an sich richtig. Es ist im übrigen durch nichts dargetan, dass damit einer
Meinung des Gesamt-Regierungsrats Ausdruck gegeben worden wäre und dieser
nach Bekanntgabe des zweiten (annehmenden) Resultats bereits beschlossen
hätte, auf eine Nachkontrolle zu verzichten. Als das dritte, auf Grund der
Verbale festgestellte Resultat wiederum anders ausfiel, entstand eine neue
Sachlage. Der Umstand, dass drei verschiedene Resultate bekanntgegeben
worden waren, bildete einen gewichtigen Grund für die Anordnung einer
Nachzählung. Dass sie der Regierungsrat nur deshalb angeordnet hätte, weil
das dritte, auf Grund der Verbale festgestellte Resultat auf Verwerfung
lautete und er an der Annahme interessiert war, ist eine Behauptung, welche
die Beschwerdeführer durch keine stichhaltigen Vorbringen zu erhärten
vermögen. Sie dringen demnach mit ihrer Kritik, die kantonale Behörde
habe die Nachzählung aus unsachlichen Motiven angeordnet, nicht durch.

    c) Die Beschwerdeführer Dr. Widmer/Liberale Partei machen
geltend, die Diskrepanz zwischen den von den Urnenbüros der Gemeinden
ausgestellten Verbalen und dem Stimmaterial sei ein Mangel, der sich
durch den Entscheid des Regierungsrats nicht habe beheben lassen,
weshalb die Abstimmung hätte aufgehoben werden müssen. Sie bringen zur
Begründung vor, es sei nicht sicher, dass der Grund für die Diskrepanz
in den von der kantonalen Behörde festgestellten Auszählungsfehlern und
Verwechslungen von Ja- und Neinstimmen liege, da Unregelmässigkeiten nicht
völlig ausgeschlossen werden könnten. Damit wollen sie wohl sagen, die
fehlerhaften Verbale könnten auch absichtlich falsch ausgefüllt worden
sein. Sie nennen dafür aber nicht die geringsten Anhaltspunkte. Dass
eine solche nach Art. 282 des Strafgesetzbuches strafbare Wahlfälschung
vorgenommen worden wäre, ist von vornherein unwahrscheinlich. Bei
kantonalen Abstimmungen haben die Gemeindeurnenbüros - wie ausgeführt
- die Verbale und das gebrauchte Stimmaterial dem Justizdepartement
zuzustellen. Diese Unterlagen stehen somit für eine Nachkontrolle
zur Verfügung. Zudem ist das Verbal nach § 82 Abs. 2 VAG von allen
bei der Erwahrung mitwirkenden Präsidenten und Büromitgliedern zu
unterzeichnen. Da die Beschwerdeführer keine Verdachtsgründe nennen,
die auf irgendwelche vorsätzlichen Unregelmässigkeiten schliessen lassen,
durfte der Regierungsrat ohne weiteres davon ausgehen, die Diskrepanz sei
auf Versehen zurückzuführen, die sich durch den Entscheid der kantonalen
Behörde korrigieren liessen. Dass in mehreren Gemeinden das Resultat nicht
zuverlässig ermittelt wurde und einzelnen Urnenbüros Fehler unterliefen,
wird allerdings die Aufsichtsbehörde veranlassen, die Mitglieder der
betreffenden Büros zu einer sorgfältigeren Pflichterfüllung anzuhalten.

    d) Nach § 83 Abs. 1 VAG hat das Urnenbüro der Gemeinde das
Abstimmungsmaterial zu verpacken und die Pakete zu versiegeln oder zu
plombieren. Die Beschwerdeführer Keiser, Isenschmid und Achermann rügen,
es seien zahlreiche Pakete an das Justizdepartement gesandt worden,
die weder versiegelt noch plombiert waren. Der Regierungsrat anerkennt
dies. Es ist zu beanstanden, dass sich einzelne Gemeindebehörden nicht an
diese Vorschrift des Abstimmungsgesetzes hielten. Der Regierungsrat stellt
aber fest, dass alle Pakete gut verschlossen und intakt waren. Irgendwelche
Anhaltspunkte dafür, dass der Inhalt von Paketen verändert worden wäre,
nachdem sie die Mitglieder der Urnenbüros verschlossen hatten, bestehen
nicht. Die wesentliche Änderung, die das Abstimmungsergebnis zufolge
der Nachzählung erfuhr, war darauf zurückzuführen, dass Jastimmen zu
den Neinstimmen gelegt und gezählt worden sind und umgekehrt. In allen
diesen Fällen stimmte die Gesamtzahl der gültigen Stimmzettel mit der im
Verbal eingetragenen Zahl überein. Die grösste Unstimmigkeit (50 Jastimmen
als Neinstimmen gezählt) ergab sich in der Gemeinde Kriens. Deren Paket
war jedoch versiegelt. Bei den Urnenbüros, denen Zählfehler unterliefen,
stimmte der Inhalt der Pakete bis auf die geringfügigen Differenzen (in der
Regel ein paar wenige Stimmen) mit den Angaben im Verbal überein. Abgesehen
davon, dass gar keine Verdachtsgründe für die Annahme vorliegen, die Pakete
seien unbefugt geöffnet worden, nachdem sie von den Urnenbüros verschlossen
worden waren, und der Inhalt sei verändert worden, erscheint eine solche
Manipulation bei den gegebenen Umständen als praktisch ausgeschlossen. Es
ist deshalb davon auszugehen, die Unterlassung der Siegelung oder
Plombierung sei mit an Gewissenheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne
Einfluss auf das Abstimmungsergebnis gewesen (vgl. PICENONI, aaO S. 111).

Erwägung 5

    5.- a) Es ist schliesslich zu prüfen, ob die vom Regierungsrat
angeordnete Nachzählung an Mängeln litt, welche an der Zuverlässigkeit des
Ergebnisses zweifeln lassen und zur Aufhebung der Abstimmung führen müssen.

    Die Beschwerdeführer Keiser und Isenschmid beanstanden zunächst,
dass bei der Auszählung durch das Justizdepartement geprüft wurde, ob die
Stimmzettel gültig seien, während nach § 78a VAG das Urnenbüro der Gemeinde
darüber abschliessend zu befinden habe. Steht es der kantonalen Behörde
zu, auf Grund der gebrauchten Stimmzettel eine Nachzählung vorzunehmen,
so ist sie als Aufsichtsbehörde auch befugt, die Gültigkeit der Zettel zu
überprüfen. Es wäre sinnwidrig, wenn sie in dieser Hinsicht an einen Befund
des Urnenbüros gebunden wäre, obschon sie ihn bei der Nachkontrolle als
falsch erkennt. Der Einwand ist im übrigen ohne praktische Bedeutung. Bei
der Nachzählung wurden nur zwei Stimmzettel als gültig erklärt, welche
die Urnenbüros als ungültig betrachtet hatten (ein Zettel mit "Si", ein
anderer mit "Ja" in Spitzschrift); die Beschwerdeführer behaupten nicht,
diese Zettel seien ungültig. Darüber hinaus wurden fünf Zettel, welche
die Urnenbüros als ungültig erklärt hatten, deren Ungültigkeit aber
als fraglich erschien, zu Handen des Regierungsrates beiseite gelegt.
Dieser betrachtete sie in Übereinstimmung mit den Urnenbüros als ungültig.

    b) Die Beschwerdeführer beanstanden die Durchführung der Nachkontrolle
durch das Justizdepartement und behaupten, es könne auf die Nachzählung
nicht mit Sicherheit abgestellt werden. Die Kontrolle, welche 16
kantonale Beamte am 30. und 31. Januar 1975 durchführten, war indes
so organisiert, dass beste Gewähr für eine zuverlässige Ermittlung des
Abstimmungsresultats gegeben war. Die Zählergruppen hatten die Zettel zu
zählen, ohne dass ihnen die im Verbal angegebene Zahl bekannt war. Ergab
sich eine Differenz zur Verbalzahl, so wurde ein zweites Mal gezählt. Ergab
sich wiederum ein von der Verbalzahl abweichendes Resultat, so führte
eine zweite Zählergruppe eine Kontrollzählung durch. Erst wenn sie zum
nämlichen Resultat gelangte wie die erste Gruppe, wurde die Verbalzahl
berichtigt. Zählfehler waren bei dieser Methode nach menschlichem
Ermessen ausgeschlossen. Der Regierungsrat war an sich nicht gehalten,
eine Delegation der Gegner der Vorlage beizuziehen. Wenn er es trotzdem
tat, so zeigt das, dass er optimale Bedingungen für eine korrekte
Feststellung des Ergebnisses schaffen wollte. Die Beschwerdeführer
beanstanden, die Vertreter der Gesetzesgegner hätten nur der Kontrolle
des Stimmaterials und der Verbale beiwohnen können, während hernach
die Zusammenzählung der berichtigten Gemeinderesultate allein von den
kantonalen Beamten vorgenommen worden sei. Mit dieser Rüge dringen sie
nicht durch. Die Vertreter der Gesetzesgegner konnten selber feststellen,
dass Verbale einzelner Gemeinden falsche Zahlen aufwiesen; das Resultat von
Kriens, bei dem die grösste Unstimmigkeit festgestellt worden war, wurde
zusätzlich von einem Vertreter der Gegner nachgezählt. Die durch nichts
belegte Vermutung, dass die Beamten des Justizdepartementes die Resultate
der berichtigten Verbale nach der Nachzählung falsch zusammengerechnet
hätten, weist der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort mit Recht von
der Hand. Die dem Bundesgericht eingereichten Unterlagen zeigen, dass
das Resultat der Nachzählung auf zuverlässige Art ermittelt wurde. Die
Beschwerdeführer Keiser und Isenschmid kritisieren, dass die Zahl der
Stimmenden nicht mit der Zahl der gebrauchten und ungebrauchten Stimmzettel
verglichen wurde. Ein solcher Vergleich hätte abgesehen von der Hypothese
einer Wahlfälschung nur Sinn gehabt, wenn die Möglichkeit bestünde, dass
gebrauchte Stimmzettel zu den ungebrauchten gelegt worden wären. Nach der
Organisation der Abstimmung, wie sie im Kanton Luzern besteht (vgl. §§
78 ff. VAG), lässt sich diese Möglichkeit praktisch ausschliessen,
weshalb sich der Regierungsrat darauf beschränken durfte, das von den
Gemeinden eingesandte gebrauchte Stimmaterial zu kontrollieren. Der
kantonale Gesetzgeber geht denn auch offensichtlich davon aus, dass
eine Nachzählung des gebrauchten Stimmaterials für die Kontrolle genügt,
da nach § 83 Abs. 2 VAG bei kantonalen Abstimmungen das Verbal und das
gebrauchte Stimmaterial dem Justizdepartement einzusenden sind. Eine
Verwechslung von Stimmzetteln verschiedener Gemeinden bei der Nachzählung
war bei der auf grösste Zuverlässigkeit angelegten Organisation der
Nachkontrolle ausgeschlossen. Was die Beschwerdeführer gegen das mit
Sorgfalt durchgeführte Nachzählverfahren vorbringen, ist unbegründet und
vermag keine Zweifel an der Richtigkeit des von der kantonalen Behörde
ermittelten Resultats zu erwecken.

    In dieser Abstimmungssache ist unerfreulich, dass bei der Ermittlung
der Resultate in verschiedenen Gemeinden grössere oder kleinere Versehen
unterliefen. Bei dem knappen Resultat war der Regierungsrat berechtigt,
eine Nachkontrolle durchzuführen. Diese bietet eine solche Gewähr für die
richtige Feststellung des Abstimmungsresultats, dass ohne Bedenken auf
das durch die kantonale Behörde berichtigte Resultat abgestellt werden
darf und praktisch auszuschliessen ist, dass den Gemeindeurnenbüros
unterlaufene Fehler das Abstimmungsresultat, wie es endgültig vom
Regierungsrat festgestellt wurde, beeinflusst haben könnten.