Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 224



101 Ia 224

39. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. Würth gegen
Politische Gemeinde Thal und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen.
Regeste

    Art. 22ter BV; materielle Enteignung.

    In der Beschränkung einer künftig möglichen Nutzung liegt nur dann
eine materielle Enteignung, wenn sich im massgebenden Zeitpunkt nach den
Umständen annehmen liess, diese Nutzung lasse sich sehr wahrscheinlich in
naher Zukunft verwirklichen (Bestätigung der Rechtsprechung); Umstände,
die bei der Prognose zu berücksichtigen sind (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    A.- Dr. Willy Würth ist Eigentümer einer ausgedehnten Liegenschaft in
Altenrhein-Rheinspitz, am Ufer des Bodensees. Auf der Parzelle befindet
sich sein Hotel-Restaurant "Weisses Haus", ein Camping-Platz, ein Strandbad
und ein Bootshafen. Grosse Teile des übrigen Areals bestehen aus Ried
und Streueboden.

    Im Jahre 1960 erliess die Gemeinde Thal/SG einen "Zonen-
und generellen Überbauungsplan" (Zonenplan 1960), in welchem die
Liegenschaft von Dr. Würth mit einem Bauverbot belegt wurde. Im Laufe des
Einspracheverfahrens wurde Dr. Würth der Bestand der vorhandenen Bauten
ausdrücklich gewährleistet und es wurde ihm die Möglichkeit der Erweiterung
und Modernisierung der zum Hotel-, Camping- und Strandbadbetrieb gehörenden
Bauten zugesichert, soweit dadurch das Landschaftsbild nicht gestört
werde. Der Zonenplan trat am 6. März 1963 mit der Genehmigung durch das
Baudepartement des Kantons St. Gallen in Kraft.

    Im Jahre 1970 erliess die Gemeinde Thal zum Schutze des Mündungsgebiets
des Alten Rheins den Schutzzonenplan Altenrhein. (Schutzzonenplan
1970). Dieser enthält für die Liegenschaft Dr. Würths folgende Regelung:
ca. 78'000 m2 noch unberührtes Gebiet wurden zur Naturschutzzone
(N) erklärt und mit einem Bauverbot belegt. Für die vom Strandbad-
und Campingbetrieb eingenommenen ca. 38'000 m2 (Zonen A und B) wurden
Nutzungsvorschriften erlassen, welche den Weiterbestand der beiden Bauten
gewährleisten, jedoch eine anderweitige Überbauung ausschliessen. Um das
bestehende Hotelgebäude wurde eine Zone von ungefähr 8000 m2 ausgeschieden,
in welcher Wohnbauten sowie Bauten, die dem Gastgewerbe dienen, bis zu
einer maximalen Ausnützung von 0,6 zulässig sind. Schliesslich wurden
bei der Einfahrt in der Nähe des Hotels und des Bootshafens ca. 18'000
m2 für Parkplätze ausgeschieden.

    Der Gemeinderat Thal verneinte das Vorliegen einer materiellen
Enteignung. Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons
St. Gallen haben diese Auffassung auf Rekurs hin bestätigt. Dr. Würth
erhebt gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung der Eigentumsgarantie.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie wird
ausschliesslich damit begründet, dass der Eingriff in das Eigentum
des Beschwerdeführers einer Enteignung gleichkomme und dass daher die
Verweigerung einer Entschädigung gegen Art. 22ter BV verstosse.

    Ob ein bestimmter Eingriff in das Eigentum wie eine Enteignung wirkt
und daher nur gegen Entschädigung erfolgen darf, ist eine Frage, die das
Bundesgericht frei prüft (BGE 93 I 342, 89 I 384/85).

    b) Nach der neuern Rechtsprechung liegt eine materielle Enteignung
vor, wenn der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch der
Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders
schwer wiegt, weil dem Eigentümer eine wesentliche, aus dem Eigentum
fliessende Befugnis entzogen wird (BGE 98 Ia 384 E. 2a sowie die dort
zitierten Urteile, insbesondere BGE 91 I 338/9). Geht die Einschränkung
weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen,
falls ein einziger oder einzelne Grundeigentümer so betroffen werden,
dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit als unzumutbar erschiene,
wenn hiefür keine Entschädigung geleistet würde. Diese mit dem Urteil
Barret (BGE 91 I 339) eingeleitete Praxis wird vom Beschwerdeführer
nicht angefochten. Er behauptet aber, dass ihm nach den vom Bundesgericht
entwickelten Grundsätzen Anspruch auf eine Entschädigung wegen materieller
Enteignung zustehe.

Erwägung 3

    3.- Weder durch den Zonenplan 1960 noch durch den Schutzzonenplan 1970
wird die bisherige Nutzung des betroffenen Grundstückes verboten oder
eingeschränkt: Das Hotel-Restaurant, der Camping-Platz, das Strandbad
und der Bootshafen bleiben nicht nur bestehen, sondern es ist auch ein
angemessener Ausbau im Rahmen der Zonenvorschriften möglich. Mit Recht wird
in der Beschwerde nicht geltend gemacht, durch die planerischen Massnahmen
werde die Weiterführung der jetzt auf dem Grundstück befindlichen Betriebe
irgendwie tangiert oder beeinträchtigt.

Erwägung 4

    4.- a) Die Entschädigungsforderung wird ausschliesslich damit
begründet, dass dem Beschwerdeführer durch den Zonenplan 1960 bzw. den
Schutzzonenplan 1970 ein voraussehbarer künftiger Gebrauch seines
Grundstückes untersagt worden sei. Die Beschwerde beruht auf der Annahme,
sowohl in der Zone A und in der Zone B, wo sich heute Strandbad und
Camping-Platz befinden, als auch in der gesamten Naturschutzzone N, die
aus Ried- und Streueland besteht, wäre eine Überbauung mit Einfamilien-
und Ferienhäusern möglich; das Verbot dieser wesentlich einträglicheren
Nutzung erfülle den Tatbestand der materiellen Enteignung. Entscheidend
ist, ob im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vom Beschwerdeführer als
enteignungsähnlich bezeichneten Massnahme - d.h. im vorliegenden Fall am 5.
März 1963 mit der Genehmigung des das grundsätzliche Bauverbot einführenden
Zonenplanes 1960 - nach den Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu erwarten war, die Parzelle würde in naher Zukunft überbaut. Da der
Schutzzonenplan 1970 keine neuen zusätzlichen Beschränkungen gebracht
hat, bildet das Inkrafttreten des grundsätzlichen Bauverbotes den für
die Beurteilung der Frage, ob eine materielle Enteignung vorliegt,
massgebenden Stichtag (BGE 98 Ia 386 E. 3).

    b) Nicht jede technisch und wirtschaftlich mögliche künftige Verwendung
eines Grundstückes bildet im Falle eines Bauverbotes die Grundlage für
eine Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung. Gerade für
die Überbauung mit Ferienhäusern kämen in unserem Lande noch sehr viele
schön gelegene Parzellen in Frage. Dass die notwendige Erschliessung sich
mit grösserem oder geringerem Aufwand technisch erreichen liesse, macht
solche Grundstücke an sich noch nicht zu "Bauland", welches im Rahmen der
Raumplanung nur gegen Entschädigung mit einem Bauverbot belegt werden kann.

    Schon in BGE 91 I 339 wurde hervorgehoben, dass nur jene
Verwendungsmöglichkeiten unter dem Aspekt der Eigentumsgarantie geschützt
werden, "qui, au regard des circonstances, apparaissent comme très
probables dans un proche avenir." In BGE 98 Ia 385 wurde wiederum klar
bestätigt, dass eine künftige Nutzung nur dann in Betracht falle, wenn
den Umständen nach anzunehmen sei, sie lasse sich sehr wahrscheinlich in
naher Zukunft verwirklichen.

    c) Im vorliegenden Fall betrifft das vollständige Bauverbot -
Naturschutzzone N - ein an den See und den Bootshafen angrenzendes
Ried- und Streulandgebiet, dessen Untergrund aus feinem Schwemmsand
besteht. Die Distanz zum nächsten Siedlungskern (Altenrhein) beträgt
rund einen Kilometer. Wenn auch durch Auffüllung und Melioration,
d.h. mit zusätzlichen Aufwendungen, Bauland geschaffen werden könnte, so
bestehen anderseits keine Anhaltspunkte dafür, dass diese ausgesprochene
Uferzone, die nicht an besiedeltes Gebiet angrenzt, im Laufe der
Sechzigerjahre erschlossen und überbaut worden wäre. Nicht nur die
geologischen Verhältnisse und die Distanz zur nächsten Siedlung sprechen
gegen die Wahrscheinlichkeit einer Überbauung, auch die Zugehörigkeit
des betroffenen Areals zur Hotel-Liegenschaft ist ein starkes Indiz
gegen die behauptete Baulandeigenschaft; denn vom gastgewerblichen
Betrieb her besteht ein erhebliches touristisches Interesse an der
Erhaltung einer natürlichen, nicht durch Ferienhäuser beeinträchtigten
Uferlandschaft in der unmittelbaren Umgebung des Hotels. Nach 1963
hat der Beschwerdeführer zwar durch Schaffung eines Bootshafens in die
natürliche Landschaft eingegriffen; es ging dabei jedoch um eine mit
seinem Gewerbebetrieb im weiteren Sinne zusammenhängende Anlage. Eine
Überbauung mit Ferienhäusern aber würde in unverantwortlicher Weise
die landschaftliche Umgebung zerstören, die den besonderen Reiz dieses
Hotel-Restaurants ausmacht. Die behauptete künftige Nutzungsmöglichkeit
durch Überbauung eines grossen Teils des Grundstückes steht also
offensichtlich im Widerspruch zur heutigen Verwendung der Parzelle als
Basis eines gastgewerblichen Unternehmens. Bei der ausser Frage stehenden
Weiterführung des Hotel-Restaurants stellte die Überbauung der nächsten
Umgebung mit Ferien- oder Einfamilienhäusern keine voraussehbare, mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Nutzung der jetzt mit Bauverbot
belegten Uferzone dar. Die Einteilung des Riedlandes in die Grünzone hat
somit seinerzeit (1963) dem Beschwerdeführer nicht eine nach den gesamten
Umständen wahrscheinliche, in nächster Zukunft realisierbare bauliche
Nutzungsmöglichkeit entzogen, sondern höchstens eine mit erheblichen
Aufwendungen technisch allenfalls mögliche Erschliessung und Überbauung
des sich nach seinen natürlichen Gegebenheiten und seiner Entfernung
vom besiedelten Gebiet keineswegs als Bauland anbietenden Areals aus
planerischen Gründen (Landschaftsschutz) klar untersagt. In einem solchen
Fall ist nach den Kriterien der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der
Tatbestand der materiellen Enteignung nicht erfüllt. Ein Zonenplan,
der die bisherige Nutzung in vollem Umfange gewährleistet und auch nicht
eine nach den Umständen sich aufdrängende, der vorangehenden Entwicklung
entsprechende, künftige Verwendungsmöglichkeit verbietet, hat keine
Entschädigungspflicht des planenden Gemeinwesens zur Folge.
   d) In bezug auf das Strandbadareal (Zone A) und den Camping-Platz
(Zone B) sind die tatsächlichen Verhältnisse nicht ganz gleich wie in der
Naturschutzzone N, weil hier eine Melioration des Terrains bereits erfolgt
ist und auch gewisse, der heutigen Nutzung dienende Infrastrukturanlagen
- Strassen, Leitungen - offenbar bestehen. Die der Beschwerde zugrunde
liegende künftige Verwendung als Bauland für Ferienhäuser liesse sich wohl
hier technisch etwas leichter verwirklichen als in der Naturschutzzone.

    Das Areal der Zonen A und B wird vom Beschwerdeführer in einer
seiner Lage als Ufergebiet in Hotelnähe durchaus entsprechenden Weise
genutzt. Eingeschossige Bauten, die dem Zwecke des Strandbades dienen
sowie die für den Campingbetrieb erforderlichen Anlagen sind zulässig
(Art. 11/12 der "Besonderen Vorschriften zum Schutzzonenplan für das Gebiet
Altenrhein."). Gegen eine künftige Verwendung als Bauland für Ferienhäuser
spricht ausser der klaren Trennung vom eigentlichen Siedlungsgebiet der
Gemeinde der funktionelle Zusammenhang von Campingplatz und Strandbad
mit dem gastgewerblichen Betrieb, welcher den wirtschaftlichen Kern des
Grundstückes bildet. Wie sich aus den Akten ergibt, bestanden schon bei
der jetzigen Nutzung in gewässerschutztechnischer Hinsicht erhebliche
Schwierigkeiten. Die für eine eigentliche Überbauung notwendigen
Erschliessungskosten dürfen nicht unterschätzt werden. Die Möglichkeit
einer Überbauung mit Ferien- oder Einfamilienhäusern wurde nie ernstlich
geprüft. Dass eine betriebsfremde Verwendung oder Veräusserung dieses
touristisch interessanten Teils der Hotel-Liegenschaft je in Frage gekommen
wäre, ist unwahrscheinlich. Die zur Begründung der Entschädigungsforderung
herangezogene Möglichkeit der Überbauung ist nicht eine 1963 voraussehbare,
in nächster Zeit realisierbare Verwendungsmöglichkeit, sondern lediglich
eine theoretisch vorstellbare Änderung der Nutzung. Derartige abstrakte
Überlegungen, welchen nicht ein realisierbares Projekt entspricht,
begründen keine Nutzungsmöglichkeit des Eigentümers, deren Entzug
entschädigt werden müsste. Nach den gesamten Umständen war 1963 zu
erwarten, dass der Eigentümer der Liegenschaft Strandbad und Campingplatz
als Annex-Betriebe des Hotels weiterführen und allenfalls zeitgemäss
ausbauen werde. Es bestehen nicht die geringsten konkreten Anhaltspunkte
dafür, dass eine eigentliche Erschliessung und Überbauung der heutigen
Zonen A und B als wahrscheinliche künftige Nutzung in Betracht gekommen
wäre.

Erwägung 5

    5.- Bestand somit im Zeitpunkt der Einführung der
Eigentumsbeschränkungen keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das
betroffene Land in naher Zukunft als Bauland für Ferien- oder Wohnhäuser
verwendet werden könnte, so entfällt die in der Beschwerde behauptete
Entschädigungspflicht, denn in diesem Fall bilden die angeordneten
Beschränkungen weder einen schweren, enteignungsgleichen Eingriff
in das Eigentum, noch ein - ohne Entschädigung - nicht zumutbares
Sonderopfer. Die planerischen Massnahmen haben keine naheliegende andere
Verwendungsmöglichkeit verboten, sondern gewährleisten eine der Lage und
der landschaftlichen Situation angemessene, auch im Interesse der heutigen
touristischen Nutzung des Grundstückes liegende, weitgehende Wahrung des
jetzigen Zustandes. Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie ist
daher unbegründet.

    Nach 1963 sind im übrigen durch das neue Gewässerschutzgesetz
vom 8. Oktober 1971, welches in Art. 20 Bauten ausserhalb des
Kanalisationsperimeters nur ausnahmsweise zulässt, und durch das Natur-
und Heimatschutzgesetz vom 1. Juli 1966, das in Art. 21 die Beseitigung
der Ufervegetation verbietet, bundesrechtliche Hindernisse geschaffen
worden, welche heute ohnehin der Errichtung von Wohn- und Ferienhäusern
in dem hier in Frage stehenden Gebiet entgegenständen. Auf diese
Änderung der Rechtslage und die Frage ihrer Auswirkung auf allfällige
Entschädigungsansprüche braucht hier nicht eingetreten zu werden. Auch
wenn man diese späteren bundesrechtlichen Beschränkungen ausser Betracht
lässt, so hatte der Schutzzonenplan 1960 aus den dargelegten Gründen
keine materielle Enteignung zur Folge.