Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 154



101 Ia 154

27. Urteil vom 21. Mai 1975 i.S. Verband der Schlittschuh- und
Rollschuh-Sporte Jugoslawiens gegen Gschwend und Kantonsgerichtspräsidium
des Kantons Appenzell A.Rh. Regeste

    Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche
vom 26. Januar 1927. Schweizerisch jugoslawischer Handelsvertrag vom
27. September 1948. Vorbehalt des ordre public des Vollstreckungsstaates.

    1. Darin, dass das zu vollstreckende ausländische Schiedsgerichtsurteil
mit keiner oder nur mit einer unvollständigen, die ausserordentlichen
Rechtsbehelfe nicht erwähnenden Rechtsmittelbelehrung versehen wurde,
liegt kein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public. Auch der
Ausschluss jeder Rechtsmittelmöglichkeit im Urteilsstaat steht der
Vollstreckung nicht entgegen (E. 3a).

    2. Einrede der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben sowie
des rechtlichen Gehörs im ausländischen Schiedsverfahren (E. 3b).

    3. Ausnahme von der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen
Beschwerde (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 29. September 1966 schloss Norbert Gschwend mit dem
"Organisationskomitee der Europameisterschaften im Eiskunstlauf 1967
in Ljubljana/Jugoslawien" einen "Exclusiv-Mietvertrag" ab, durch
den ihm gegen 85'000 US Dollar die Benützung und Untervermietung der
Werbeflächen auf dem Platze der Veranstaltung gestattet wurde. Da diese
entgegen den ursprünglichen Erwartungen nicht durch die Eurovision
im Fernsehen übertragen wurde, verweigerte Gschwend die Bezahlung
des noch ausstehenden Betrages von 42'500 Dollar. Aufgrund einer im
Vertrag enthaltenen Schiedsklausel leitete daraufhin der "Verband der
Schlittschuh- und Rollschuhsporte Jugoslawiens" als Träger des erwähnten
Organisationskomitees gegen Gschwend bei der "Cour d'arbitrage du
commerce extérieur auprès de la Chambre économique fédérale" in Belgrad
ein Schiedsverfahren ein. Ein aus drei Mitgliedern zusammengesetztes
Schiedsgericht verpflichtete Gschwend mit Urteil vom 22. Februar 1973 zur
Bezahlung der Restsumme von 42'500 Dollar nebst Zinsen und Prozesskosten;
eine Gegenforderung des Beklagten in Betrage von 22'500 Dollar wurde
abgewiesen.

    B.- Gestützt auf das ergangene Schiedsurteil leitete der jugoslawische
Gläubiger gegen Gschwend an dessen Wohnsitz in Herisau eine Betreibung ein,
wogegen Rechtsvorschlag erhoben wurde. Mit Entscheid vom 15. November 1974
wies das Kantonsgerichtspräsidium (IV. Abteilung) des Kantons Appenzell
A.Rh. das Begehren des Gläubigers um definitive Rechtsöffnung ab.

    C.- Der "Verband der Schlittschuh- und Rollschuhsporte Jugoslawiens"
führt gegen die Verweigerung der definitiven Rechtsöffnung gestützt auf
Art. 84 lit. c OG beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung staatsvertraglicher Verpflichtungen.

    D.- Der Beschwerdegegner Norbert Gschwend und das
Kantonsgerichtspräsidium Appenzell A.Rh. beantragen Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid kann laut Rechtsmittelbelehrung an
eine kantonale Appellationsinstanz weitergezogen werden. Gleichwohl ist
auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde einzutreten, da es sich
um eine solche nach Art. 84 lit. c OG handelt, für welche das Erfordernis
der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht gilt.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer beruft sich einerseits auf das Genfer Abkommen
zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927, dem
sowohl die Schweiz als auch Jugoslawien beigetreten sind, und anderseits
auf den schweizerisch-jugoslawischen Handelsvertrag vom 27. September
1948, der unter anderem in Art. 11 auch die Pflicht zur Vollstreckung
von Schiedssprüchen vorsieht. Die Anwendbarkeit dieser beiden Abkommen
ist zu Recht unbestritten. Die New Yorker Konvention vom 10. Juni 1958
über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ist
hier nicht anwendbar, da Jugoslawien ihr nicht beigetreten ist.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Genfer Abkommen (Art. 1 Abs. 2 lit. e) wie auch nach dem
Handelsvertrag von 1948 (Art. 11 Abs. 2 lit. a) kann die Vollstreckung
des ausländischen Schiedsspruches u.a. dann verweigert werden, wenn er
gegen den ordre public des Landes verstösst, in dem um die Vollstreckung
nachgesucht wird. Dieser Vorbehalt erstreckt sich nicht nur auf den
Inhalt des ausländischen Entscheides, sondern auch auf das Verfahren,
in dem dieser ergangen ist (BGE 98 Ia 533, 97 I 256, 156 f. mit Hinweisen).

    a) Der Beschwerdegegner und mit ihm der kantonale Rechtsöffnungsrichter
erblicken eine Verletzung des schweizerischen ordre public darin, dass
der in Jugoslawien ergangene Schiedsspruch keinem Rechtsmittel unterworfen
bzw. mit einer ungenügenden Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen sei.

    Das in serbischer Sprache verfasste Urteil des Schiedsgerichtes vom
22. Februar 1973 wurde dem Schuldner am 5. September 1973 zugestellt,
zusammen mit einem französischen Begleitschreiben des Generalsekretärs
des Schiedsgerichtshofes vom 31. August 1973, welches den Inhalt des
Schiedsspruches wiedergab und hinsichtlich der Rechtsmittelmöglichkeiten
folgendes ausführte:

    "Conformément à l'art. 41 du Règlement de la Cour d'Arbitrage, la
   sentence arbitrale est définitive et elle n'est point susceptible
   d'appel.

    Elle a la force d'un jugement passé en force de chose jugée des
   tribunaux de droit commun (art. 449 de la Loi sur la procédure civile)."

    Der Anwalt des Beschwerdegegners erkundigte sich am 15. September
1973 sowohl brieflich als auch telegrafisch beim Schiedsgerichtshof in
Belgrad, ob gegen den Schiedsspruch allenfalls ein ausserordentliches
Rechtsmittel zulässig sei. Die Anfrage blieb gemäss unbestrittener
Behauptung unbeantwortet. Der Beschwerdegegner bezeichnet die Haltung des
Schiedsgerichtes als "merkwürdig" und den Gepflogenheiten schweizerischer
Gerichte widersprechend. Wie er mittlerweile bei der Handelskammer
Schweiz-Jugoslawien erfahren habe, sei auch in Jugoslawien gegen
Schiedsgerichtsurteile zur Geltendmachung bestimmter Nichtigkeitsgründe
eine Kassationsbeschwerde möglich. Dies dürfte zutreffen. Die Frage
bedarf indessen keiner näheren Abklärung, da sie für die Beurteilung der
vorliegenden Beschwerde nicht entscheidend ist.

    Wie das Bundesgericht in BGE 96 I 399 festgehalten hat, liegt
darin, dass ein zu vollstreckendes ausländisches Urteil mit keiner
Rechtsmittelbelehrung versehen worden ist, kein Verstoss gegen den
schweizerischen ordre public. Gleich muss es sich verhalten, wenn - wie
hier - eine Belehrung zwar erteilt wird, diese aber insoweit unvollständig
ist, als sie nur den Ausschluss der Appellationsmöglichkeit feststellt
und über die allenfalls zulässigen ausserordentlichen Rechtsmittel keine
Auskunft gibt. Der Hinweis auf derartige Rechtsmittel ist auch in der
Schweiz keineswegs allgemein üblich. Dass die nachträgliche Anfrage des
Schuldners beim urteilenden Gericht - aus welchen Gründen auch immer
- unbeantwortet geblieben ist, ändert nichts. Es war dem Schuldner
bzw. dessen Anwalt nicht unmöglich oder unzumutbar, sich auf anderem
Wege rechtzeitig über die bestehenden Rechtsmittelmöglichkeiten Kenntnis
zu verschaffen.

    Selbst wenn der in Jugoslawien ergangene Schiedsspruch überhaupt
keinem Rechtsmittel unterworfen gewesen wäre, wäre dies noch kein
Grund, seine Vollstreckung in der Schweiz zu verweigern. Das Genfer
Abkommen behält in Art. 1 Abs. 2 lit. d die Möglichkeit, dass die
Gesetzgebung eines Vertragsstaates gegen Schiedssprüche keine Rechtsmittel
zulässt, ausdrücklich vor und betrachtet solche Urteile ebenfalls als
vollstreckbar. Es wäre nicht angängig, diese aus dem Abkommen hervorgehende
Verpflichtung unter Berufung auf den einheimischen ordre public zu umgehen
und die Vollstreckung vom Bestehen bestimmter Rechtsmittelmöglichkeiten
abhängig zu machen. Dies wäre auch rein sachlich nicht angebracht. Es
genügt, dass der Schuldner im Vollstreckungsverfahren die staatsvertraglich
vorgesehenen Einwände vorbringen kann.

    b) Der kantonale Rechtsöffnungsrichter nahm an, dass die Vollstreckung
des Schiedsspruches noch aus einem weiteren vom Schuldner geltend
gemachten Grunde gegen den ordre public verstiesse. Am 20. April 1970
verfügte der Vorsitzende des Schiedsgerichtes, dass über die Frage
des allfälligen Wertverlustes der Reklameflächen das Gutachten eines
Experten einzuholen sei; beide Parteien wurden dafür zur Leistung
eines Kostenvorschusses angehalten. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1972
teilte der Generalsekretär des Schiedsgerichtshofes mit, dass sich die
Bemühungen um den Beizug eines Experten als erfolglos erwiesen hätten.
Sodann wurden die Parteien davon in Kenntnis gesetzt, dass der bisherige
Präsident des Schiedsgerichtes verstorben und an seiner Stelle ein neuer
Vorsitzender ernannt worden sei. In Anbetracht dieser Gegebenheiten wurden
die Parteien vom Gericht aufgefordert, binnen 15 Tagen zu erklären, ob sie
ihren bisherigen Stellungnahmen und Anträgen noch etwas beizufügen hätten
und ob die Ansetzung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung verlangt
werde. Andernfalls werde das Gericht aufgrund des jetzigen Standes der
Akten entscheiden ("Le Collège arbitral... portera sa décision d'après
l'état actuel du dossier"). Der Anwalt des Beschwerdegegners teilte hierauf
dem Schiedsgericht am 12. Januar 1973 mit, dass er auf eine weitere Eingabe
sowie auf eine nochmalige mündliche Verhandlung verzichte, sofern auch die
klagende Partei davon absehe, was der Fall war. Das Schiedsgericht hiess
in der Folge die Klage in vollem Umfange gut und wies die Gegenforderung
des Beklagten ab.

    Der Beschwerdegegner machte im Verfahren vor dem Rechtsöffnungsrichter
geltend, er habe nur deshalb auf eine Verhandlung und auf weitere
Eingaben verzichtet, weil aufgrund des bisherigen Prozessganges,
namentlich aufgrund der Beweisverfügung vom 20. April 1970, anzunehmen
gewesen sei, das Schiedsgericht gehe davon aus, dass der Kläger für den
Ausfall der Eurovisions-Übertragung einzustehen habe. Er habe daher damit
rechnen dürfen, dass das Gericht die Klage entweder abweise oder selber
(anstelle eines Experten) ex aequo e bono über den Wert der Minderleistung
befinde. Indem das Gericht von seiner früher kundgegebenen Rechtsauffassung
plötzlich abgewichen sei, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, auf die
veränderte Situation zu reagieren, habe es den Grundsatz des rechtlichen
Gehörs verletzt und auch gegen Treu und Glauben verstossen.

    Der dargelegte, vom kantonalen Rechtsöffnungsrichter geschützte
Einwand entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Dass das Schiedsgericht
durch sein Vorgehen irgendwelche Vorschriften des massgebenden
positiven Verfahrensrechtes missachtet hätte, wird nicht behauptet. Es
ist aber auch nicht ersichtlich, inwiefern grundlegende Regeln des
Prozessrechtes verletzt worden sein sollen. Die Abweichung von der
früheren Beweisverfügung, die nach allgemeinen Prozessgrundsätzen
ohnehin jederzeit abänderbar war, erfolgte im Einverständnis mit den
Parteien. Wesentlich ist, dass die Parteien ausgiebig Gelegenheit gehabt
hatten, zu allen Fragen, die für das Urteil des Gerichtes erheblich waren,
Stellung zu nehmen. Das Schiedsgericht hatte nie ein Teilurteil gefällt,
an das es gebunden gewesen wäre. Wenn der Beschwerdegegner annahm, bei
einem Verzicht auf weitere Beweiserhebungen sei das Urteil in bestimmter
Weise präjudiziert, und aus diesem Grunde auf weitere prozessuale
Anträge verzichtete, so beruhte dies auf einer subjektiven Würdigung,
über deren Risiko er sich bewusst sein musste. Von einer schwerwiegenden
Gehörsverletzung oder einer gegen Treu und Glauben verstossenden Täuschung,
welche die Anwendung der ordre public-Klausel zu rechtfertigen vermöchte,
kann klarerweise nicht die Rede sein.

    c) Was vom Beschwerdegegner materiell gegen die Entscheidung
des Schiedsgerichtes vorgebracht wird, hat den Charakter blosser
appellatorischer Kritik, die in einem Vollstreckungsverfahren unter dem
Gesichtspunkt des ordre public zum vornherein unbeachtlich ist.

Erwägung 4

    4.- Andere staatsvertraglich vorgesehene Einwendungen, welche der
verlangten Vollstreckung im Wege stehen könnten, sind nicht erhoben worden
und fallen auch nicht in Betracht. Der angefochtene Rechtsöffnungsentscheid
ist daher in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. Der Beschwerdeführer
verlangt darüber hinaus, dass das Bundesgericht selber die nachgesuchte
definitive Rechtsöffnung erteile. Ein solches Begehren ist an sich
zulässig (BGE 98 Ia 537, 72 I 96), doch kann ihm im vorliegenden Fall
nicht entsprochen werden, da der Schuldner in seiner Beschwerdeantwort
an das Bundesgericht eventualiter nunmehr auch die Zinsberechnung und den
Umrechnungskurs, zu dem die Forderungssumme in Betreibung gesetzt wurde,
beanstandet und das Rechtsöffnungsbegehren insofern noch nicht spruchreif
ist. Es ist vorerst Sache des kantonalen Richters, über die Zulässigkeit
und Berechtigung dieses nachträglich erhobenen Einwandes zu befinden,
weshalb es mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils sein Bewenden
haben muss.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Kantonsgerichtspräsidiums (IV. Abteilung) des Kantons Appenzell A.Rh. vom
15. November 1974 aufgehoben.