Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 13



101 Ia 13

4. Auszug aus dem Urteil vom 12. Februar 1975 i.S. Wirth gegen Blatter
und Kantonsgericht Wallis. Regeste

    Art. 4 BV; Kann ein unbestrittenes Rechtsbot einen definitiven
Rechtsöffnungstitel darstellen?

    Wird mit einem Rechtsbot die Anerkennung eines materiellen
Klagebegehrens verlangt, so ist es vor Art. 4 BV nicht haltbar, ein
unbestritten gebliebenes Rechtsbot einer gerichtlichen Schuldanerkennung
im Sinne von Art. 80 SchKG gleichzustellen.

    Hingegen ist es zulässig, dass die Kantone ein unbestrittenes
Rechtsbot, das sich bloss auf die Anerkennung einer detaillierten
Kostenrechnung bezieht, einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil
gleichstellen, sofern die Partei, welcher die Liste zugestellt wird, im
Rechtsbot darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Kosten als anerkannt
gelten, falls binnen der gesetzlichen Frist dagegen nicht Einsprache
erhoben wird.

Sachverhalt

                    Aus dem Sachverhalt:

    Das Kantonsgericht Wallis entschied am 2./13. November 1973 den
Zivilprozess zwischen Hedwig Wirth und Eleonora Brunner-Schölly, wobei
es in Ziffer 2 des Urteilsdispositivs bestimmte:

    "Die Kosten des Verfahrens und Urteils werden zu 2/5 der Eleonora

    Brunner-Schölly und zu 3/5 der Hedwig Wirth auferlegt."

    Am 2./8. April 1974 liess Advokat Blatter, der Vertreter von Eleonora
Brunner im Zivilprozess, durch den Präsidenten des Walliser Kantonsgerichts
Hedwig Wirth folgendes Rechtsbot zustellen:

    "Ihnen, Frau Hedwig Wirth gesch. Buser geb. Dysli, wohnhaft in

    Vuisse-Savièse,

    Advokat Joseph Blatter, in Sitten, handelnd sowohl für Frau Eleonore

    Brunner geb. Schölly, wohnhaft in Zürich, als Rechtsnachfolgerin
   des verstorbenen Herrn Rudolf Emil Buser, wohnhaft gewesen in Zürich,
   als auch für Herrn Dr. Fridolin Allemann, Advokat, in Zürich, und für
   sich selbst,

    zeigt die Liste der gerichtlichen Kosten an, wovon Sie gemäss Urteil
   des Kantonsgerichts vom 2./13. November 1973, bestätigt durch Urteil
   des Bundesgerichts vom 1. Februar 1974, drei Fünftel zu bezahlen haben:
   ... (es folgt eine detaillierte Aufstellung über Barauslagen und

    Honorar im Zivilprozess) ...

    Wir sagen: achttausendachthundertvierundneunzig Franken und
   fünfzig Rappen, wovon drei Fünftel oder Fr. 5'336.70, wir sagen:
   fünftausenddreihundertsechsunddreissig Franken und siebzig Rappen zu

    Ihren Lasten sind.

    Dies mit allen rechtlichen Folgen."

    Hedwig Wirth erhob keine Einsprache gegen die Kostenliste.

    In der Folge betrieben Eleonora Brunner, Fridolin Allemann und
Joseph Blatter Frau Wirth für den Betrag von Fr. 5'336.70 nebst Zins zu
5% seit dem 2. Mai 1974. Hedwig Wirth erhob Rechtsvorschlag, worauf die
Gläubiger beim Instruktionsrichter von Sitten die definitive Rechtsöffnung
verlangten. Als Rechtsöffnungstitel legten sie die Kostenliste vor sowie
eine Erklärung des Kantonsgerichts Wallis, dass die Liste vollstreckbar
sei. Mit Urteil vom 17. Juli 1974 erteilte der Instruktionsrichter die
definitive Rechtsöffnung. Dagegen reichte Frau Wirth Nichtigkeitsklage
ein, welche vom Kantonsgericht Wallis am 4. November 1974 abgewiesen wurde.

    Diesen Entscheid sowie denjenigen des Instruktionsrichters ficht Hedwig
Wirth mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV an.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach den Prozesskostenbestimmungen der Zivilprozessordnung des
Kantons Wallis vom 22. November 1919 (ZPO) wird im Urteil nur über die
Verteilung der Kosten, nicht aber über deren Höhe befunden. Zu den
Gerichtskosten gehören auch die Anwaltshonorare (Art. 1 des Dekretes
vom 18. Mai 1973 betreffend den Tarif der Gerichtskosten, Amtsblatt des
Kantons Wallis 1973, S. 620) und diese sind den Anwälten direkt von der
Partei geschuldet, die zu den Kosten verurteilt wurde (§ 312 ZPO). Die
ganz oder zum Teil obsiegende Partei hat dem Gegner ihr Kostenverzeichnis
durch Rechtsbot unter Strafe der Verwirkung innert sechzig Tagen,
nachdem das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, anzeigen zu lassen
(Art. 305 Abs. 1 ZPO). Die in die Kosten verfällte Partei kann innert zehn
Tagen seit der Anzeige durch Rechtsbot gegen die Kostenliste einsprechen
(Art. 306 ZPO). Tut sie dies nicht, so wird die Kostenliste rechtskräftig
(Art. 311 ZPO). Eine solche unbestritten gebliebene Kostenliste wird in
Art. 373 Abs. 2 lit. a ZPO einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil im
Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG gleichgestellt.

Erwägung 3

    3.- Die Kantone sind zwar befugt, gewisse Entscheide der
Verwaltungsorgane den vollstreckbaren gerichtlichen Urteilen
gleichzustellen (Art. 80 Abs. 2 SchKG). Die Kostenliste eines Anwalts ist
kein solcher Entscheid einer Verwaltungsbehörde. Abgesehen davon, können
die Kantone Hoheitsakte nur im Rahmen des Art. 80 SchKG den vollstreckbaren
gerichtlichen Urteilen gleichstellen. Die unbestrittene Kostenliste ist
klarerweise kein gerichtliches Urteil im Sinne des Art. 80 Abs. 1 SchKG,
da es am Erfordernis des kontradiktorischen Verfahrens fehlt (BGE 67
I 9 f.). Davon geht die Walliser ZPO selber aus, denn sie stellt die
Kostenliste bloss einem rechtskräftigen Urteil gleich. Das Bundesgericht
hat im erwähnten Entscheid die Frage geprüft, ob ein unbestrittenes
Rechtsbot, welches das betreffende kantonale Recht ebenfalls einem
vollstreckbaren gerichtlichen Urteil gleichstellte, als gerichtliche
Schuldanerkennung gelten könne. Es verneinte die Frage aus der Erwägung,
eine gerichtliche Schuldanerkennung könne nicht stillschweigend erfolgen
(BGE 67 I 11). Daran ist festzuhalten, soweit - wie im genannten Fall -
mit dem Rechtsbot die Anerkennung eines materiellen Klagebegehrens verlangt
wird. Dieselbe Strenge ist nicht am Platz, wenn sich das Rechtsbot bloss
auf die Anerkennung einer detaillierten Kostenrechnung bezieht. Es
ist zulässig, dass die Kantone eine unbestrittene Kostenliste einem
vollstreckbaren gerichtlichen Urteil gleichstellen, sofern die Partei,
welcher die Liste zugestellt wird, im Rechtsbot darauf aufmerksam gemacht
wird, dass die Kosten als anerkannt gelten, falls binnen der gesetzlichen
Frist dagegen nicht Einsprache erhoben wird. Ist dieser Hinweis im
Rechtsbot enthalten, so darf davon ausgegangen werden, die Partei habe
dem zustellenden Richter gegenüber die Kostenliste anerkannt, wenn sie
innert Frist keine Einsprache erhebt, und es steht mit der Ordnung des
SchKG nicht im Widerspruch, wenn ein Kanton unter dieser Voraussetzung
die unbestrittene Kostenliste einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil
gleichstellt. Dagegen geht es, vor allem bei der wenig übersichtlichen
Ordnung des Walliser Zivilprozessrechts, klarerweise nicht an, eine
Kostenliste auch dann als definitiven Rechtsöffnungstitel gelten zu
lassen, wenn die Partei, welcher das Rechtsbot zugestellt wird, nicht
darauf aufmerksam gemacht wurde, dass mangels fristgemässer Bestreitung
die Kostenrechnung als anerkannt gelte. Da sich der Richter im Sachurteil
nicht ausdrücklich über die Parteikosten ausspricht, kann insbesondere
ein juristischer Laie bei der eigenartigen Parteikostenregelung des
Walliser Rechts durchaus der Meinung sein, es werde ihm mit dem
Rechtsbot bloss zur Kenntnis gebracht, welche Kostenrechnung der
Gegenanwalt stellt, und eine weitere Bedeutung komme dem Bot nicht
zu. Wenn schon bei Kostenlisten auch Stillschweigen als Anerkennung
gelten kann und in diesem Sinn die Gleichstellung einer Kostenliste mit
einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil für zulässig gehalten wird,
so muss auf jeden Fall alle Gewähr dafür geschaffen sein, dass der Partei
bekannt ist, ihr Stillschweigen werde als Anerkennung gewertet. Da das an
Frau Wirth gerichtete Rechtsbot den genannten, unbedingt erforderlichen
Hinweis nicht enthielt, war es unhaltbar, die Kostenliste als definitiven
Rechtsöffnungstitel zu betrachten. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen,
so dass es sich erübrigt, die weiteren Rügen zu überprüfen. Da der Anwalt
die Kostenrechnung rechtzeitig und formrichtig einreichte, wird sie der
Kantonsgerichtspräsident der Beschwerdeführerin mit dem erforderlichen
Hinweis erneut zuzustellen haben, worauf Frau Wirth Einsprache erheben
kann. Die zuständige Behörde wird inskünftig bei der Anzeige des
Kostenverzeichnisses ausdrücklich hinweisen auf die Frist, innerhalb
welcher gegen die Kostenliste eingesprochen werden kann (Art. 306 ZPO),
auf die Form der Einsprache (Art. 307 ZPO), auf die Behörde, bei der das
Kostenverzeichnis angefochten werden kann (Art. 310 ZPO) sowie auf die
rechtlichen Wirkungen, welche einer unbestritten gebliebenen Kostenliste
zuerkannt werden (Art. 311 und 373 Abs. 2 lit. a ZPO).