Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 V 98



100 V 98

25. Auszug aus dem Urteil vom 29. Juli 1974 i.S. Bercher gegen
Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 12 Abs. 1 IVG. Keratoplastik (Hornhautübertragung) bei
Jugendlichen als medizinische Eingliederungsmassnahme.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall steht fest, dass der 1955 geborene
Beschwerdeführer an einem mässig progredienten Keratokonus leidet. Die
Grundsätze, die das Eidg. Versicherungsgericht bei der erwachsenen
Verkäuferin Maria Stettler dazu führten, die Keratoplastik grundsätzlich
als medizinischen Massnahmen gemäss Art. 12 IVG zugänglichen Eingriff zu
qualifizieren (BGE 100 V 97), sind daher nicht anwendbar.

    Bei nichterwerbstätigen minderjährigen Versicherten ist indessen
zu beachten, dass diese als invalid gelten, wenn ihr Gesundheitsschaden
künftig wahrscheinlich eine Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird (Art. 5
Abs. 2 IVG). Nach der Rechtsprechung können daher medizinische Vorkehren
bei Jugendlichen schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung
dienen und trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der
Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren in
absehbarer Zeit eine Heilung mit Defekt oder ein sonstwie stabilisierter
Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit
oder beide beeinträchtigt würden. Selbstverständlich müssen auch die
übrigen Voraussetzungen erfüllt sein (BGE 98 V 214).

Erwägung 4

    4.- Nach Auffassung der Vorinstanz trifft es nicht zu, dass die
Keratoplastik einer drohenden Stabilisierung mit nur schwer korrigierbarem
Defekt vorbeugt. Dem Bericht des behandelnden Arztes vom 18. Februar
1974 kann jedoch entnommen werden, dass "in absehbarer Zeit" ein solcher
Eingriff zunächst am linken Auge, das noch eine - korrigierte - Sehschärfe
von 0,2 aufweist, nicht zu umgehen sei; und im Zeugnis vom 3. Mai 1974
weist Prof. R. unmissverständlich darauf hin, dass im Laufe des Jahres
1974 die Keratoplastik vorgenommen werden sollte.

    Aus diesen ärztlichen Stellungnahmen kann geschlossen werden,
dass ohne operative Korrektur eine Heilung mit Defekt oder ein sonstwie
stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung des jugendlichen
Versicherten beeinträchtigt würde.

Erwägung 5

    5.- Die Akten erlauben jedoch die Beantwortung der Frage nicht,
ob auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 IVG erfüllt sind.
Namentlich steht nicht fest, ob der vorgesehene Eingriff die Wesentlichkeit
und Beständigkeit des angestrebten Erfolges im Sinne dieser Bestimmung
voraussehen lässt. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen,
damit sie in dieser Richtung näher abkläre und gegebenenfalls die
Massnahme anordne.