Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 V 193



100 V 193

48. Auszug aus dem Urteil vom 11. Dezember 1974 i.S. Firma Kübler
und Borer gegen Kranken- und Unfall-Kasse "Die Eidgenössische" und
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Regeste

    Rechtsnatur einer "Gruppenversicherung" (Art. 5bis KUVG).

    -  Die von einer sog. Gruppenversicherung erfassten Arbeitnehmer
eines Betriebes gelten bei Fehlen eines Kollektivversicherungsvertrages
als Einzelversicherte (Erw. 1).

    - Von der Pflicht des Arbeitgebers, zu Unrecht erbrachte
Versicherungsleistungen zurückzuerstatten (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Firma Kübler und Borer unterhielt für ihr Personal bis zum
31. Dezember 1972 bei der Kranken- und Unfallkasse "Die Eidgenössische"
eine sogenannte Gruppenversicherung. Am 4. November 1971 teilte die
Firma der Kasse mit, ihr Arbeitnehmer Appoloni sei seit dem 26. Juni 1971
arbeitsunfähig. Am 19. März 1973 bestätigte sie ferner, der Arbeitnehmer
Liechti habe vom 13. September bis 30. Okto ber 1972 nicht gearbeitet.
Nachdem die Kasse im Krankheitsfall Appoloni im April 1972 eine Zahlung
von Fr. 9400.-- geleistet hatte, stellte sie der Firma am 26. Januar 1973
eine Verfügung zu, mit welcher sie verfallene Versicherungsprämien für die
Monate September bis Dezember 1972 im Betrage von Fr. 4169.60 forderte
und im Falle Appoloni die Rückerstattung zuviel bezahlten Krankengeldes
im Betrage von Fr. 7650.-- geltend machte.

    B.- Hiegegen erhob die Firma Beschwerde mit dem Begehren, die
Verfügung vom 26. Januar 1973 sei aufzuheben und es sei festzustellen,
dass ihr gegenüber der Kasse ein Guthaben von Fr. 29.80 zustehe. Die
Firma anerkannte die von der Kasse erhobene Prämienforderung, machte
jedoch Verrechnung geltend mit nicht erstatteten Krankenpflegekosten
im Falle Appoloni von Fr. 1799.40 und nicht abgerechnetem Krankengeld
für Liechti im Betrage von Fr. 2400.--. Gleichzeitig hielt sie an der
Krankengeldzahlung von Fr. 9400.-- im Falle Appoloni fest.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 3. September 1973 ab, soweit sie sich gegen die von der Kasse
erhobene Rückforderung von Krankengeld im Betrage von Fr. 7650.-- richtete
und soweit mit ihr Krankenpflegekosten im Falle Appoloni geltend gemacht
wurden. Die Beschwerde wurde dagegen teilweise geschützt hinsichtlich
des Krankengeldanspruches im Falle Liechti.

    C.- Die Firma Kübler und Borer lässt diesen Entscheid an das
Eidg. Versicherungsgericht weiterziehen mit dem Rechtsbegehren, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie
der Kasse per Saldo noch Fr. 1819.60 schulde. Mit ihrem Antrag anerkennt
die Beschwerdeführerin den Standpunkt der Kasse, wonach diese weder auf
Grund des Gesetzes noch der Statuten verpflichtet sei, für Krankenpflege
im Ausland aufzukommen. Sie vertritt hingegen die Auffassung, die Kasse
sei mangels einer anderslautenden Statutenbestimmung für die gesamte
Dauer der Arbeitsunfähigkeit, somit auch während des vorübergehenden
Auslandaufenthaltes Appolonis zur Ausrichtung des Krankengeldes
verpflichtet. Zu einer Rückforderung des am 14. April 1972 angeblich
zuviel bezahlten Krankengeldes fehlten daher die Voraussetzungen.

    Während die Kasse Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beantragt, tritt das Bundesamt für Sozialversicherung für eine
Gutheissung in dem Sinne ein, dass die Kassenverfügung vom 26. Januar
1973 und der vorinstanzliche Entscheid mit Bezug auf die Rückforderung
des fraglichen Krankengeldes aufgehoben werden. Die Kasse habe die
Rückerstattungsforderung gegen einen jedenfalls nicht nach KUVG
Rückerstattungspflichtigen geltend gemacht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Es steht fest, dass es sich bei der von der Firma Kübler und
Borer mit der Kranken- und Unfallkasse "Die Eidgenössische" vereinbarten
"Gruppenversicherung" nicht um einen Kollektivversicherungsvertrag im Sinne
von Art. 5bis KUVG und der Verordnung II vom 22. Dezember 1964 handelt.
Kollektivversicherungsverträge haben bestimmten gesetzlichen Vorschriften
hinsichtlich Inhalt und Form zu genügen und bedürfen der Genehmigung durch
die Aufsichtsbehörde. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner
Vernehmlassung bestätigt, hat die Kasse keinen entsprechenden Vertrag
zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt.

    Das Gesetz und Art. 9 der Kassenstatuten sehen lediglich
zwei Versichertenkategorien vor, nämlich Kollektivversicherte und
Einzelversicherte. Mangels eines Kollektivversicherungsvertrages kann
es sich bei den von der "Gruppenversicherung" erfassten Arbeitnehmern
daher auch nach den Statuten nur um Einzelversicherte handeln...

Erwägung 2

    2.- Nach den unbestritten gebliebenen Angaben der Kasse liegt die
Besonderheit der "Gruppenversicherung" darin, dass die Prämienzahlungen
der Arbeitnehmer wie auch deren Leistungsguthaben zentral über den
Arbeitgeber abgerechnet werden. Diese Obliegenheiten des Arbeitgebers
ergeben sich weder aus dem Gesetz noch aus den Kassenstatuten; auch liegt
keine entsprechende schriftliche Vereinbarung vor. Es stellt sich daher
die Frage, ob die Firma auf Grund der bestehenden formlosen Vereinbarung
dazu verpflichtet sei, Versicherungsleistungen, welche sie im Auftrag der
Kasse dem Arbeitnehmer überwiesen hat, der Kasse zurückzuerstatten, wenn
sich nachträglich herausstellt, dass die Leistungen zu Unrecht erbracht
worden sind.

    Unter den vorliegenden Umständen ist davon auszugehen, dass zwischen
der Beschwerdeführerin und der Kasse ein formlos begründetes einfaches
Auftragsverhältnis im Sinne der Art. 394 ff. OR bestanden hat. Nach den
einschlägigen obligationenrechtlichen Bestimmungen ist der Beauftragte
haftbar für den Schaden, welcher dem Auftraggeber aus vorschriftswidriger
oder ungetreuer Ausführung des Auftrages entsteht (Art. 397 f. OR). Von
einer Schadenersatzpflicht zufolge Verletzung vertraglicher Pflichten
kann im vorliegenden Fall jedoch von vornherein keine Rede sein. Die
streitige Rückerstattungspflicht lässt sich aber auch nicht aus der
formlosen Vereinbarung herleiten, mit welcher die Firma lediglich
die Funktion einer Zahlstelle im Rahmen des zwischen der Kasse und dem
einzelnen Arbeitnehmer bestehenden Versicherungsverhältnisses übernommen
hat. Die Verpflichtung der Beschwerdeführerin beschränkt sich bei den
Kassenleistungen auf deren Weiterleitung an die anspruchsberechtigten
Arbeitnehmer. Mit dieser lediglich administrativen Obliegenheit lässt sich
die viel weitergehende Pflicht zur Rückerstattung allfällig zu Unrecht
erbrachter Kassenleistungen, welche dem Versicherten bereits überwiesen
worden sind, nicht begründen. Mangels einer entsprechenden gesetzlichen,
statutarischen oder vertraglichen Grundlage ist daher anzunehmen, dass
die Firma mit der Überweisung der streitigen Zahlung an den Arbeitnehmer
ihrer vertraglichen Pflicht mit befreiender Wirkung nachgekommen ist und
von der Kasse nicht belangt werden kann...

Erwägung 4

    4.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann offenbleiben, ob die
Rückerstattungsforderung materiell zu Recht besteht. Der Kasse ist es
unbenommen, die Forderung in Form einer beschwerdefähigen Verfügung bei
ihrem früheren Mitglied geltend zu machen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass
der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 26. Januar
1973 aufgehoben werden, soweit sie die Beschwerdeführerin zu einer
Rückerstattung des an ihren Arbeitnehmer Appoloni ausgerichteten
Krankengeldes verpflichten.