Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 V 129



100 V 129

32. Urteil vom 2. Dezember 1974 i.S. Müller gegen Krankenversicherung
Artisana und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Regeste

    Art. 5bis KUVG.

    -  Versicherteneigenschaft von Akkordanten bei
Kollektivversicherungsverträgen (Erw. 1, 2).

    - Übertritt in die Einzelversicherung; Aufklärungspflicht der Kassen
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Fridolin Müller war seit Mitte Oktober 1969 für die Firma C. AG,
Baugeschäft, Luzern, in der Deponie Ruopigen, Littau, tätig. Ab 3.
November 1969 führte er die bisher zusammen mit seinem Bruder verrichteten
Arbeiten allein weiter. Bereits am 29. November 1969 musste er sich jedoch
wegen Durchblutungsstörungen in ärztliche Behandlung begeben. Dr. med. B.
erklärte ihn ab 6. Dezember 1969 als arbeitsunfähig. In der Folge
beanspruchte Müller Leistungen der Krankenkasse Artisana, bei welcher die
Firma C. AG ihre Arbeitnehmer kollektiv für Krankengeld versichert hat.
Mit Verfügung vom 11. Mai 1970 lehnte die Kasse jede Leistungspflicht
ab mit der Begründung, Fridolin Müller gehöre als Akkordant nicht zu den
von der Firma C. AG kollektiv versicherten Arbeitnehmern.

    B.- Hiegegen beschwerte sich Fridolin Müller beim Versicherungsgericht
des Kantons Luzern und beantragte, die Krankenkasse sei zu verpflichten,
ihm für die Zeit vom 26. November 1969 bis 8. Mai 1970 das Krankengeld
im Gesamtbetrage von Fr. 5600.-- auszurichten.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 18. Dezember 1973 ab. Nach seinen eigenen Angaben sei der
Beschwerdeführer für die Firma C. AG auf eigene Rechnung tätig gewesen. Da
er nicht Arbeitnehmer der Firma gewesen sei, sei er auch nicht versichert
gewesen, weshalb ihm kein Anspruch auf Kassenleistungen zustehe.

    C.- Fridolin Müller zieht diesen Entscheid an das
Eidg. Versicherungsgericht weiter und macht erneut geltend, es seien
ihm die vorgesehenen Kassenleistungen auszurichten. In der Begründung
führt er im wesentlichen aus, gemäss einer mündlichen Vereinbarung
habe sich die Arbeitgeberfirma verpflichtet, ihn gegen Krankheit zu
versichern. Ein in Aussicht gestellter schriftlicher Anstellungsvertrag
mit einer entsprechenden Bestimmung sei in der Folge trotz wiederholter
Bemühungen nicht zustande gekommen. Für die Firma C. AG sei er nicht im
Akkord, sondern im Taglohn tätig gewesen, weshalb er als versichert zu
gelten habe. Im übrigen habe sich die Firma mit einem am 3. September
1971 vor dem Gewerbegericht des Kantons Luzern abgeschlossenen Vergleich
verpflichtet, dem behandelnden Arzt einen Krankenschein zuzustellen.

    Die Krankenkasse Artisana beantragt Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Aus den eigenen Angaben des
Beschwerdeführers und den gesamten Umständen gehe klar hervor,
dass dieser nicht in einem Anstellungsverhältnis zur Firma C. AG
gestanden habe; vielmehr sei er mit der Firma ein Akkordantenverhältnis
eingegangen. Er könne daher nicht als kollektiv versichert gelten. Eine
Leistungspflicht der Kasse lasse sich auch nicht begründen mit der im
Vergleich vor Gewerbegericht enthaltenen Verpflichtung des Arbeitgebers,
den Krankheitsfall der Kasse zu melden; dabei handle es sich um eine rein
arbeitsvertragliche Angelegenheit.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich mit dem Antrag auf
Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen. Die Begründung
ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachstehenden Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist, ob der Beschwerdeführer für die Dauer der ärztlich
bestätigten Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld hat. Dies beurteilt
sich zunächst danach, ob er zu der mit Kollektivversicherungsvertrag
erfassten Belegschaft der Firma C. AG, Luzern, zu rechnen ist.

    a) Die genannte Firma hat ihr Personal seit 1957 bei der
Krankenkasse Artisana kollektiv versichert für ein Taggeld von
60-80% des Verdienstausfalles. Nach den Angaben des Bundesamtes für
Sozialversicherung beruht diese Vereinbarung auf einem von der Kasse mit
den Zentralschweizerischen Baumeisterverbänden Luzern am 19. November 1952
abgeschlossenen Rahmenvertrag, demgemäss die Artisana die Arbeitnehmer
der angeschlossenen Firmen kollektiv für Taggeld versichert. Eine
nähere Umschreibung des Begriffes "Arbeitnehmer" enthält der Vertrag
nicht, insbesondere fehlen Einschränkungen hinsichtlich einzelner
Personalkategorien.

    b) Einen allgemeinen Grundsatz, wonach Akkordanten nicht als
versicherte Arbeitnehmer gelten könnten, kennt das Sozialversicherungsrecht
nicht. Im Unfallversicherungsrecht schreibt Art. 24 Abs. 2 der Verordnung
I vom 25. März 1916 vor, dass auch Akkordanten sowie deren Angestellte
und Arbeiter versichert sind, sofern der Akkordant nicht auf Grund des
von ihm bei der Ausführung der Arbeit getragenen ökonomischen Risikos
als selbständiger Unternehmer zu betrachten ist. Für die Frage der
Versicherteneigenschaft von Akkordanten sind demzufolge die Verhältnisse
im Einzelfall massgebend, wobei weniger auf die rechtlichen als auf
die tatsächlichen Beziehungen zwischen Akkordvergeber und Akkordanten
abzustellen ist (vgl. hiezu EVGE 1960 S. 8 Erw. 2 sowie MAURER, Recht
und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung,
S. 52 ff.). Analoge Abgrenzungskriterien bestehen hinsichtlich der
Beitragspflicht der AHV. Danach gelten Akkordanten in der Regel als
Unselbständigerwerbende; beitragspflichtig als Selbständigerwerbende
sind sie nur, wenn die Merkmale der freien Unternehmertätigkeit
offensichtlich überwiegen und sie dem Auftraggeber als gleichgeordnete
Partner gegenüberstehen (BGE 97 V 219, ZAK 1970 S. 394). Seit dem
1. Januar 1972 stehen im übrigen gemeinsame Richtlinien des Bundesamtes
für Sozialversicherung und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
über die Stellung der Akkordanten in Kraft. Nach diesen Weisungen ist
eine selbständige Erwerbstätigkeit nur anzunehmen, wenn der Akkordant
über eine besondere Betriebsorganisation verfügt oder wenn er regelmässig
Direktaufträge von Dritten übernimmt.

    Es sind keine stichhaltigen Gründe ersichtlich, weshalb diese für die
Unfallversicherung und die AHV massgebende Regelung nicht auch bezüglich
der vorliegend zu beurteilenden Frage Anwendung finden sollte. Ob der
Beschwerdeführer während seiner Tätigkeit für die Firma C. AG kollektiv
versichert war, beurteilt sich somit danach, ob er eine selbständige
Unternehmertätigkeit im Sinne der genannten Praxis ausgeübt hat oder nicht.

    c) Die Krankenkasse begründet die Ablehnung ihrer Leistungspflicht in
erster Linie mit dem von der Arbeitgeberfirma erstellten Vertragsentwurf
vom 24. November 1969, welcher die folgende Bestimmung enthält:

    "Herr Müller übernimmt die Deponie Ruopigen und wird per m3 bezahlt. Er
ist selbständig und hat demzufolge auch direkt mit der SUVA, Krankenkasse
sowie der AHV abzurechnen."

    Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, es sei ihm von
der Firma mündlich zugesichert worden, er gelange in den Genuss des
genannten Versicherungsschutzes. Den Vertragsentwurf habe er nicht
unterschrieben, weil er nicht dieser Zusicherung entsprochen habe. Hiefür
spricht, dass auch die Arbeitgeberin den Beschwerdeführer anlässlich
der Krankmeldung offenbar als kollektiv versichert betrachtete und ihn
mit Schreiben vom 13. April 1970 aufforderte, die notwendigen Unterlagen
für die Krankengeldabrechnung bei der Kasse einzureichen. Schliesslich
verpflichtete sie sich gemäss dem erwähnten Vergleich vom 3. September
1971, dem behandelnden Arzt einen Krankenschein zuzustellen.

    Darauf, dass sich der Beschwerdeführer selbst als "auf eigene
Rechnung tätig" bezeichnete, kann es nicht ankommen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung weist mit Recht darauf hin, dass der rechtsunkundige
Beschwerdeführer damit lediglich zum Ausdruck bringen wollte, dass er
ab 3. November 1969 die Deponiearbeiten für die Firma C. AG allein und
nicht mehr zusammen mit seinem Bruder verrichtete. Dass er seine Ansprüche
gegenüber der Firma als "Akkordguthaben" bezeichnete, lässt nicht schon
auf eine selbständige Unternehmertätigkeit schliessen; vielmehr besagt
dies unter den vorliegenden Umständen lediglich, dass die Entlöhnung nach
Leistung und nicht nach Zeit erfolgte.

    Im übrigen fehlen jegliche Anhaltspunkte zur Annahme einer
selbständigen Unternehmertätigkeit. Der Beschwerdeführer verfügte weder
über eine eigene Betriebsorganisation noch stand er dem Akkordvergeber
als gleichgeordneter Partner gegenüber. Der Umstand, dass die Entlöhnung
nach Massgabe des anfallenden Deponiematerials erfolgte, steht der
Arbeitnehmereigenschaft des Beschwerdeführers nicht entgegen. Dieser
gehörte somit zum Kreis der vom Kollektivversicherungsvertrag erfassten
Arbeitnehmer der Firma C. AG.

Erwägung 2

    2.- Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer auch persönlich
als versichert gelten kann. Dabei ist davon auszugehen, dass er seit
dem 16. Oktober bzw. 3. November 1969 für die Firma C. AG tätig war,
sich jedoch bereits am 29. November 1969 in ärztliche Behandlung begeben
musste und vom Arzt ab 6. Dezember 1969 als arbeitsunfähig erklärt wurde.

    a) Nach Art. 2 des Rahmenvertrages vom 19. November 1952 erfolgt
die Aufnahme in die Kollektivversicherung auf Grund einer Erklärung der
zu versichernden Person über ihren Gesundheitszustand. Art. 5 bestimmt
anderseits, dass die Aufnahme in die Kasse für neu eintretende Arbeitnehmer
mit dem Stellenantritt erfolgt. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer
- bzw. dessen Arbeitgeber - die für die Aufnahme in die Versicherung
geltenden formellen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. Wie das Bundesamt
für Sozialversicherung jedoch ausführt, ist es im Bau- und Hotelgewerbe
wegen der starken Schwankungen im Versichertenbestand bei grossen Kassen
im allgemeinen üblich, auf die Eintrittsformalitäten zu verzichten und die
entsprechenden Angaben bei einer allfälligen Krankmeldung einzuholen. Im
heutigen Verfahren besteht kein Anlass, in diese von der Aufsichtsbehörde
geduldete Praxis einzugreifen, nachdem sich die Kasse selbst nicht auf
das fehlende Anmeldegesuch beruft.

    b) An der Versicherteneigenschaft des Beschwerdeführers ändert sodann
auch die Tatsache nichts, dass für ihn keine Prämienzahlungen geleistet
worden sind. Nach Art. 7 des Rahmenvertrages ist die Firma gegenüber der
Kasse prämienzahlungspflichtig. Es gelangt daher Art. 6 der Verordnung
II über die Krankenversicherung zur Anwendung, wonach die vertraglichen
Leistungen wegen Verzuges in der Beitragszahlung nicht eingestellt
werden dürfen, wenn die Mitgliederbeiträge nicht vom Versicherten selbst
geschuldet sind.

    c) Schliesslich bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer der
Krankmeldepflicht vertragsgemäss nachgekommen ist, indem er die Erkrankung
unmittelbar nach der Arbeitsaufgabe dem Arbeitgeber gemeldet hat. Nach
dem anwendbaren Kassenreglement B über die Krankentaggeldversicherung ist
der versicherte Arbeitnehmer verpflichtet, die Erkrankung dem Arbeitgeber
zu melden, womit er auch der Krankmeldepflicht gegenüber der Kasse genügt.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten war der Beschwerdeführer kollektiv versicherter
Arbeitnehmer der Firma C. AG und hat als solcher Anspruch auf die ihm
gemäss Kollektivversicherungsvertrag zustehenden Krankengeldleistungen. Es
wird nun Sache der Krankenkasse sein, die zu erbringenden Leistungen
festzusetzen. Die Kasse wird dabei zu beachten haben, dass der
Beschwerdeführer gestützt auf Art. 5bis Abs. 4 KUVG nach Auflösung des
Anstellungsverhältnisses bei der Firma C. AG die Möglichkeit gehabt hätte,
in die Einzelversicherung überzutreten. Die Tatsache, dass er hievon
nicht Gebrauch gemacht hat, kann ihm im Hinblick auf die in Art. 12 der
Verordnung II über die Krankenversicherung normierte Aufklärungspflicht der
Krankenkassen nicht entgegengehalten werden. Es ist ihm daher das Recht
einzuräumen, sich für die Zeit nach Auflösung des Anstellungsverhältnisses
durch Übertritt in die Einzelversicherung weiterzuversichern.

    Schliesslich bleibt darauf hinzuweisen, dass eine Verrechnung
ausstehender Versicherungsbeiträge mit geschuldeten Leistungen nur so weit
zulässig ist, als die Beiträge vom Beschwerdeführer als Einzelversichertem
persönlich geschuldet sind. Für die Zeit der Kollektivversicherung wäre die
Beitragsforderung dagegen bei der versicherungsnehmenden Firma geltend zu
machen. Über diese Forderung ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht
zu entscheiden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: In Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der vorinstanzliche Entscheid und
die Kassenverfügung vom 11. Mai 1970 aufgehoben. Die Krankenkasse wird
im Sinne der Erwägungen verhalten, Fridolin Müller innert 30 Tagen eine
beschwerdefähige Verfügung über die ihm zustehenden Krankengeldleistungen
zuzustellen.