Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 5



100 IV 5

2. Urteil des Kassationshofes vom 12. März 1974 i.S. Schmid gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. Regeste

    Art. 27 Ziff. 3 Abs. 1 StGB. Die Strafbarkeit des als verantwortlich
zeichnenden Redaktors hängt weder von dessen eigenem Verschulden noch
demjenigen des eigentlichen Verfassers der beanstandeten Veröffentlichung
ab.

Sachverhalt

    A.- Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Bundesanwaltschaft hin hat
das Bundesgericht am 18. April 1973 erkannt, der in der Zeitschrift
"Roter Gallus" Nr. 2 unter dem Titel "Dann gibt's nur eins 'Sag NEIN!"
veröffentlichte Text erfülle objektiv den Straftatbestand der öffentlichen
Aufforderung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten gemäss Art. 276
Ziff. 1 StGB. Das angefochtene Urteil der Strafkammer des Kantonsgerichts
St. Gallen vom 20. November 1972 wurde aufgehoben und die Sache an die
Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie die strafrechtliche Verantwortlichkeit
der drei Angeklagten Schmid, Richner und Landsmann unter Berücksichtigung
von Art. 27 StGB beurteile.

    Das hat das erwähnte Gericht in seinem neuen Urteil vom 24. Oktober
1973 getan, indem es Richner und Landsmann von Schuld und Strafe
freisprach, dagegen Schmid als verantwortlich zeichnenden Redaktor der
genannten Zeitschrift der Aufforderung und Verleitung zur Verletzung
militärischer Dienstpflichten gemäss Art. 276 Ziff. 1 StGB schuldig
erklärte und mit einer Woche Gefängnis bestrafte; es gewährte dem
Verurteilten den bedingten Strafvollzug und setzte die Probezeit auf zwei
Jahre fest.

    B.- Schmid führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.  Er beantragt
Freisprechung von Schuld und Strafe, eventl. Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz zur Neubeurteilung.

    C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im angefochtenen Urteil stellt die Vorinstanz verbindlich fest, der
oder die Verfasser des inkriminierten Textes hätten nicht ermittelt werden
können. Nachdem aber Schmid für den "Roten Gallus" Nr. 2 als sogenannter
Sitzredaktor verantwortlich gezeichnet habe, sei er in Anwendung von
Art. 27 Ziff. 3 Abs. 1 StGB strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

    Diese Verantwortlichkeit wird vom Beschwerdeführer an sich nicht
bestritten. Mit Grund nicht; denn sie ergibt sich nach der genannten
Bestimmung immer dann, wenn der eigentliche Verfasser der beanstandeten
Veröffentlichung nicht ermittelt werden kann (HAFTER, Allgemeiner Teil, 2.
Auflage, S. 501; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage,
Nr. 297; LUDWIG, Schweizerisches Presserecht, S. 155 und in ZStR 1958
S. 126; PFENNINGER, in: Mezger/Schönke/Jeschek, Das ausländische Strafrecht
der Gegenwart, II. Band, S. 239).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wendet jedoch ein, nach dem das schweizerische
Strafgesetzbuch beherrschenden Grundsatz der Verschuldenshaftung könne er
als Redaktor nur bestraft werden, wenn der Verfasser des in Frage stehenden
Artikels selber schuldhaft gehandelt habe. Da der oder die Verfasser des
Textes "Dann gibt's nur eins: Sag NEIN!" nicht hätten ermittelt werden
können, sei auch kein Schuldbeweis gegen sie möglich gewesen. Es fehle
daher an einer Grundvoraussetzung für die Bestrafung des BeschWerdeführers
gemäss Art. 276 Ziff. 1 StGB, weshalb er freizusprechen sei.

    Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der als verantwortlich
zeichnende Redaktor im Sinne von Art. 27 Ziff. 3 Abs. 1 StGB ist diejenige
Person, die kraft ihrer eigenen öffentlichen Erklärung die Haftung für den
Inhalt der periodischen Schrift zu tragen hat (LUDWIG, aaO S. 105). Da
diese strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Pressedelikt also
gerade für den Fall vorgesehen wird, wo der primär haftbare Verfasser des
Erzeugnisses nicht festgestellt werden kann, setzt sie die Unmöglichkeit
eines Schuldnachweises gegenüber dem Verfasser voraus. Die vom Gesetz
gewollte subsidiäre strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redaktors für
Pressedelikte würde illusorisch, wollte man mit der Beschwerde diese von
dem in solchen Fällen unmöglich zu erbringenden Schuldnachweis gegenüber
dem unbekannt bleibenden Verfasser abhängig machen. Käme es hinsichtlich
der Verantwortlichkeit des Redaktors darauf an, dass dem eigentlichen
Verfasser ein strafrechtliches Verschulden nachgewiesen werden müsste,
so hätte es der als verantwortlich zeichnende Redaktor in der Hand,
auch in den Fällen, wo der Verfasser an sich festgestellt werden könnte,
diesen und sich selbst der Strafverfolgung durch Weigerung der Preisgabe
des Namens des Verfassers zu entziehen. Das aber ist offensichtlich nicht
der Sinn des Gesetzes. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Nachmann
für die Tat und das Verschulden des Verfassers, an dessen Stelle er zur
Verantwortung gezogen wird, haftet (HAFTER, aaO, S. 502; LUDWIG, aaO,
S. 157; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts,
I. Band, S. 246). Damit schafft das Pressestrafrecht eine Ausnahme von
dem das Strafgesetzbuch beherrschenden Schuldprinzip.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerde macht geltend, Voraussetzung für eine Bestrafung
des als verantwortlich zeichnenden Redaktors sei zumindest dessen eigenes
vorsätzliches Handeln. Im angefochtenen Urteil fehle es jedoch an einer
diesbezüglichen Feststellung.

    In diesem Punkt geht das Kantonsgericht sogar weiter und führt aus,
es stehe nicht fest, dass der Angeschuldigte den inkriminierten Text als
Aufforderung zur Dienstverweigerung gegenüber der Schweizer Armee erkannt
und eine solche Wirkung bewusst in Kauf genommen habe. Damit wird dem
Sinne nach auch ein eventualvorsätzliches Handeln des Beschwerdeführers
ausgeschlossen. Auf ein allfälliges Verschulden desselben kommt jedoch
überhaupt nichts an. Nicht selten wird jeder Grund, dem presserechtlich
Verantwortlichen eine Schuld vorzuwerfen, fehlen. Deshalb lässt sich diese
Verantwortung nicht als solche für eigene Schuld begründen, sondern sie ist
eine stellvertretende Verantwortung, um dem Verletzten mit der Möglichkeit
der Bestrafung Genugtuung zu verschaffen (SCHULTZ, aaO, S. 246; HAFTER,
aaO, S. 502; SCHWANDER, aaO, Nr. 296; GERMANN, Das Verbrechen im neuen
Strafrecht, S. 77; LUDWIG in ZStR 1957, S. 197 und 1958, S. 126). Die
Bestrafung des Beschwerdeführers gemäss Art. 276 Ziff. 1 StGB ohne den
Nachweis einer Schuld (Vorsatz oder Eventualvorsatz) desselben verstösst
demnach nicht gegen Bundesrecht. Der bezügliche Einwand ist deshalb als
unbegründet abzuweisen.

Erwägung 4

    4.- Da ein Verschulden des als verantwortlich zeichnenden Redaktors für
dessen Strafbarkeit nicht erforderlich ist, kann sich der Beschwerdeführer
auch nicht darauf berufen, er habe im Sinne des Art. 20 StGB angenommen,
er sei zur Tat berechtigt.

Erwägung 5

    5.- Hinsichtlich der bereits im ersten Verfahren vor Bundesgericht
vorgetragenen und mit der vorliegenden Emgabe erneuerten Auffassung, der
Beschwerdeführer könne nicht für die blosse Wiedergabe des wörtlichen
Zitats eines Gedichtes gemäss Art. 276 Ziff. 1 StGB strafbar sein, ist
auf das vom Bundesgericht am 18. April 1973 in dieser Sache ergangene
Urteil zu verweisen, wo der fragliche Einwand in Erwägung 2 f bereits
widerlegt worden ist (BGE 99 IV 98).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.