Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 23



100 IV 23

6. Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1974 i.S. A. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. Regeste

    1. Art. 110 Ziff. 5 StGB. Urkunden sind:

    -  das Skontro der Garantieverpflichtungen einer Bank (Erw. 1);

    - die Kopien der Garantiecrklärungen einer Bank (Erw. 2).

    2. Art. 254 StGB. Unterdrückung von Urkunden.

    "Beiseiteschaffen" einer Urkunde durch Verwahren in einem der Bank
gehörenden, dem Täter als Arbeitsgerät überlassenen Pult (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 1. Januar 1966 wurde A. Verwalter der Filiale B.  der Bank
C. Das Geschäftsreglement verpflichtete ihn, der Generaldirektion alle
wichtigen Geschäftsvorfälle zu melden und ihr Kontokorrentkredit- und
Vorschussbegehren sowie Vorschläge für die Festsetzung von Diskont-,
Akkreditiv- und Garantie-Limiten zu unterbreiten. In eigener Kompetenz
durfte er sog. unkurante Kredite bis Fr. 50 000.-- und kurante Kredite
bis Fr. 150 000.--, ab 1. Januar 1969 bis Fr. 200 000.-- gewähren.

    In Überschreitung seiner Kompetenzen gewährte A. ohne Genehmigung
der Generaldirektion zwischen Juli 1967 und Juli 1969 mehreren
Personen in die Millionenbeträge gehende Bankgarantien. Dadurch und
durch die pflichtwidrige Gewährung von Krediten erlitt die Bank
grossen Schaden. A. verbuchte weder die Garantien im Skontro der
Garantieverpflichtungen noch die Garantiekommissionen in den Konten der
Kunden. Als im Juni 1969 eine Revision durchgeführt wurde, legte er den
Inspektoren die Kopien der Bankgarantien nicht vor, sondern hielt sie in
seinem Pult in der Bank versorgt.

    B.- Das Obergericht des Kantons Thurgau erklärte A. am 15. Januar
1974 der wiederholten ungetreuen Geschäftsführung, der wiederholten
Urkundenfälschung und der wiederholten Unterdrückung von Urkunden schuldig
und verurteilte ihn zu 3 Jahren Gefängnis.

    C.- A. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung von
der Anklage der wiederholten Urkundenfälschung und der wiederholten
Urkundenunterdrückung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Urkundenfälschung bestreitet der Beschwerdeführer mit der
Begründung, einzig die unterzeichnete Garantieurkunde sei Beweismittel
im Sinne des Gesetzes. Diese Eingenschaft gehe den als Skontri
bezeichneten Zusammenstellungen über die von einer Bankfiliale gegebenen
Garantieerklärungen ab, da sie bloss bankinterne Funktionen erfüllten. Sie
seien weder Bestandteil der Buchhaltung noch besässen sie Beweisfunktion
für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Garantieverpflichtung.

    Mit diesem Einwand lässt sich die Verurteilung wegen Urkundenfälschung
nicht zu Fall bringen, denn die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer
unangefochten auch wegen Nichtverbuchung der Garantiekommissionen in den
Kundenkonten dieses Verbrechens schuldig erklärt. Zudem ist er unbegründet.

    Schriften sind Urkunden, wenn sie bestimmt oder geeignet sind,
eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen (Art. 110 Ziff. 5
StGB). Dazu gehören insbesondere die kaufmännische Buchhaltung und ihre
Bestandteile sowie die Bilanz (BGE 79 IV 163, 91 IV 7; 81 IV 240, 91 IV
191 E 4). Nicht erforderlich ist, dass der Urkunde erhöhte Beweiskraft
zukommt. Es genügt, dass sie sich im Zusammenwirken mit andern Mitteln
dazu eignet, eine Tatsache zu beweisen. So kommt beispielsweise den
Kontrollstreifen einer Registrierkasse Urkundencharakter zu, weil wegen der
Buchführungspflicht des Geschäftsinhabers vermutet wird, der Kassastreifen
gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig davon
ob er allein oder nur zusammen mit andern Unterlagen zum Beweis taugt
(BGE 97 IV 213 E 3 a, 91 IV 7).

    Das Skontro ist ein meist in Kontoform geführtes Hilfsmittel der
Buchhaltung zur Kontrolle der Bestandesmengen, deren Zu- und Abnahme
laufend festgehalten wird (Schweizer Lexikon). Es ist somit Bestandteil
der Buchhaltung (vgl. KÄFER, Die Betriebsrechnung, S. 73, 75, 80 f.). Was
im besondern Bankgarantien ("Kautionen") betrifft, ist ihr Betrag gemäss
Art. 19 Ziff. 1 der zur Zeit der eingeklagten Vorfälle geltenden BankV
vom 30. August 1961 und gemäss der Wegleitung im Anhang II zur BankV
(im wesentlichen übereinstimmend mit Art. 670 Abs. 1 OR) als ergänzende
Angabe der Jahresbilanz beizufügen, entweder unter dem Bilanzstrich
oder in einem Geschäftsbericht. Die ergänzenden Angaben sind zusammen
mit der Bilanz gemäss Art. 22 Abs. 2 BankV zu veröffentlichen. Ähnlich
wie der Kassastreifen hat daher das Skontro der Garantieverpflichtungen
Urkundencharakter, weil wegen der Bilanzierungspflicht zu vermuten ist,
es gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig
davon, ob es allein oder nur zusammen mit den Garantieerklärungen
beweistauglich ist.

    Durch das Weglassen der fraglichen Garantieverpflichtungen auf dem
Skontro hat der Beschwerdeführer daher eine Falschbeurkundung nach Art. 251
Ziff. 1 Abs. 2 StGB begangen. Dass er, wie die Vorinstanz feststellt,
die pflichtwidrigen Bankgarantien gegenüber den internen Kontrollorganen
verheimlichen wollte, somit in unrechtmässiger Vorteilsabsicht handelte,
stellt er nicht in Abrede.

Erwägung 2

    2.- Hinsichtlich der Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung
wirft der Beschwerdeführer beiläufig die Frage auf, ob Kopien von
Garantieerklärungen, also blosse Briefkopien überhaupt Urkunden im
Sinne des Gesetzes seien. In seinen Ausführungen zur Urkundenfälschung
hat er, wie erwähnt, mit Recht anerkannt, dass "die unterzeichnete
Garantieurkunde", also das Original Urkunde ist. Dass aber Kopien von
Urkunden ebenfalls Urkundencharakter besitzen, ist nicht zweifelhaft
(BGE 70 IV 170, vgl; Art. 962 Abs. 2 OR).

    Hauptsächlich macht der Beschwerdeführer geltend, das Verwahren einer
Urkunde in einem der Bank gehörenden, dem Angestellten als Arbeitsgerät
überlassenen Pult könne nicht als "Beiseiteschaffen" qualifiziert werden.

    Wegen Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB macht sich unter anderm
strafbar, wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf,
beiseiteschafft in der Absicht, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu
verschaffen. Beiseitegeschafft ist eine Urkunde, wenn der Berechtigte
oder Mitberechtigte ausserstande ist, sie als Beweismittel zu benützen,
weil sie ihm unzugänglich gemacht wurde, oder wenn durch Verstecken oder
ähnliche Vorkehren verhindert wird, dass die Schrift in ihrer Existenz und
Beweiskraft zur Geltung kommt (BGE 90 IV 136). Beides trifft hier zu. Die
Garantieerklärungen waren den Revisoren der Bank, die als Vertreter
der Generaldirektion an ihnen mitberechtigt waren, unzugänglich, weil
der Beschwerdeführer sie aus den übrigen Geschäftsakten entfernt und in
seinem Pult aufbewahrt hatte. Er hatte sie beiseitegeschafft. Dem steht
BGE 90 IV 135f., auf den der Beschwerdeführer sich beruft, nicht entgegen;
im Gegenteil. In diesem Entscheid ging es um Buchhaltungsbelege, die der
Täter mit Wissen des Berechtigten besass, während der Beschwerdeführer
bis hin zur Urkundenfälschung alles unternahm, um das Bestehen der
pflichtwidrigen Garantien und der darauf bezüglichen Belege vor den
mitberechtigten Revisoren zu verheimlichen. Deshalb genügte es auch, dass
er die Kopien der Garantien während der Revision in seinem Arbeitspult
statt etwa zu Hause oder an einem dritten Ort verwahrte.

    Da der BeschWerdeführer unbestrittenermassen in derselben
unrechtmässigen Vorteilsabsicht handelte wie bei der Urkundenfälschung,
ist er zu Recht der Unterdrückung von Urkunden schuldig erklärt worden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.