Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 223



100 IV 223

57. Urteil des Kassationshofes vom 15. Oktober 1974 i.S. Scherrer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 156 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; Erpressung.

    1.  Vermögensvorteil: Die Möglichkeit, einen fremden Personenwagen
zu benutzen (Erw. 1a).

    2.  Abnötigen des Gebrauches eines Motorfahrzeugs: Erpressung, nicht
Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch (Art. 94 Ziff. 1 SVG)
in Konkurrenz mit Nötigung (Art. 181 StGB) (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Werner Senn und Fritz Scherrer hielten sich am 16.  Februar 1972
in verschiedenen Gastwirtschaften auf. Am Nachmittag beschlossen sie,
einen Motorwagen aufzuhalten, sich vom Führer aufnehmen zu lassen und ihm
das Fahrzeug wegzunehmen. Dieses Vorhaben ausführend, gelang es ihnen,
auf der Strecke Neuhaus-Bürg (Eschenbach) Herbert Würsch zum Anhalten zu
bewegen. Er nahm sie in seinem Wagen mit nach Wald und war dort bereit,
sie noch bis zum Restaurant "Alp Scheidegg" hinauf zu führen. Unterwegs
vergewisserte sich Scherrer anhand der Benzinuhr, dass der Tank
praktisch voll war. Unter dem Vorwand, es sei ihm übel, veranlasste dann
Senn den Würsch, in der abgelegenen "Wolfsgrube" anzuhalten. Würsch
ersuchte den rechts neben ihm sitzenden Scherrer, auszusteigen, damit
der hinten sitzende Senn den Wagen verlassen könne. Scherrer täuschte
jedoch vor, mit dem Sitz nicht zurecht zu kommen. Dadurch wurde Würsch
veranlasst, auszusteigen und Senn herauszulassen. Draussen tat Senn in der
Dunkelheit, als ob er sich übergebe. Während Würsch sich um Senn bemühte,
behändigte Scherrer im Wagen den Zündschlüssel. Als sich Würsch wieder
dem Fahrzeug zuwandte, fragte ihn Scherrer, ob er ihm dieses freiwillig
übergebe. Inzwischen trat Senn unbemerkt hinter Würsch, drückte ihm mit den
Fingern einer Hand gegen den Rücken und drohte ihm, "eine Bohne durch den
Ranzen zu jagen". Würsch glaubte, der Druck im Rücken stamme von einer
Schusswaffe. Scherrer und Senn förderten seinen Schrecken, indem sie
sich als aus der Strafanstalt geflüchtete Mörder ausgaben. Sie boten ihm
Fr. 12.- an, damit er nicht mittellos dastehe. Würsch lehnte sie ab. Senn
verstärkte den Druck gegen den Rücken des Bedrohten und forderte ihn auf,
das Geld zu nehmen, "sonst jage er ihm eine Kugel durch den Grind". Würsch
wurde durch diese Drohungen und das weitere Verhalten der beiden Täter
zum Widerstand völlig unfähig und konnte nicht verhindern, dass sie mit
seinem Wagen davonfuhren. Senn und Scherrer wollten sich diesen nicht
aneignen, wohl aber eine Zeitlang damit herumfahren. Sie fuhren durch das
Tösstal nach Fischental und Wila, nachher planlos durch das Oberland und
in der späteren Nacht über Rapperswil, Lachen und Tuggen nach Uznach,
wo sie einem Walde im Wagen schliefen. Am folgenden Morgen fuhren sie
über Altbad, Ernetschwil und Gomiswald nach Kaltbrunn, wo sie den Wagen
beim Bahnhof abstellten.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich würdigte die zum Nachteil
des Würsch begangene Tat als von Scherrer und Senn gemeinsam verübte
Erpressung im Sinne von Art. 156 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Es verurteilte
Scherrer am 30. Mai 1974 wegen dieses Verbrechens und wegen anderer
strafbarer Handlungen zu 16 Monaten Gefängnis.

    Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde Scherrers wurde vom
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 24. September 1974 abgewiesen.

    C.- Scherrer hat gegen das Urteil des Obergerichtes auch die
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt. Er beantragt, die zum
Nachteil des Würsch begangene Tat statt als Erpressung nur als Nötigung
(Art. 181 StGB) und Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch
(Art. 94 Ziff. 1 SVG) zu würdigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Erpressung im Sinne des Art. 156 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich
schuldig, wer jemanden durch Gewalt oder schwere Drohung oder nachdem er
ihn auf andere Weise zum Widerstand unfähig gemacht hat, nötigt, ihm oder
einem andern einen unrechtmässigen Vermögensvorteil zu gewähren.

    Der Beschwerdeführer erachtet das Merkmal des Vermögensvorteils
objektiv und subjektiv nicht als erfüllt, weil die Täter im Zeitpunkt
der Tat noch nicht gewusst hätten, was sie mit dem Wagen des Würsch
unternehmen wollten. Er behauptet, sie hätten nicht beabsichtigt,
"das Benzin, einen Mietwagen oder ein Taxi zu ersparen".

    a) Soweit dieses Anbringen dem in der berichtigten Anklageschrift
wiedergegebenen Sachverhalt, den der Beschwerdeführer im kantonalen
Verfahren anerkannte und der auch dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt,
widerspricht, ist es nicht zu hören, denn das Bundesgericht ist an die
tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Richters gebunden (Art. 273
Abs. 1 lit. b, 277 bis BStP).

    Darnach wollten die beiden Täter sich den Wagen zwar nicht aneignen,
aber "eine Zeitlang damit herumfahren". Dies tun zu können, bedeutete
für sie ein Vermögensvorteil, gleichgültig ob sie zur Zeit der Tat schon
wussten, wie und wie lange sie ihn ausnützen würden. Der Vorteil war mit
der Wegnahme des Wagens erlangt; den Tätern war es von da an möglich,
das Fahrzeug nach Belieben zu gebrauchen. Das Merkmal der Gewährung eines
Vermögensvorteils wäre selbst dann erfüllt, wenn sie entgegen ihrer
ursprünglichen Absicht überhaupt nicht oder nur wenige Meter gefahren
wären. Der Vermögensvorteil entfällt auch nicht deshalb, weil sie Würsch
Fr. 12.- übergaben. Nach anerkannter und vom Obergericht übernommener
Darstellung der Anklage boten sie diesen Betrag nicht als Gegenleistung
für den Gebrauch des Wagens an, sondern damit Würsch nicht mittellos
dastehe. Zudem stellt das Obergericht verbindlich fest, dass die Fr. 12.-
den erlangten Vorteil bei weitem nicht wettzumachen vermochten. Damit
verkennt es den Begriff des Vermögensvorteils nicht. Die Möglichkeit,
mit einem fremden Personenwagen beliebig und während unbestimmter Zeit
herumzufahren, ist offensichtlich mehr als Fr. 12.- wert.

    b) Die Täter hatten es auf die Möglichkeit des Gebrauchs des Wagens,
also auf den darin liegenden Vermögensvorteil abgesehen. Sie haben sich
diesen bewusst und gewollt, mithin vorsätzlich verschafft, ihn nicht nur
"zumindest eventualvorsätzlich in Kauf genommen", wie das Obergericht
meint. Der Vorsatz war ein direkter. Er setzte nicht voraus, dass die
Täter sich zur Zeit der Tat überlegten, wie hoch der Vermögensvorteil
in Geld zu bewerten sei und auf welche Weise und wie lange sie von ihm
Gebrauch machen würden.

Erwägung 2

    2.- Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Tat sei nur als
Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch (Art. 94 Ziff. 1 SVG) in
Konkurrenz mit Nötigung (Art. 181 StGB) zu ahnden, hält nicht stand. Es
kann dahingestellt bleiben, ob die Begriffe "entwenden" und "Entwendung"
in Art. 94 Ziff. 1 SVG ähnlich wie in Art. 138 StGB nur die ohne Wissen des
Eigentümers oder Besitzers erfolgende Wegnahme oder auch die mit Gewalt
oder Drohung erzwungene Übergabe oder Duldung der Wegnahme erfassen. Die
Zerlegung der die Merkmale einer Erpessung aufweisenden Tat in eine
Nötigung und in eine Entwendung zum Gebrauch käme einer Privilegierung
des Schuldigen gleich, da bloss auf Gefängnis oder Busse zu erkennen wäre,
während Erpressung Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nach sich
zieht. Art. 94 Ziff. 1 SVG wurde erlassen, damit der Täter nicht bloss auf
Antrag - wegen Sachentziehung gemäss Art. 143 StGB - sondern im Interesse
der Verkehrssicherheit von Amtes wegen verfolgt werden könne (Botschaft
des Bundesrates zum Entwurf, BBl 1955 II 63 f.). Es lag den gesetzgebenden
Behörden ferne, den Erpresser zu privilegieren, wenn er jemandem den
Gebrauch eines Motorfahrzeuges abnötigt. Es liesse sich auch sachlich nicht
rechtfertigen, Art. 94 Ziff. 1 SVG und Art. 181 StGB anzuwenden, wenn der
Täter den Gebrauch eines Motorfahrzeuges, dagegen Art. 156 Ziff. 1 Abs. 1
StGB, wenn er den vermögenswerten Gebrauch einer anderen Sache erpresst.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.