Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 197



100 IV 197

49. Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1974 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden gegen Infanger. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 StGB. Widerruf des bedingten Strafvollzugs.

    Nichtbefolgen der Weisung, den Schaden zu ersetzen.

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgericht Obwalden verurteilte Otto Infanger am 22. März
1973 wegen Veruntreuung und Betrugs zu 8 Monaten Gefängnis, bedingt
aufgeschoben auf 3 Jahre. Es erteilte ihm die Weisung, den anerkannten
Schaden von Fr. 4000.-- innert Monatfrist zu bezahlen.

    B.- Binnen der vom Kantonsgerichtspräsidenten bis 10.  Dezember 1973
verlängerten Frist leistete Infanger nur Fr. 700.-- an den Schaden.

    Am 10. Dezember 1973 ordnete das Kantonsgericht den Vollzug der
Strafe an.

    Infanger appellierte am 28. Januar 1974 und zahlte gleichzeitig den
Restbetrag von Fr. 3300.-- an das Betreibungsamt Luzern.

    Das Obergericht hiess die Berufung am 22. Mai 1974 gut und sah vom
Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe ab.

    C.- Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Obwalden Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die
Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.

    Gegenbemerkungen wurden nicht eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Infanger hat den anerkannten Schaden trotz Mahnung nicht
innert der angesetzten Nachfrist gedeckt. Entgegen der Ansicht der
Staatsanwaltschaft führt dies nicht ohne weiteres zum Widerruf des
bedingten Strafvollzugs. Die Nichteinhaltung der Weisung muss dem
Verurteilten zum Vorwurf gemacht werden können. Die Weisung, den durch
die strafbare Handlung verschuldeten Schaden zu ersetzen, dient, wie jede
andere Weisung, der Erziehung des Täters. Er soll das Unrecht einsehen
und nach Möglichkeit gutmachen. Diesem Zwecke würde es widersprechen, den
Strafvollzug auch dann anzuordnen, wenn der Verurteilte unverschuldet die
Weisung nicht befolgt hat. Aus BGE 97 IV 7 kann nichts anderes abgeleitet
werden. Damals handelte es sich um den Widerruf wegen neuer Verbrechen
und Vergehen, die ein schuldhaftes Verhalten voraussetzen. Ob aber die
Weisung verschuldet missachtet wurde, ist von Fall zu Fall zu prüfen.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdegegner hat weder das Kantonsgericht, das die Weisung
erteilt hat, noch den zur Mahnung zuständigen Kantonsgerichtspräsidenten
darauf aufmerksam gemacht, dass es ihm voraussichtlich nicht möglich
sein werde, die Fr. 4000.-- binnen Monatsfrist zu zahlen. Dieser
Umstand wäre jedoch nur beachtlich, wenn daraus auf bösen Willen oder
mangelnden Besserungswillen geschlossen werden könnte. Das aber verneint
die Vorinstanz. Ebenso wenig hinderte sie Bundesrecht, die erst vor
Obergericht vorgebrachte Verteidigung zu berücksichtigen, Infanger sei
nicht in der Lage gewesen, den Betrag fristgemäss zu zahlen.

    Hingegen kann der vor Gericht anerkannte Schadensbetrag im
Widerrufsverfahren nicht mehr in Frage gestellt werden, wie es die
Vorinstanz nebenbei zu tun scheint. Sie verkennt im übrigen nicht, dass
auch eine verspätete Zahlung eine Missachtung der Weisung darstellt. Doch
ist es vom Kassationshof nicht nachzuprüfende Beweiswürdigung (Art. 277
bis Abs. 1 BStP), wenn sie diese nachträgliche Zahlung als Beweis des
guten Willens und nicht als blosses prozesstaktisches Manöver ansieht.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat die Berufung schlicht gutgeheissen. Sie hat
weder den bedingten Strafvollzug widerrufen noch eine Ersatzmassnahme
gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB angeordnet. Das durfte sie nur, wenn
Infanger alles Zumutbare tat, um den anerkannten Schaden innert der Frist
oder doch sobald und soweit es ihm möglich war zu decken. Es genügt nicht,
dass er irgendwie guten Willen zeigte.

    Infanger arbeitete während der Probezeit zuerst im Restaurant seines
Vaters als Koch. Dort hatte er mit seiner Frau und den drei Kindern
Kost und Unterkunft und einen Barlohn von Fr. 700.--. Das Obergericht
anerkennt, "dass Infanger unter diesem Umständen den Deliktsbetrag von
Fr. 4000.-- nicht leicht aufbringen konnte". Dieser für den Kassationshof
verbindlichen Feststellung (Art. 277 bis Abs. 1 BStP) ist zu entnehmen,
dass es Infanger, solange er im väterlichen Betrieb arbeitete, zwar nicht
möglich war, den ganzen Betrag innert der ersten Nachfrist zu zahlen. Doch
hätte er, auch bei Berücksichtigung notwendiger Auslagen für sich und
seine Familie neben der Zahlung von Fr. 700.-- weitere Teilzahlungen
machen können. Lag doch gemäss der Vernehmlassung der Vorinstanz auch
damals das Einkommen immerhin "knapp über dem Existenzminimum".

    Ferner hätte Infanger, wenn im väterlichen Betrieb nicht mehr zu
verdienen war, schon früher als erst im November 1973 anderswo Arbeit
suchen können, die ihm eine raschere Abzahlung ermöglicht hätte. Dass
ihm das nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, behauptet er nicht.

Erwägung 4

    4.- Da Infanger sich nicht bewährt hatte, hätte die Vorinstanz
daraus die in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB vorgesehenen Folgen
ziehen müssen. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat sich darüber
auszusprechen, ob begründete Aussicht besteht, Infanger werde sich
inskünftig wohl verhalten, und ob die objektiven und vor allem die
subjektiven Umstände die verspätete Wiedergutmachung des Schadens als
"leichten Fall" erscheinen lassen. Die Schwere der am 22. März 1973
beurteilten Taten und die Höhe des Deliktsbetrages sind entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführerin bei Beantwortung der Frage, ob ein "leichter
Fall" vorliegt, nicht massgeblich. Gelangt die Vorinstanz zur Überzeugung,
dass die Voraussetzungen des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB erfüllt sind, hat
sie eine der dort vorgesehenen Ersatzmassnahmen anzuordnen. Findet sie, die
Säumnis sei nicht leichter Natur, muss sie den Vollzug der Strafe anordnen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen
und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.