Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 190



100 IV 190

47. Urteil des Kassationshofes vom 12. September 1974
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen Achermann. Regeste

    Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV; Das freiwillige Halten bei
Strassenverzweigungen näher als 5 m vor und nach der Querfahrbahn ist
auch dann untersagt, wenn zum Güterumschlag angehalten wird.

Sachverhalt

    A.- Anton Achermann hielt am 24. September 1973 seinen Personenwagen an
der Weystrasse in Luzern näher als 5 m vor der Querfahrbahn der Hofstrasse
an, um Kunstgegenstände auszuladen.

    B.- Das Obergericht des Kantons Luzern sprach Achermann am 13. Mai 1974
von der Anklage der Widerhandlung gegen Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV frei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das
Obergericht zur Verurteilung gemäss Anklage.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 37 Abs. 2 SVG dürfen Fahrzeuge nicht angehalten werden,
wo sie den Verkehr behindern oder gefährden könnten. Art. 18 Abs. 2 lit. d
VRV führt dazu aus, dass das freiwillige Halten bei Strassenverzweigungen
näher als 5 m vor und nach der Querfahrbahn untersagt ist. Diese wie die
übrigen Vorschriften in Abs. 2 von Art. 18 VRV haben ihren Grund darin,
dass ein auf der Strasse haltendes Fahrzeug für den übrigen Verkehr unter
Umständen nicht nur ein erhebliches Hindernis bilden, sondern auch eine
erhöhte Gefahr bedeuten kann, die trotz der den anderen Strassenbenützern
zuzumutenden Aufmerksamkeit leicht zu Unfällen zu führen vermag (BGE 94
IV 129). Es ist daher jeweils nicht zu untersuchen, ob ein in Verletzung
von Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV angehaltenes Fahrzeug den Verkehr auch
tatsächlich behindert oder gefährdet hat. Denn nicht erst die konkrete,
sondern schon die abstrakte Gefährdung bzw. Behinderung des Verkehrs
wird mit dieser Bestimmung unter Strafe gestellt. Auch gilt das Verbot
absolut, also auch, wenn Güterumschlag vorgenommen wird. Das wird durch
die auf den Güterumschlag bezüglichen Art. 18 Abs. 4 und 21 VRV nicht
widerlegt, sondern bekräftigt. Art. 18 Abs. 4 schafft eine Ausnahme vom
Gebot, am Rand der Fahrbahn zu halten (Art. 18 Abs. 1 Satz 2). Art. 21
Abs. 2 regelt den Fall des Abweichens vom Gebot des Art. 18 Abs. 1, nach
Möglichkeit ausserhalb der Strasse zu halten (d.h. nicht an Stellen,
wo es nach Art. 18 sonst zulässig wäre). Art. 21 Abs. 3 VRV handelt
vom unfreiwilligen Halten an gefährlichen Stellen (z.B. im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 lit. a). Eine solche Ausnahmeregelung kennt das Gesetz
für das Halten näher als 5 m bei Querfahrbahnen jedoch nicht.

Erwägung 2

    2.- Mit dem Anhalten näher als 5 m vor der Querfahrbahn der Hofstrasse
hat der Beschwerdegegner somit Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV verletzt. Seine
Auffassung, die verfassungsmässig garantierte Handels- und Gewerbefreiheit
berechtige ihn, Art. 18 Abs. 2 lit. d nicht zu befolgen, hält nicht stand
(Art. 31 Abs. 1, 37bis Abs. 1, 64bis Abs. 1 BV). Der Umstand, dass m
andern Fällen der Übertretung dieser Vorschrift die Polizei untätig
geblieben sein soll, gibt dem Beschwerdegegner keinen Anspruch darauf,
ebenfalls rechtswidrig zu handeln und ungestraft zu bleiben (BGE 89 IV
135 E 5, 98 Ia 21).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer
des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 13. Mai 1974 aufgehoben und die
Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners Achermann gemäss Art. 18
Abs. 2 lit. d VRV und Art. 90 Ziff. 1 SVG an die Vorinstanz zurückgewiesen.