Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 180



100 IV 180

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1974
i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Demuth und Huggler. Regeste

    Art. 317 StGB.

    Der auf den täuschenden Gebrauch der falschen Urkunde gerichtete
Wille ist wesentlicher Bestandteil des Vorsatzes.

Sachverhalt

    A.- In Zusammenarbeit mit der Heliswiss führte das Eidgenössische
Luftamt in der Zeit vom 6. bis 17. März 1967 für Luftfahrzeugkontrolleure
einen Ausbildungskurs an Helikoptern durch. Ziel des Kurses war für
die Teilnehmer die Erlangung des Kontrolleurausweises der Kategorie
II. Voraussetzung hiefür ist nach den Bestimmungen des Reglementes über
die Ausweise des Personals der Bodenorganisation der Luftfahrt vom 2.
Dezember 1960 (RAB; SR 748.222.2 Bd. 7/5) das Bestehen einer theoretischen
und einer praktischen Prüfung (Art. 27). Weist sich der Bewerber über
eine besondere Vorbildung aus, so kann ihm das Eidg. Luftamt einzelne
Prüfungen erlassen (Art. 5 Abs. 2).

    Demuth, Chefpilot und technischer Leiter der Heliswiss, wurde vom
Sektionschef des Eidg. Luftamtes, Huggler, mit der Durchführung des Kurses
und der Prüfungsleitung betraut.

    Die bei der Heliswiss angestellten Litzler und Widmer besuchten
den besagten Kurs und bestanden die theoretischen Prüfungen, was ihnen
von Huggler am 6. April 1967 schriftlich mitgeteilt wurde. Im gleichen
Schreiben wurde ihnen die noch abzulegende praktische Prüfung in Aussicht
gestellt. Demuth teilte in der Folge dem Huggler mit, dass nach seiner
Meinung die beiden genannten Kandidaten keine praktische Prüfung mehr
bestehen müssten, weil sie sich durch die im Kurs geleistete praktische
Arbeit über ihre Fähigkeiten genügend ausgewiesen hätten. Huggler
erklärte sich damit einverstanden, beharrte jedoch auf einer schriftlichen
Bewertung der Kandidaten durch den Prüfungsleiter, und zwar in Form einer
Notengebung in Prozenten, um Unterlagen für den Erlass der praktischen
Prüfung zu besitzen. Am 5. Mai 1967 nahm Demuth eine solche nachträgliche
Bewertung der Kandidaten Litzler und Widmer vor, indem er die in Prozenten
ausgedrückten Noten auf ein ihm von Huggler zu diesem Zweck übermitteltes
Formular für die "praktische Prüfung" einsetzte, als "Prüfungsdatum"
den 15. März 1967 angab und schliesslich das unterzeichnete Formular
an Huggler zurücksandte. Während sich alle übrigen Kandidaten des Kurses
einer praktischen Prüfung unterziehen mussten, erhielten Litzler und Widmer
den Ausweis für Luftfahrzeugkontrolleure, ohne diese abgelegt zu haben.

    B.- Am 2. Mai 1973 verurteilte das Strafamtsgericht Seftigen Demuth
und Huggler wegen Urkundenfälschung durch Beamte (Art. 317 Ziff. 1 StGB)
zu je vier Monaten Gefängnis und gewährte ihnen den bedingten Strafvollzug.

    Mit Urteil vom 30. November 1973 erkannte das Obergericht des Kantons
Bern, es werde dem Verfahren keine weitere Folge gegeben, weil sich Demuth
und Huggler nur der fahrlässigen Urkundenfälschung schuldig gemacht hätten,
die als Übertretung gemäss Art. 109 StGB verjährt sei.

    C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die beiden
Beschwerdegegner wegen vorsätzlicher Beamten-Urkundenfälschung zu
bestrafen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- Der Generalprokurator stellt sich auf den Standpunkt, die
Beschwerdegegner hätten gewusst, dass sich die beiden Kandidaten keiner
praktischen Prüfung unterzogen hatten. Sie hätten deshalb eine solche
vorgetäuscht und dabei mit Wissen und Willen gehandelt. Dass sie sich
mit der Begründung beruhigt hätten, man hätte ihnen ja reglementsmässig
eine praktische Prüfung erlassen können, entlaste die Beschwerdegegner
nicht. Das sei bloss Beweggrund ihres Handelns gewesen, der jedoch nicht
zum Vorsatz gehöre. Die Vorinstanz habe den Begriff der Fahrlässigkeit
falsch ausgelegt.

Erwägung 3

    3.- Die Rüge ist dahin zu verstehen, dass die Vorinstanz zu Unrecht
Fahrlässigkeit statt Vorsatz angenommen habe.

    a) Vorsätzlich im Sinne des Art. 317 Ziff. 1 StGB handelt der Täter,
wenn er bewusst in seiner Eigenschaft als Beamter rechtlich erhebliche
Tatsachen unwahr in einer Schrift verurkundet, von der er weiss, dass
sie zum Beweis jener Tatsachen geeignet oder bestimmt ist, und wenn er
dies mit dem Willen zur Täuschung im Rechtsverkehr tut oder eine solche
Folge zumindest in Kauf nimmt. Diese Ausrichtung auf den täuschenden
Gebrauch gehört - was in der Beschwerde übersehen wird - wesentlich zum
subjektiven Tatbestand der Urkundenfälschung sowohl des Art. 251 wie des
Art. 317 Ziff. 1 StGB (BGE 95 IV 73 Erw. 3 b; GERMANN, Das Verbrechen
im neuen Strafrecht, S. 33/34); denn wenn der Gesetzgeber schon die
Herstellung einer Lugurkunde ohne ihren tatsächlichen Gebrauch unter Strafe
stellt, liegt der Grund hiefür in der für den Rechtsverkehr geschaffenen
Täuschungsgefahr (LOGOZ, Kommentar, N. 4 zu Art. 317). Diese Gefahr
aber muss in den Vorsatz einbezogen sein, ansonst wäre der Hersteller der
Lugurkunde, der sein eigenes Falsifikat gebraucht, folgerichtig für zwei
Delikte zu bestrafen. Nach ständiger Rechtsprechung (BGE 71 IV 209 E. 3,
95 IV 73, 96 IV 167) führt jedoch der Gebrauch der eigenen Falschurkunde
nicht zu einer zusätzlichen Bestrafung. Für die genannte Auslegung
spricht auch die Tatsache, dass jemand bewusst und gewollt eine Schrift,
die an sich geeignet wäre, den verurkundeten falschen Inhalt zu beweisen,
herstellen kann, ohne Treu und Glauben gefährden zu wollen. Das tut er
dann nicht, wenn er nicht eine Täuschung im Rechtsverkehr bezweckt oder
in Kauf nimmt, sondern ein anderes Ziel verfolgt (z.B. Herstellung einer
falschen Urkunde zu Experimentierzwecken oder als kalligraphisches Dokument
und dgl.; GERMANN, aaO). Das hat die Vorinstanz richtig erkannt, indem
sie das Wissen und den Willen auf den täuschenden Gebrauch der falschen
Urkunde als wesentlichen Bestandteil des Vorsatzes ansieht.

    b) Ist sie aber von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen
ausgegangen, so ist ihr Urteil unanfechtbar. Ob jener Täuschungsvorsatz
gegeben sei, ist Tatfrage, die hier vom kantonalen Richter für den
Kassationshof verbindlich bejaht wird (BGE 81 IV 283 E. 3; 83 IV 77).
Nach dem angefochtenen Urteil haben die Beschwerdegegner nicht wissentlich
und willentlich durch Abfassung einer Schrift von rechtlicher Bedeutung
eine nicht stattgefundene Prüfung vortäuschen wollen; beiden habe
der Wille "auf den täuschenden Gebrauch der Urkunde als Beweismittel"
gefehlt, und es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass sie den strafbaren
Erfolg für den Fall eines Eintritts auch nur gebilligt hätten. Diese
Feststellungen schliessen die Annahme eines Täuschungsvorsatzes aus; sie
betreffen nicht das blosse Handlungsmotiv, sondern den Handlungsentschluss
(Wissen und Willen) der Beschwerdegegner und mussten daher zur Verneinung
einer vorsätzlichen Urkundenfälschung führen.

    Jene tatsächlichen Annahmen treffen übrigens in Würdigung aller
Umstände des Falles auch sachlich das Richtige, wenn man berücksichtigt,
dass Huggler für den Erlass der Prüfung zuständig war, das Ergebnis
der Prüfungen niemandem vorzulegen hatte und es bloss darum ging, ihm
eine Bewertung der praktischen Fähigkeiten der beiden Kandidaten zu
verschaffen, die als zureichende Unterlage für den Entscheid über den
Erlass der praktischen Prüfung geeignet war. Die ausgefüllten Formulare
waren somit nach der Absicht der beiden Beteiligten ausschliesslich für
einen solchen amtsinternen Gebrauch bestimmt, in dessen Rahmen sie nicht
die Funktion einer Beweisurkunde hatten, da sowohl der Hersteller der
Schrift als auch deren Empfänger wussten, dass eine praktische Prüfung
nicht abgelegt worden war.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.