Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 174



100 IV 174

42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1974
i.S. Brantschen gegen Brantschen. Regeste

    Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Vernachlässigung von
Unterstützungspflichten.

    Unterhaltspflicht des Ehemannes gegenüber der Ehefrau.

Sachverhalt

    A.- Anna Brantschen-Read reichte am 28. Oktober 1968 gegen ihren
damaligen Ehemann Oskar Brantschen Strafklage ein wegen Vernachlässigung
von Unterstützungspflichten (Art. 217 StGB).

    Das Kreisgericht Oberwallis in Visp sprach Brantschen am 28. März
1974 von Schuld und Strafe frei.

    B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Anna Brantschen Aufhebung
des kreisgerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz
zu neuer Beurteilung. Brantschen beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz stellt richtig fest, dass für die Zeit
vom Januar 1967 bis zur Antragstellung am 28. Oktober 1968 in
der Schweiz keine gültige richterliche Verfügung auf Leistung von
Unterhaltsbeiträgen vorlag. Die im Säumnisurteil vom 4. Dezember 1967
ausgesprochenen monatlichen Unterhaltsbeiträge von Fr. 250.-- wurden nicht
rechtskräftig. Denn die Cour de justice des Kantons Genf hat jenes Urteil
am 21. Mai 1968 aufgehoben. Folgerichtig hat sie auch entsprechende im
Sinne von Art. 145 ZGB gestellte Begehren auf vorsorgliche Massnahmen
abgewiesen. Die nach Rückweisung der Sache von der ersten Instanz am
1. April 1969 verfügten monatlichen Beiträge von Fr. 425.-- wirkten ab
21. Januar 1969. Ob die in der Einvernahme der Ehegatten vom 17. Juni
1969 erwähnte Parteivereinbarung von angeblich August 1966 auch noch nach
Übersiedlung von Frau Brantschen in die Schweiz sinngemäss weiter wirksam
war, steht nicht fest.

    Die Unterhaltspflicht des Ehemannes gegenüber der Ehefrau besteht aber
von Gesetzes wegen (Art. 160 Abs. 2 ZGB) und fällt trotz Aufhebung der
häuslichen Gemeinschaft nur weg, wenn die Ehefrau den Mann gegen dessen
Willen oder ohne gesetzlichen Grund verlässt oder nach Wegfall des Grundes
gegen seinen Willen nicht zurückkehrt (BGE 90 II 73 E 4; LEMP, Komm. zu
Art. 160 ZGB N. 18). Ebensowenig bedürfen die Unterhaltsbeiträge, um
den Schutz des Art. 217 StGB zu geniessen, der richterlichen Zusprechung
(BGE 89 IV 22). Das wäre besonders stossend in einem Falle wie dem
vorliegenden, wo eine sofortige Verfügung nur an einer formellen Frage,
nämlich an Zweifeln der bestehenden Gerichtsbarkeit scheiterte. Bevor die
erste Instanz, nach Rückweisung der Sache an sie, ihre Gerichtsbarkeit
abgeklärt hatte, konnte sie nicht auf neue Unterhaltsbegehren eintreten.

    Wohl spricht die vorsorgliche Verfügung vom 1. April 1969 der Ehefrau
erst ab 21. Januar 1969 monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 425.--
zu. Das besagt aber keineswegs, dass der Ehemann für die vorausgehende
Zeit nichts schuldete. Und selbst wenn der Genfer Richter weiter
zurückreichende Unterhaltsbegehren der Ehefrau abgewiesen haben sollte,
wie die Vorinstanz zugunsten des Ehemannes vermutet, stände damit nur fest,
dass aus irgendwelchen Gründen für die weiter zurückliegende Zeit keine
vorsorglichen Massnahmen im Sinne von Art. 145 ZGB erlassen wurden, nicht
aber, dass für diese frühere Zeit der Bestand von Unterhaltsansprüchen an
sich verneint worden sei. Denn nur "conclusions sur mesures provisoires"
wurden abgewiesen. Dass über den Bestand weiter zurückliegender
Unterhaltsansprüche an sich und nicht bloss vorsorgliche Massnahmen
abgesprochen wurde, sagt auch das Urteil des Kreisgerichtes Oberwallis
nicht. Summarische Verfügungen erwachsen nicht in materielle Rechtskraft,
so dass die Verfügung vom 1. April 1969 ohnehin nicht endgültig über
Bestand und Höhe der Unterhaltspflicht in den Jahren 1967 und 1968
absprechen konnte. Es ist auch höchst unwahrscheinlich, dass der Genfer
Richter mit der Verfügung vom 1. April 1969 für die Jahre 1967 und 1968
das Anrecht auf Unterhaltsansprüche an sich verneinte. Das widerspräche
zu offensichtlich seinen übrigen Entscheidungen, dem Säumnisurteil vom
4. Dezember 1967, das Fr. 250.--, dem Scheidungsurteil vom 17. Juni
1971, das Fr. 300.--, den vorsorglichen Massnahmen vom 1. April 1969 und
7. April 1970, die Fr. 425.-- bzw. Fr. 600.-- monatliche Unterhaltsbeiträge
guthiessen.

    Soweit die Vorinstanz Brantschen mit der Begründung freisprach, für
die Jahre 1967 und 1968 hätten keine rechtskräftigen und vollstreckbaren
richterlichen Verfügungen auf Leistung von Unterhaltsbeiträgen bestanden,
hat sie also Bundesrecht verletzt.