Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 129



100 IV 129

32. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1974 i.S. Silvestrini gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 11 StGB; verminderte Zurechnungsfähigkeit.

    Fall eines unintelligenten banalen kriminellen Psychopathen (Mörders).

Sachverhalt

    A.- Am 3. April 1974 erklärte das Geschwornengericht des Kantons
Aargau Casimiro Silvestrini des Mordes, des Raubes, des wiederholten
Diebstahls, des wiederholten Betrugs, des fortgesetzten Hausfriedensbruchs
sowie Widerhandlungen gegen das SVG schuldig und verurteilte ihn zu
lebenslänglichem Zuchthaus und Landesverweisung für 15 Jahre.

    B.- Wegen Mordes und Raubes wurde Silvestrini verurteilt, weil er
in der Nacht vom 31. Juli 1972 zusammen mit seinem Bruder Antonio in der
Wohnung des ferienabwesenden Michele Oliveri in Wettingen den homosexuellen
Beat Gmür tötete und beraubte.

    Durch Aufwerfen einer Münze fielen dem Bruder Antonio die eigentlichen
Tötungshandlungen zu. Dieser verfolgte das fliehende Opfer durch mehrere
Räume der Wohnung und versetzte ihm 27 Messerstiche am ganzen Körper,
bis es im Bad tot zusammenbrach. Dabei half ihm Silvestrini, indem er
das Opfer aufs Bett stiess und mit der Bettdecke zu überwältigen suchte,
es durch Zuhalten des Mundes am Schreien und Telefonieren hinderte und
es festhielt, damit sein Bruder die Messerstiche führen konnte. Die
Leiche verscharrten die beiden im Wald. Silvestrini hatte die Idee zur
Tat ausgeheckt, Gmür, dem er schon gelegentlich als Strichjunge gedient
hatte, telefonisch in die Wohnung Oliveri gelockt und die Türen der
Wohnung verriegelt, um eine Flucht Gmürs zu verhindern.

    C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Silvestrini Rückweisung
der Sache an das Geschwornengericht zur Annahme verminderter
Zurechnungsfähigkeit und entsprechende Herabsetzung der Strafe.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Wie in BGE 98 IV 154 ausgeführt wurde, bedeutet Psychopathie in der
Sprache der Psychiater nichts anderes als vom Durchschnitt abweichende
Persönlichkeitsveranlagung, weshalb nicht jede derartige Anlage das auch
im rechtlichen Sinne Abnorme erreicht. Neben den banalen Typen krimineller
Psychopathen, aus denen sich die Mehrheit der Rechtsbrecher zusammensetzt
und die regelmässig voll zurechnungsfähig sind, gibt es Psychopathen,
deren Geistesverfassung nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt
nicht nur der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweicht,
dass ihre Träger als nicht oder nicht voll verantwortlich erscheinen. Der
Beschwerdeführer macht geltend, er gehöre zur zweiten Kategorie und sei
daher vermindert zurechnungsfähig.

    Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe in alkoholisiertem
Zustand gehandelt, ist irrig. Nicht er hat nach Feststellung des
Geschwornengerichts vor der Tat ein halbes Glas Wein und einen Becher
Bier getrunken, sondern sein Bruder Antonio.

    Die Umstände der Tat, insbesondere die Geldbeschaffung als
ihr Zweck, die Ausnützung einer "Freundschaft", das Auslosen des
Täters, das unbekümmerte Verhalten nach der Tat, sowie der asoziale,
verwahrloste Zustand des Beschwerdeführers sollen dartun, dass er nicht
ein banaler krimineller Psychopath, sondern in seiner geistigen Gesundheit
beeinträchtigt sei. Was Silvestrini anführt, beweist nicht einen kranken
Geist, sondern Schlechtigkeit und Gewissenlosigkeit. Diese Eigenschaften
mögen einen Menschen in den Augen des Psychiaters als Psychopathen, als
willensschwache, gemütsarme (moralisch defekte) Person erscheinen lassen,
stellen aber nicht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit im
Sinne des Art. 11 StGB dar (BGE 77 IV 215/216, 98 IV 154).

    Schliesslich legt der Beschwerdeführer dar, die Vorinstanz nehme
bei ihm eine "knappe Intelligenz" an; da sie sich auf das psychiatrische
Gutachten stütze, sei anzunehmen, dass sie dessen Schlussfolgerung, es
werde ein Intelligenzquotient von 69% errechnet, als richtig voraussetze;
was unter 70% sei, bedeute aber Debilität. Es trifft zu, dass der
Psychiater erklärt, mit einem Intelligenzquotienten von 69% wäre rein
zahlenmässig der Beginn pathologischen Schwachsinns, der Debilität,
erfüllt. Er führt indessen weiter aus, die Intelligenzprüfung sei aus
sprachlichen und charakterlichen Gründen ungünstiger ausgefallen als den
Tatsachen entspreche. Sodann sei der Angeschuldigte bei Arbeitgebern
und Drittpersonen nirgends als schwachsinnig empfunden worden. Seine
Fähigkeit, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden, zu definieren,
zu kombinieren, zu assoziieren, sei keinesfalls derart vermindert, wie
dies bei regelrecht Schwachsinnigen unerlässlich zu sein pflege. Gerade
die Planung der Tat und deren Durchführung, wobei sich der Angeschuldigte
glaubhaft als spiritus rector bekenne, imponiere bei aller Primitivität und
Brutalität nicht als das Werk eines Schwachsinnigen. Dem Angeschuldigten
sei am ehesten gerecht zu werden, wenn man ihn als bis zu gewissem Grade
schwachbegabt, als mässig intelligent, als in landläufigem Sprachgebrauch
bei unverkennbarer Bauernschläue "dumm" bezeichne, nicht aber als
schwachsinning. Nun seien aber Beraubung und Tötung eines Menschen
Verbrechen, deren Gewichtigkeit auch einem möglicherweise intellektuell
nicht ganz vollbegabten Menschen jederzeit gegenwärtig seien.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.