Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 49



100 II 49

10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung als staatsrechtlicher
Kammer vom 19. Februar 1974 i.S. Häcki gegen Hoffmann, Alpina
Versicherungs-Aktiengesellschaft und Kassationsgericht des Kantons Zürich.
Regeste

    Art. 58 Abs. 1 und 2 SVG. Der Halter eines Motorfahrzeuges, das sich
nicht in Betrieb befindet, aber durch den Betrieb eines andern geschädigt
wird, kann nach Art. 58 Abs. 1 Ersatz verlangen, wenn ihm nach Abs. 2
nichts vorzuwerfen ist.

Sachverhalt

    A.- Häcki ist Taxihalter. Am 3. Dezember 1970 gegen 23 Uhr hielt er
sein Taxi "Mercedes" in einer Strassenbucht vor dem Hotel Bellerive in
Zürich an, um einen Fahrgast aussteigen zu lassen. Bevor er wegfahren
konnte, prallte ein Personenwagen "Morris", der von Doris Good gesteuert
war, von hinten gegen sein Fahrzeug und schleuderte es einige Meter nach
vorn. Die beiden Wagen wurden dabei schwer beschädigt und Doris Good
erheblich verletzt.

    Doris Good behauptete, sie sei von einem sie überholenden weissen
"Chevrolet" nach rechts abgedrängt worden und habe den Zusammenstoss trotz
Vollbremsung nicht mehr vermeiden können. Die polizeiliche Fahndung nach
dem Lenker des "Chevrolet" blieb erfolglos.

    B.- Am 20. Juli 1971 klagte Häcki beim Bezirksgericht Zürich
gegen den Halter des "Morris" Fritz Hoffmann sowie gegen dessen
Haftpflichtversicherung, die Alpina Versicherungs-Aktiengesellschaft,
auf Ersatz von Fr. 4757. 60 Sachschaden nebst Zins.

    Sowohl das Bezirksgericht als auch das Obergericht des Kantons Zürich
wiesen die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht beweisen
können, dass der am Taxi entstandene Schaden durch Verschulden oder
vorübergehenden Verlust der Urteilsfähigkeit der Doris Good verursacht
worden sei. Es müsse vielmehr als erwiesen angenommen werden, dass Doris
Good von dem unerkannt gebliebenen weissen Wagen gegen denjenigen des
Klägers abgedrängt worden sei. Der Halter des "Morris" habe daher gemäss
Art. 61 Abs. 2 SVG für den Sachschaden am Taxi nicht einzustehen.

    Der Kläger erhob gegen das Urteil des Obergerichts
Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung klarer Gesetzesvorschriften. Das
Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde durch Beschluss
vom 3. Oktober 1973 ab.

    C.- Häcki führt gegen diesen Beschluss staatsrechtliche Beschwerde,
die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer machte schon in der Klageschrift geltend,
dass sein Taxi in der Bucht vor dem Hotel Bellerive stillstand, als es von
hinten gerammt wurde. Das ergibt sich auch aus dem Polizeibericht. In der
Verhandlung vom 12. November 1971 hielt ihm der Bezirksrichter vor, gemäss
Art. 61 Abs. 2 SVG habe er zu beweisen, dass der Zusammenstoss durch.
Verschulden der Doris Good verursacht worden sei. Der Beschwerdeführer
hielt diese Bestimmung nicht für anwendbar und bestritt die ihm auferlegte
Beweispflicht. Die gleiche Auffassung vertrat er in der Berufung an das
Obergericht und in der Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht.

    Die kantonalen Instanzen liessen den Einwand des Beschwerdeführers
jedoch nicht gelten. Das Kassationsgericht hielt ihm insbesondere entgegen,
bei Sachschaden habe der geschädigte Halter zu beweisen, dass der Schaden
durch Verschulden des andern Halters oder einer Person, für die dieser
einzustehen habe, verursacht worden sei. Aus Art. 58 bis 60 SVG könne der
Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten, da der Schadenersatz
zwischen Haltern in Art. 61 SVG geregelt werde. Dass die Beweislast anders
zu verteilen sei, wenn ein stillstehendes Fahrzeug gerammt werde und dessen
Halter Ersatz für Sachschaden verlange, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Eine Haftung für Betriebsgefahr bestehe nach Art. 61 Abs. 2 SVG nicht.

Erwägung 2

    2.- Diese Auffassung ist unhaltbar. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers
hat, wenn auch nur vorübergehend, ausserhalb der Fahrbahn in einer dafür
vorgesehenen Bucht angehalten. Es befand sich zur Zeit des Anpralls ausser
Betrieb. In BGE 97 II 166 Erw. c wurde sogar ein am rechten Strassenrand
auf der Fahrbahn abgestellter Lastwagen als nicht "in Betrieb" befindlich
bezeichnet. Ein Motorfahrzeug aber, das sich nicht in Betrieb befindet,
schafft auch keine Betriebsgefahr. Sein Halter haftet gemäss Art. 58 Abs. 2
SVG nur, wenn der Geschädigte beweist, dass den Halter oder Personen, für
die er verantwortlich ist, ein Verschulden trifft oder dass fehlerhafte
Beschaffenheit des Motorfahrzeuges mitgewirkt hat. Die Bestimmung setzt
also voraus, dass zur Zeit, als sich der Schaden ereignete, das Fahrzeug
des belangten Halters ausser Betrieb, dasjenige des Ansprechers aber in
Betrieb war. Nur für einen solchen Fall regelt das Gesetz in Art. 58 Abs. 2
die Voraussetzungen, unter denen ein Halter Ersatz des vom ihm selber
erlittenen Sachschadens verlangen kann, ähnlich wie in Art. 61 Abs. 2.

    Anders verhält es sich dagegen, wenn sich das Fahrzeug des
Ansprechers zur Zeit des Unfalles, wie das hier der Fall war, nicht in
Betrieb befand. Diesfalls gilt Art. 58 Abs. 1 SVG, weshalb der Ansprecher
weder ein Verschulden des belangten Halters oder des Schädigers noch eine
fehlerhafte Beschaffenheit dessen Fahrzeuges nachzuweisen braucht; es ist
vielmehr Sache des beklagten Halters und seiner Haftpflichtversicherung,
hier also der Beschwerdegegner, den in Art. 59 Abs. 1 SVG vorgesehenen
Entlastungsbeweis anzutreten, wenn sie der Haftpflicht entgehen wollen
(vgl. BUSSY, SJK Karte 916a S. 8 N. 20; BUSSY/RUSCONI, Code suisse
de la circulation routière, S. 237 N. 2.3. zu Art. 61 SVG; OFTINGER,
Schweizerisches Haftpflicht recht II/2 S. 656 Ziff. 4).