Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 358



100 II 358

54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1974
i.S. Häfliger gegen Hostettler Regeste

    Verfahrensrecht.

    Art. 343 OR. Das in dieser Bestimmung für Streitigkeiten aus dem
Arbeitsverhältnis vorgesehene besondere Verfahren ist nur dann anzuwenden,
wenn die bei Klageeinleitung gestellte Forderung den Streitwert von
fünftausend Franken nicht übersteigt.

Auszug aus den Erwägungen:

    Nach Art. 343 Abs. 2 und 3 OR haben die Kantone für Streitigkeiten
aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von fünftausend Franken
ein einfaches, rasches und - unter Vorbehalt mutwilliger Prozessführung -
kostenloses Verfahren vorzusehen. Der Streitwert bemisst sich nach der
eingeklagten Forderung, ohne Rücksicht auf Widerklagebegehren.

    a) Der Beschwerdeführer ist im Gegensatz zum Kassationsgericht der
Meinung, dass der Streitwert im Sinne des Art. 343 Abs. 2 OR nicht nur
durch die vor erster Instanz eingeklagte Forderung, sondern durch das
jeweilige Rechtsbegehren der klagenden Partei bestimmt werde.

    Die Gesetzesmaterialien schweigen sich darüber aus, ob unter
"eingeklagter Forderung" nur der vor erster Instanz erhobene Anspruch
zu verstehen ist. Das ist indessen schon nach dem Sinnzusammenhang
von Art. 343 OR zu bejahen. Ob nämlich für einen Prozess aus einem
Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von Fr. 5000.-- ein einfaches,
rasches und grundsätzlich kostenloses Verfahren vorzusehen ist, hat
der Richter bei Einreichung der Klage, nicht erst in einem späteren
Verfahrensabschnitt zu entscheiden. Unter der "eingeklagten Forderung"
(la demande, la domanda) ist daher nur der vor erster Instanz gestellte
Anspruch gemeint. Dafür spricht auch die Überlegung, dass verschiedene
kantonale Prozessordnungen die sachliche Zuständigkeit der Gerichte
vom Streitwert bei der Klageerhebung abhängig machen. Die teilweise
Streiterledigung nach Eintritt der Rechtshängigkeit (z.B. durch
Rückzug, Anerkennung oder Vergleich) berührt weder die einmal begründete
Zuständigkeit des betreffenden Gerichtes noch das eingeschlagene Verfahren
(vgl. GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht S. 101/102). Wird also das
Klagebegehren vor erster Instanz aus irgendeinem Grunde auf Fr. 5000.--
oder weniger herabgesetzt, so ist das in Art. 343 OR vorgesehene
besondere Verfahren nicht anwendbar. Es ist auch von der kantonalen
Rechtsmittelinstanz, an die der Streit weitergezogen wird, nur dann
einzuhalten, wenn die ursprünglich eingeklagte Forderung Fr. 5000.-- nicht
überstieg (vgl. REHBINDER, Grundriss des Schweiz. Arbeitsrechts, 2. Aufl.,
S. 146). Wollte man anders entscheiden, so hätte es die appellierende
Partei in der Hand, durch einen entsprechenden Berufungsantrag den
Streitwert auf Fr. 5000.-- oder weniger zu ermässigen und damit ein
für sie ungünstiges, nicht kostenloses Urteil der unteren Instanz im
Rechtsmittelverfahren kostenlos überprüfen zu lassen, was widersinnig wäre.
Damit steht BGE 98 Ia 567, auf den sich der Beschwerdeführer beruft,
nicht im Widerspruch. In diesem Entscheid hat das Bundesgericht bloss
klargestellt, dass die in Art. 343 OR vorgeschriebene Unentgeltlichkeit
des Verfahrens - gleich wie nach der mittlerweile aufgehobenen Vorschrift
von Art. 29 FG - nicht nur für die kantonale, sondern auch für die
eidgenössische Gerichtsbarkeit gelte. Das setzt selbstverständlich voraus,
dass die ursprünglich eingeklagte Forderung Fr. 5000.-- nicht überschritt.

    b) Der Beschwerdeführer beanstandet sodann zu Unrecht, das
Kassationsgericht habe den sozialpolitischen Zweck von Art. 343 OR
verkannt. Der Gesetzgeber wollte nach dieser Vorschrift den Parteien
des Arbeitsverhältnisses das Prozessrisiko nur in beschränktem Umfange
abnehmen, indem er bis zum Klagebetrag von Fr. 5000.-- die Kostenlosigkeit
des Verfahrens vorschrieb, an der durch das kantonale Prozessrecht
geregelten Entschädigungspflicht der unterliegenden Partei dagegen nichts
änderte. Der Beschwerdeführer hatte sich also bei Einleitung des Prozesses
über die Höhe der einzuklagenden Forderung zu vergewissern. Es kommt
demnach auch nichts darauf an, dass der Beschwerdegegner das weniger als
Fr. 5000.-- zusprechende Urteil des Bezirksgerichtes anfocht und erreichte,
dass das Obergericht die Klage nur noch in einem geringen Umfange schützte
und entsprechend dem Beschwerdeführer Prozesskosten auferlegte.