Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 258



100 II 258

37. Auszug aus dem Urteil der Il. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1974
i.S. Vago gegen Vago. Regeste

    Trennung italienischer Ehegatten; Unterhaltsansprüche.

    Die Unterhaltsansprüche getrennter italienischer Ehegatten beurteilen
sich seit dem Inkrafttreten des neuen italienischen Scheidungsgesetzes
nach Art. 160 Abs. 2 ZGB.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Mit Urteil vom 29. März 1973 trennte das Bezirksgericht Baden
die Ehe der italienischen Staatsangehörigen Eugenio und Maria Vago
auf unbestimmte Zeit. Dabei wies es den von der Klägerin gestellten
Antrag auf Zusprechung einer Unterhaltsrente mit der Begründung ab,
die Voraussetzungen der Art. 151 und 152 ZGB seien nicht erfüllt.

    Die Klägerin focht dieses Urteil beim Obergericht des Kantons
Aargau im Trennungspunkt, mit Bezug auf das Besuchsrecht und in
der Frage des Unterhaltsbeitrages an. Ihre Appellation wurde durch
Urteil vom 15. März 1974 in den beiden ersten Punkten abgewiesen;
dagegen sprach ihr das Obergericht gestützt auf Art. 160 Abs. 2
ZGB einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 300.-- zu. In der
Urteilsbegründung wird unter anderem ausgeführt, bei blosser Trennung
der Ehe bleibe die Unterhaltspflicht des Ehemannes im Sinne von Art.
160 Abs. 2 ZGB grundsätzlich bestehen. Zwar habe die bundesgerichtliche
Praxis diesen Grundsatz dahin eingeschränkt, Unterhaltsansprüche eines
getrennten Ehegatten seien dann nach Art. 151/152 und nicht nach Art. 160
Abs. 2 ZGB zu beurteilen, wenn es sich um die Trennung ausländischer
Ehegatten handle, deren Heimatrecht die Scheidung nicht gestatte. Dies
gelte indessen für italienische Ehegatten nicht mehr, weil das neue
italienische Scheidungsrecht eine Scheidung von getrennten Ehegatten nach
einer Trennungszeit von fünf oder sieben Jahren zulasse. Deshalb seien
nunmehr Unterhaltsansprüche italienischer Ehegatten ebenfalls unter dem
Gesichtspunkt des Art. 160 Abs. 2 ZGB zu beurteilen.

    Mit Berufung ans Bundesgericht beantragt der Beklagte die Aufhebung
dieser Unterhaltsrente mit der Begründung, das neue italienische
Scheidungsrecht habe nichts daran geändert, dass ein italienischer
Ehegatte in der Schweiz die Scheidung nicht, jedenfalls nicht sofort
verlangen könne, auch wenn ein Scheidungsgrund des schweizerischen Rechtes
eindeutig gegeben sei, wie das im vorliegenden Fall zutreffe. Es erscheine
daher richtig, nach wie vor im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis die
Unterhaltsansprüche der Ehegatten in solchen Fällen nach Art. 151/152 ZGB
zu beurteilen, weil sonst ein italienischer Ehemann schlechter gestellt
wäre als ein Schweizer, der sich in der gleichen Lage befinde.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus dem Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Durch die gerichtliche Trennung wird eine Ehe nicht aufgelöst,
sondern sie bleibt weiter bestehen. Die Unterhaltspflicht des Ehemannes
gegenüber der Ehefrau richtet sich daher nach wie vor grundsätzlich
nach Art. 160 Abs. 2 ZGB (BGE 95 II 72). Diesen Grundsatz hat das
Bundesgericht erstmals im Jahre 1914 für ausländische Ehegatten, deren
Heimatrecht die Scheidung nicht kennt und die demzufolge gemäss Art. 7 h
NAG in der Schweiz nicht auf Scheidung klagen können, eingeschränkt (BGE 40
II 310 ff. Erw. 5). Es führte aus, in der Regel stünden einem Ehegatten
bei blosser Trennung keine Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche im
Sinne von Art. 151 ZGB zu. Wenn aber ein italienischer Ehegatte nur
deswegen die Trennung verlange, weil ihm sein Heimatrecht die Scheidung
versage, wenn anzunehmen sei, ein schweizerischer Ehegatte hätte unter
den gleichen Voraussetzungen die Scheidung beantragt, und wenn die
Trennung nach den Umständen aller Voraussicht nach als Dauerregelung
betrachtet werden müsse, sei ein Genugtuungsanspruch gemäss Art. 151
Abs. 2 ZGB grundsätzlich zuzulassen. Im gleichen Entscheid beurteilte
das Bundesgericht indessen die Unterhaltspflicht des Ehemannes noch auf
Grund von Art. 160 Abs. 2 ZGB (BGE 40 II 309 Erw. 3). Zehn Jahre später
prüfte es in einem Fall spanischer Ehegatten den Unterhaltsanspruch der
Ehefrau jedoch nach Art. 152 ZGB, weil andernfalls eine unerträgliche
Rechtsungleichheit zwischen einem schweizerischen und einem ausländischen
Ehegatten bestünde (BGE 50 II 313). Diese Rechtsprechung wurde in BGE
52 II 2 ff. bestätigt. In der Begründung jenes Entscheides führte das
Bundesgericht aus, wenn auch die Trennung ausländischer Ehegatten bezüglich
der Nebenfolgen sich ausschliesslich nach schweizerischem Recht regle,
so müssten doch diese Folgen demjenigen der beiden schweizerischen
Rechtsinstitute (Trennung oder Scheidung) angepasst werden, dem die
ausgesprochene Trennung sachlich am meisten entspreche. Nun sei aber
die dauernde, nicht in eine Scheidung umwandelbare Trennung, wie sie
bei italienischen Ehegatten allein ausgesprochen werden könne, derart
verschieden von der wandelbaren Trennung, wie sie bei ausschliesslicher
Anwendung des ZGB gegenüber schweizerischen Ehegatten zulässig sei, dass
es sich rechtfertige, sie hinsichtlich der Unterhaltspflicht analog der
Scheidung zu behandeln. In BGE 95 II 72/73 präzisierte das Bundesgericht,
die Ausnahmeregelung für ausländische Ehegatten, deren Heimatrecht die
Scheidung nicht kenne, greife nur dann Platz, wenn feststehe, dass der
klageberechtigte Ehegatte auf Scheidung geklagt hätte, wenn ihm dies
möglich gewesen wäre.

    Diese Rechtsprechung ist in neuerer Zeit auf Kritik gestossen
(vgl. FRANK, SJZ 1970 S. 248 ff., 1972 S. 133 ff.; HINDERLING,
Das schweizerische Ehescheidungsrecht, Supplement S. 25 ff.). Der
vorliegende Fall bietet jedoch keinen Anlass zu einer Überprüfung der
Praxis. Seit dem Inkrafttreten des italienischen Scheidungsgesetzes vom
1. Dezember 1970 (Gazetta Ufficiale vom 3.12.1970, N. 306 S. 8046 ff.;
deutscher Text in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1971 S. 113
ff.) besteht nämlich kein Grund mehr, italienische Ehegatten hinsichtlich
der Nebenfolgen der Trennung anders zu behandeln als Schweizer. Art. 3
Ziff. 2 lit. b dieses Gesetzes lässt nunmehr eine Scheidung zu, sofern
eine vorausgegangene gerichtliche Trennung fünf Jahre, in bestimmten
Fällen sechs oder sieben Jahre gedauert hat. Daraus ergibt sich, dass die
Trennung nach italienischem Recht nicht mehr dauernd sein muss, sondern
nach Ablauf einer bestimmten Frist in eine Scheidung umgewandelt werden
kann. Sie entspricht daher weitgehend der Trennung nach schweizerischem
Recht (vgl. Art. 147 Abs. 3 ZGB). Damit fehlt heute bei italienischen
Staatsangehörigen die wesentliche Voraussetzung, die das Bundesgericht
veranlasst hat, bei der Trennung von ausländischen Ehegatten, die nicht
auf Scheidung klagen können, die Unterhaltspflicht nach Art. 151/152 ZGB
zu regeln. Im gleichen Sinne hat denn auch bereits das Obergericht des
Kantons Zürich entschieden (Urteil vom 10. Mai 1973, publiziert in SJZ
1974 S. 43 ff. Erw. 4). Das angefochtene Urteil ist deshalb in die sem
Punkt zu bestätigen.